Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Nichtzulassungsbeschwerde. Verfahrensmangel. Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör. Durchführung der mündlichen Verhandlung in Abwesenheit eines Beteiligten. ordnungsgemäßer Antrag auf Vertagung der mündlichen Verhandlung. substantiierte Darlegung eines Terminverlegungsgrundes. Anwaltswechsel
Orientierungssatz
1. Ein im Sinne des § 227 Abs 1 S 1 ZPO ordnungsgemäß gestellter Vertagungsantrag mit einem hinreichend substantiiert geltend gemachten Terminverlegungsgrund gebietet grundsätzlich eine entsprechende Pflicht des Gerichts zur Terminverlegung (vglBSG vom 28.4.1999 - B 6 KA 40/98 R = USK 99111 = juris RdNr 16 und vom 12.2.2003 - B 9 SB 5/02 R = HVBG-INFO 2003, 1705 = juris RdNr 11).
2. Allein die Mitteilung am Tag vor der mündlichen Verhandlung, es habe ein (erneuter) Anwaltswechsel stattgefunden, lässt keinen Terminverlegungsantrag nachvollziehbar werden, wenn dem Schreiben weder zu entnehmen ist, wann ein solcher Wechsel stattgefunden haben soll, noch welcher Rechtsanwalt beauftragt worden ist.
Normenkette
SGG § 160a Abs. 1 S. 1, § 160 Abs. 2 Nr. 3, §§ 62, 202 S. 1; ZPO § 227 Abs. 1 S. 1; GG Art. 103 Abs. 1
Verfahrensgang
SG Reutlingen (Gerichtsbescheid vom 30.01.2023; Aktenzeichen S 5 SO 1294/22) |
LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 18.10.2023; Aktenzeichen L 2 SO 709/23) |
Tenor
Der Antrag der Klägerin, ihr für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 18. Oktober 2023 Prozesskostenhilfe zu bewilligen und einen Rechtsanwalt beizuordnen, wird abgelehnt.
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 18. Oktober 2023 wird als unzulässig verworfen.
Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I. Die Klägerin wendet sich gegen die Entscheidung des Beklagten, die ihr ua für Dezember 2021 in Höhe von 474,19 Euro gewähren Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) direkt an die Stadtkasse T zu zahlen, die entsprechende Nutzungsgebühren für die bewohnte Wohnung erhebt(Bescheid der Beklagten vom 8.11.2021; Widerspruchsbescheid vom 27.4.2022, der Klägerin zugestellt spätestens am 9.5.2022) . Das Sozialgericht (SG) Reutlingen hat die dagegen am 5.7.2022 erhobene Klage als unzulässig, weil verspätet erhoben, abgewiesen(Gerichtsbescheid vom 30.1.2023) . Das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg hat die Berufung der Klägerin als unzulässig verworfen(Urteil vom 18.10.2023) . Streitgegenstand sei allein die Direktzahlung an den Vermieter für Dezember 2021. Ein Folgebescheid, mit dem für das Jahr 2022 ebenfalls eine Direktzahlung angeordnet worden sei(Bescheid vom 15.3.2022) , sei nicht Gegenstand des Rechtsstreits. Der Wert des Beschwerdegegenstandes erreiche damit 750 Euro nicht(vgl § 144 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫) .
Gegen die Nichtzulassung der Revision in dem bezeichneten Urteil hat die Klägerin selbst Beschwerde eingelegt und zugleich sie die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung eines Rechtsanwalts beantragt.
II. Der Antrag auf Bewilligung von PKH ist nicht begründet. PKH ist nur zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint( § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Zivilprozessordnung ≪ZPO≫) ; daran fehlt es hier. Hinreichende Aussicht auf Erfolg wäre nur zu bejahen, wenn einer der drei in § 160 Abs 2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe durch einen zugelassenen Prozessbevollmächtigten(§ 73 Abs 4 SGG ) mit Erfolg geltend gemacht werden könnte; denn nur diese Gründe können zur Zulassung der Revision führen.
Der Rechtssache kommt nach Aktenlage keine grundsätzliche Bedeutung zu(§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG ) ; denn sie wirft keine Rechtsfrage auf, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Damit ist auch nicht ersichtlich, dass eine Divergenzrüge(§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG ) Aussicht auf Erfolg haben könnte.
