Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. elektronischer Rechtsverkehr. sicherer Übermittlungsweg. besonderes elektronisches Anwaltspostfach. vertrauenswürdiger Herkunftsnachweis. qualifizierte elektronische Signatur. zugelassener Übermittlungsweg. elektronisches Gerichts- und Verwaltungspostfach
Orientierungssatz
1. Zum Nachweis der Übersendung aus dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach (beA) als sicherer Übermittlungsweg iS des § 65a Abs 4 S 1 Nr 2 SGG bedarf es eines vertrauenswürdigen Herkunftsnachweises (VHN). Die DE.BRAK-SAFE-ID des Anwalts genügt hierfür allein nicht (vgl BAG vom 5.6.2020 - 10 AZN 53/20 = BAGE 171, 28).
2. Ist ein elektronisches Dokument von der verantwortenden Person qualifiziert elektronisch signiert, kann es auf allen zugelassenen elektronischen Übermittlungswegen durch jede beliebige Person übersandt werden (vgl § 4 Abs 1 ERVV; ferner § 23 Abs 3 S 5 RAVP). Das Elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) ist ein solcher zugelassener Übermittlungsweg.
Normenkette
SGG § 65a Abs. 3 S. 1 Alt. 1, Abs. 3 S. 1 Alt. 2, Abs. 4 S. 1 Nrn. 2-3; BRAO § 31a; ERVV § 4 Abs. 1 Nr. 2; RAVPV § 23 Abs. 3 S. 5
Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 16. Dezember 2021 wird als unzulässig verworfen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I. Die Beteiligten streiten über einen Anspruch der Klägerin auf Übernahme der Kosten von stationären Liposuktionen.
Die Klägerin beantragte am 15.6.2018 bei der Beklagten eine Liposuktion an beiden Armen und Beinen einschließlich Hüften sowie am Nacken unter Vorlage eines Kostenvoranschlags einer ambulanten Behandlung in Höhe von 15 900 Euro. Sie leide an einem Lipödem im Stadium Ill und Multipler Sklerose (MS). Zur Behandlung der MS benötige sie dringend Injektionen des Medikaments Interferon (Rebif). Jedoch dürften Ödempatienten zur Vermeidung von Verletzungen der Lymphbahnen an Armen und Beinen nicht gespritzt werden. Die Beklagte lehnte die Übernahme der Kosten einer ambulanten Liposuktion unter Einholung eines Gutachtens des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vom 2.8.2018 ab (Bescheid vom 19.6.2018, Widerspruchsbescheid vom 4.10.2018).
Das SG hat die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 14.2.2019). Das LSG hat die Berufung, mit der die Klägerin die Übernahme der Kosten einer stationären Liposuktion, hilfsweise die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Frage, dass bei ihr eine Kompressionsbehandlung wegen der vorliegenden MS aus medizinischen Gründen nicht durchgeführt werden könne, nach Vorlage eines erneuten Gutachtens des MDK vom 22.11.2019 und Einholung eines Gutachtens bei R (Facharzt für Orthopädie) vom 2.11.2020 sowie eines Gutachtens nach § 109 SGG bei dem Arzt C (Facharzt für Plastische und Ästhetische Chirurgie) vom 16.6.2021 zurückgewiesen. Die Klägerin könne den geltend gemachten Anspruch nicht auf die mit Beschluss vom 19.9.2019 geänderte Richtlinie Methoden Krankenhausbehandlung des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) stützen, da sie nicht an einem Lipödem im Stadium Ill, sondern im Stadium Il leide. Sie habe auch keinen Anspruch auf Grundlage von § 137c Abs 3 Satz 1 SGB V, da bei ihr - ungeachtet der Notwendigkeit einer weiteren Gewichtsreduktion - mit einer komplexen physikalischen Entstauungstherapie (KPE), die sich aus Bewegungstherapie, Kompressionsbehandlung, manueller Lymphdrainage und Kompressionsbestrumpfung zusammensetze, eine Standardtherapie zur Verfügung stehe. Eine konsequente Ausschöpfung der konservativen Maßnahmen sei nicht nachgewiesen. Nach den Gutachten des MDK und des R sei davon auszugehen, dass eine solche umfassende Therapie bisher nicht stattgefunden habe. Eine Kompressionstherapie sei seit 2019 nicht mehr durchgeführt worden. Nichts anderes ergebe sich aus dem Gutachten des Arztes C. Die Einholung eines Gutachtens zu der Behauptung, bei der Klägerin sei eine