Entscheidungsstichwort (Thema)
Anwaltsgebühr im Rechtsstreit um die Künstlersozialabgabepflicht
Leitsatz (amtlich)
In Streitigkeiten um die Künstlersozialabgabepflicht erfolgt die Berechnung der Rechtsanwaltsgebühren nicht nach dem Gegenstandswert.
Stand: 24. Oktober 2002
Normenkette
BRAGO §§ 10, 116 Abs. 1, 2 S. 1 Nr. 3; KSVG §§ 24-25
Verfahrensgang
Nachgehend
Tenor
Der Antrag der Klägerin auf Festsetzung des Gegenstandswertes wird abgelehnt.
Gründe
Die Klägerin wird als Verlag von der Beklagten zur Künstlersozialabgabe (§ 24 ff Künstlersozialversicherungsgesetz ≪KSVG≫) herangezogen. Die gegen die rückwirkende Erhöhung der Künstlersozialabgabe erhobene Klage war in zweiter Instanz erfolgreich. Nach der Beendigung des Rechtsstreits durch Rücknahme der Revision vor dem Bundessozialgericht (BSG) haben die Bevollmächtigten der Klägerin die Festsetzung des Gegenstandswertes für das Verfahren vor dem BSG beantragt.
Der nach § 10 Abs 1 Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung (BRAGebO) zulässige Antrag ist abzulehnen. Die Voraussetzungen, unter denen eine Festsetzung des Gegenstandswertes für die anwaltliche Tätigkeit erfolgt, sind nicht erfüllt.
Gemäß § 116 Abs 1 BRAGebO erhält der Rechtsanwalt im Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit grundsätzlich eine Rahmenpauschgebühr. § 116 Abs 2 BRAGebO sieht allerdings in Ausnahmefällen eine Berechnung der Gebühr nach dem Gegenstandswert vor. Aus dem in § 116 Abs 2 BRAGebO aufgeführten Katalog kommt hier nur die Regelung in Satz 1 Nr 3 (idF des Gesetzes zur Änderung der BRAGebO vom 20. August 1990, BGBl I 1765) in Betracht. Danach werden in Verfahren aufgrund von Streitigkeiten zwischen Arbeitgebern und juristischen Personen des öffentlichen Rechts die Gebühren nach dem Gegenstandswert berechnet. Der Rechtsstreit zwischen der Klägerin und der Künstlersozialkasse über die Rechtmäßigkeit der Festsetzung der Künstlersozialabgabe ist keine Streitigkeit zwischen einem Arbeitgeber und einer juristischen Person des öffentlichen Rechts iS des § 116 Abs 2 Satz 1 Nr 3 BRAGebO. Die Klägerin ist von der Abgabepflicht nach dem KSVG nicht „als Arbeitgeberin” betroffen, sondern als ein Unternehmen der Kunstvermarktung. Die streitige Künstlersozialabgabe für Aufträge an selbständige Künstler ist unabhängig davon geregelt, ob Arbeitnehmer beschäftigt werden. Zwar erfüllt die Künstlersozialabgabe eine dem Arbeitgeberanteil bei abhängig Beschäftigten vergleichbare Funktion (vgl hierzu BSG, Urteil vom 25. Oktober 1995, 3 RK 11/94 = SozR 3-5425 § 25 Nr 7). Die Künstlersozialabgabe dient indes anders als der Arbeitgeberanteil zur allgemeinen Sozialversicherung nicht dem Schutz eines konkreten Künstlers, dessen Leistungen von dem in Anspruch genommenen Unternehmer vermarktet werden. Die Abgabepflicht besteht unabhängig vom Sozialversicherungsstatus des Künstlers oder Publizisten (BSG, aaO). Die auch den Kunstvermarkter, soweit er Arbeitnehmer beschäftigt, als Arbeitgeber treffende Pflicht zur Zahlung des Gesamtsozialversicherungsbeitrags (§ 28e Viertes Buch Sozialgesetzbuch ≪SGB IV≫) für die bei ihm beschäftigten Arbeitnehmer war nicht Gegenstand des abgelaufenen Rechtsstreits.
Der Gesetzgeber hat in § 116 Abs 2 BRAGebO die Ausnahmetatbestände, für die der Grundsatz der Rahmengebühr nicht gilt, abschließend formuliert. Die Ausnahmen sind nicht nur beispielhaft angeführt, was eine Einbeziehung anderer Fälle, in denen die für den niedrigen Gebührenrahmen des § 116 Abs 1 BRAGebO sprechenden Gründe nicht eingreifen (BT-Drucks 7/3243, S 11 zu Nr 56), dem Wortlaut nach ausschließt. Auch eine entsprechende Anwendung des § 116 Abs 2 Nr 3 BRAGebO auf Streitigkeiten über die Künstlersozialabgabe kommt nicht in Betracht
Eine Einbeziehung auch von Streitigkeiten über die Künstlersozialabgabe kann insbesondere nicht damit gerechtfertigt werden, daß als „Arbeitgeber” alle Beteiligten gemeint seien, die des mit den Rahmenpauschgebühren bezweckten sozialen Schutzes nicht bedürfen, wie das bei den Kunstvermarktern der Fall sein kann. Vielmehr bestätigt die Entwicklung der Vorschrift, daß eine Herausnahme aller Streitigkeiten zwischen privaten Unternehmen und juristischen Personen des öffentlichen Rechts aus der Pauschalvergütung nicht gewollt ist.
