Verfahrensgang
SG Heilbronn (Entscheidung vom 05.05.2021; Aktenzeichen S 6 U 2984/20) |
LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 01.02.2023; Aktenzeichen L 3 U 1967/21) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 1. Februar 2023 wird als unzulässig verworfen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Mit dem vorbezeichneten Urteil hat das LSG die Berufung des Klägers gegen die erstinstanzliche Entscheidung des SG (Gerichtsbescheid vom 5.5.2021) zurückgewiesen.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des LSG hat der Kläger Beschwerde eingelegt und diese mit dem Vorliegen von Verfahrensmängeln begründet.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil der geltend gemachte Zulassungsgrund des Vorliegens von Verfahrensmängeln (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) nicht ordnungsgemäß bezeichnet worden ist (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG).
Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels zunächst die diesen vermeintlich begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. An diesen Voraussetzungen fehlt es hier.
1. Die Beschwerde ist bereits deswegen unzulässig, weil es an der schlüssigen Schilderung der die gerügten Verfahrensmängel vermeintlich begründenden Tatsachen fehlt. "Bezeichnet" iS des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG ist ein Verfahrensmangel nur dann, wenn die ihn begründenden Tatsachen im Zusammenhang mit dem Verfahrensgang dargetan und einer rechtlichen Wertung unterzogen werden. Erforderlich ist die zusammenhängende, vollständige und aus sich heraus verständliche Darlegung des Streitgegenstands, der Verfahrens- und Prozessgeschichte sowie des vom LSG festgestellten Sachverhalts und damit der Umstände, die möglicherweise zu einem entscheidungsrelevanten Verfahrensfehler geführt haben. Es ist dagegen nicht Aufgabe des Beschwerdegerichts, sich die erforderlichen Tatsachen aus dem Urteil und erst recht nicht aus den Verfahrensakten herauszusuchen (zB BSG Beschluss vom 25.4.2023 - B 2 U 61/22 B - juris RdNr 7, BSG Beschluss vom 31.5.2022 - B 2 U 120/21 B - juris RdNr 5 und BSG Beschluss vom 29.9.1975 - 8 BU 64/75 - SozR 1500 § 160a Nr 14 S 21 = juris RdNr 3, jeweils mwN; s auch BVerfG Beschluss vom 24.10.2000 - 1 BvR 1412/99 - SozR 3-1500 § 160a Nr 31 S 61, juris RdNr 9 mwN). Bereits an der Mitteilung dieser Tatsachengrundlage fehlt es, wenn der Kläger hier nur auf einzelne herausgegriffene Aspekte des Verfahrens eingeht. Ohne die vollständige Darlegung des Verfahrensganges sowie des Streitgegenstandes ist es dem Beschwerdegericht indes insbesondere nicht möglich, die Entscheidungserheblichkeit der angeführten Aspekte zu bewerten (vgl § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG: "beruhen kann").
2. Auch im Weiteren genügt die Beschwerdebegründung nicht den gesetzlichen Anforderungen an die Bezeichnung eines Verfahrensmangels.
a) Der Kläger rügt eine unterbliebene weitere Sachaufklärung (§ 103 SGG) durch das LSG im Wege der Einholung eines Sachverständigengutachtens (§ 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm §§ 402 ff ZPO) und der Einvernahme von Zeugen (§ 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm §§ 373 ff ZPO). Um den Verfahrensmangel der Verletzung der Sachaufklärungspflicht (§ 103 SGG) ordnungsgemäß zu rügen, muss die Beschwerdebegründung (1.) einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren, bis zuletzt aufrechterhaltenen oder im Urteil wiedergegebenen Beweisantrag bezeichnen, dem das LSG nicht gefolgt ist, (2.) die Rechtsauffassung des LSG wiedergeben, auf deren Grundlage bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen, (3.) die von dem Beweisantrag betroffenen tatsächlichen Umstände aufzeigen, die zur weiteren Sachaufklärung Anlass gegeben hätten, (4.) das voraussichtliche Ergebnis der unterbliebenen Beweisaufnahme angeben und (5.) erläutern, weshalb die Entscheidung des LSG auf der unterlassenen Beweiserhebung beruhen kann (stRspr; zB BSG Beschluss vom 9.6.2023 - B 2 U 7/23 B - juris RdNr 7, BSG Beschluss vom 27.9.2022 - B 2 U 42/22 B - juris RdNr 7, BSG Beschluss vom 11.3.2021 - B 9 SB 51/20 B - juris RdNr 9 und BSG Beschluss vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 5, jeweils mwN).
