Verfahrensgang
SG München (Entscheidung vom 16.01.2014; Aktenzeichen S 18 KR 1248/11) |
Bayerisches LSG (Beschluss vom 12.04.2021; Aktenzeichen L 12 KR 186/14) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Bayerischen Landessozialgerichts vom 12. April 2021 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Im Streit steht ein Anspruch auf Krankengeld, hilfsweise auf Beitragserstattung.
Die Beklagte gewährte dem Kläger bis zum 31.7.2008 Krankengeld. Eine darüber hinaus fortwährende Zahlung von Krankengeld lehnte sie aufgrund Auskünften der Deutschen Rentenversicherung Bund (DRV) ab, nach denen der Kläger seit dem 1.9.2003 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung beziehe. Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 16.1.2014). Das LSG hat nach Anhörung des Klägers die Berufung durch Beschluss (vom 12.4.2021) zurückgewiesen. Der Kläger habe ausweislich von Auskünften in Schreiben der DRV keinen Anspruch auf Krankengeld oder Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge.
Nach Gewährung von PKH für das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde wendet sich der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision und macht eine Divergenz und Verfahrensfehler geltend (§ 160 Abs 2 Nr 2 und Nr 3 SGG).
II
1. Die Beschwerde ist unbegründet, soweit sie die Verletzung der Grundsätze der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme und der Mündlichkeit des Verfahrens sowie der Ansprüche auf rechtliches Gehör und ein faires Verfahren rügt (dazu 2. bis 4.), und im Übrigen unzulässig (dazu 5.).
Nach § 160 Abs 2 SGG ist die Revision ua zuzulassen, wenn die Entscheidung des LSG von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr 2) oder wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (Nr 3).
2. Es liegt kein Verstoß gegen die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme vor (§ 117 SGG). Weder hat eine förmliche Beweisaufnahme vor dem SG oder LSG stattgefunden noch hat das LSG Einlassungen des Klägers anders gewertet als das erstinstanzliche Gericht. Vielmehr hat das LSG durch den nach dem Geschäftsverteilungsplan nunmehr zuständigen 12. Senat die schriftlich vorliegenden Auskünfte der DRV zu einem Rentenbezug des Klägers - enthalten in der Verwaltungsakte und in der Gerichtsakte zum vorangegangenen Verfahren der Untätigkeitsklage - im Hinblick auf dessen Berufungsvortrag gewürdigt und diesen sodann für unglaubwürdig (der Sache nach für unglaubhaft) gehalten. Soweit der Kläger seine persönliche Anhörung als Beteiligter in der Berufungsinstanz für notwendig erachtete, hätte er dem Gericht aufzeigen müssen, warum die Verwertung seines schriftlichen Vortrags zu den Auskünften der DRV nicht ausreichte (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 157 RdNr 2c ff mwN und § 153 RdNr 15b).
3. Die vom Kläger gerügte Verletzung des Grundsatzes der Mündlichkeit des Verfahrens durch den Beschluss gemäß § 153 Abs 4 SGG liegt nicht vor. Der Kläger ist zur Entscheidung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung vom LSG angehört worden. Eine verpflichtende mündliche Verhandlung ebenso wie eine weitere Anhörung nach Zuständigkeitswechsel des Senats des LSG ist - anders als der Kläger meint - nicht erforderlich gewesen. Insbesondere hat sich die prozessuale Lage zu keinem Zeitpunkt entscheidungserheblich geändert (vgl zur Entscheidungserheblichkeit einer wesentlichen Änderung BSG vom 30.10.2019 - B 14 AS 330/18 B - juris RdNr 2 f) und eine Zustimmung der Beteiligten zur Entscheidung nach § 153 Abs 4 SGG ist nicht erforderlich. Das LSG hat sein ihm im Rahmen von § 153 Abs 4 SGG zustehendes Ermessen, von einer mündlichen Verhandlung abzusehen, auch nach Anberaumung und Absetzung bzw Vertagung früherer Termine nicht fehlerhaft ausgeübt (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 153 RdNr 15a), sodass keine Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen die Vorgaben des § 153 Abs 4 SGG bei der Entscheidung des LSG durch Beschluss erkennbar sind.
