Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde. Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache. Verfassungsmäßigkeit der Neuregelung des Beitragsrechts der Pflegeversicherung durch das Kinder-Berücksichtigungsgesetz
Orientierungssatz
Die Frage, ob der Gesetzgeber einen ihm im Anschluss an eine Unvereinbarkeitserklärung des BVerfG erteilten Auftrag zur Neuregelung ohne Verstoß gegen diesen Auftrag erfüllt hat (hier: Neuregelung des Beitragsrechts der Pflegeversicherung durch das Kinder-Berücksichtigungsgesetz), kann die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung rechtfertigen. Für die Zulässigkeit der Beschwerde reicht jedoch der bloße Hinweis auf die insoweit maßgebliche Verfassungsgerichtsentscheidung nicht aus. Vielmehr muss diese in der Beschwerdebegründung sorgfältig analysiert und auf ihre Maßstäbe hin untersucht werden. Außerdem ist darzulegen, dass der Gesetzgeber die äußersten Grenzen der ihm in solchen Fällen zugestandenen Gestaltungsfreiheit überschritten hat.
Normenkette
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1, § 160a Abs. 2 S. 3
Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 24.01.2007; Aktenzeichen L 5 KR 4854/05) |
SG Mannheim (Urteil vom 27.10.2005; Aktenzeichen S 11 KR 374/05) |
Nachgehend
Tatbestand
Die Beteiligten streiten im Wesentlichen über die Höhe der Beiträge zur sozialen Pflegeversicherung (SPV) und zur gesetzlichen Rentenversicherung (GRV).
Der 1963 geborene Kläger ist verheiratet und Vater von drei in den Jahren 2001, 2002 und 2004 geborenen Kindern. Er ist freiwilliges Mitglied der beklagten Krankenkasse. Der Kläger beantragte bei der Beklagten im Hinblick auf die Tragung des Aufwandes für seine Kinder ua einen "signifikanten Beitragsnachlass sowohl bei seinen Beitragszahlungen zur gesetzlichen Rentenversicherung als auch bei seinen Beitragszahlungen zur sozialen Pflegeversicherung". Als Vater von drei Kindern werde er in der GRV gegenüber Beitragszahlern ohne Kinder und in der SPV gegenüber Beitragszahlern mit nur einem Kind verfassungswidrig schlechtergestellt. Die Beklagte lehnte den Antrag ab. Widerspruch, Klage und Berufung des Klägers blieben erfolglos.
Mit seiner Beschwerde wendet sich der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg (LSG) vom 24.1.2007.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG vom 24.1.2007 ist in entsprechender Anwendung von § 169 Satz 2 und 3 SGG als unzulässig zu verwerfen. Der Kläger hat in der Begründung des Rechtsmittels entgegen § 160a Abs 2 Satz 3 SGG keinen Zulassungsgrund hinreichend dargelegt oder bezeichnet.
Das Bundessozialgericht (BSG) darf gemäß § 160 Abs 2 SGG die Revision gegen eine Entscheidung des LSG nur dann zulassen, wenn
- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1) oder
- das angefochtene Urteil von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht (Nr 2) oder
- bestimmte Verfahrensmängel geltend gemacht werden (Nr 3).
Der Kläger beruft sich allein auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung. Die Beschwerdebegründung muss hierzu ausführen, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und deren Klärung durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist ( BSG SozR 1500 § 160a Nr 60 und 65; BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 16 mwN - stRspr; BVerwG NJW 1999, 304; vgl auch: Bundesverfassungsgericht ≪BVerfG≫ SozR 3-1500 § 160a Nr 7 ). Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne Weiteres zu beantworten ist und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im Allgemeininteresse vornehmen soll ( BSG SozR 1500 § 160a Nr 31 ). Für die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer verfassungsrechtlichen Frage gilt nichts anderes. Die Begründung darf sich auch insofern nicht auf eine bloße Berufung auf Normen des GG beschränken, sondern muss unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BVerfG und des BSG darlegen, woraus sich im konkreten Fall die Verfassungswidrigkeit ergibt (BSG SozR 1500 § 160a Nr 11) . Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.
