Verfahrensgang
SG Hannover (Entscheidung vom 23.03.2017; Aktenzeichen S 11 KR 493/14) |
LSG Niedersachsen-Bremen (Urteil vom 18.12.2020; Aktenzeichen L 4 KR 167/17) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 18. Dezember 2020 wird als unzulässig verworfen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit wendet sich der Kläger gegen die Erhebung von Beiträgen anlässlich seiner freiwilligen Mitgliedschaft bei der beklagten Krankenkasse.
Der Kläger ist seit 1.2.2008 als hauptberuflich selbstständig Erwerbstätiger freiwilliges Mitglied in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Die Beklagte forderte von ihm wiederholt Einkommensnachweise und setzte Beiträge durch Bescheide auf Grundlage des nachgewiesenen Einkommens, der Mindest- oder Beitragsbemessungsgrenze fest. Für den Monat Juni 2011 forderte sie Höchstbeiträge. Im August 2013 wurde der Kläger in Bezug auf seine Vermögenssorge und Rechtsangelegenheiten unter Betreuung gestellt. Mit Schreiben vom 12.9.2013 stellte die Betreuerin einen Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X. Gegen weitere Bescheide erhob sie Widersprüche. Einen Antrag auf Erlass der Beitragsschulden lehnte die Beklagte ab. Mit Widerspruchsbescheid vom 14.8.2014 wies die Beklagte die Widersprüche zurück. Klage und Berufung sind erfolglos geblieben (SG-Gerichtsbescheid vom 23.3.2017; LSG-Urteil vom 18.12.2020). Der Kläger sei seinen Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen. Die Voraussetzungen für einen Erlass der Beitragsschulden seien nicht erfüllt. Mit seiner Beschwerde wendet sich der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG.
II
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der angefochtenen Entscheidung ist gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 SGG in entsprechender Anwendung von § 169 Satz 2 und 3 SGG als unzulässig zu verwerfen. In der Begründung des Rechtsmittels ist entgegen § 160a Abs 2 Satz 3 SGG kein Zulassungsgrund hinreichend dargelegt oder bezeichnet.
1. Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) legt der Kläger nicht in einer den Zulässigkeitsanforderungen entsprechenden Weise dar.
Bei Geltendmachung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache muss die Beschwerdebegründung ausführen, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (stRspr; vgl nur BSG Beschluss vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17; BSG Beschluss vom 28.1.2019 - B 12 KR 94/18 B - juris RdNr 6 mwN).
Der Kläger formuliert auf Seite 2 der Beschwerdebegründung vom 14.7.2021 folgende Fragen:
"1. Ist derjenige freiwillige Versicherte, der aufgrund nachgewiesener Erkrankung nicht in der Lage ist, seiner Mitwirkungspflicht in Bezug auf die Vorlage von Einkommensnachweisen nachzukommen, demjenigen gleichzustellen, der diese Verpflichtung aus Nachlässigkeit nicht erfüllt, d.h. setzt die Feststellung der Verletzung von Mitwirkungspflichten subjektive Vorwerfbarkeit voraus?
2. Stellt es einen Fall der persönlichen Unbilligkeit im Sinne von § 76 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 SGG dar, wenn Beitragsforderungen aufgrund des fiktiven Einkommens erhoben werden, weil der Versicherte schuldlos nicht in der Lage war mitzuwirken und das fiktive Einkommen über dem tatsächlich erzielten Einkommen liegt?"
a) Die Beschwerdebegründung erfüllt die Darlegungsvoraussetzungen für eine Grundsatzrüge (vgl hierzu exemplarisch BSG Beschluss vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN) nicht, weil darin keine abstrakt-generelle Rechtsfrage zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts (§ 162 SGG) mit höherrangigem Recht (BSG Beschluss vom 23.12.2015 - B 12 KR 51/15 B - juris RdNr 11 mwN) formuliert wird. Die Bezeichnung einer abstrakten, aus sich heraus verständlichen Rechtsfrage ist jedoch unverzichtbar, damit das Beschwerdegericht an ihr die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen kann (BSG Beschluss vom 10.9.2014 - B 10 ÜG 3/14 B - juris RdNr 11 mwN). Hinsichtlich der ersten Frage nennt der Kläger bereits keine revisible Norm des Bundesrechts. Die zweite Frage ist eine Subsumtionsfrage hinsichtlich § 76 Abs 2 Satz 1 Nr 3 SGB IV. Der Kläger fragt insoweit nach der Rechtsanwendung in seinem konkreten Einzelfall, was vor allem durch die zweite von ihm angenommene Voraussetzung der Beitragserhebung nach einem "fiktiven" Einkommen deutlich wird.
b) Unabhängig davon legt der Kläger die Klärungsfähigkeit der aufgeworfenen Fragen nicht hinreichend dar. Er führt nicht aus, wie die aufgeworfenen Fragen auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des LSG in einem späteren Revisionsverfahren beantwortet werden können. Der Kläger unterstellt, aufgrund nachgewiesener Erkrankung "schuldlos" nicht in der Lage gewesen zu sein, seiner Mitwirkungspflicht nachzukommen. Insoweit verweist er in seiner Beschwerdebegründung auf Seite 3 der Urteilsgründe. Dort wird aber nur wiedergegeben, dass der Kläger eine ärztliche Bescheinigung vom 27.11.2012 vorgelegt habe, aus der sich ergebe, dass er sich seit dem 24.6.2010 wegen einer Angst-/Depressionsstörung in ärztlichpsychiatrischer Behandlung befinde. Der Kläger legt nicht dar, welche Feststellungen das LSG zu einer krankheitsbedingten Unmöglichkeit des Nachweises von Einkommen hinsichtlich welcher konkreter Zeiträume getroffen hat. Eine diesbezügliche Aufklärungsrüge hat der Kläger nicht erhoben.
