Entscheidungsstichwort (Thema)

Vertragsarztrecht. Zurückweisung der Berufung. Notwendigkeit einer mündlichen Verhandlung oder erneuten Anhörung. Abrechenbarkeit nach bestimmten Gebührenpositionen. Gebührenposition Nr. 4123 oder 4084 EBM-Ä. Festlegung eines bestimmten Verfahrens als Abrechnungsvoraussetzung durch Bewertungsausschuss. Quecksilberbestimmung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung oder die erneute Anhörung zu einer beabsichtigten Zurückweisung der Berufung durch Beschluss ist dann erforderlich, wenn ein Beteiligter nach Zustellung der Anhörungsmitteilung neue, nicht erkennbar unsubstanziierte Beweisanträge stellt (BSG SozR 3-1500 § 153 Nr 4 S 12/13).

2. Welche Leistungen mit Nr. 3454 EBM-Ä (Grundpauschale für Ärzte für Laboratoriumsmedizin) abgegolten sind, wann diese Leistung ansetzbar ist und welchen Umsatz ein Arzt damit rechnerisch pro Fall bzw. pro Laboruntersuchung erhält, sind keine Umstände, die dem Beweis durch Sachverständigen zugänglich sind.

3. Hat der Bewertungsausschuss als Normgeber das Verfahren der Atomabsorption als Abrechnungsvoraussetzung für die Quecksilberbestimmung vorgeschrieben, können Vertragsärzte die Quecksilberbestimmung nicht nach anderen wissenschaftlich-chemischen Verfahren vornehmen bzw. nach anderen, höher bewerteten Positionen des EBM-Ä abrechnen, wenn sie der Auffassung sind, diese Methoden seien geeigneter.

 

Normenkette

SGG § 153 Abs. 4 Sätze 1-2; SGB V § 87; EBM-Ä Nrn. 4123, 4084, 3454

 

Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Beschluss vom 24.10.2003; Aktenzeichen L 5 KA 623/03)

 

Tenor

Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 24. Oktober 2003 wird zurückgewiesen.

Die Kläger haben die außergerichtlichen Kosten der Beklagten auch für das Beschwerdeverfahren als Gesamtschuldner zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Die in einer Gemeinschaftspraxis als Ärzte für Laboratoriumsmedizin zugelassenen Kläger wenden sich gegen Honorarberichtigungen seitens der beklagten Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) im Quartal IV/1999. Die Beklagte wandelte in 248 Fällen für Quecksilberbestimmungen die von den Klägern angesetzte Leistungsposition Nr 4123 des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs für vertragsärztliche Leistungen (EBM-Ä ≪50,- DM≫) in Nr 4084 EBM-Ä (16,- DM) um, weil Quecksilberbestimmungen nur nach Nr 4084 EBM-Ä berechnet werden könnten. Den Widerspruch der Kläger wies der Vorstand der Beklagten nach Einholung einer Stellungnahme seiner Laborkommission zurück.

Klage und Berufung sind erfolglos geblieben. Das Landessozialgericht (LSG) hat in seinem die Berufung zurückweisenden Beschluss auf der Grundlage des § 153 Abs 4 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ausgeführt, aus Wortlaut und Systematik der Gebührenordnungspositionen 4123 EBM-Ä einerseits und 4084 EBM-Ä andererseits ergebe sich, dass Quecksilberbestimmungen nur nach Nr 4084 EBM-Ä als der spezielleren Norm berechnungsfähig seien. Im Hinblick darauf habe es der Erhebung der von den Klägern angebotenen Sachverständigenbeweise hinsichtlich der unterschiedlichen Aussagekraft der zur Verfügung stehenden chemischen Bestimmungsverfahren nicht bedurft (Beschluss vom 24. Oktober 2003).

Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision berufen sich die Kläger auf Verfahrensmängel (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG) und machen geltend, im Rechtsstreit seien Fragen von grundsätzlicher Bedeutung zu entscheiden (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 SGG).

 

Entscheidungsgründe

II

Die Beschwerde ist unbegründet.

Die in der Beschwerdebegründung angeführten Verfahrensfehler des LSG liegen tatsächlich nicht vor. Das LSG hat sich von seinem Rechtsstandpunkt aus nicht gedrängt sehen müssen, das von den Klägern begehrte Sachverständigengutachten einzuholen.

Nach der für die Entscheidung des Berufungsgerichts tragenden Rechtsauffassung kann die “quantitative physikalische Bestimmung von Quecksilber” nur nach Nr 4084 EBM-Ä berechnet werden, weil die Bestimmung dieser Substanz in dem jeweils zu untersuchenden Körpermaterial in dieser Position des EBM-Ä ausdrücklich aufgeführt ist. Die Berechnung der Bestimmung von Quecksilber nach der von den Klägern angesetzten Gebührenordnungsposition 4123 EBM-Ä ist nach der Rechtsauffassung des LSG wegen der vorrangigen Spezialbestimmung Nr 4084 EBM-Ä unabhängig davon ausgeschlossen, dass Quecksilber ein “exogenes Gift” iS der Nr 4123 EBM-Ä sein kann. Ergänzend hat sich das LSG auch auf die Rechtsauffassung des Sozialgerichts bezogen, dass die Kläger die Quecksilberbestimmung auch deshalb nicht nach Nr 4123 EBM-Ä berechnen dürfen, weil diese gar keine “chromatographische Bestimmung einer Substanz, gegebenenfalls einschließlich des chromatographischen Nachweises” vornehmen, wie dies Nr 4123 EBM-Ä beschreibt, sondern das Verfahren ICP-MS (Massenspektrometrie mit induktiv gekoppeltem Plasma) zur Anwendung bringen. Zu dieser Methode habe der Kläger zu 1. selbst ausgeführt, sie werde bis heute in der Laboratoriumsmedizin offiziell diskriminiert.

