Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde. fehlende Klärungsbedürftigkeit der Rechtsfrage. Höhe des Arbeitslosengeldes. pauschalierter Abzug für Krankenversicherungsbeiträge. höchstrichterliche Rechtsprechung zu gewöhnlich anfallenden gesetzlichen Abzügen
Orientierungssatz
Um die Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Rechtsfrage hinreichend darzulegen, hätte der Kläger aufzeigen müssen, dass sich die Frage der Recht- bzw Verfassungsmäßigkeit eines pauschalen Abzugs für Krankenversicherungsbeiträge, obwohl die Beklagte während seines Arbeitslosengeldbezugs - bei Versicherungsfreiheit des Klägers - keine Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung abgeführt hat, anhand der gesetzlichen Vorschrift und der zahlreich angeführten höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht beantworten lässt. Er hätte sich mit den bereits vom LSG zitierten Entscheidungen des BSG vom 3.8.1995 (7 RAr 28/95 = SozR 3-4100 § 136 Nr 4) und vom 24.7.1997 (11 RAr 45/96 = SozR 3-4100 § 136 Nr 7) und des BVerfG vom 23.10.1996 (1 BvR 70/96 = SozR 3-4100 § 136 Nr 5) auseinandersetzen müssen.
Normenkette
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1, § 160a Abs. 2 S. 3; SGB 3 § 133 Abs. 1 Fassung: 2004-11-19
Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 26. August 2011 wird als unzulässig verworfen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Beschwerde ist unzulässig. Die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫) und des Vorliegens von Verfahrensmängeln (§ 106 Abs 2 Nr 3 SGG) sind nicht in der durch § 160a Abs 2 S 3 SGG gebotenen Weise dargelegt bzw bezeichnet.
1. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Ein Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufzeigen, welche Frage sich stellt, dass diese Rechtsfrage noch nicht geklärt ist, weshalb deren Klärung aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung dieser Rechtsfrage erwarten lässt. Um seiner Darlegungspflicht zu genügen, muss die Beschwerdebegründung mithin eine konkrete Rechtsfrage aufwerfen, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der angestrebten Entscheidung (so genannte Breitenwirkung) darlegen (vgl nur BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung vom 7.12.2011 nicht.
Der Kläger wirft folgende Rechtsfragen auf:
"1. Verstießen die §§ 132 Abs 1 SGB III aF, 136 Abs 1 SGB III in der bis zum 31.12.2004 geltenden Fassung gegen Art 3 Abs 1 GG, Art 14 Abs 1 GG, wenn bei der Bemessung des Arbeitslosengeldes auch dann ein pauschaler Abzug für Krankenversicherungsbeiträge vorgenommen wird, wenn der Bezieher von Arbeitslosengeld nicht der gesetzlichen Krankenversicherungspflicht unterliegt und die Bundesagentur für Arbeit keine Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung abführt.
2. Verstößt § 133 SGB III in der ab 1.1.2005 geltenden Fassung gegen Art 3 Abs 1 GG, Art 14 Abs 1 GG, wenn bei der Bemessung des Arbeitslosengeldes auch dann ein pauschaler Abzug für Krankenversicherungsbeiträge vorgenommen wird, wenn der Bezieher von Arbeitslosengeld nicht der gesetzlichen Krankenversicherungspflicht unterliegt und die Bundesagentur für Arbeit keine Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung abführt."
Dahinstehen kann, ob die zu 1. aufgeworfene Frage (noch) der Rechtseinheit oder Fortbildung des Rechts dienen könnte, weil sie nur bis zum 31.12.2004 geltendes, ausgelaufenes Recht betrifft. Denn mit der Rechtsfrage zu 2. wird die im Wesentlichen inhaltlich identische Frage des ab 1.1.2005 geltenden Rechts zum pauschalen Abzug von Krankenversicherungsbeiträgen bei Beziehern von Arbeitslosengeld angesprochen, die nicht der gesetzlichen Krankenversicherungspflicht unterliegen und für die die Beklagte keine Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung abführt.
Der Kläger hat jedoch die (weitere) Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Rechtsfragen nicht hinreichend dargetan. Hierzu hätte er aufzeigen müssen, dass die Rechtsfragen in der höchstrichterlichen Rechtsprechung noch nicht geklärt sind. Dies gilt umso mehr, als das Landessozialgericht (LSG) im angefochtenen Urteil zahlreiche Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) und des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zitiert hat und sich in der zitierten Rechtsprechung (insbesondere im Senatsbeschluss vom 4.7.2007 - B 11a AL 191/06 B - Juris) zahlreiche weitere Nachweise aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung befinden, die Aufschluss über die Beantwortung der gestellten Rechtsfragen geben. Mit dieser umfangreichen Rechtsprechung setzt sich der Kläger nur zum Teil auseinander und behauptet, das LSG habe übersehen, dass es vorliegend um einen anderen Sachverhalt gehe. Das BSG und das BVerfG hätten sich nur mit der Frage beschäftigt, "ob es im Hinblick auf die Berücksichtigung von steuerlichen Freibeträgen auf die individuellen Bedürfnisse bzw auf das individuelle Nettogehalt des Arbeitslosen ankommt." Weder das BSG noch das BVerfG hätten sich mit § 133 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) in der ab 1.5.2005 geltenden Fassung befasst.
