Verfahrensgang
Sächsisches LSG (Urteil vom 14.06.2017; Aktenzeichen L 6 KN 909/16) |
SG Dresden (Entscheidung vom 15.11.2016; Aktenzeichen S 50 KN 643/16) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 14. Juni 2017 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.
Gründe
Mit Urteil vom 14.6.2017 hat das Sächsische LSG einen Anspruch des Klägers auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung verneint. Die gegen die ablehnende Entscheidung der Beklagten gerichtete Klage sei nicht fristgerecht erhoben worden.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat der Kläger Beschwerde beim BSG eingelegt. Er beruft sich auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache iS von § 160 Abs 2 Nr 1 SGG und auf einen Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG.
Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist.
Die Revision ist nur zuzulassen, wenn
- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG),
- das Urteil von einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (aaO Nr 2) oder
- ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (aaO Nr 3).
Derartige Gründe werden in der Beschwerdebegründung nicht nach Maßgabe der Erfordernisse des § 160a Abs 2 S 3 SGG dargetan. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 S 1 iVm § 169 SGG zu verwerfen.
1. Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (so genannte Breitenwirkung) darlegen (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN; Fichte in Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Aufl 2014, § 160a RdNr 32 ff).
Der Kläger misst den Fragen grundsätzliche Bedeutung bei,
1. ob die in einem den Widerspruch gegen einen Ausgangsbescheid zurückweisenden Widerspruchsbescheid enthaltene Rechtsbehelfsbelehrung, wonach innerhalb einer Monatsfrist Klage "gegen diesen Widerspruchsbescheid" erhoben werden könne, unrichtig im Sinne von § 66 Abs 2 S 1 SGG erteilt wurde,
2. ob die in einem Widerspruchsbescheid erteilte Rechtsbehelfsbelehrung unrichtig im Sinne von § 66 Abs 2 S 1 SGG erteilt wurde, weil der Verordnungsgeber von der Ermächtigung in § 65a SGG Gebrauch gemacht und den elektronischen Rechtsverkehr eingeführt hat, die Rechtsbehelfsbelehrung einen Hinweis auf die Möglichkeit, die Klage mittels eines elektronischen Dokuments einzulegen, aber nicht enthält, und
3. ob die in einem Widerspruchsbescheid erteilte Rechtsbehelfsbelehrung unrichtig im Sinne von § 66 Abs 2 S 1 SGG erteilt wurde, weil es darin zusätzlich heißt: "Der Versichertenälteste ist zur Entgegennahme der Klage nicht berechtigt."
Zu keiner dieser Fragen hat der Kläger die Klärungsbedürftigkeit ausreichend dargetan.
Eine Rechtsfrage ist dann nicht klärungsbedürftig, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, sich zB unmittelbar aus dem Gesetz ergibt oder bereits höchstrichterlich geklärt ist. Als höchstrichterlich geklärt ist eine Rechtsfrage auch dann anzusehen, wenn das Revisionsgericht bzw das BVerfG diese zwar noch nicht ausdrücklich entschieden hat, jedoch schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17). Ebenso kann der Klärungsbedarf durch die Rechtsprechung eines anderen obersten Bundesgerichts entfallen (BVerwG vom 6.3.2006 - 10 B 80/05 - Juris RdNr 5; BVerwG vom 16.11.2007 - 9 B 36/07 - Juris RdNr 11). Im Hinblick hierauf muss in der Beschwerdebegründung unter Auswertung des maßgeblichen Gesetzes und der Rechtsprechung des BSG bzw des BVerfG sowie ggf der einschlägigen Rechtsprechung aller obersten Bundesgerichte zu dem Problemkreis substantiiert vorgetragen werden, dass zu dem angesprochenen Fragenbereich noch keine Entscheidung gefällt oder durch die schon vorliegenden Urteile/Entscheidungen die hier maßgebende Frage von grundsätzlicher Bedeutung noch nicht beantwortet worden ist (Krasney/Udsching/Groth, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 7. Aufl 2016, Kap IX RdNr 183 mwN).
