Verfahrensgang

LSG für das Saarland (Urteil vom 18.05.2000)

 

Tenor

Der Antrag des Klägers, ihm für die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 18. Mai 2000 Prozeßkostenhilfe zu bewilligen und Rechtsanwalt H. … H. W. …, Saarbrücken beizuordnen, wird abgelehnt.

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in jenem Urteil wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Der Rechtsstreit betrifft die Bemessung von Arbeitslosengeld (Alg), das der Kläger nach einer beruflichen Bildungsmaßnahme mit Bezug von Unterhaltsgeld (Uhg) ab 1. November 1996 bezogen hat.

Die beklagte Bundesanstalt für Arbeit hat das Uhg wie das Alg ab 1. November 1996 nach dem Arbeitsentgelt eines Hotelarbeiters bemessen, als der der Kläger bis September 1993 beschäftigt war. Aufgrund eines arbeitsgerichtlichen Vergleichs vom 16. November 1993 hat er das Arbeitsentgelt bis zum 31. Dezember 1993 bezogen. Der Kläger hat die Ansicht vertreten, wegen des Abstands zum Bemessungszeitraum und zwischenzeitlich erworbener beruflicher Qualifikationen als „Referent im Personal- und Sozialwesen” und „Lizentiat des Rechts” sei das Alg gemäß § 112 Abs 7 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) nach einem höheren Arbeitsentgelt zu bemessen. Das Landessozialgericht (LSG) hat ausgeführt, die Tatbestandsvoraussetzungen des § 112 Abs 7 AFG seien nicht gegeben. Das Alg ab 1. November 1996 sei deshalb auf der Grundlage des zuvor bezogenen Uhg und des vorausgehenden Leistungsbezugs seit 1994 zu bemessen. Die Revision hat das LSG nicht zugelassen.

Gegen die Nichtzulassung der Revision hat der Kläger durch seinen Prozeßbevollmächtigten am 31. Juli 2000 Beschwerde eingelegt. Eine vom Prozeßbevollmächtigten unterzeichnete Beschwerdebegründung liegt nicht vor. Der Kläger selbst hat am 28. Juli 2000 Prozeßkostenhilfe für die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision beantragt. In der Antragsschrift ist ausgeführt, er habe der Anregung, den Streitgegenstand „auf die ursprünglich angefochtenen Bescheide über Alg zu beschränken”, nur entsprochen, weil er von einer Zusage des LSG ausgegangen sei, die Revision sei „wegen der uneinheitlichen, teilweise widersprüchlichen und insoweit noch nicht abschließenden Rechtsprechung des BSG über die §§ 112 Abs 5 Nr 8 und 112 Abs 7 AFG ohnehin zuzulassen.” Die Nichtanwendung des § 112 Abs 7 AFG und die Anwendung des § 112 Abs 2 Satz 1 AFG sei „rechtsfehlerhaft und widerspreche der Rechtsprechung des BSG”. Die Annahme des LSG, er sei am 24. September 1993 nicht faktisch beschäftigungslos gewesen, sei willkürlich. Tatsächlich habe der Arbeitgeber am 23. September 1993 eine fristlose Kündigung mit Hausverbot ausgesprochen. Mit der arbeitsgerichtlichen Klage habe der Kläger eine Weiterbeschäftigung nicht erreichen wollen. Es sei nur um eine finanzielle Korrektur gegangen, die auch mit dem Vergleich vom 16. November 1993 erreicht worden sei.

 

Entscheidungsgründe

II

Prozeßkostenhilfe steht dem Kläger nicht zu, denn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hat nicht hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 73a Abs 1 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫; § 114 Satz 1 Zivilprozeßordnung).

Die auf die Zulassung der Revision gerichtete Beschwerde des Klägers hat nur Aussicht auf Erfolg, wenn die Beschwerdebegründungsfrist gewahrt ist. Die Wahrung dieser Frist ist Voraussetzung für eine Sachentscheidung des Bundessozialgerichts ≪BSG≫ (§ 169 Satz 2 SGG). Der Kläger hat die Frist zur Begründung der Beschwerde versäumt. Diese Frist wurde durch die Zustellung des angefochtenen Urteils an den Kläger am 29. Juni 2000 in Gang gesetzt und lief am 29. August 2000 ab (§ 160a Abs 2 Satz 1 SGG). Eine Beschwerdebegründung, die von einem beim BSG zugelassenen Prozeßbevollmächtigten unterzeichnet ist (§ 166 SGG), hat der Kläger nicht vorgelegt. Die Bezugnahme der Beschwerdeschrift auf die vom Kläger selbst verfaßte Begründung des Antrags auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe wird der Darlegungs- und Bezeichnungslast (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) und dem Vertretungszwang vor dem BSG (§ 166 SGG) nicht gerecht. Seit Einführung der reinen Zulassungsrevision im sozialgerichtlichen Verfahren soll die Revision nur noch unter den in § 160 Abs 2 Nrn 1 bis 3 SGG abschließend aufgezählten Voraussetzungen zulässig sein. Die Darlegung bzw Bezeichnung von Zulassungsgründen erfordert rechtliche Sachkunde und spezielle Kenntnisse des für den Bereich der Sozialgerichtsbarkeit geltenden materiellen Rechts und Verfahrensrechts sowie der dazu ergangenen Rechtsprechung. Deshalb bezieht sich der Vertretungszwang vor dem BSG auch auf die Einlegung und Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde (§ 166 Abs 1 SGG). Der Darlegungs- und Bezeichnungslast des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG ist nur zu genügen, wenn der nach § 160 Abs 2 Nrn 1 bis 3 SGG maßgebliche Streitstoff von dem postulationsfähigen Prozeßbevollmächtigten selbst überprüft und vor allem darauf untersucht worden ist, ob einer der Zulassungsgründe des § 160 Abs 2 Nrn 1 bis 3 vorliegt. Der Entlastungsfunktion dieser Vorschriften wird nicht genügt, wenn der Prozeßbevollmächtigte auf Ausführungen des Beschwerdeführers selbst bezug nimmt oder diese zum Gegenstand seines Vorbringens macht, eine eigenständige Prüfung der in Betracht kommenden Zulassungsgründe aber nicht vornimmt (BSG SozR 1500 § 160 Nr 44; BSG Beschluß vom 27. Mai 1997 – 2 BU 66/97 – nicht veröffentlicht; Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 1990, RdNr 103 mwN). Schon aus diesem Grunde ist die Beschwerde mit der pauschalen Bezugnahme auf den Schriftsatz des Klägers vom 28. Juli 2000 nicht begründet worden. Es bedarf keiner weiteren Ausführungen darüber, daß die Ausführungen des Klägers auch inhaltlich nicht geeignet sind, der Darlegungs- und Bezeichnungslast des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG zu genügen.

