Verfahrensgang
SG Berlin (Entscheidung vom 05.12.2018; Aktenzeichen S 32 R 2507/17) |
LSG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 22.03.2023; Aktenzeichen L 16 R 35/19) |
Tenor
Der Antrag der Klägerin, ihr für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 22. März 2023 vor dem Bundessozialgericht Prozesskostenhilfe zu bewilligen und einen Rechtsanwalt beizuordnen, wird abgelehnt.
Gründe
I
Streitig ist eine Rente wegen Erwerbsminderung.
Die 1964 geborene Klägerin beantragte im Februar 2016 eine Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte lehnte den Antrag wegen fehlender medizinischer Voraussetzungen ab (Bescheid vom 28.7.2016, Widerspruchsbescheid vom 22.8.2017). Das SG hat diverse Befund- und Behandlungsberichte der die Klägerin behandelnden Ärzte sowie ein psychiatrisches Sachverständigengutachten eingeholt. Mit Gerichtsbescheid vom 5.12.2018 hat es die Klage abgewiesen. Das LSG hat weitere Ermittlungen getätigt und Befund- und Behandlungsberichte, ein psychiatrisches Sachverständigengutachten sowie ergänzende Stellungnahmen der gerichtlichen Sachverständigen eingeholt. Mit Urteil vom 22.3.2023 hat es die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Die Klägerin sei nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens zur Überzeugung des Senats im streitbefangenen Zeitraum seit dem 1.2.2016 nicht erwerbsgemindert, sondern verfüge über ein vollschichtiges Leistungsvermögen für jedenfalls körperlich leichte und ihrer Ausbildung entsprechende leichte bis mittelschwere geistige Arbeiten unter Berücksichtigung qualitativer Einschränkungen. Anhaltspunkte für eine schwere spezifische Leistungsbehinderung oder eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen bestünden nicht.
Die Klägerin hat mit einem am 30.4.2023 beim BSG eingegangenen Schreiben die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung eines Rechtsanwalts für eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG beantragt.
II
Der Antrag der Klägerin auf Bewilligung von PKH ist abzulehnen. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Abs 1 Satz 1 ZPO). Nach Prüfung des Streitstoffs anhand der beigezogenen Gerichtsakten ist nicht zu erkennen, dass ein nach § 73 Abs 4 SGG zugelassener Prozessbevollmächtigter in der Lage wäre, eine Nichtzulassungsbeschwerde erfolgreich zu begründen.
Die Revision ist nur zuzulassen, wenn
- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG),
- das Urteil von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) abweicht und auf dieser Abweichung beruht (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) oder
- ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG).
Dass sich im Verfahren der Klägerin Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung stellen, ist nicht ersichtlich. Grundsätzliche Bedeutung iS von § 160 Abs 2 Nr 1 SGG hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer bestimmten revisiblen Rechtsvorschrift mit höherrangigem Recht aufwirft, die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung hat. Die Voraussetzungen, unter denen eine Rente wegen Erwerbsminderung zu gewähren ist, ergeben sich unmittelbar aus § 43 SGB VI. Die Auslegung der Vorschrift ist in der Rechtsprechung des BSG geklärt (vgl zuletzt BSG Urteil vom 11.12.2019 - B 13 R 7/18 R - BSGE 129, 274 = SozR 4-2600 § 43 Nr 22).
Es ist auch nicht erkennbar, dass das LSG bei seiner Entscheidung einen Rechtssatz in Abweichung von einem solchen des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG aufgestellt hätte und damit von höchstrichterlicher Rechtsprechung abgewichen wäre (Zulassungsgrund der Divergenz, § 160 Abs 2 Nr 2 SGG).
Ebenso wenig ist ein Verfahrensmangel ersichtlich, der gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG zur Zulassung der Revision führen könnte.
Soweit die von der Klägerin vorgebrachten Verfahrensmängel sich auf das Verwaltungsverfahren der Beklagten (Verweigerung von Akteneinsicht, Nichtbescheidung von Anträgen und Widersprüchen, unterlassene Begutachtung) beziehen, sind diese für die beabsichtigte Rechtsverfolgung ohne Bedeutung. Die Zulassung der Revision richtet sich gegen eine Entscheidung des LSG (§ 160 SGG). Ein Verfahrensmangel iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist der Verstoß des Gerichts im Rahmen des prozessualen Vorgehens im unmittelbar vorangehenden Rechtszug (vgl zB BSG Beschluss vom 30.10.2018 - B 13 R 59/18 B - juris RdNr 7). Etwaige vermeintliche Fehler der Beklagten im Verwaltungsverfahren sind daher nicht geeignet, die Voraussetzungen des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG zu erfüllen und eine Zulassung der Revision zu begründen.
Auch aus dem Vorhalt der Klägerin, die anberaumte mündliche Verhandlung sei nicht ausgereift gewesen und ihre gesundheitliche Situation habe keine ausreichende Berücksichtigung gefunden, lässt sich ein Verfahrensmangel nicht herleiten. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann ein Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen bis zum Ende der mündlichen Verhandlung aufrechterhaltenen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Ausweislich des Sitzungsprotokolls der mündlichen Verhandlung vor dem LSG hat der von der Klägerin bevollmächtigte Rechtsanwalt lediglich einen Sachantrag gestellt.
Ebenso wenig käme ein Verfahrensmangel in Betracht, soweit die Klägerin die vermeintlich unzureichende Sachverhaltsaufklärung des LSG zugleich als Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG, § 62 Halbsatz 1 SGG) rügt. Eine Gehörsrüge darf nicht zur Umgehung der nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG eingeschränkten Nachprüfbarkeit einer Verletzung der Amtsermittlungspflicht führen. Andernfalls liefen die Beschränkungen für die Sachaufklärungsrüge im Ergebnis leer (vgl BSG Beschluss vom 20.12.2021 - B 5 R 229/21 B - juris RdNr 11 mwN).
Soweit die Klägerin der Auffassung ist, die erst- und zweitinstanzlich eingeholten Gutachten hätten ihr Erkrankungsbild nicht hinreichend gewürdigt, wendet sie sich im Ergebnis dagegen, dass das LSG diese Gutachten für überzeugend befunden und seine Entscheidung auch hierauf gestützt hat. Damit kann die Klägerin im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren nicht durchdringen, weil nach ausdrücklicher Anordnung in § 160 Abs 2 Nr 3 Teilsatz 2 SGG ein Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung (vgl § 128 Abs 1 Satz 1 SGG) gestützt werden kann.
Da der Klägerin somit PKH nicht zusteht, entfällt zugleich die Möglichkeit der Beiordnung eines Rechtsanwalts im Rahmen der PKH (vgl § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 121 Abs 1 ZPO).
Fundstellen
Dokument-Index HI16180442 |