Entscheidungsstichwort (Thema)
Unzulässigkeit der außerordentlichen Beschwerde zum Bundessozialgericht spätestens seit Inkrafttreten der Anhörungsrüge
Leitsatz (amtlich)
Eine außerordentliche Beschwerde zum Bundessozialgericht gegen eine mit Beschwerde oder Revision nicht mehr anfechtbare Entscheidung des Landessozialgerichts kommt spätestens seit Inkrafttreten der Vorschriften über die Anhörungsrüge nicht mehr in Betracht.
Normenkette
SGG §§ 177, 178a Fassung: 2004-12-09; ZPO § 321a Fassung: 2001-07-27; SGG § 202
Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 8. Juli 2004 wird als unzulässig verworfen.
Die Antragsgegnerin trägt auch die Kosten des Verfahrens vor dem Bundessozialgericht.
Tatbestand
I
Die Taunus Betriebskrankenkasse (BKK) vereinigte sich zum 1. April 2004 mit einer anderen BKK und hob ihren allgemeinen Beitragssatz an. Dieses Ereignis war Anlass von Auseinandersetzungen über das Bestehen eines Sonderkündigungsrechts der Versicherten nach § 175 Abs 4 Satz 5 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch. Nachdem die antragstellende AOK Rheinland die Taunus-BKK (Antragsgegnerin) vergeblich aufgefordert hatte, ein solches Recht anzuerkennen, weil ihr gegenteiliges Verhalten grob wettbewerbswidrig sei, hat sie beim Sozialgericht (SG) mit Erfolg den Erlass einer Einstweiligen Anordnung beantragt. Das SG hat es der Antragsgegnerin bei Androhung von Ordnungsmitteln untersagt, betroffene Versicherte auf die 18-monatige Bindungsfrist hinzuweisen und ihnen mitzuteilen, dass kein Sonderkündigungsrecht bestehe (Beschluss vom 24. Mai 2004). Die Beschwerde der Antragsgegnerin ist erfolglos geblieben, weil das SG, dessen Beschlusstenor ausgelegt werden müsse, die Antragsgegnerin im Ergebnis zu Recht verpflichtet habe (Beschluss des Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 8. Juli 2004). Die im Anschluss daran anhängig gemachte Gegenvorstellung der Antragsgegnerin hat das LSG zurückgewiesen (Beschluss vom 8. November 2004).
Mit ihrer “außerordentlichen Beschwerde” wendet sich die Antragsgegnerin gegen den erstgenannten Beschluss des LSG und rügt unzutreffende Tatsachenbehauptungen des LSG sowie Fehler des gerichtlichen Verfahrens, insbesondere eine Verletzung des rechtlichen Gehörs. Sie erleide durch die nicht ausgesetzte Vollstreckbarkeit irreversible wirtschaftliche Schäden, die existenzgefährdend seien. Ergänzend beruft sie sich auf § 178a Sozialgerichtsgesetzes (SGG) in der ab 1. Januar 2005 geltenden Fassung.
Entscheidungsgründe
II
Die außerordentliche Beschwerde der Antragsgegnerin ist unstatthaft und deshalb entsprechend § 169 SGG als unzulässig zu verwerfen.
Für eine inhaltliche Befassung des Bundessozialgerichts (BSG) ist angesichts der abschließenden gesetzlichen Regelung seiner Zuständigkeiten im Instanzenzug, zu denen eine Überprüfung von Entscheidungen der LSGe der vorliegenden Art nicht gehört (§ 177 SGG), kein Raum. Es geht vorliegend auch nicht um eine Gegenvorstellung der Antragsgegnerin gegen eine Entscheidung des BSG iS von § 178a SGG, sondern darum, dass ein LSG-Beschluss mit einer gesetzlich nicht vorgesehenen Eingabe beanstandet wird.
Außerhalb des geschriebenen Rechts geschaffene außerordentliche Rechtsbehelfe verstoßen gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Rechtsmittelklarheit (vgl Beschluss des Plenums des Bundesverfassungsgerichts vom 30. April 2003, BVerfGE 107, 395, 416 ff = NJW 2003, 1924, 1928 f). Es kann dahinstehen, ob ein solcher auf eine sog “greifbare Gesetzwidrigkeit” gestützter Rechtsbehelf im Sozialgerichtsprozess bereits seit Inkrafttreten des Zivilprozessreformgesetzes vom 27. Juli 2001 (BGBl I 1887, 1892) mit der Einfügung des § 321a in die Zivilprozessordnung iVm § 202 SGG nicht mehr statthaft war (so zB 12. Senat des BSG, Beschluss vom 14. Oktober 2004 – B 12 KR 5/04 S; ebenso BVerwG, Beschluss vom 5. Oktober 2004 – 2 B 90.04 = DVBl 2005, 254) bzw ob dies jedenfalls seit Schaffung des der genannten Regelung nachgebildeten § 178a SGG zum 1. Januar 2005 (BGBl 2004 I 3220) der Fall ist. Mit dem 12. Senat kann beiden Regelungen der Rechtsgedanke entnommen werden, dass in denjenigen Fällen, die im Wesentlichen Anlass zur Entwicklung der außerordentlichen Beschwerde gegeben haben, das Gericht ggf für Abhilfe zu sorgen hat, dem der Fehler unterlaufen ist (iudex a quo). Dem Erfordernis der “Selbstkontrolle” durch den iudex a quo wird durch die Einräumung einer Gegenvorstellung ausreichend Rechnung getragen. Eine solche Gegenvorstellung hat die Antragsgegnerin auch bereits erhoben und das LSG mit seinem Beschluss vom 8. November 2004 beschieden, der auch bei Zugrundelegung des neuen Rechts unanfechtbar ist (§ 178a Abs 4 Satz 3 SGG). Das Vorbringen der Antragsgegnerin bietet im Übrigen unabhängig von alledem keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine mit der geltenden Rechtsordnung schlechthin unvereinbare Gesetzwidrigkeit des LSG-Beschlusses. Insbesondere ist der Streit über die von den Beteiligten kontrovers beurteilte materielle Rechtslage zum Sonderkündigungsrecht, die auch Auslöser und Kern der hiesigen Auseinandersetzungen unter den Krankenkassen war, inzwischen durch das Urteil des 12. Senats vom 2. Dezember 2004 – B 12 KR 23/04 R (zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen) gegen die Rechtsauffassung der Antragsgegnerin geklärt.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 197a Abs 1 SGG iVm § 154 Abs 2, § 161 Abs 1, § 162 Abs 1 Verwaltungsgerichtsordnung.
Fundstellen
AnwBl 2005, 90 |
SozR 4-1500 § 178a, Nr. 1 |