Verfahrensgang

SG Aachen (Entscheidung vom 10.05.2021; Aktenzeichen S 12 VG 28/20)

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 20.08.2021; Aktenzeichen L 13 VG 34/21)

 

Tenor

Der Antrag des Klägers, ihm für das Verfahren der Revision und der Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 20. August 2021 Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt Sc aus S zu gewähren, wird abgelehnt.

 

Gründe

I

Der Kläger begehrt in der Hauptsache Einsicht in die der von ihm geschädigten Person (nachfolgend: S) betreffenden Verwaltungsakten des Beklagten zum Opferentschädigungsgesetz (OEG).

Der Kläger wurde im November 2006 rechtskräftig verurteilt wegen Vergewaltigung der S zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten mit anschließender Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus, in dem er sich seitdem durchgängig befindet.

Seinen Antrag auf Aktensicht vom 8.7.2020 begründete er mit dem Vorliegen eines im Verwaltungsverfahren vom Beklagten eingeholten "Glaubwürdigkeitsgutachten" über S. Dieses benötige er für ein Wiederaufnahmeverfahren. Den Antrag lehnte der Beklagte ab (Bescheid vom 6.10.2020, Widerspruchsbescheid vom 29.10.2020).

Die hiergegen erhobene Klage hat das SG abgewiesen. Das Recht auf Einsicht in die Verwaltungsakten stehe nur Verfahrensbeteiligten zu. Dies sei beim Kläger nicht der Fall. Er sei vom Beklagten weder zum OEG-Verfahren hinzugezogen worden, noch hätte er hinzugezogen werden müssen. Der Ausgang des Verfahrens nach dem OEG habe für ihn keine rechtsgestaltende Wirkung. Mittelbare Interessen des Klägers seien unbeachtlich. Zudem stehe dem Antrag auf Akteneinsicht der Schutz der Sozialdaten der S als Tatopfer entgegen (Gerichtsbescheid vom 10.5.2021). Das LSG hat die Berufung des Klägers mit Urteil vom 20.8.2021 zurückgewiesen und zur Begründung auf die Entscheidungsgründe der ersten Instanz Bezug genommen.

Der Kläger hat mit einem von ihm selbst unterzeichneten Schreiben vom 7.11.2021, beim BSG eingegangen am 11.11.2021, gegen das ihm am 28.10.2021 zugestellte LSG-Urteil "für die Revision gegen das Urteil des LSG" Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung von Rechtsanwalt Sc beantragt.

II

Der Antrag des Klägers auf PKH für die Durchführung eines Revisions- und sinngemäß eines Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens gegen das Urteil des LSG vom 20.8.2021 ist unbegründet und daher abzulehnen.

Nach § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Abs 1 Satz 1 ZPO kann einem bedürftigen Beteiligten, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, für das Verfahren vor dem BSG nur dann PKH bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Dies ist hier nicht der Fall.

1. Die vom Kläger beabsichtigte Einlegung der Revision wäre nicht statthaft, denn das LSG hat die Revision in seinem Urteil nicht zugelassen, und es liegt auch kein die Revision zulassender Beschluss des BSG vor (vgl § 160 Abs 1 SGG). Die somit nicht statthafte Revision wäre ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter vom Senat als unzulässig zu verwerfen (§ 169 Satz 2 und 3 SGG).

2. Das gegen die angefochtene Berufungsentscheidung allein in Betracht kommende zulässige Rechtsmittel ist die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision (§ 160a SGG). Im wohlverstandenen Interesse des Klägers (vgl § 133 BGB) ist sein Begehren im Rahmen seines Antrags auf PKH auch dahin auszulegen, dass er sich mit dem einzig statthaften Rechtsmittel gegen die Entscheidung des LSG wenden will und sinngemäß auch PKH für die Einlegung einer Nichtzulassungsbeschwerde begehrt.

Hinreichende Erfolgsaussicht hätte eine Nichtzulassungsbeschwerde nur dann, wenn einer der in § 160 Abs 2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe mit Erfolg geltend gemacht werden könnte. Die Revision darf danach nur zugelassen werden, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG), das Urteil von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG). Nach Durchsicht der Akten fehlen - auch unter Würdigung des Vorbringens des Klägers - nach der im PKH-Verfahren gebotenen summarischen Prüfung Anhaltspunkte dafür, dass ein zur Vertretung vor dem BSG zugelassener Prozessbevollmächtigter (§ 73 Abs 2 und 4 SGG) einen der in § 160 Abs 2 Nr 1 bis 3 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe darlegen oder bezeichnen (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) und damit eine Nichtzulassungsbeschwerde erfolgreich begründen könnte.

a) Grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Solche grundlegenden Rechtsfragen stellen sich im Fall des Klägers jedoch nicht. Die Frage, ob einem am Verwaltungsverfahren nicht beteiligten Schädiger nach § 25 Abs 1 SGB X ein Recht auf Einsicht in die Verwaltungsakten eines OEG-Verfahrens zusteht, beantwortet sich bereits aus dem Wortlaut der Norm. Der Kläger war weder Beteiligter iS des § 12 Abs 1 SGB X noch war er von dem Beklagten als Schädiger der S zum OEG-Verfahren nach § 12 Abs 2 SGB X hinzuzuziehen (vgl Sächsisches LSG Urteil vom 20.11.2018 - L 9 VE 16/16 - juris RdNr 24 f; Hessisches LSG Urteil vom 25.7.1995 - L 4 V 1158/94 - juris RdNr 20; Pitz in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Aufl 2017, § 12 RdNr 19, Stand der Einzelkommentierung: August 2020; vgl auch OLG Hamm Urteil vom 12.8.1999 - 6 U 8/99 - juris RdNr 19; BGH Beschluss vom 8.11.2011 - VI ZB 59/10 - BGHZ 191, 251 - juris RdNr 16). Überdies kann ein rechtliches Interesse an der Kenntnis des Akteninhalts iS des § 25 Abs 1 SGB X grundsätzlich nur im Zusammenhang mit einem anhängigen Verwaltungsverfahren (§ 8 SGB X) bestehen.