Kompressionsbehandlung wegen der vorliegenden MS aus medizinischen Gründen nicht möglich, sei nicht veranlasst. Während das Gutachten des MDK vom 2.8.2018 bei bekannter MS und Schmerzsymptomatik eine stationäre Reha zur Erprobung der KPE empfiehlt, weise der MDK im Gutachten vom 22.11.2019 - zusätzlich zur Empfehlung eines erneuten Therapieversuchs (nach Reha-Abbruch im November 2018) in einer lymphologischen Fachklinik - auf das Fehlen eines wissenschaftlichen Belegs für das von der Klägerin vermutete Auslösen eines MS-Schubs durch Kompressionstherapie hin. R habe sich nach Untersuchung der Klägerin am 6.10.2020 und nach Auswertung der ärztlichen Unterlagen in seinem Gutachten vom 2.11.2020 dem angeschlossen. Nichts anderes ergebe sich aus dem Gutachten des Arztes C vom 16.6.2021, der ausführe, ein Zusammenhang zwischen Kompressionstherapie und dem Auslösen eines MS-Schubs sei möglich, wissenschaftlich jedoch nicht nachweisbar. Auch aus den übrigen ärztlichen Unterlagen, insbesondere der Klinik R zu der vom 7. bis zum 12.11.2018 durchgeführten Reha-Maßnahme ergäben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass die die Klägerin behandelnden Ärzte ihre Auffassung teilten. Ein Anspruch aus § 2 Abs 1a SGB V scheide aus, da ein Lipödem keine lebensbedrohliche, regelmäßig tödliche oder wertungsmäßig damit vergleichbare Erkrankung sei (Urteil vom 16.12.2021).
Die Klägerin wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG. Mit Verfügung vom 14.4.2022 hat die Berichterstatterin die Klägerin darauf hingewiesen, dass die Beschwerdebegründung mit Schriftsatz vom 4.4.2022 nach dem vorliegenden Prüfvermerk über das Elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) ohne qualifizierte elektronische Signatur eingegangen sei. Daraufhin hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin vorgetragen, der Versand sei aus dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach (beA) erfolgt und das versandte Dokument von ihm qualifiziert elektronisch signiert worden. Er hat hierzu das Prüfprotokoll vom 4.4.2022 und einen Ausdruck aus beA zu den Akten gereicht, aus dem sich das Nachrichtenjournal ersehen lässt. Darüber hinaus hat er einen Screenshot aus dem Rechtsanwaltsregister der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) vorgelegt, aus dem sich seine beA Safe-ID ergibt. Aus dem Nachrichtenjournal ist ersichtlich, dass das beA nicht durch den Prozessbevollmächtigten als Postfachinhaber selbst, sondern von dem Benutzer "MicroRAKTWoH" genutzt wurde.
II. Die Beschwerde ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG zu verwerfen.
1. Die Zulässigkeit der Beschwerde scheitert nicht an einem Formmangel der Begründung.
Die formwirksame Einreichung erfordert, dass das elektronische Dokument von der verantwortenden Person entweder mit einer qualifizierten elektronischen Signatur (qeS) versehen worden ist (§ 65a Abs 3 Satz 1 Alt 1 SGG) oder von der verantwortenden Person (einfach) signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht wurde (§ 65a Abs 3 Satz 1 Alt 2 SGG). Zu den sicheren Übermittlungswegen zählen nach § 65a Abs 4 Satz 1 Nr 2 und 3 SGG ua die Übersendung aus dem beA nach § 31a Bundesrechtsanwaltsordnung.
Zwar erfolgte keine Übersendung der Beschwerdebegründung nach den Vorgaben des § 65a Abs 3 Satz 1 Alt 2 SGG. Zum Nachweis der Übersendung aus beA als sicherer Übermittlungsweg iS des § 65a Abs 4 Satz 1 Nr 2 SGG bedarf es eines vertrauenswürdigen Herkunftsnachweises (VHN). Die DE.BRAK-SAFE-ID des Anwalts genügt hierfür allein nicht (vgl BAG vom 5.6.2020 - 10 AZN 53/20 - juris RdNr 25 ff). Stimmen Postfachinhaber/Absender und Benutzer nicht überein, wird - wie vorliegend - kein VHN erstellt (vgl Müller in jurisPK-ERV, § 65a SGG RdNr 216, Stand 2.6.2023). Fehlt der VHN, werden auf dem Prüfvermerk bzw dem Prüfprotokoll als Übermittlungsweg nicht beA, sondern - wie hier - EGVP angegeben, selbst wenn der Versand aus beA angestoßen wird.