Nach § 116 Abs 2 Nr 2 BRAGebO in der Fassung durch Gesetz vom 20. August 1975 (BGBl I 2189) galten die Wertgebühren in Verfahren „auf Grund öffentlich-rechtlicher Streitigkeiten zwischen Arbeitgebern und der Bundesanstalt für Arbeit oder einer Berufsgenossenschaft”. Die Ausnahme galt damit nicht für Beitragsstreitigkeiten der Arbeitgeber mit Krankenkassen (KKn) bzw Rentenversicherungsträgern (BSG SozR 1930 § 116 Nr 6).
Die Neufassung der Vorschrift (durch Gesetz zur Änderung der BRAGebO vom 20. August 1990, BGBl I 1765) regelt mit der Formulierung „Streitigkeiten zwischen Arbeitgebern und juristischen Personen des öffentlichen Rechts”, daß nunmehr auch Beitragsstreitigkeiten mit KKn bzw Rentenversicherungsträgern der Wertgebühr unterliegen (Schürmann, SGb 1991, 381). Nach den Gesetzesmaterialien soll die Änderung von Abs 2 (Nrn 1 bis 4) neben den Materien des § 51 Abs 2 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sozialrechtliche Streitigkeiten aller juristischer Personen des öffentlichen Rechts untereinander sowie solche zwischen Arbeitgebern und allen juristischen Personen des öffentlichen Rechts den Wertgebühren unterstellen. Die Nr 4 nennt Verfahren gegen Entscheidungen einer obersten Bundes- oder Landesbehörde in Angelegenheiten nach dem Fünften Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) sowie gegen Entscheidungen einer Landesbehörde nach § 122 Abs 4 Satz 2 des SGB V; sie soll vor allem Verfahren erfassen, in denen sich Hersteller vor dem Sozialgericht gegen Entscheidungen nach §§ 34, 35 SGB V (Festsetzung der Festbeträge) wenden (BT-Drucks 11/6715, S 4). Wäre „Arbeitgeber” in der Nr 3 allgemein als „Unternehmen” auszulegen, so hätte es hinsichtlich der Festbeträge nicht der Nr 4 bedurft, da diese dann schon von der Nr 3 erfaßt würden.
Die Neufassung läßt erkennen, daß der Gesetzgeber bewußt am Begriff des Arbeitgebers festgehalten hat und diesen nicht durch den Begriff des Unternehmens ersetzen wollte. Das schließt zwar nicht aus, den Begriff des Arbeitgebers in dem Sinne weiter auszulegen, daß er auch den Konkursverwalter umfaßt und den Reeder, soweit dieser neben dem Arbeitgeber als Gesamtschuldner für dessen Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung (UV) haftet (BSG SozR 1930 § 116 Nr 2; vgl hierzu Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert, BRAGebO, 12. Aufl 1995, § 116 RdNr 16; Wilde/Hohmann, NJW 1981, 1070). Es kann aber nicht genügen, wenn ein privates Unternehmen ohne Bezug auf ein konkretes Beschäftigungsverhältnis betroffen ist, wie das beim Kunstvermarkter der Fall ist.
Auch die Rechtsprechung hat § 116 Abs 2 BRAGebO stets als Ausnahmevorschrift angesehen (BSG, Beschlüsse vom 20. Juni 1978, 7 RAr 17/76, DBIR NR 2352 zu § 193 SGG, und 30. Juli 1993, 7 RAr 86/92, SozR 3-1930 § 116 Nr 5, sowie vom 27. Mai 1981, 12 RK 63/79, DBIR Nr 2679 zu SonstRecht § 116 BRAGO; außerdem: LSG Schleswig-Holstein, MDR 1980, 1052; LSG Rheinland-Pfalz, Breithaupt 1992, 522), und damit auch eine erweiternde Auslegung auf Fallgestaltungen, in denen es in gleicher Weise wie bei den ausdrücklich aufgeführten Ausnahmen an einer sozialen Schutzbedürftigkeit der Verfahrensbeteiligten fehlt, stets abgelehnt. So genügt es für die Anwendung des § 116 Abs 2 Satz 1 Nr 3 BRAGebO nicht, daß einer der Beteiligten des Rechtsstreits Arbeitgeber ist (BSG, Beschlüsse vom 20. Juni 1978 und 30. Juli 1993, aaO). Maßgebend ist vielmehr, daß er den Rechtsstreit in der Eigenschaft als Arbeitgeber führt. Dies hat das BSG zB angenommen bei Streitigkeiten um die Gewährung von Eingliederungsbeihilfen nach § 54 Arbeitsförderungsgesetz (AFG), von Konkursausfallgeld nach §§ 63 ff AFG und im Rahmen der Befreiung von der Erstattungspflicht nach § 128 AFG aF (Beschlüsse vom 11. Februar 1992, 7 BAr 18/91; vom 21. Oktober 1992, 7 BAr 38/92 und 5. Oktober 1992, 7 BAr 104/90). Eine erweiternde Auslegung des § 116 Abs 2 Satz 1 Nr 3 BRAGebO würde dem Gebot der Normenklarheit im Gebührenrecht zuwiderlaufen. Es bleibt Aufgabe des Gesetzgebers, das Bedürfnis für eine Erweiterung des Ausnahmekatalogs zu prüfen und gegebenenfalls das Gesetz zu ändern.
Fundstellen
JurBüro 1999, 527 |
SozR 3-1930 § 116, Nr. 10 |
AGS 1999, 164 |
SozSi 2000, 70 |
www.judicialis.de 1999 |