|
|
1. Der Kläger hat die Frage formuliert, |
"ob die Neuregelung des Beitragsrechts der Pflegeversicherung durch das Kinderberück-sichtigungsgesetz die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts tatsächlich erfüllt hat, da hieran von Anfang an große Zweifel bestanden". |
Es kann unerörtert bleiben, ob der Kläger angesichts der weiten Formulierung dieser Frage überhaupt eine konkrete bzw eine für den zu entscheidenden Streitfall rechtserhebliche, dh klärungsfähige Rechtsfrage gestellt hat. Nach der Formulierung bleibt nämlich offen, ob der Kläger mit der "Neuregelung des Beitragsrechts der Pflegeversicherung durch das Kinderberücksichtigungsgesetz" den Beitragszuschlag für Kinderlose anspricht oder aber den Umstand, dass der Gesetzgeber eine (weitere) Beitragsermäßigung für die von ihm repräsentierte Personengruppe gegenüber Eltern mit nur einem Kind nicht vorgesehen hat. Keinen Aufschluss gibt die gestellte Frage nach ihrer Formulierung auch darüber, an welchen Vorgaben des BVerfG der Kläger die von ihm so bezeichnete Neuregelung des Beitragsrechts der Pflegeversicherung überprüft sehen will. Jedenfalls ist die Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Frage nicht in der geforderten Weise dargelegt.
Ergeben sich hinsichtlich der Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage Zweifel, so muss in der Beschwerdebegründung im Einzelnen dargelegt werden, in welchem Umfang und aus welchen Gründen die Beantwortung der Rechtsfrage umstritten ist. Die Frage der Vereinbarkeit einer Norm des einfachen Rechts mit der Verfassung kann zwar ebenfalls die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung rechtfertigen. Gleiches gilt für die Frage, ob der Gesetzgeber einen ihm im Anschluss an eine Unvereinbarkeitserklärung des BVerfG erteilten Auftrag zur Neuregelung ohne Verstoß gegen diesen Auftrag erfüllt hat. Für die Zulässigkeit der Beschwerde reicht jedoch der bloße Hinweis auf die insoweit maßgebliche Verfassungsgerichtsentscheidung nicht aus. Vielmehr muss diese in der Beschwerdebegründung sorgfältig analysiert und auf ihre Maßstäbe hin untersucht werden. Außerdem ist darzulegen, dass der Gesetzgeber die äußersten Grenzen der ihm in solchen Fällen zugestandenen Gestaltungsfreiheit überschritten hat.
Diesen Anforderungen wird nicht genügt. Der Kläger hat sich in der Beschwerdebegründung für seine Auffassung, Beitragszahler in der SPV mit zwei oder mehr Kindern würden durch die Gesetzesänderung gleichheitswidrig benachteiligt, einzig auf während des Gesetzgebungsverfahrens zum Kinder-Berücksichtigungsgesetz (KiBG) geäußerte und durch Beifügung von Publikationen unterstützte politische und/oder wissenschaftliche Kritik bezogen und unter rechtlichen Gesichtspunkten allein hervorgehoben, das KiBG werde insoweit "dem vom Bundesverfassungsgericht konkretisierten Verbot nicht gerecht, Ungleiches im Beitragsrecht der sozialen Pflegeversicherung verfassungswidrig gleichzubehandeln". Er hat es angesichts dieser Kritik an der Nichtberücksichtigung der Anzahl der Kinder im Beitragsrecht der SPV für "offensichtlich" gehalten, dass die von ihm aufgeworfene Frage grundsätzliche Bedeutung habe. An einer weiteren rechtlichen Auseinandersetzung mit dem von ihm herangezogenen Urteil des BVerfG vom 3.4.2001 (1 BvR 1629/94, BVerfGE 103, 242 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2) fehlt es jedoch ebenso wie an einer Befassung mit den das KiBG tragenden Erwägungen des Gesetzgebers und dessen Gründen dafür, warum er eine beitragsrechtliche Differenzierung nach dem vom Kläger favorisierten Modell unterlassen hat. Auch hat der Kläger nicht deutlich gemacht, worin er die für die von ihm vorgenommene Vergleichsgruppenbildung (Eltern mit einem Kind - Eltern mit mehreren Kindern) wesentlichen Sachverhaltsmerkmale erblickt. Warum der Umstand, dass das oben genannte Urteil des BVerfG einen Vater von zehn Kindern betroffen hat, insoweit maßgeblich sein soll, hat der Kläger nicht dargelegt.
Der Beschwerdebegründung fehlen überdies erforderliche Ausführungen dazu, ob sich der Kläger der von ihm angenommenen verfassungswidrigen Lage nicht durch Beendigung seiner freiwilligen Krankenversicherung und damit der Versicherungspflicht in der SPV entziehen konnte. Diese Frage hat das Berufungsgericht aufgeworfen, vor dem Hintergrund seiner Rechtsauffassung jedoch nicht beantworten müssen.