Daran fehlt es hier. Die Beschwerdebegründung stützt sich hinsichtlich der Einholung eines Sachverständigengutachtens bereits auf keinen Beweisantrag. Sie zeigt auch hinsichtlich der begehrten Zeugeneinvernahme nicht auf, dass sie einen Antrag gestellt hat, der die Anforderungen an einen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag erfüllt. Soweit sie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vor dem LSG zitiert, in dem vermerkt sei, "dass man wünscht, die Herren … ergänzend persönlich anzuhören", ergibt sich hieraus allein eine unbeachtliche Beweisanregung, die die mit einem Beweisantrag verbundene Warnfunktion nicht erfüllen kann (vgl zB BSG Beschluss vom 6.11.2023 - B 2 U 14/23 B - juris RdNr 13, BSG Beschluss vom 11.9.2023 - B 2 U 5/23 B - juris RdNr 7 und BSG Beschluss vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11, jeweils mwN; allg zur Abgrenzung eines Beweisantrags von einer unbeachtlichen Beweisanregung BSG Beschluss vom 24.5.1993 - 9 BV 26/93 - SozR 3-1500 § 160 Nr 9 S 20 = juris RdNr 4). Soweit der Kläger im Kern geltend macht, in der mündlichen Verhandlung auf eine persönliche Vernehmung der benannten Zeugen durch einen prozesskonformen Beweisantrag gedrängt zu haben, macht er sinngemäß die Nichtbeachtung der für die mündliche Verhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten (§ 122 SGG iVm § 165 Satz 1 ZPO) bzw die Unrichtigkeit des Protokolls als öffentliche Urkunde (§ 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 415 Abs 1 ZPO) geltend (vgl hierzu BSG Beschluss vom 23.7.2015 - B 5 R 196/15 B - juris RdNr 13 ff). Den zulässigen Gegenbeweis (§ 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 415 Abs 2 ZPO) bzw den Nachweis der Fälschung (§ 122 SGG iVm § 165 Satz 2 ZPO) hat er indes nicht geführt. Zudem hätte er eine Berichtigung des Protokolls (§ 122 SGG iVm § 164 ZPO) vorrangig vor der Geltendmachung eines Verfahrensmangels als Revisionszulassungsgrund beantragen müssen (dazu BSG Beschluss vom 14.1.2020 - B 14 KG 1/20 B - juris RdNr 7 mwN).