Zwar hat die Behörde auch außerhalb eines laufenden Verwaltungsverfahrens über einen Antrag auf Akteneinsicht nach pflichtgemäßen Ermessen zu entscheiden (vgl BSG Beschluss vom 4.4.2012 - B 12 SF 1/10 R - SozR 4-1720 § 17a Nr 9 RdNr 11; Mutschler in Kasseler Kommentar, § 25 SGB X RdNr 6, 6b und 12, Stand der Einzelkommentierung: Juni 2019; Rombach in Hauck/Noftz, SGB X, K § 25 RdNr 9a, Stand der Einzelkommentierung: April 2020; Lang in Diering/Timme/Stähler, SGB X, 5. Aufl 2019, § 25 RdNr 8; Franz in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Aufl 2017, § 25 RdNr 14, Stand der Einzelkommentierung: Dezember 2017). Es ist aber nicht erkennbar, dass sich in diesem Zusammenhang eine Rechtsfrage stellen könnte, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig wäre. Zu Recht haben die Vorinstanzen darauf hingewiesen, dass die Einsichtnahme in das von dem Beklagten im Verwaltungsverfahren eingeholte psychologische Gutachten höchstpersönliche Daten der S beinhaltet, welche als Sozialdaten iS von § 67 Abs 2 SGB X dem Sozialgeheimnis nach § 35 SGB I unterfallen und deshalb unbefugten Dritten nicht zugänglich zu machen sind sowie regelmäßig nur mit Zustimmung der betroffenen Personen weitergegeben werden dürfen (vgl Mutschler in Kasseler Kommentar, § 25 SGB X RdNr 12, 16, Stand der Einzelkommentierung: Juni 2019; Franz in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Aufl 2017, § 25 RdNr 41, Stand der Einzelkommentierung: Dezember 2017). Überdies ist eine Behörde bei entgegenstehenden berechtigten Geheimhaltungsinteressen der betroffenen Person nicht nur "nicht verpflichtet", sondern darüber hinaus auch nicht berechtigt, Akteneinsicht zu gewähren (vgl BVerwG Urteil vom 4.9.2003 - 5 C 48/02 - BVerwGE 119, 11 - juris RdNr 28; Siefert in Schütze, SGB X, 9. Aufl 2020, § 25 RdNr 36; SG Berlin Urteil vom 1.12.2016 - S 9 R 1113/12 WA - juris RdNr 41). Schließlich ist weder nach dem weiteren Vorbringen des Klägers noch nach dem Akteninhalt im Übrigen ersichtlich, dass die Rechtssache Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung aufwerfen könnten.

b) Auch ist nicht erkennbar, dass die angefochtene Entscheidung des LSG von der Rechtsprechung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abgewichen sein könnte. Divergenz iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG kommt nur dann in Betracht, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem der vorgenannten Gerichte aufgestellt hat. Dies ist hier nicht der Fall.

c) Schließlich besteht kein Anhalt dafür, dass ein Prozessbevollmächtigter einen die Revisionszulassung rechtfertigenden Verfahrensmangel des LSG iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG bezeichnen könnte. Insbesondere durfte das LSG die Sache ohne mündliche Verhandlung durch den Berichterstatter zusammen mit den ehrenamtlichen Richter entscheiden. Ein entsprechender Übertragungsbeschluss auf den Berichterstatter ist gemäß § 153 Abs 5 SGG nach vorheriger Anhörung der Beteiligten am 7.7.2021 ergangen, und die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 153 Abs 1 iVm § 124 Abs 2 SGG). Soweit der Kläger geltend macht, dass LSG sei in keiner Weise auf seine Berufungsbegründung, insbesondere dem Hinweis auf die landesrechtliche Norm § 9 Abs 1 Buchst c und e Informationsfreiheitsgesetz Nordrhein-Westfalen (IFG NRW) eingegangen, könnte auch ein Verstoß gegen § 136 Abs 1 Nr 6 SGG wegen fehlender Entscheidungsgründe des angegriffenen LSG-Urteils wegen dessen vollständiger Bezugnahme (§ 153 Abs 2 SGG) auf die Entscheidungsgründe des SG nicht mit Aussicht auf Erfolg gerügt werden (vgl zu den Grenzen der Bezugnahme zB BSG Beschluss vom 21.8.2017 - B 10 EG 1/17 B - juris RdNr 10 ff).

Denn bereits das SG hat in dem vom LSG in Bezug genommenen Gerichtsbescheid vom 10.5.2021 mögliche Ansprüche des Klägers nach dem IFG NRW verneint und festgestellt, dass diesen der Schutz der Sozialdaten der S entgegenstehe.

3. Da dem Kläger nach alledem keine PKH zusteht, kann er auch nicht die Beiordnung eines Rechtsanwalts beanspruchen (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 121 Abs 1 ZPO).

Kaltenstein                                 Ch. Mecke                                      Othmer

 

Fundstellen

Dokument-Index HI15116924

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