Schließlich hätte sich der Kläger in der Beschwerdebegründung damit auseinander setzen müssen, ob das BSG, würde es seiner Auffassung folgen, berechtigt wäre, für die von ihm repräsentierte Personengruppe einen Beitragsnachlass in der SPV nach dem von ihm gewünschten Modell anzuordnen, oder eine solche Entscheidung nicht vielmehr dem BVerfG - im Anschluss an eine Vorlage nach Art 100 Abs 1 GG - vorbehalten wäre. Insoweit hätte er auch darlegen müssen, wie eine solche Vorlage vom Senat ggf zu begründen gewesen wäre (gesetzgeberisches Unterlassen).
|
|
2. Der Kläger hat des Weiteren die Frage aufgeworfen, |
"ob die Aufträge des Bundesverfassungsgerichts zur Besserstellung von Familien, insbesondere in der Rentenversicherung, als erfüllt angesehen werden können oder nicht, bzw ob der generative Beitrag der Kindererziehung in der Rentenversicherung durch die bestehenden Kinderkomponenten bereits ausgeglichen wird". |
Auch insoweit ist jedenfalls die Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Fragen nicht dargetan. Im Hinblick auf die oben aufgezeigten Anforderungen an die Beschwerdebegründung reichen der Hinweis auf die "anhaltende und massive Kritik an der Benachteiligung von Familien in unserem Steuer- und Sozialversicherungssystem im Allgemeinen und in der Rentenversicherung im Besonderen" sowie darauf, dass "nach wie vor gewichtige Gründe dafür sprechen, dass das Thema 'Gerechtigkeit für Familien' in der Rentenversicherung noch nicht abgeschlossen ist" bzw dass "Familien im System der gesetzlichen Rentenversicherung noch immer in großem Umfange benachteiligt werden", und die auszugsweise Wiedergabe von Stellungnahmen aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik nicht aus. Insbesondere hat sich der Kläger mit den zu diesem Themenkreis bereits vorliegenden - und von ihm auch benannten - höchstrichterlichen Entscheidungen, den Urteilen des Senats vom 5.7.2006 ( B 12 KR 19/04 R, B 12 KR 20/04 R = SozR 4-2600 § 157 Nr 1, und B 12 KR 16/05 R ) überhaupt nicht auseinandergesetzt. Hat das Revisionsgericht zu dem von der Beschwerde herausgestellten Fragenkreis bereits entschieden, muss im Einzelnen dargelegt werden, warum die aufgeworfene Frage gleichwohl klärungsbedürftig geblieben oder wieder klärungsbedürftig geworden ist. Hierzu hat der Kläger jedwede Ausführungen unterlassen. Dieser Befassung mit der einschlägigen höchstrichterlichen Rechtsprechung ( keine Bindungswirkung des Urteils des BVerfG vom 3.4.2001, 1 BvR 1629/94, für den Bereich der GRV; keine Verfassungswidrigkeit des Beitragsrechts der GRV im Blick auf Art 3 Abs 1, Art 6 Abs 1 GG ) ist der Kläger auch nicht deshalb enthoben, weil sein Begehren, wie er meint, "gegenüber den vom BSG bereits entschiedenen Rechtssachen den neuen Aspekt enthält, dass eine klare Forderung bzgl. der monetären Bewertung des 'generativen Beitrags' in der Rentenversicherung eingebracht und begründet wurde".
3. Der Kläger hat schließlich die Fragen gestellt, "wie der 'generative Beitrag' von Familien in der Renten- und Pflegeversicherung (mindestens) monetär bewertet werden muss" bzw "wie hoch der darüber (über die bestehenden Kinderkomponenten in der Rentenversicherung) hinausgehende generative Beitrag monetär (mindestens) zu bewerten ist". Auch insoweit genügt die Beschwerdebegründung den Anforderungen nicht. Vor allem hat der Kläger nicht dargelegt, inwieweit diese vom konkreten Streitfall abstrahierenden Fragen in dem vorliegenden Rechtsstreit erheblich, dh klärungsfähig sein sollen. Nicht in der gebotenen Weise dargelegt ist aber auch, ob er die aufgeworfenen Fragen in (verfassungs)rechtlicher oder tatsächlicher bzw ökonomischer Hinsicht ("monetär") beantwortet wissen will. Insoweit hat der Kläger also auch keine konkreten Rechtsfragen klar bezeichnet, über die in einem Revisionsverfahren zu entscheiden wäre.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, da sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen, § 160a Abs 4 Satz 3 Halbsatz 2 SGG.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Fundstellen