Verfahrensgang

SG Mainz (Entscheidung vom 23.02.2021; Aktenzeichen S 4 BA 11/18)

LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 23.02.2021; Aktenzeichen L 2 BA 9/21)

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin zu 1. gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 29. April 2022 wird als unzulässig verworfen.

Die Klägerin zu 1. trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 2. im Beschwerdeverfahren. Im Übrigen sind außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit streiten die Beteiligten um die Versicherungspflicht der Klägerin zu 2. in den Zweigen der Sozialversicherung aufgrund abhängiger Beschäftigung seit Mai 2000.

Die Klägerin zu 2. übt die Tätigkeit einer Physiotherapeutin für die Praxis der Klägerin zu 1. auf der Grundlage eines Dienstleistungsvertrags über freie Mitarbeit aus. Auf den Statusfeststellungsantrag der Klägerin zu 2. stellte die Beklagte deren Versicherungspflicht in den Zweigen der Sozialversicherung fest (Bescheide vom 10.1.2018; Widerspruchsbescheide vom 10.4.2018). Das SG hat unter Aufhebung der Verwaltungsentscheidungen festgestellt, dass die Klägerin zu 2. nicht der Versicherungspflicht unterliege. Die überwiegenden Umstände sprächen für das Vorliegen einer selbstständigen Tätigkeit (Urteil vom 23.2.2021). Das LSG hat auf die Berufung der Beklagten das Urteil des SG aufgehoben sowie die Klage abgewiesen. Zwar seien die Freiheiten bei der Ausübung der Tätigkeit in zeitlicher und örtlicher Hinsicht Merkmale für Selbstständigkeit. Für das Vorliegen einer Beschäftigung spreche allerdings das nahezu vollkommen fehlende Unternehmerrisiko. Denn die Klägerin zu 2. tätige nur in geringem Ausmaß Investitionen, sei nicht an den Kosten der Praxis beteiligt und garantiere dieser auch keinen bestimmten Mindestumsatz. Außerdem sei sie in gewisser Weise durch die Nutzung der Behandlungsräume in die Arbeitsorganisation der Praxis eingebunden. Der Erstkontakt bei neuen Patienten erfolge über die Praxis. Die Klägerin zu 2. sei auch nur sehr eingeschränkt werbend am Markt tätig.

Gegen die Nichtzulassung der Revision wendet sich die Klägerin zu 1. mit ihrer Beschwerde.

II

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der angefochtenen Entscheidung des LSG ist als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG). Die Klägerin zu 1. hat entgegen § 160a Abs 2 Satz 3 SGG die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) und der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) nicht hinreichend dargelegt oder bezeichnet.

1. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine abstrakt-generelle Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - allgemeine Bedeutung hat und aus Gründen der Rechtseinheit oder der Rechtsfortbildung einer Klärung durch das Revisionsgericht bedarf (Klärungsbedürftigkeit) und fähig (Klärungsfähigkeit) ist. Mit der Beschwerdebegründung ist daher aufzuzeigen, welche rechtliche Frage sich zu einer bestimmten Norm des Bundesrechts iS des § 162 SGG stellt. Hierzu ist anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung auszuführen, weshalb eine Klärung erforderlich und im angestrebten Revisionsverfahren zu erwarten ist. Schließlich ist darzulegen, dass der angestrebten Entscheidung eine über den Einzelfall hinausgehende Breitenwirkung zukommt (vgl BSG Beschluss vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17 mwN). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.

Die Klägerin zu 1. führt zur grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (I.2 der Beschwerdebegründung) im Wesentlichen aus, es bestehe wegen der uneinheitlichen Rechtsprechung der Instanzgerichte und der politisch motivierten Verwaltungspraxis der Beklagten ein Bedürfnis nach einer Klarstellung durch das BSG, dass auch in einer kassenzugelassenen Physiotherapiepraxis gemäß § 124 SGB V eine Kooperation mit freien Mitarbeitern möglich und damit bei Einhaltung konkreter Rahmenparameter die Gefahr einer Strafbarkeit des Praxisinhabers gemäß § 266a StGB ausgeschlossen sei.

Die Klägerin zu 1. hat damit bereits keine Rechtsfragen zur Auslegung oder Vereinbarkeit einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts (§ 162 SGG) mit höherrangigem Recht (BSG Beschluss vom 23.12.2015 - B 12 KR 51/15 B - juris RdNr 11 mwN) formuliert. Die Bezeichnung einer hinreichend bestimmten, aus sich heraus verständlichen Rechtsfrage ist jedoch unverzichtbar, damit das Beschwerdegericht an ihr die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen kann (BSG Beschluss vom 10.9.2014 - B 10 ÜG 3/14 B - juris RdNr 11 mwN).