Dass die Kläger diese Rechtsauffassung für falsch halten, ändert nichts daran, dass das LSG von seinem Rechtsstandpunkt aus der Frage, ob das von den Klägern praktizierte Verfahren der in der Legende zur Nr 4084 EBM-Ä genannten Methode der Atomabsorption überlegen sei, nicht hat nachgehen müssen. Deshalb hat für das Berufungsgericht auch kein Anlass bestanden, von der beabsichtigten Entscheidung durch Beschluss auf der Grundlage des § 153 Abs 4 Satz 1 SGG abzusehen, nachdem die Kläger nach Zustellung der Anhörungsmitteilung diesem Vorgehen widersprochen und ihren Beweisantrag wiederholt hatten.

Das Bundessozialgericht (BSG) hält die Durchführung einer mündlichen Verhandlung oder die erneute Anhörung zu einer beabsichtigten Zurückweisung der Berufung durch Beschluss nach § 153 Abs 4 Satz 1 SGG dann für erforderlich, wenn ein Beteiligter nach Zustellung der Anhörungsmitteilung gemäß § 153 Abs 4 Satz 2 SGG neue, nicht erkennbar unsubstanziierte Beweisanträge stellt (BSG SozR 3-1500 § 153 Nr 4 S 12/13). Der Antrag der Kläger auf Einholung eines Sachverständigengutachtens war hier zwar möglicherweise nicht gänzlich unsubstanziiert, aber nicht neu. Das Berufungsgericht hatte bereits durch seine Anhörungsmitteilung vom 3. September 2003 zu erkennen gegeben, dass es eine Beweiserhebung in dem von den Klägern gewünschten Sinne nicht für notwendig halte. Die Kläger haben daraufhin unter dem 8. Oktober 2003 ausgeführt, es werde “nochmals als Beweis für die Richtigkeit des klägerischen Vortrags die Einholung eines Gutachtens eines unabhängigen, neutralen Sachverständigen beantragt”. Dieses Vorbringen allein hat dem LSG keinen Anlass geben müssen, die Kläger erneut zur beabsichtigten Zurückweisung der Berufung durch Beschluss anzuhören. Nichts anderes gilt für den Antrag auf Anhörung eines Sachverständigengutachtens zur Anwendung der Nr 3454 EBM-Ä (Grundpauschale für Ärzte für Laboratoriumsmedizin). Welche Leistungen mit dieser Pauschale abgegolten sind, wann die Kläger diese Leistung ansetzen können und welchen Umsatz sie damit rechnerisch pro Fall bzw pro Laboruntersuchung erhalten, sind keine Umstände, die dem Beweis durch Sachverständigen zugänglich sind.

Auch soweit die Beschwerde geltend macht, im Rechtsstreit seien Fragen von grundsätzlicher Bedeutung zu entscheiden, ist sie nicht begründet. Die Kläger halten für grundsätzlich bedeutsam, “ob die laborärztliche Bestimmung von Quecksilber mittels des ICP-MS-Verfahrens nach der Gebührenziffer 4123 EBM-Ä abgerechnet werden kann,” und ob “das in Gebührenziffer 4084 eingesetzte Verfahren sich überhaupt zur Bestimmung von Quecksilber eignet, und der Bewertungsausschuss hinsichtlich dieser Frage seiner Beobachtungs- und Nachbesserungspflicht nachgekommen ist”. Dass die Entscheidung dieser Frage Bedeutung über den Einzelfall der Kläger hinaus hat, ist nicht ersichtlich. Im Übrigen sind die von den Klägern aufgeworfenen Rechtsfragen entweder nicht klärungsfähig oder nicht klärungsbedürftig. Streitgegenstand im Rechtsstreit ist die im Verfahren der Honorarberichtigung von der Beklagten vorgenommene Umwandlung der Abrechnungen nach Nr 4123 EBM-Ä in solche nach Nr 4084 EBM-Ä. Wenn die wortlautbezogene Auslegung dieser beiden Gebührenordnungspositionen durch das Berufungsgericht richtig ist, können Quecksilberbestimmungen nur nach Nr 4084 EBM-Ä berechnet werden. Allein die in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung verfochtene These des Klägers zu 1., ein anderes als das im EBM-Ä angeführte Verfahren der Atomabsorption sei zur Quecksilberbestimmung besser geeignet, führt auf keine in einem Revisionsverfahren klärungsbedürftige Rechtsfrage. Der Bewertungsausschuss als Normgeber hat dieses Verfahren als Abrechnungsvoraussetzung für die Quecksilberbestimmung vorgeschrieben, und deshalb können Vertragsärzte die Quecksilberbestimmung nicht nach anderen wissenschaftlich-chemischen Verfahren vornehmen bzw nach anderen, höher bewerteten Positionen des EBM-Ä abrechnen, wenn sie der Auffassung sind, derartige Methoden seien insoweit geeigneter. Es ist weder ersichtlich noch von den Klägern dargelegt worden, dass die Quecksilberbestimmung mit Hilfe der Atomabsorption wissenschaftlich ausgeschlossen bzw praktisch undurchführbar sei. Wenn die Quecksilberbestimmung aber nur nach Nr 4084 EBM-Ä berechnet werden kann, stellt sich die Frage, ob das von den Klägern angewandte Bestimmungsverfahren den Inhalt der Leistungslegende nach Nr 4123 EBM-Ä erfüllt, von vornherein nicht.

Die Kostenentscheidung ergeht in entsprechender Anwendung des § 193 Absätze 1 und 4 SGG in der bis zum 1. Januar 2002 geltenden und hier noch anzuwendenden Fassung.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1328796

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