Allerdings wurde den Vorgaben des § 65a Abs 3 Satz 1 Alt 1 SGG entsprochen. Das elektronische Dokument wurde von dem Prozessbevollmächtigten als der verantwortenden Person qualifiziert elektronisch signiert. Dies ergibt sich aus dem vom Prozessbevollmächtigten vorgelegten Prüfprotokoll und konnte durch eine erneute Signaturprüfung in dem beim BSG verwendeten Geschäftsstellenprogramm bestätigt werden. Ist ein elektronisches Dokument von der verantwortenden Person qualifiziert elektronisch signiert, kann es auf allen zugelassenen elektronischen Übermittlungswegen durch jede beliebige Person übersandt werden (vgl § 4 Abs 1 ERVV; ferner § 23 Abs 3 Satz 5 Rechtsanwaltsverzeichnis- und -postfachverordnung ≪RAVPV≫; Müller in jurisPK-ERV, § 65a SGG RdNr 172, Stand 2.6.2023). Das EGVP ist ein solcher zugelassener Übermittlungsweg (§ 4 Abs 1 Nr 2 Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung ≪ERVV≫).
2. Die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin entspricht jedoch nicht den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung des hier allein geltend gemachten Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG). Der Senat kann deshalb über die Beschwerde ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter nach § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 3 SGG entscheiden.
Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von § 109 SGG und § 128 Abs 1 Satz 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Um einen Verfahrensmangel in diesem Sinne geltend zu machen, müssen die Umstände bezeichnet werden, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen.
a) Soweit die Klägerin einen entscheidungserheblichen Verstoß des LSG gegen das jedermann gewährleistete Recht auf rechtliches Gehör rügt (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG, Art 47 Abs 2 Charta der Grundrechte der EU, Art 6 Abs 1 Europäische Menschenrechtskonvention), ist dieser Verfahrensmangel nicht hinreichend bezeichnet.
Das Recht auf rechtliches Gehör verpflichtet die Gerichte, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Es soll als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Fehlern ergeht, die ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Beteiligten haben könnten. Dieses Gebot verpflichtet die Gerichte allerdings nicht, der Rechtsansicht eines Beteiligten zu folgen. Die Gerichte sind auch nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen der Beteiligten in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen. Sie müssen nur das wesentliche, der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung dienende Vorbringen in den Entscheidungsgründen verarbeiten (vgl BSG vom 14.4.2022 - B 5 R 4/22 C - juris RdNr 4 mwN zur Rspr des BVerfG).
Nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG ist grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Gericht das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Um eine Verletzung des Gehörsanspruchs durch Nichtberücksichtigung von Beteiligtenvortrag annehmen zu können, müssen im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist. Geht das Gericht in seinen Entscheidungsgründen auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags eines Beteiligten zu einer Frage nicht ein, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder offensichtlich unsubstantiiert war (vgl BSG vom 31.8.2021 - B 11 AL 31/21 B - juris RdNr 6 mwN zur Rspr des BVerfG).
Um einen Verstoß gegen das rechtliche Gehör darzulegen, hätte die Klägerin deshalb substantiiert nicht nur vortragen müssen, dass es sich bei dem vom LSG in seinen Entscheidungsgründen nicht erwähnten Vorbringen um ihren Kernvortrag handelt, sondern auch, dass das LSG - insbesondere ausgehend von seiner Rechtsansicht - sich damit nicht befasst hat, aber hätte befassen müssen. Hieran fehlt es. Die Klägerin hat bereits nicht konkret dargelegt, welcher sachgerechte Vortrag zum Prozessstoff keine Beachtung gefunden haben soll.
b) Die von der Klägerin erhobene Rüge der Verletzung der Aufklärungspflicht (§ 103 SGG) erfordert, dass in der Beschwerdebegründung ein für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbarer, bis zuletzt aufrechterhaltener oder im Urteil wiedergegebener Beweisantrag bezeichnet wird, dem das LSG nicht gefolgt ist, dass die Rechtsauffassung des LSG wiedergegeben wird, auf deren Grundlage bestimmte Tatfragen klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen, dass die von dem Beweisantrag betroffenen tatsächlichen Umstände aufgezeigt werden, die zu weiterer Sachaufklärung Anlass gegeben hätten, dass das voraussichtliche Ergebnis der unterbliebenen Beweisaufnahme angegeben und dass erläutert wird, weshalb die Entscheidung des LSG auf der unterlassenen Beweiserhebung beruhen kann (stRspr; vgl zB BSG vom 16.5.2019 - B 13 R 222/18 B - juris RdNr 12 mwN).