Die Erfolgsaussicht läßt sich auch nicht damit begründen, der Kläger werde nach Entscheidung über seinen rechtzeitig eingereichten Prozeßkostenhilfeantrag und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand die Beschwerdebegründung vorlegen. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung umfaßt auch den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, so daß dieser hinreichende Aussicht auf Erfolg bieten müßte. Dies trifft nur zu, wenn der Kläger ohne Verschulden gehindert war, die Beschwerdebegründungsfrist einzuhalten (§ 67 Abs 1 SGG). Diesem Maßstab genügt seine Prozeßführung nicht. Ist ein Verfahrensbeteiligter nach seinen Einkommens- und Vermögensverhältnissen außer Stande, Prozeßhandlungen formgerecht durch zugelassene Prozeßbevollmächtigte vorzunehmen, so ist er bis zur Bewilligung von Prozeßkostenhilfe iS des § 67 Abs 1 SGG ohne Verschulden verhindert, gesetzliche Verfahrensfristen zu wahren. Dies gilt aber nur, wenn der Verfahrensbeteiligte innerhalb der zu wahrenden Frist alles getan hat, um ein Fristversäumnis zu vermeiden. Ein Verschulden seines Prozeßbevollmächtigten wird dabei dem Verfahrensbeteiligten zugerechnet (BSGE 11, 158, 160 = NJW 1960, 502). Der Kläger hat zwar mit seinem Schriftsatz vom 28. Juli 2000 und den beigefügten Unterlagen über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse möglicherweise die Voraussetzungen für eine Entscheidung über seinen Antrag auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe geschaffen. Er hat aber nicht alles Erforderliche getan, um die Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist zu vermeiden. Daran war er nicht durch seine wirtschaftliche Lage gehindert. Der Kläger hatte seinem Prozeßbevollmächtigten – unabhängig von der Bewilligung von Prozeßkostenhilfe – am 28. Juli 2000 die Vollmacht „zur Prozeßführung … für alle Instanzen” erteilt. Falls dieser Auftrag im Innenverhältnis zum Prozeßbevollmächtigten wegen der wirtschaftlichen Lage des Klägers und dem daraus für den Anwalt herrührenden Risiko beschränkt werden sollte, hätte diese Beschränkung bei der Einlegung der Beschwerde zum Ausdruck gebracht werden müssen. Diese Rechtsansicht hat das BSG für die Wahrung der Förmlichkeiten der Revision innerhalb der Revisionsfrist (BSG SozR Nr 10 zu § 67 SGG) und die Wahrung der Begründungsfrist im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde (BSG SozR 1500 § 160a Nr 8) aufgestellt. Das gleiche gilt für entsprechende Verfahrenslagen im Zivilprozeß (RGZ 145, 228 f; BGHZ 7, 280, 283 = NJW 1953, 503). Nachdem der Prozeßbevollmächtigte des Klägers die Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt hatte, war er jedenfalls gehalten, die gesetzlich vorgesehene Verlängerung der Begründungsfrist rechtzeitig zu beantragen (§ 160a Abs 2 Satz 2 SGG), wenn er mit Rücksicht auf die noch ausstehende Entscheidung des Senats über die Bewilligung von Prozeßkostenhilfe die Beschwerdebegründung noch nicht vornehmen wollte. Unter den gegebenen Umständen durfte er sich nicht auf die Wiedereinsetzung verlassen; vielmehr hatte er nach § 67 Abs 1 SGG zu verhindern, daß diese erforderlich wurde (RGZ 125, 228 f; BGH NJW 1974, 2321; BSG SozR 1500 § 67 Nr 16).

Da der Kläger eine Beschwerdebegründung nicht innerhalb der Begründungsfrist vorgelegt hat und ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht zu gewähren ist, ist die Beschwerde entsprechend § 169 SGG als unzulässig zu verwerfen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1175200

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