Unabhängig davon legt die Klägerin zu 1. auch nicht die Klärungsbedürftigkeit der in den Raum gestellten Fragen dar. Hierzu hätte Anlass bestanden, weil in der Senatsrechtsprechung bereits geklärt ist, dass die Abgrenzung zwischen Beschäftigung und Selbstständigkeit nicht abstrakt für bestimmte Berufs- und Tätigkeitsbilder erfolgt, sondern ein und derselbe Beruf - je nach den konkreten Umständen des individuellen Sachverhalts - entweder in Form der Beschäftigung oder als selbstständige Tätigkeit ausgeübt wird (stRspr; vgl zB BSG Urteil vom 4.6.2019 - B 12 R 11/18 R - BSGE 128, 191 = SozR 4-2400 § 7 Nr 42, RdNr 18; BSG Urteil vom 24.3.2016 - B 12 KR 20/14 R - SozR 4-2400 § 7 Nr 29 RdNr 25). Der Regelung des Leistungserbringungsrechts in § 124 Abs 1 SGB V hat der Senat ausdrücklich keine determinierende Wirkung in Bezug auf das Vorliegen von Beschäftigung beigemessen (BSG Urteil vom 24.3.2016 - B 12 KR 20/14 R - SozR 4-2400 § 7 Nr 29 RdNr 28).

2. Auch soweit die Klägerin zu 1. den Zulassungsgrund der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) wegen einer Abweichung des LSG von der Entscheidung des BSG vom 24.3.2016 (B 12 KR 20/14 R - SozR 4-2400 § 7 Nr 29) geltend macht, genügt sie nicht den Darlegungsanforderungen.

Der Zulassungsgrund der Divergenz setzt voraus, dass das angefochtene Urteil des LSG von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Eine solche Abweichung ist nur dann hinreichend bezeichnet, wenn aufgezeigt wird, mit welcher genau bestimmten entscheidungserheblichen rechtlichen Aussage zum Bundesrecht die angegriffene Entscheidung des LSG von welcher ebenfalls genau bezeichneten rechtlichen Aussage des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht. Insoweit genügt es nicht darauf hinzuweisen, dass das LSG seiner Entscheidung nicht die höchstrichterliche Rechtsprechung zugrunde gelegt hätte. Nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Zulassung der Revision wegen Divergenz. Sie liegt daher nicht schon dann vor, wenn das angefochtene Urteil nicht den Kriterien entsprechen sollte, die das BSG, der GmSOGB oder das BVerfG entwickelt hat, sondern erst dann, wenn das LSG diesen Kriterien auch widersprochen, also andere rechtliche Maßstäbe bei seiner Entscheidung herangezogen hat (vgl BSG Beschluss vom 12.5.2005 - B 3 P 13/04 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 6 RdNr 5 und BSG Beschluss vom 16.7.2004 - B 2 U 41/04 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 4 RdNr 6, jeweils mwN).

Die Klägerin zu 1. rügt, dass das Berufungsgericht nicht den vom BSG entwickelten Vorgaben nachgekommen sei. Weder habe es in ausreichendem Umfang die dienstvertraglichen Regelungen berücksichtigt noch habe es die höchstrichterlich geforderte sorgfältige Abwägung nach dem Gesamtbild der Arbeitsleistung angestellt. Außerdem führt sie näher aus, dass bei der vorliegenden Fallkonstellation die in der Entscheidung des BSG vom 24.3.2016 (B 12 KR 20/14 R - SozR 4-2400 § 7 Nr 29) für eine Beschäftigung sprechenden Kriterien ihrer Ansicht nach nicht gegeben seien. Mit der Aufhebung des ihrer Meinung nach in der Sache zutreffenden Urteils des SG liege eine massive Rechtsverletzung zu Lasten der Klägerinnen vor. Die Bewertung des LSG habe grobe Fehler. Insbesondere ergebe sich aus den laufenden Betriebsausgaben sehr wohl ein Unternehmerrisiko.

Mit diesem Vortrag arbeitet die Klägerin zu 1. nicht - wie erforderlich - einen abstrakten tragenden Rechtssatz des LSG heraus, der einem solchen in der genannten Entscheidung des BSG widersprechen würde. Sie wendet sich vielmehr im Kern gegen die Richtigkeit der angegriffenen Entscheidung. Für eine Divergenzrüge reicht aber die Rüge, das LSG habe fehlerhaft das Recht angewendet und eine höchstrichterliche Entscheidung in ihrer Tragweite für den entschiedenen Fall missverstanden oder übersehen, nicht aus (vgl BSG Beschluss vom 1.10.2019 - B 13 R 105/19 B - juris RdNr 8 mwN). Mit der Behauptung, das Urteil des LSG sei inhaltlich rechtsfehlerhaft, lässt sich die Zulassung der Revision nicht erreichen (vgl stRspr; zB BSG Beschluss vom 29.4.2019 - B 12 R 59/18 B - juris RdNr 14).

3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

4. Die Kostenentscheidung beruht einheitlich auf § 193 SGG, weil sich die Klägerin zu 2. in ihrer Eigenschaft als Versicherte iS des § 183 SGG am Beschwerdeverfahren als Beschwerdegegnerin beteiligt hat. Die Klägerin zu 1. hat der Klägerin zu 2., die einen Antrag auf Abweisung der Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin zu 1. gestellt hat, ihre außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Heinz

Beck

Bergner

 

Fundstellen

Dokument-Index HI15641164

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