Entscheidungsstichwort (Thema)
Bestimmung des zuständigen Gerichts. negativer Kompetenzkonflikt. Bindungswirkung eines fehlerhaften Verweisungsbeschlusses
Orientierungssatz
1. Haben sich zwei Gerichte jeweils iS einer tatsächlichen, verbindlich gemeinten Kompetenzleugnung iS des § 58 Abs 1 Nr 4 SGG "rechtskräftig" für unzuständig erklärt, so kommt es insofern nicht darauf an, ob die wechselseitigen Verweisungsbeschlüsse für das jeweils andere Gericht unverbindlich sind, da sich der Konflikt gerade an dieser Frage entzündet (vgl BSG vom 25.2.1999 - B 1 SF 9/98 S = SozR 3-1720 § 17a Nr 11).
2. Ein Verweisungsbeschluss ist nicht nur hinsichtlich derjenigen Zuständigkeitsfrage bindend, deretwegen verwiesen worden ist, sondern auch hinsichtlich sonstiger Zuständigkeitsfragen, soweit das verweisende Gericht die Zuständigkeit auch in dieser Hinsicht geprüft und bejaht hat (vgl BGH vom 26.11.1997 - XII ARZ 34/97 = NJW-RR 1998, 1219).
Normenkette
GVG § 17a Abs. 2 S. 3; SGG § 58 Abs. 1 Nr. 4, § 98; ZPO § 281 Abs. 2
Verfahrensgang
Gründe
Die Beteiligten streiten in der Hauptsache darüber, ob die Antragsgegnerin, die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein, das von dem antragstellenden Unternehmen vertriebene Medikament Nexium mups als sog "Me-Too-Präparat" bezeichnen, auf einer im Internet zugänglichen Liste führen und die Vertragsärzte unter Androhung eines Honorarabzuges dazu auffordern darf, dieses Präparat nur noch im Rahmen einer bestimmten Quote zu verordnen.
Die Antragstellerin hat beim Sozialgericht (SG) Düsseldorf eine einstweilige Anordnung gegen die Antragsgegnerin beantragt. Das SG Düsseldorf hat sich für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das SG Itzehoe verwiesen (Beschluss vom 26. Mai 2006). Die örtliche Zuständigkeit richte sich nicht nach § 57a des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), da es sich nicht um eine Angelegenheit des Vertragsarztrechts handele. Zuständiges Gericht sei nach § 57 SGG wegen des Sitzes der Antragstellerin in W. das SG Itzehoe. Das SG Itzehoe seinerseits hat sich für sachlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das SG Düsseldorf verwiesen (Beschluss vom 22. August 2006). Es handele sich um eine Angelegenheit des Vertragsarztrechts. Dies habe das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG) in einem Beschluss vom 27. Juni 2006 klargestellt. Deshalb bestehe keine Bindung an den Beschluss des SG Düsseldorf. Nach § 57a SGG sei das SG Düsseldorf örtlich zuständig.
Das SG Düsseldorf hat das Bundessozialgericht (BSG) zur Feststellung der Zuständigkeit angerufen (Beschluss vom 8. September 2006).
Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung durch das BSG nach § 58 Abs 1 Nr 4 SGG liegen vor. Hiernach wird das zuständige Gericht innerhalb der Sozialgerichtsbarkeit durch das gemeinsame nächsthöhere Gericht bestimmt, wenn verschiedene Gerichte, von denen eines für den Rechtsstreit zuständig ist, sich rechtskräftig für unzuständig erklärt haben. Sowohl das SG Düsseldorf als auch das SG Itzehoe haben sich jeweils im Sinne einer tatsächlichen, verbindlich gemeinten Kompetenzleugnung, die den Beteiligten zugestellt wurde, iS des § 58 Abs 1 Nr 4 SGG "rechtskräftig" für unzuständig erklärt. Insofern kommt es nicht darauf an, ob die wechselseitigen Verweisungsbeschlüsse für das jeweils andere Gericht unverbindlich sind, da sich der Konflikt gerade an dieser Frage entzündet (vgl BSG vom 25. Februar 1999, B 1 SF 9/98 S, SozR 3-1720 § 17a Nr 11).
Das SG Itzehoe ist für das Verfahren schon deshalb zuständig, weil es an die Verweisung durch das SG Düsseldorf mit Beschluss vom 26. Mai 2006 gebunden ist (§ 98 SGG iVm § 17a Abs 2 Satz 3 Gerichtsverfassungsgesetz). Mit diesem Beschluss hat das SG nicht willkürlich gehandelt. Dem Beschluss liegt für die im Tenor ausgesprochene örtliche Verweisung die Rechtsansicht zu Grunde, es handele sich um einen Rechtsstreit in Angelegenheiten der Sozialversicherung iS von § 10 Abs 1 SGG und nicht um einen Rechtsstreit des Vertragsarztrechts iS von § 10 Abs 2 SGG. Dieser Rechtsansicht, die vom SG mit dem Wortlaut des § 10 SGG begründet worden ist, fehlt jedenfalls nicht jede gesetzliche Grundlage. Dahingestellt bleiben kann dabei, ob die Bezugnahme des SG Düsseldorf auf den Beschluss des BSG vom 27. Mai 2004, B 7 SF 6/04 S (SozR 4-1500 § 57a Nr 2) in vollem Umfang zutreffend ist. Ein Verstoß gegen elementare Verfahrensgrundsätze liegt ebenfalls nicht vor. Für weiter gehende Lockerungen der Bindungswirkung fehlt es im Blick auf die ständige Rechtsprechung aller obersten Bundesgerichte an der erforderlichen Grundlage. Dagegen war die vom SG Itzehoe mit Beschluss vom 22. August 2006 ausgesprochene Rückverweisung unzulässig (vgl BSG vom 27. Mai 2004, aaO). Entgegen der im Beschluss vom 22. August 2006 vertretenen Ansicht handelt es sich bei dieser Entscheidung des SG Itzehoe der Sache nach auch nicht etwa um eine Weiterverweisung aus einem von der Bindungswirkung der aufdrängenden Entscheidung nicht erfassten anderen Grund. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat bereits zu dem § 98 SGG entsprechenden § 281 Abs 2 der Zivilprozessordnung entschieden, dass ein Verweisungsbeschluss nicht nur hinsichtlich derjenigen Zuständigkeitsfrage bindend ist, deretwegen verwiesen worden ist, sondern auch hinsichtlich sonstiger Zuständigkeitsfragen, soweit das verweisende Gericht die Zuständigkeit auch in dieser Hinsicht geprüft und bejaht hat (BGH, Beschluss vom 26. November 1997, XII ARZ 34/97, NJW-RR 1998, 1219 mwN - für den Fall der Verweisung vom Familiengericht an das Landgericht, weil es sich nicht um einen familienrechtlichen Streit handele). Es besteht kein Grund, in sozialgerichtlichen Verfahren die Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses nach § 98 SGG anders zu beurteilen. Dies bedeutet, dass das SG Itzehoe auch hinsichtlich der Beurteilung als Angelegenheit der Sozialversicherung iS von § 10 Abs 1 SGG an den Beschluss des SG Düsseldorf gebunden und eine (Weiter-)Verweisung wegen einer anderen Beurteilung der Kammerzuständigkeit nicht zulässig ist.
Fundstellen
Dokument-Index HI10807068 |