c) Schließlich ergibt sich - unabhängig von den zuvor genannten Gründen - die Unzulässigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache auch daraus, dass der Kläger die Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Fragen nicht hinreichend dargelegt hat. Er befasst sich nicht mit der Beitragsbemessung und -erhebung bei freiwilligen Mitgliedern der GKV und unterstellt pauschal, sie erfolge aufgrund "fiktiver" Einkünfte. Mit den zugrundeliegenden Regelungen, insbesondere in § 240 SGB V iVm den Beitragsverfahrensgrundsätzen Selbstzahler und der umfangreichen Rechtsprechung hierzu (vgl zB BVerfG Beschluss vom 6.12.1988 - 2 BvL 18/84 - BVerfGE 79, 223; BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 4.12.2002 - 1 BvR 527/98 - juris RdNr 12; BSG Urteil vom 7.11.1991 - 12 RK 37/90 - BSGE 70, 13 = SozR 3-2500 § 240 Nr 6; BSG Urteil vom 19.12.2012 - B 12 KR 20/11 R - BSGE 113, 1 = SozR 4-2500 § 240 Nr 17) setzt er sich nicht auseinander. Auch die Voraussetzungen des Anspruchserlasses nach § 76 Abs 2 Satz 1 Nr 3 SGB IV und die Rechtsprechung hierzu (vgl BSG Urteil vom 4.3.1999 - B 11/10 AL 5/98 R - BSGE 83, 292, 295 f = SozR 3-2400 § 76 Nr 2 S 10 f = juris RdNr 19 ff) werden nicht erörtert.
2. Auch einen Verfahrensmangel zeigt der Kläger nicht in zulässigkeitsbegründender Weise auf. Ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist der Verstoß des Gerichts im Rahmen des prozessualen Vorgehens im unmittelbar vorangehenden Rechtszug (zu den Anforderungen an die Bezeichnung eines solchen Verfahrensmangels s exemplarisch BSG Beschluss vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 4 und BSG Beschluss vom 19.11.2007 - B 5a/5 R 382/06 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 21 RdNr 4, jeweils mwN; Krasney/Udsching/Groth, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 7. Aufl 2016, Kap IX, RdNr 202 ff). Nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann sich der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung von § 109 SGG und § 128 Abs 1 Satz 1 SGG stützen. Ferner kann die Geltendmachung eines Verfahrensmangels auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungspflicht) gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Prüfungsmaßstab ist die materiell-rechtliche Rechtsauffassung des LSG (vgl BSG Beschluss vom 14.5.2007 - B 1 KR 21/07 B - juris RdNr 18 mwN; BSG Urteil vom 28.5.1957 - 3 RJ 219/56 - SozR Nr 79 zu § 162 SGG; BSG Beschluss vom 31.1.1979 - 11 BA 166/78 - SozR 1500 § 160 Nr 33). Neben der Geltendmachung des Vorliegens eines Verstoßes gegen das Verfahrensrecht ist mit der Beschwerdebegründung darzulegen, dass die angefochtene Entscheidung auf diesem Verstoß beruhen kann. Ein entscheidungserheblicher Mangel des Berufungsverfahrens wird nur dann substantiiert bezeichnet, wenn er hinsichtlich aller ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen dargelegt wird, sodass das BSG allein anhand der Beschwerdebegründung darüber befinden kann, ob die angegriffene Entscheidung des LSG möglicherweise auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel beruht.
Der Kläger macht auf Seite 5 der Beschwerdebegründung geltend, das LSG habe ausgeführt, dass der Ausschluss einer Stundungs- oder Ratenzahlungsvereinbarung nicht schlüssig aufgezeigt worden sei. Hierauf hätte das LSG so rechtzeitig hinweisen müssen, dass er noch Gelegenheit gehabt hätte, rechtzeitig ergänzend "im Einzelnen" vorzutragen, weshalb ihm eine auch nur teilweise Rückzahlung in Raten krankheitsbedingt nicht möglich sei. Unabhängig davon, dass der Kläger den vermeintlich unterbliebenen Vortrag durch seine pauschalen Ausführungen nicht konkretisiert hat, zeigt er nicht auf, inwieweit der Aspekt des Zustandekommens einer Ratenzahlungsvereinbarung im Rahmen einer Entscheidung nach § 76 Abs 4 Satz 1 SGB IV (allein) entscheidungserheblich war. Schließlich legt der Kläger nicht hinreichend dar, inwieweit die Ausführungen zur fehlenden schlüssigen Darlegung überhaupt überraschend waren. Nach den Feststellungen des LSG war bereits im Widerspruchsbescheid vom 14.8.2014 ausgeführt worden, dass besondere Umstände, die es rechtfertigen würden, auf die Einziehung der Beitragsforderung zu verzichten, nicht vorgetragen worden seien.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Heinz U. Waßer Beck
Fundstellen
Dokument-Index HI15098662 |