Hieran fehlt es. Zu der Frage, ob eine Rechtsbehelfsbelehrung unrichtig sei, wenn in ihr lediglich die Klagemöglichkeit "gegen diesen Widerspruchsbescheid" erwähnt werde, fehlt die Auseinandersetzung mit der Entscheidung des BVerwG vom 1.9.1988 (6 C 56/87 = Buchholz 310 § 58 VwGO Nr 54). In diesem Urteil hat das BVerwG ausgeführt, dass eine entsprechende Formulierung jedenfalls in solchen Fällen, in denen Ausgangsbehörde und Widerspruchsbehörde identisch sind, nicht zur Unrichtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung führe, weil keine unterschiedliche Rechtsträgerschaft der Erst- und der Widerspruchsbehörde bestehe und die fehlende Belehrung über die Möglichkeit der Klage gegen den Erstbescheid daher zu keiner Fristversäumung führen könne. Durch eine Rechtsbehelfsbelehrung ohne Nennung der Klagemöglichkeit gegen den Erstbescheid könne weder bei Rechtskundigen noch bei Laien ein unrichtiger Eindruck darüber erweckt werden, dass mit der Klage gegen den Widerspruchsbescheid auch die Ablehnung des Ausgangsbegehrens angegriffen werde. In seinem Urteil hat das BVerwG die von dem Kläger aufgeworfene Frage offenkundig bereits geklärt, sodass der Kläger substantiiert hierauf hätte eingehen und darlegen müssen, warum trotz dieser Entscheidung eine erneute Klärungsbedürftigkeit wieder eingetreten sei.
Auch zu der Frage, ob eine Rechtsbehelfsbelehrung unrichtig sei, wenn diese keinen Hinweis auf die Möglichkeit enthalte, die Klage mittels eines elektronischen Dokuments einzulegen, fehlt eine ausreichende Darlegung der Klärungsbedürftigkeit. Die Beschwerdebegründung geht insbesondere nicht ausreichend substantiiert auf die Entscheidung des BSG vom 14.3.2013 (B 13 R 19/12 R) ein, in der ausgeführt wurde, dass eine Rechtsbehelfsbelehrung nicht deshalb unrichtig sei, weil sie nicht auf die Möglichkeit hinweise, den Rechtbehelf in elektronischer Form einzulegen. Dass trotz dieser vorhandenen höchstrichterlichen Rechtsprechung noch oder wieder Klärungsbedarf bestehe, hat der Kläger nicht ausreichend vorgetragen. Um darzulegen, dass einer bereits entschiedenen Rechtsfrage gleichwohl noch grundsätzliche Bedeutung zukomme, hat ein Beschwerdeführer aufzuzeigen, in welchem Umfang, von welcher Seite und mit welcher Begründung der Rechtsprechung widersprochen werde bzw die Beantwortung der Rechtsfrage umstritten sei (BSG SozR 1500 § 160 Nr 51). Dasselbe gilt für die Behauptung, dass neue erhebliche Gesichtspunkte zu berücksichtigen seien, die zu einer über die bisherige Erörterung hinausgehenden Betrachtung der grundsätzlich bereits entschiedenen Rechtsfrage führen könnten und die Möglichkeit einer anderweitigen Entscheidung nicht offensichtlich ausschlössen (vgl hierzu BSG SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 mwN; s auch Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 160 RdNr 8b). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Das BSG hat seine Entscheidung maßgeblich darauf gestützt, dass der Gesetzgeber bislang noch keine Veranlassung gesehen habe, die Erhebung eines Rechtsbehelfs oder Rechtsmittels in elektronischer Form neben der Schriftform und der mündlichen Form (zur Niederschrift) als gleichgewichtige Form und weiteren Regelweg in den maßgeblichen Vorschriften zu normieren (vgl §§ 90, 151 Abs 1 und 2, 145 Abs 1 S 2, 164 Abs 1 S 1, 173 S 1 und 2 SGG). Das aus dem Rechtsstaatsprinzip herzuleitende Postulat der Rechtsmittelklarheit erfordere jedoch eine entsprechende Änderung dieser Normen, sofern auch die Einlegung der jeweiligen Rechtsbehelfe in elektronischer Form zu einem weiteren Regelweg bestimmt werden solle. Eine Auseinandersetzung mit diesen tragenden Ausführungen des BSG fehlt in der Beschwerdebegründung vollständig. Der Kläger legt lediglich dar, dass mittlerweile das besondere elektronische Anwaltspostfach zum Zwecke der elektronischen Kommunikation mit den Gerichten eingeführt worden sei und leitet daraus die Behauptung ab, dass die Einlegung eines Rechtsbehelfs in elektronischer Form zu einem weiteren Regelweg iS des § 66 Abs 1 SGG geworden sei. Substantiierte Ausführungen zum Beleg dieser Behauptung bleibt der Kläger jedoch schuldig. Dies reicht - zumal in Verfahren ohne Anwaltszwang - zur Darlegung des erneuten Klärungsbedarfs trotz vorhandener höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht aus.