Unabhängig davon zeigt die Beschwerdebegründung nicht auf, warum das LSG sich aus seiner sachlich-rechtlichen Sicht heraus zu der Zeugeneinvernahme hätte gedrängt fühlen müssen. § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist im Hinblick auf das Erfordernis "ohne hinreichende Begründung" nicht formell, sondern materiell im Sinne von "ohne hinreichenden Grund" zu verstehen (zB BSG Beschluss vom 21.3.2023 - B 2 U 148/22 B - juris RdNr 8 mwN, BSG Beschluss vom 15.8.2022 - B 2 U 141/21 B - juris RdNr 15 mwN und BSG Beschluss vom 31.7.1975 - 5 BJ 28/75 - SozR 1500 § 160 Nr 5 S 6 = juris RdNr 2). Entscheidend ist, ob sich das LSG von seinem sachlich-rechtlichen Standpunkt aus hätte gedrängt fühlen müssen, den beantragten Beweis zu erheben, weil nach den dem LSG vorliegenden Beweismitteln Fragen zum tatsächlichen Sachverhalt aus seiner rechtlichen Sicht erkennbar offengeblieben sind. Dazu enthält die Beschwerdebegründung indes keinen Vortrag. Sie zeigt insbesondere nicht den maßgeblichen sachlich-rechtlichen Standpunkt des LSG auf. Auch hierfür wäre die Darstellung des vom LSG festgestellten (§ 163 SGG) entscheidungserheblichen Sachverhaltes einschließlich der Verfahrensgeschichte notwendig gewesen, um das Beschwerdegericht in die Lage zu versetzen, den sachlich-rechtlichen Standpunkt des LSG nachzuvollziehen und das Vorliegen eines Aufklärungsmangels zu bewerten (dazu bereits 1.; zB BSG Beschluss vom 9.6.2023 - B 2 U 7/23 B - juris RdNr 10 mwN und BSG Beschluss vom 21.3.2023 - B 2 U 148/22 B - juris RdNr 8 mwN). Hierzu enthält die Beschwerdebegründung keinen Vortrag. Nicht maßgeblich sind dagegen Ausführungen dazu, dass der Kläger aus seiner Sicht weiteren Aufklärungsbedarf durch Vernehmung der benannten Zeugen angenommen hat. Dem Senat ist es auch nicht möglich, ein potentielles Beruhen der Entscheidung des LSG auf dem vorgetragenen Mangel zu beurteilen. Denn auch hierfür mangelt es an der Darlegung des vom LSG festgestellten Sachverhaltes (§ 163 SGG) und der vollständigen Verfahrensgeschichte (dazu ebenfalls bereits 1.).
b) Die Beschwerdebegründung legt auch nicht dar, dass das LSG den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG; § 62 SGG) verletzt haben könnte. Der Kläger rügt hierzu vornehmlich, dass seine Stellungnahme vom 31.1.2023 keine hinreichende Beachtung gefunden und das LSG diesbezüglich insbesondere Fragen des Klägers an die Zeugen nicht zugelassen habe. Dieser Vortrag begründet indes keinen Verfahrensfehler. Die Garantie rechtlichen Gehörs verpflichtet die Gerichte, das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in ihre Erwägungen einzubeziehen. Dabei gilt die tatsächliche Vermutung, dass ein Gericht das Vorbringen der Beteiligten und den Akteninhalt zur Kenntnis genommen und erwogen hat, zumal es nach Art 103 Abs 1 GG nicht verpflichtet ist, auf jeden Gesichtspunkt einzugehen, der im Laufe des Verfahrens von der einen oder anderen Seite zur Sprache gebracht worden ist. Der Anspruch auf rechtliches Gehör gewährleistet nur, dass Beteiligte mit ihrem Vortrag "gehört", nicht jedoch "erhört" werden. Die Gerichte werden durch Art 103 Abs 1 GG nicht dazu verpflichtet, der Rechtsansicht eines Beteiligten zu folgen (vgl zB BVerfG Kammerbeschluss vom 30.9.2022 - 2 BvR 2222/21 - juris RdNr 27 mwN und BVerfG Kammerbeschluss vom 25.3.2010 - 1 BvR 2446/09 - juris RdNr 11; s auch BSG Beschluss vom 31.5.2022 - B 2 U 120/21 B - juris RdNr 16 und BSG Beschluss vom 17.5.2022 - B 2 U 91/21 B - juris RdNr 14 mwN). Deshalb muss die Beschwerdebegründung "besondere Umstände" des Einzelfalls aufzeigen, aus denen auf das Gegenteil geschlossen werden kann. Besondere Umstände liegen etwa vor, wenn das Gericht auf den wesentlichen Kern des Beteiligtenvortrags zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, nicht eingeht, obwohl das Vorbringen nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts erheblich und nicht offensichtlich unsubstantiiert war (BVerfG Kammerbeschluss vom 30.9.2022 - 2 BvR 2222/21 - juris RdNr 27 mwN; BSG Beschluss vom 13.10.2023 - B 2 U 104/22 B - RdNr 9 mwN und BSG Beschluss vom 14.12.2022 - B 2 U 1/22 B - juris RdNr 13 mwN).