Für die Frage, ob ein hinreichender Grund für die unterlassene Beweiserhebung vorliegt, kommt es darauf an, ob das Gericht objektiv gehalten gewesen wäre, den Sachverhalt zu dem von dem betreffenden Beweisantrag erfassten Punkt weiter aufzuklären, ob es sich also zur beantragten Beweiserhebung hätte gedrängt fühlen müssen (stRspr; vgl zB BSG vom 7.4.2011 - B 9 SB 47/10 B - juris RdNr 4). Soweit der Sachverhalt nicht hinreichend geklärt ist, muss das Gericht von allen Ermittlungsmöglichkeiten, die vernünftigerweise zur Verfügung stehen, Gebrauch machen. Einen Beweisantrag darf es nur dann ablehnen, wenn es aus seiner rechtlichen Sicht auf die ungeklärte Tatsache nicht ankommt, wenn diese Tatsache als wahr unterstellt werden kann, wenn das Beweismittel völlig ungeeignet oder unerreichbar ist, wenn die behauptete Tatsache oder ihr Fehlen bereits erwiesen oder wenn die Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit überflüssig ist (vgl BSG vom 6.2.2007 - B 8 KN 16/05 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 12 RdNr 10; BSG vom 7.4.2011 - B 9 SB 47/10 B - juris RdNr 4; BSG vom 7.8.2014 - B 13 R 420/13 B - juris RdNr 12). Der bloße Angriff auf die Beweiswürdigung des LSG kann dagegen nicht zur Zulassung der Revision führen, auch wenn er in die Gestalt einer Sachaufklärungsrüge gekleidet ist (vgl BSG vom 8.5.2017 - B 9 V 78/16 B - juris RdNr 12). § 160 Abs 2 Nr 3 SGG schließt dies aus.
Die Klägerin trägt nicht schlüssig vor, warum sich das LSG ausgehend von seiner Rechtsauffassung zu weiterer Beweiserhebung hätte gedrängt sehen müssen. Dazu hätte es der Darlegung bedurft, warum das Gericht objektiv gehalten gewesen wäre, den Sachverhalt weiter aufzuklären und Beweis zu erheben (vgl BSG vom 6.10.2011 - B 9 SB 6/11 B - juris RdNr 12; BSG vom 29.4.2010 - B 9 SB 47/09 B - juris RdNr 8).
Liegen bereits ein oder - wie vorliegend - mehrere Gutachten vor, ist das Tatsachengericht nur dann zu weiteren Beweiserhebungen verpflichtet, wenn das oder die vorhandenen Gutachten ungenügend sind (§ 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 412 Abs 1 ZPO), weil sie grobe Mängel oder unlösbare Widersprüche enthalten oder von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgehen oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde des Gutachters geben (vgl stRspr; zB BSG vom 24.6.2020 - B 9 SB 79/19 B - juris RdNr 11; BSG vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 9, jeweils mwN).