Es ist auch nicht erkennbar, dass ein Verfahrensmangel(§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG ) mit Aussicht auf Erfolg geltend gemacht werden könnte. Zutreffend haben SG und LSG ein Prozessurteil statt eines Sachurteils erlassen. Die Klägerin hat die Klage nicht innerhalb der Monatsfrist des§ 87 SGG , die nach Zustellung (spätestens) am 9.5.2022 am 9.6.2022 endete, erhoben; die Klage ist damit unzulässig. Wiedereinsetzungsgründe sind weder ersichtlich noch von der Klägerin vorgetragen worden. Ob zudem die Berufung unzulässig war, kann dahinstehen(dazu etwa Bundessozialgericht ≪BSG≫ vom 9.12.2016 - B 8 SO 14/15 R - RdNr 11 mwN) ; eine Entscheidung zugunsten der Klägerin in der Sache war dem LSG wie dem SG verwehrt.
Schließlich ist auch nicht ersichtlich, dass ein zugelassener Bevollmächtigter mit Erfolg eine Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs iS von§ 62 SGG , Art 103 Abs 1 Grundgesetz (GG) rügen könnte, weil die Klägerin an der mündlichen Verhandlung nicht teilgenommen hat und am Tag zuvor einen Antrag auf Vertagung gestellt hatte. Der Anspruch auf rechtliches Gehör gebietet es allerdings, den an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten Gelegenheit zu geben, sich zu dem der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt vor Erlass der Entscheidung zu äußern. Wird aufgrund mündlicher Verhandlung entschieden, muss den Beteiligten unabhängig davon, ob sie die Möglichkeit zur schriftlichen Vorbereitung des Verfahrens genutzt haben, Gelegenheit gegeben werden, ihren Standpunkt in der Verhandlung darzulegen(vgl nurBSG vom 28.8.1991 - 7 BAr 50/91 - SozR 3-1500 § 160a Nr 4 S 5) . Aus diesem Grund gebietet ein iS des § 227 Abs 1 Satz 1 ZPO ordnungsgemäß gestellter Vertagungsantrag mit einem hinreichend substantiiert geltend gemachten Terminverlegungsgrund grundsätzlich eine entsprechende Pflicht des Gerichts zur Terminverlegung(vgl zBBSG vom 28.4.1999 - B 6 KA 40/98 R -, juris RdNr 16 , undBSG vom 12.2.2003 - B 9 SB 5/02 R -, juris RdNr 11 ) . Zutreffend hat das LSG aber im Einzelnen dargestellt, dass allein die Mitteilung der Klägerin am Tag vor der mündlichen Verhandlung, es habe ein erneuter Anwaltswechsel stattgefunden, schon deshalb keinen Terminverlegungsgrund nachvollziehbar werden lässt, weil dem Schreiben weder zu entnehmen ist, wann ein solcher Wechsel stattgefunden haben soll, noch welcher Rechtsanwalt beauftragt worden ist.
Da der Klägerin keine PKH zusteht, kommt auch die Beiordnung eines Rechtsanwalts gemäß § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 121 ZPO nicht in Betracht.
Die von der Klägerin eingelegte Beschwerde entspricht nicht den zwingenden gesetzlichen Vorschriften. Die Klägerin muss sich vor dem BSG gemäß § 73 Abs 4 SGG durch einen zugelassenen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Sie kann eine Prozesshandlung rechtswirksam nicht vornehmen, folglich nicht selbst Beschwerde einlegen. Schon die Beschwerdeschrift muss von einem nach § 73 Abs 4 SGG zugelassenen Prozessbevollmächtigten unterzeichnet sein. Hierauf wurde die Klägerin ausdrücklich hingewiesen. Die nicht formgerecht eingelegte Beschwerde ist schon deshalb nach § 160a Abs 4 Satz 1 SGG iVm § 169 Satz 3 SGG ohne Beteiligung der ehrenamtlichen Richter als unzulässig zu verwerfen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des§ 193 Abs 1 SGG . |
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Krauß |
Stäbler |
Bieresborn |
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Fundstellen
Dokument-Index HI16327017 |