Aus dem Vortrag des Klägers ergeben sich indes keine derartigen besonderen Umstände, dass das LSG seiner Pflicht zur Kenntnisnahme des Vorbringens des Klägers in seiner Stellungnahme vom 31.1.2023 nicht nachgekommen ist. Auch hinsichtlich des Vortrags abgeschnittener Fragen an die Zeugen zeigt die Beschwerdebegründung eine Gehörsverletzung (Art 103 Abs 1 GG; § 62 SGG) nicht hinreichend auf. Hierfür ist nicht nur der Verstoß gegen diesen Grundsatz selbst zu bezeichnen, sondern auch darzutun, an welchem Vorbringen der Beschwerdeführer gehindert worden ist und inwiefern die angefochtene Entscheidung darauf beruhen kann sowie, dass der Beschwerdeführer darlegt, seinerseits alles getan zu haben, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen (zB BSG Beschluss vom 13.10.2023 - B 2 U 104/22 B - RdNr 10, BSG Beschluss vom 25.4.2023 - B 2 U 61/22 B - juris RdNr 8 und BSG Beschluss vom 30.8.2018 - B 2 U 230/17 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 38 RdNr 5, jeweils mwN). Hierzu enthält die Beschwerdebegründung keinen schlüssigen Vortrag. So legt sie nicht dar, dass der Kläger alles getan hat, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen. Die Beschwerdebegründung enthält bereits keinen Vortrag zum konkreten Vorbringen des Klägers gegenüber dem LSG sowie zum Inhalt zurückgewiesener Fragen, sodass das Beschwerdegericht bereits nicht entscheiden kann, ob es sich um sachdienliche und zulässige Fragen (§ 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 397 Abs 1 und 2 ZPO) gehandelt hat, die das Gericht ermessenwidrig nicht zugelassen hat. Auch legt die Beschwerdebegründung nicht dar, ob der Kläger Bemühungen unternommen hat, die Fragen durch seinen Prozessvertreter (§ 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 397 Abs 2 ZPO) an die Zeugen richten zu lassen, um sich so rechtliches Gehör zu verschaffen. Dem Senat ist es schließlich mangels Darlegung der vollständigen Verfahrensgeschichte wiederum nicht möglich, ein mögliches Beruhen der Entscheidung des LSG auf dem vorgetragenen Gehörsverstoß zu beurteilen (dazu 1.).
c) Soweit der Kläger vorbringt, dass sich im Urteil des LSG nichts zu der Aussage des Zeugen Ö finde, liegt darin kein Verfahrensfehler in Gestalt eines Begründungsmangels (§ 128 Abs 1 Satz 2, § 136 Abs 1 Nr 6 SGG). Ein Gericht muss nicht jeden Gesichtspunkt, der erwähnt werden könnte, in den Entscheidungsgründen ausdrücklich abhandeln. Auch braucht es nicht zu Fragen Stellung zu nehmen, auf die es nach seiner Auffassung nicht ankommt (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 24.5.2023 - B 2 U 81/22 B - juris RdNr 16, BSG Beschluss vom 17.5.2022 - B 2 U 91/21 B - juris RdNr 18 und BSG Beschluss vom 1.12.2020 - B 12 KR 48/20 B - juris RdNr 9, jeweils mwN).
3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
4. Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung ehrenamtlicher Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2, § 169 Satz 2 und 3 SGG).
5. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§ 183, 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI16192664 |