Derartige Gründe hat die Klägerin nicht substantiiert dargelegt. Sie trägt vor, nur ein fachärztliches Gutachten eines Neurologen und nicht eines Gutachters des MDK oder eines Spezialisten für die Behandlung von Lipödemen könne eine fachlich zutreffende Einschätzung zu den konkreten Auswirkungen einer komplexen Entstauungstherapie auf ihre MS-Erkrankung geben. Indes verpflichtet das Verfahrensrecht grundsätzlich nicht dazu, ausschließlich Sachverständigengutachten von Fachärzten einzuholen. Vielmehr hat die Rechtsprechung das dem Tatsachengericht nach § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 404 Abs 1 ZPO eingeräumte Ermessen bei der Auswahl der Sachverständigen lediglich dann ausnahmsweise eingeschränkt, wenn es sich um besonders schwierige Fragen handelt oder aber den vorhandenen Gutachten grobe Mängel anhaften (vgl BSG vom 7.6.2018 - B 9 SB 74/17 B - juris RdNr 9; BSG vom 12.5.2016 - B 9 SB 101/15 B - juris RdNr 8, jeweils mwN). Zur schlüssigen Darlegung der fehlenden Sachkunde des Gutachters genügt es daher nicht, wenn - wie vorliegend - lediglich auf das Fehlen der einschlägigen Facharztausbildungen verwiesen wird. Vielmehr müssen sich aus den Gutachten selbst Zweifel an der Sachkunde oder Unabhängigkeit des Gutachters ergeben, oder es muss sich um besonders schwierige Fachfragen handeln, die ein spezielles, bei den bisherigen Gutachtern nicht vorausgesetztes Fachwissen erfordern (vgl BSG vom 20.5.2020 - B 13 R 49/19 B - juris RdNr 12 mwN).
Entsprechende Darlegungen enthält die Beschwerde nicht. Allein der nicht näher begründete Verweis der Klägerin auf die Notwendigkeit der Einholung eines fachärztlichen Gutachtens genügt nicht.
Ebenso wenig ergeben sich grundlegende Mängel der Gutachten, die das LSG seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, aus der Behauptung der Klägerin, die Möglichkeit der Durchführung einer komplexen Entstauungstherapie sei durch die Aufnahme einer Rehabilitationsmaßnahme am 7.11.2018 und deren Abbruch nach fünf Tagen widerlegt. Dasselbe gilt für die Anmerkung, das erneute Gutachten des MDK sei durch dieselbe Gutachterin wie das Gutachten vom 2.8.2018 erstellt worden. Nach den Ausführungen des LSG haben die berücksichtigten Gutachten des MDK vom 2.8.2018 und 22.11.2019, des R vom 6.10.2020 und des Arztes C vom 16.6.2021 sowie die ärztlichen Unterlagen der Klinik R sich mit der Beweisfrage, für die die Klägerin die Einholung eines weiteren Gutachtens beantragt hat, hinreichend auseinandergesetzt. Das LSG ist insoweit im Rahmen seiner Beweiswürdigung davon ausgegangen, dass das Fehlen der behaupteten Tatsache bereits erwiesen sei.
Das Vorbringen der Klägerin, mit dem diese lediglich das Ergebnis dieser Beweiswürdigung in Frage stellt, genügt insoweit bereits nicht den Anforderungen an die Darlegung einer Sachaufklärungsrüge. Insbesondere legt die Klägerin nicht dar, dass - abgesehen von ihrer laienhaften Bewertung - ärztliche Stellungnahmen vorliegen, die davon ausgehen, dass mehr dafür als dagegen spricht, dass eine konservative Behandlung des Lipödems geeignet ist, einen Schub der MS-Erkrankung auszulösen. Soweit fachärztliche neurologische Stellungnahmen vorliegen, befassen diese sich nicht mit dem Thema der Beweisfrage.
c) Sollte dem Vorbringen der Klägerin auch die - nicht ausdrücklich erhobene - Rüge zu entnehmen sein, das LSG habe die Grenzen freier Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG) überschritten, könnte allein dies die Zulassung der Revision nicht eröffnen (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG). Unbeschadet dessen genügt das Vorbringen der Klägerin auch insoweit den Darlegungsanforderungen nicht. Eine erfolgreiche Rüge der Verletzung von § 128 Abs 1 Satz 2 SGG setzt die Darlegung voraus, dass, ausgehend von der Rechtsauffassung des LSG, wesentliche entscheidungserhebliche Gesichtspunkte, insbesondere die Tatsachenfeststellungen, in den Entscheidungsgründen nicht behandelt worden sind. Mit der bloßen Behauptung, die Gutachten des MDK und des Arztes C ließen die Möglichkeit einer Entstauungstherapie auf Grund der auch vorliegenden MS-Erkrankung bei der Klägerin letztlich offen, setzt die Klägerin jedoch lediglich ihre Würdigung der Gutachten an die Stelle derer des LSG, ohne jedoch darzulegen, welche Tatsachen vom LSG unberücksichtigt geblieben sein sollen.
2. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG. |
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Schlegel |
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Fundstellen
NJW 2024, 1136 |
NZS 2024, 118 |
BRAK-Mitt. 2024, 149 |