Verfahrensgang
SG Berlin (Entscheidung vom 10.08.2021; Aktenzeichen S 117 AS 10782/17) |
LSG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 22.06.2023; Aktenzeichen L 20 AS 1022/21) |
Tenor
Der Antrag des Klägers, ihm zur Durchführung des Verfahrens der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 22. Juni 2023 - L 20 AS 1022/21 - Prozesskostenhilfe zu bewilligen und einen Rechtsanwalt beizuordnen, wird abgelehnt.
Gründe
Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) ist abzulehnen. Nach § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Abs 1 Satz 1 ZPO kann einem Beteiligten für das Verfahren vor dem BSG nur dann PKH bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet; das ist hier - entgegen der mit Schreiben vom 4.3.2024 mitgeteilten vorläufigen Einschätzung des Berichterstatters - nicht der Fall.
Es ist nicht zu erkennen, dass ein beim BSG zugelassener Prozessbevollmächtigter(§ 73 Abs 4 SGG ) in der Lage wäre, die vom Kläger angestrebte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der genannten Entscheidung des LSG erfolgreich zu begründen.
Nach § 160 Abs 2 SGG ist die Revision nur zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat(Nr 1) , die Entscheidung des LSG von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht(Nr 2) oder wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann(Nr 3) . Ein solcher Zulassungsgrund ist weder nach dem Vorbringen des Klägers noch nach summarischer Prüfung des Streitstoffs aufgrund des Inhalts der beigezogenen Verfahrensakten ersichtlich.
Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache(§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG ) ist nur dann anzunehmen, wenn eine Rechtsfrage aufgeworfen wird, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Es ist nicht erkennbar, dass sich wegen der Entscheidung der Vorinstanz Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung stellen. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass ein Prozessbevollmächtigter vor dem Hintergrund der bereits vorliegenden verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung(vgl vor allemBVerfG vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09 ua - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12;BVerfG vom 23.7.2014 - 1 BvL 10/12 ua - BVerfGE 137, 34 ) eine Grundsatzfrage hinsichtlich der Höhe der Regelbedarfe im SGB II für den hier streitigen Zeitraum Juli 2017 bis Juni 2018 aufzeigen könnte.
Ebenso wenig zu erkennen sind grundsätzlich bedeutsame Rechtsfragen in Bezug auf die Voraussetzungen der Bewilligung eines Mehrbedarfs nach§ 21 Abs 6 SGB II wegen eines erhöhten Bedarfs für die Ernährung bzw wegen Bekleidung und Schuhen in Übergröße wegen überdurchschnittlicher Körpergröße und überdurchschnittlichem Gewichts des Klägers. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des BSG, dass der aufgrund der Rechtsprechung des BVerfG zum Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums(Art 1 Abs 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip desArt 20 Abs 1 GG ) in das SGB II eingeführte Anspruch gemäߧ 21 Abs 6 SGB II ua Sondersituationen Rechnung tragen soll, in denen ein seiner Art oder Höhe nach auftretender Bedarf von dem der Regelbedarfsermittlung zugrunde liegenden Verfahren nicht erfasst wird und sich der Regelbedarf als unzureichend erweist(stRspr;BSG vom 28.11.2018 - B 14 AS 48/17 R - BSGE 127, 78 = SozR 4-4200 § 21 Nr 30, RdNr 15 mwN;BSG vom 8.5.2019 - B 14 AS 13/18 R - BSGE 128, 114 = SozR 4-4200 § 21 Nr 31, RdNr 17 mwN) . Jedoch hat diese Regelung nicht die Funktion, eine (vermeintlich oder tatsächlich) unzureichende Höhe des Regelbedarfs an sich auszugleichen(BSG vom 12.5.2021 - B 4 AS 88/20 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 35 RdNr 17 mwN) . Soweit der Beklagte einen Mehrbedarf wegen eines (aufgrund der Körpergröße und des Gewichts des Klägers) erhöhten Energieumsatzes iHv 10 % des Regelbedarfs (zunächst monatlich 40,90 Euro, sodann 41,60 Euro ab Januar 2018) anerkannt hat, steht nicht das "Ob" der Voraussetzungen des§ 21 Abs 6 SGB II , sondern die konkrete Höhe im Einzelfall des Klägers im Streit. Schon deshalb sind insoweit keine grundsätzlich bedeutsamen Rechtsfragen über den konkreten Rechtsstreit hinaus erkennbar(vgl auch ua - den ebenfalls den Kläger betreffenden - Beschluss des BSG vom 21.9.2020 - B 14 AS 115/19 BH - RdNr 4 ) . Im Ergebnis ebenso verhält es sich in Bezug auf den geltend gemachten Mehrbedarf für Kleidung und Schuhe in Übergrößen. Diesen hat das LSG verneint, weil im vorliegenden Fall ein konkreter Bedarf des Klägers nicht nachgewiesen worden sei. Belege oder Quittungen über den Kauf solcher Kleidung und Schuhe habe der Kläger nicht vorgelegt. Schließlich hat das LSG auch einen Mehrbedarf für Verkehr/Mobilität verneint, weil ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf im Sinne des§ 21 Abs 6 SGB II im Einzelfall des Klägers nicht nachgewiesen sei.