Auch zu der dritten gestellten Frage, ob die Rechtsbehelfsbelehrung unrichtig erteilt worden sei, wenn es darin zusätzlich heiße: "Der Versichertenälteste ist zur Entgegennahme der Klage nicht berechtigt", fehlt die ausreichende Darlegung der Klärungsbedürftigkeit. Der Kläger meint, der Hinweis nehme erkennbar Bezug auf die so genannten "Auch-Möglichkeiten" des § 91 Abs 1 SGG, stelle jedoch selbst gar keine "Auch-Möglichkeit" dar, weshalb die Rechtsbehelfsbelehrung unrichtig sei. Nähere Ausführungen für diese Behauptung fehlen. Damit genügt der Kläger dem Substantiierungserfordernis nicht, zumal seine Argumentation erläuterungsbedürftig ist. Denn der Hinweis darauf, dass eine bestimmte Stelle nicht zur Entgegennahme einer Klage berechtigt ist, dürfte schwerlich eine Bezugnahme auf eine "Auch-Möglichkeit" des § 91 Abs 1 SGG darstellen, weil gerade kein weiterer Weg zur Klageerhebung aufgezeigt wird. Es bleibt zudem offen, auf welchen irrigen Weg der Adressat einer Rechtsbehelfsbelehrung durch die ausdrückliche Verneinung einer Möglichkeit geführt werden könnte.
2. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG), so müssen für die Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung der Entscheidung besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 S 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
Der Kläger rügt eine Verletzung seines Rechts auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG). Hierzu trägt er vor, das LSG habe in seinem Urteil erklärt, von dem Urteil des Bayerischen LSG vom 20.10.1988 sei nur der bei Juris veröffentlichte Leitsatz bekannt gewesen, obgleich er einen vollständigen Abdruck des Urteils seinem Schriftsatz vom 27.1.2017 als Anlage K3 beigefügt habe. Das LSG habe damit entscheidungserhebliches Vorbringen des Klägers nicht zur Kenntnis genommen.
Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör liegt ua dann vor, wenn das Gericht seiner Pflicht, das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in seine Erwägungen einzubeziehen, nicht nachgekommen ist (BSG SozR 1500 § 62 Nr 13 S 12; BSG SozR 3-1500 § 62 Nr 19 S 33 mwN). Zur Begründung eines entsprechenden Revisionszulassungsgrundes ist nicht nur der Verstoß gegen diesen Grundsatz selbst zu bezeichnen, sondern auch darzutun, welches Vorbringen ggf dadurch verhindert worden ist und inwiefern die angefochtene Entscheidung darauf beruhen kann (BSG SozR 1500 § 160a Nr 36 S 53). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Der Kläger versäumt es konkret darzutun, welche Ausführungen des Bayerischen LSG in dessen Entscheidungsgründen über den Leitsatz hinaus für das Verfahren von so zentraler Bedeutung gewesen wären, dass sie das Berufungsgericht zu einer anderen Entscheidung hätten veranlassen können. Das in der Beschwerdebegründung angeführte Zitat aus dem Berufungsurteil belegt im Übrigen, dass das Urteil des Bayerischen LSG sehr wohl Gegenstand der Entscheidungsfindung des Berufungsgerichts gewesen ist, wenngleich auch nicht in seinem Sinne.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 und 4 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI11449886 |