4. Die vom Kläger gerügte Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG, Art 6 Abs 1 EMRK) und auf ein faires Verfahren (Art 1 Abs 1, Art 2 Abs 1 iVm Art 20 Abs 3 GG) liegt nicht vor. Insbesondere konnte er die vom LSG verwerteten schriftlichen Auskünfte der DRV zuvor zur Kenntnis nehmen. Sie waren zum einen Bestandteil der Verwaltungsakte, die dem Kläger unter Übernahme der Fahrkosten bei Mittellosigkeit im SG Gotha zur nicht wahrgenommenen Akteneinsicht zur Verfügung gestanden hätte und ihm zum anderen zur Kenntnisnahme im Rahmen der Untätigkeitsklage übersandt worden. Auf diese Auskünfte der DRV hat sich das LSG in seiner Beweiswürdigung gestützt, nicht aber auf ein Telefonat mit der DRV. Soweit der Kläger eine übereilte Würdigung und eigene Beweisschwierigkeiten vorbringt, macht er in der Sache eine Verletzung von § 128 Abs 1 Satz 1 SGG geltend. Mit dieser Rüge ist er aber ausgeschlossen, weil nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG der geltend gemachte Verfahrensmangel weder unmittelbar noch mittelbar auf eine Verletzung des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG gestützt werden kann, wonach das Gericht (hier das LSG) nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung entscheidet. Dass die Zulassung der Revision nicht auf eine fehlerhafte Beweiswürdigung gestützt werden kann, kann auch nicht dadurch unterlaufen werden, dieses Vorbringen in die Rüge einer Verletzung des Anspruchs auf ein faires Verfahren einzukleiden.
5. Die weiteren Rügen der Divergenz und sonstiger Verfahrensfehler sind schon deshalb nicht geeignet, die Revisionsinstanz zu eröffnen, weil sie den formellen Anforderungen an eine Nichtzulassungsbeschwerde nicht gerecht werden.
a) Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG bedeutet Widerspruch im Rechtssatz, nämlich das Nichtübereinstimmen tragender abstrakter Rechtssätze, die zwei Entscheidungen zugrunde gelegt worden sind. Die Beschwerdebegründung muss deshalb aufzeigen, welcher abstrakte Rechtssatz in einem höchstrichterlichen Urteil enthalten ist und welcher in der Entscheidung des LSG enthaltene abstrakte Rechtssatz dazu im Widerspruch steht, und darlegen, dass die Entscheidung hierauf beruht (vgl Krasney/Udsching/Meßling/Groth, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 8. Aufl 2022, IX. Kap, RdNr 300 ff, 305 mwN). Dem wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. In ihr hat der Kläger bereits keinen abstrakten Rechtssatz des LSG bezeichnet, sondern er gibt lediglich Teile der Gründe der Entscheidung wieder und vergleicht diese mit Begründungen des Urteils des BSG vom 13.7.2004 (B 1 KR 39/02 R - SozR 4-2500 § 44 Nr 2).
b) Ein Verfahrensmangel, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann, ist schließlich nicht allein dadurch bezeichnet, dass ein Verstoß gegen den Untersuchungsgrundsatz nach § 103 SGG durch eine unterbliebene Beweisaufnahme vorgetragen wird. Es ist nicht nachvollziehbar dargelegt, inwiefern sich das LSG - aufgrund seiner materiellen Rechtsauffassung - zur Erhebung weiterer Beweise hätte gedrängt sehen müssen. Ausgehend von der in seiner Entscheidung zitierten Rechtsprechung des BSG zum Ausschluss eines Krankengeldanspruchs bei "Bezug" einer Rente (Urteil vom 28.9.2010 - B 1 KR 31/09 R - BSGE 106, 296 = SozR 4-2500 § 50 Nr 2) hat das LSG seine Entscheidung auf den von der DRV schriftlich mitgeteilten Rentenbezug gestützt. Inwiefern für das LSG hiernach noch zwingende Veranlassung für weitere Sachverhaltsermittlungen im Sinne des beantragten Zeugen- und Sachverständigenbeweises bestanden haben könnte, ist nicht ausreichend dargetan.
c) Soweit der Kläger eine Verletzung seines Rechts auf informelle Selbstbestimmung durch Missachtung des Schutzes seiner Sozialdaten durch das LSG rügt, legt er weder näher dar, dass das prozessuale Vorgehen des LSG gegen Verfahrensrecht verstoßen hat, noch dass dessen Entscheidung hierauf beruhen kann.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.
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Fundstellen
Dokument-Index HI15503280 |