Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 05.11.1992) |
Tenor
Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 5. November 1992 wird als unzulässig verworfen, soweit sie die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend macht; im übrigen wird sie als unbegründet zurückgewiesen.
Der Beklagte hat den Klägerinnen deren außergerichtliche Kosten für das Beschwerdeverfahren zu erstatten.
Gründe
Im Ausgangsverfahren ist die Rückforderung von Versorgungsbezügen streitig, die irrtümlich an die Erben einer Versorgungsberechtigten weitergezahlt worden sind.
Die Klägerinnen sind Miterbinnen der am 10. September 1986 verstorbenen Versorgungsberechtigten. Diese bezog Witwenrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG). Die über den Tod der Erblasserin für die Zeit vom 1. Oktober 1986 bis zum 31. Januar 1987 auf deren Konto fortgezahlten Rentenbeträge fordert der Beklagte zurück. Die Klägerinnen machen geltend, sie hätten auf die ordnungsgemäße Abwicklung des Kontos durch die damit beauftragte Sparkasse vertraut und das nach Kontoauflösung im Jahre 1987 überwiesene Guthaben als Erbteil guten Glaubens verbraucht. Das Sozialgericht (SG) hat die Rückforderungsbescheide aufgehoben. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Der Beklagte habe bei der Rückforderung kein Ermessen ausgeübt, obwohl eine Ermessensschrumpfung auf Null nicht vorgelegen habe.
Mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde macht der Beklagte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend und behauptet, das angegriffene Urteil weiche von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ab. Nach dessen Urteilen vom 25. Juni 1986 – 9a RVg 2/84 –, 6. September 1989 – 9/9a RVs 17/87 -und 26. September 1990 – 9b/7 RAr 30/89 – verbleibe bei Rücknahme rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakte nach § 45 des Sozialgesetzbuches – Verwaltungsverfahren – (SGB X) auf dem Gebiet des Versorgungsrechts im Regelfall kein Gestaltungsspielraum für eine Ermessensausübung. Ohne Begründung habe das LSG eine solche Ermessensschrumpfung auf Null hier verneint. Die Rechtssache habe auch grundsätzliche Bedeutung. Als klärungsbedürftig sieht der Beklagte die Frage an, ob bei Anwendung des § 50 Abs 2 SGB X inzidenter die Voraussetzung des § 45 oder des § 48 SGB X zu prüfen seien.
Die Beschwerde ist unzulässig, soweit mit ihr die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend gemacht wird.
Der Beklagte hat nicht hinreichend dargelegt, daß die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Die Antwort auf die von ihm für klärungsbedürftig angesehene Frage, wann bei Anwendung des § 50 Abs 2 Satz 2 SGB X die Voraussetzungen des § 45 SGB X und wann die des § 48 SGB X zu prüfen sind, ergibt sich bereits aus dem Gesetz: Wäre ein Verwaltungsakt über die Gewährung der wiederkehrenden Leistung von Anfang an rechtswidrig gewesen, so ist § 45 SGB X anzuwenden; wäre Rechtswidrigkeit erst später infolge einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse eingetreten, so ist § 48 Abs 1 Satz 2 SGB X heranzuziehen.
Die Beschwerde ist nicht begründet, soweit der Beklagte eine Abweichung von der Rechtsprechung des BSG geltend macht.
Das LSG weicht von dem Senatsurteil vom 6. September 1989 – 9/9a RVs 17/87 – (SozR 1300 § 45 Nr 46) nicht ab. Nach dieser Entscheidung darf das Gericht einen Verwaltungsakt, der einen rechtswidrigen Verwaltungsakt zurücknimmt, jedenfalls dann nicht allein wegen fehlender Ermessensausübung aufheben, wenn es selbst keine Ermessensgesichtspunkte feststellt. Diese Rechtsprechung gilt auch bei Erstattung von Leistungen, die ohne Verwaltungsakt von Beginn an zu Unrecht erbracht worden sind, weil dem Erstattungsschuldner nach § 50 Abs 2 Satz 2 SGB X Vertrauensschutz durch entsprechende Anwendung des § 45 SGB X gewährt wird. Das LSG hat zwar eine Ermessensschrumpfung auf Null verneint, ohne Gesichtspunkte zu benennen, die von dem Beklagten bei einer Ermessensentscheidung zu berücksichtigen wären. Daraus läßt sich aber kein von der Rechtsprechung des BSG abweichender Rechtssatz des Inhalts entnehmen, daß Rücknahmebescheide gem § 45 SGB X wegen fehlender Ermessensausübung auch dann aufzuheben sind, wenn nicht zugleich Tatsachen festgestellt werden, die bei einer Ermessensentscheidung durch die Verwaltung zu berücksichtigen sind.
Das LSG hat nämlich im Tatbestand des angegriffenen Urteils von den Klägerinnen vorgetragene Umstände festgestellt, die bei einer Ermessensentscheidung zu berücksichtigen sind. Die Klägerinnen haben damit argumentiert, sie hätten auf die ordnungsgemäße Abwicklung des Kontos durch die damit beauftragte Sparkasse vertraut. Für das Verhalten der Sparkasse haben die Klägerinnen als durch die Weiterzahlung Begünstigte zwar einzustehen. Vom Vorwurf grober Fahrlässigkeit im Rahmen des § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 3 SGB X entlastet sie also weder, daß der Pfleger den Tod seines Pfleglings dem Beklagten nicht mitgeteilt hat, noch der Umstand, daß die Sparkasse offensichtlich zu Unrecht weitergezahlte Rentenbezüge dem Konto gutgeschrieben und später an die Klägerinnen ohne besonderen Hinweis ausgezahlt hat. Diese für die Vertrauensschutzprüfung unbeachtlichen Umstände hat der Beklagte aber bei einer Ermessensentscheidung zu berücksichtigen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen
Haufe-Index 1174747 |
Breith. 1994, 347 |