Die Entscheidung des LSG weicht auch nicht von einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG ab, weshalb eine Divergenzrüge keine Aussicht auf Erfolg verspricht(§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG ) . Divergenz kommt ausschließlich in Betracht, wenn das LSG einen Rechtssatz in Abweichung von einem solchen des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG aufgestellt hat. Es ist nicht zu erkennen, dass ein zugelassener Prozessbevollmächtigter in der Lage sein könnte, derartige abweichende Rechtssätze, auf denen die Entscheidung beruht, zu benennen.
Darüber hinaus ist nicht erkennbar, dass ein zugelassener Prozessbevollmächtigter einen Verfahrensmangel geltend machen könnte, auf dem die angefochtene Entscheidung des LSG beruhen kann(§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG ) . Insoweit kann dahinstehen, ob das LSG die erstmals im Berufungsverfahren erhobenen Ansprüche auf die Übernahme von Kosten für eine Haftpflichtversicherung als Leistung für Unterkunft und Heizung und auf eine Weihnachtsbeihilfe für das Weihnachtsfest 2017 abweisen durfte, weil es für diese Klagen instanziell nicht zuständig gewesen sei(vglBSG vom 28.2.2024 - B 4 AS 18/22 R - RdNr 50 , zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen) und ob die Rüge eines Verfahrensmangels hierauf gestützt werden könnte. Denn dessen Entscheidungserheblichkeit dürfte nicht darzulegen sein, weil der Zulässigkeit der insoweit erweiterten Klage(§ 99 SGG ) nach dem Vortrag des Klägers in der Berufungsschrift die anderweitige Rechtshängigkeit dieser Ansprüche in den Verfahren mit den Aktenzeichen S 65 AS 11173/18 und S 114 AS 11462/17 entgegenstand.
Soweit der Kläger darauf abhebt, das LSG habe seine "Beweisanträge" aus den Schriftsätzen vom 8.2.2023 und 12.6.2023 vollständig unterschlagen und in den Entscheidungsgründen vollständig unberücksichtigt gelassen, könnte ein Prozessbevollmächtigter eine Verletzung von § 136 Abs 1 Nr 6, Abs 2 Satz 2 SGG wegen fehlender Entscheidungsgründe nicht mit Aussicht auf Erfolg rügen. Für einen solchen Verfahrensmangel ist schon deshalb nichts ersichtlich, weil das LSG die Anträge im Tatbestand des angefochtenen Urteils sinngemäß wiedergegeben und den vom Kläger mit Schreiben vom 12.6.2023 angekündigten, neu formulierten Antrag auf Seite 9 des Urteils sogar wörtlich zitiert hat. Zudem hat es auf Seite 21 des Urteils begründet, warum es keinen Anlass sah, diesen Anträgen nachzugehen. Eines gesonderten Beschlusses über die Ablehnung solcher Anträge bedurfte es nicht. Vielmehr genügt es, wenn - wie vorliegend geschehen - in den Urteilsgründen dargelegt wird, weshalb das Gericht weitere Ermittlungen nicht für erforderlich angesehen hat(BSG vom 23.8.1967 - 5 RKn 114/65 - juris RdNr 27 ) . Im Übrigen ist es einem LSG nach § 153 Abs 2 SGG ausdrücklich gestattet, in dem Urteil über die Berufung von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe abzusehen, soweit es die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückweist. Hiervon hat das LSG vorliegend Gebrauch gemacht.
Die Möglichkeit einer erfolgreichen Sachaufklärungsrüge ist gleichfalls nicht erkennbar. Ein Verfahrensmangel kann nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Hierzu müsste ein Prozessbevollmächtigter darlegen, warum das LSG, ausgehend von seiner Rechtsauffassung, weitere Aufklärung für notwendig hätte erachten und einem Beweisantrag deshalb nachgehen müssen. Ausgehend von der Auffassung des LSG, bereits die von§ 21 Abs 6 SGB II normativ verlangte Unabweisbarkeit eines Mehrbedarfs im Einzelfall sei nicht nachgewiesen und die Vereinbarkeit der Höhe der Regelsätze für die Jahre 2017 und 2018 mit dem Grundgesetz höchstrichterlich geklärt, ist nicht erkennbar, dass dies gelingen könnte.
Soweit sich der Kläger auf einen Verstoß des LSG gegen §§ 109 , 128 Abs 1 Satz 1 SGG beruft, könnte die angestrebte Nichtzulassungsbeschwerde hierauf nicht gestützt werden(§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG ) . Gleiches gilt für die Kritik des Klägers an der vermeintlichen inhaltlichen Unrichtigkeit der Entscheidung des LSG(stRspr; vgl nurBSG vom 26.6.1975 - 12 BJ 12/75 - SozR 1500 § 160a Nr 7) .
Mit der Ablehnung von PKH entfällt zugleich die Möglichkeit der Beiordnung eines Rechtsanwalts im Rahmen der PKH( § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm§ 121 Abs 1 ZPO ) .
Fundstellen
Dokument-Index HI16526249 |