Diese Argumentation verkennt, dass als höchstrichterlich geklärt auch eine Rechtsfrage angesehen werden muss, wenn das Revisionsgericht bzw das BVerfG sie zwar noch nicht ausdrücklich entschieden hat, zur Auslegung des anzuwendenden gesetzlichen Begriffs aber schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34; stRspr; vgl auch Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 2. Aufl 2010, RdNr 314 mwN). Hiernach hätte der Kläger aufzeigen müssen, dass sich die Frage der Recht- bzw Verfassungsmäßigkeit eines pauschalen Abzugs für Krankenversicherungsbeiträge, obwohl die Beklagte während seines Arbeitslosengeldbezugs - bei Versicherungsfreiheit des Klägers - keine Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung abgeführt hat, anhand der gesetzlichen Vorschrift und der zahlreich angeführten höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht beantworten lässt. Hieran fehlt es. So hat sich der Kläger nicht mit den bereits vom LSG zitierten Entscheidungen des BSG vom 3.8.1995 (7 RAr 28/95 = SozR 3-4100 § 136 Nr 4) und des BVerfG vom 23.10.1996 (1 BvR 70/96 = SozR 3-4100 § 136 Nr 5) auseinander gesetzt. Hieraus hätte er entnehmen können, dass die höchstrichterliche Rechtsprechung sich nicht nur zu steuerlichen Abzügen, sondern auch zur Verfassungsmäßigkeit der Minderung des Bemessungsentgelts um den Beitrag zur Pflegeversicherung geäußert hat. Dabei ist ausdrücklich auch der Umstand berücksichtigt worden, dass von der Versicherungspflicht zur Kranken- und Pflegeversicherung bestimmte Personenkreise nicht erfasst werden (vgl BSG aaO S 18). In einer weiteren, ebenfalls bereits vom LSG zitierten, Entscheidung hat das BSG zu § 136 Abs 1 SGB III aF ausdrücklich klargestellt, dass mit der dortigen Formulierung "gesetzliche Entgeltabzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen", die Abzüge, die bei der "Mehrzahl" der Arbeitnehmer anfallen, gemeint sind (BSG Urteil vom 24.7.1997 - 11 RAr 45/96 - SozR 3-4100 § 136 Nr 7 S 36). Dass dies bei den Beiträgen zur gesetzlichen Krankenversicherung der Fall ist, hat auch die Beschwerdebegründung selbst nicht in Abrede gestellt und ist auch sonst nicht ersichtlich.
Bei dieser Sachlage bedarf es keiner weiteren Vertiefung, dass die Beschwerdebegründung die Klärungsfähigkeit der aufgeworfenen Fragen ebenfalls nicht ausreichend dargetan hat. Insoweit beschränkt sie sich auf die Aussage, diese Fragen seien "ohne Zweifel klärungsfähig und entscheidungserheblich". Damit genügt der Kläger den Darlegungserfordernissen schon deshalb nicht, weil in der Beschwerdebegründung der entscheidungserhebliche Sachverhalt allenfalls fragmentarisch dargestellt wird. Es ist aber nicht Aufgabe des Beschwerdegerichts, sich selbst anhand des Berufungsurteils und der Akten ein Urteil über die Klärungsfähigkeit bzw Entscheidungserheblichkeit der aufgeworfenen Frage zu bilden (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 31, stRspr).
2. a) Soweit der Kläger rügt, das angefochtene Urteil enthalte nicht bzw nicht vollständig die gedrängte Darstellung des Tatbestands (§ 136 Abs 1 Nr 5 SGG), hat er das Vorliegen eines Verfahrensmangels nicht hinreichend bezeichnet (§ 160a Abs 2 S 3 SGG).
Der Kläger bemängelt, seine (der Beschwerdebegründung beigeführten) Schriftsätze vom 12.5.2006 und vom 10.2.2011 sowie die Schreiben der Beklagten vom 18.8.2005 und 31.1.2006 hätten keine Aufnahme in den Tatbestand des Berufungsurteils gefunden; bei Berücksichtigung dieser Schriftsätze wäre das LSG aber möglicherweise zu einem anderen Ergebnis gelangt. Abgesehen davon, dass Inhalt und Umfang des Tatbestandes eines Urteils von den Umständen des Einzelfalles abhängen, hat der Kläger schon nicht dargetan, dass und inwiefern aus der rechtlichen Sicht des LSG - die für die Beurteilung eines Verfahrensmangels entscheidend ist (vgl ua BSG SozR 1500 § 160a Nr 34; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 160 Nr 23) - das genannte Vorbringen und die Schriftsätze der Beklagten von entscheidungserheblicher Bedeutung waren. Stattdessen macht er geltend, das LSG hätte weitere von ihm vorgebrachte rechtliche Gesichtspunkte behandeln müssen (ua die Erstattungspflicht seines ehemaligen Arbeitgebers).
b) Dasselbe gilt hinsichtlich der vom Kläger geltend gemachten Verletzung des rechtlichen Gehörs. Auch insoweit legt er nicht dar, inwiefern das Berufungsurteil - ausgehend von der Rechtsauffassung des LSG - hierauf beruhen kann.
Nur zur Klarstellung - ohne dass die vorliegende Entscheidung hierauf beruht - weist der Senat darauf hin, dass sich die in der Beschwerdebegründung aufgeworfene Rechtsfrage und die vom Kläger angesprochene Erstattungspflicht seines (ehemaligen) Arbeitgebers nach § 147a SGB III - soweit sie sich auf Beiträge zur Krankenversicherung bezieht (vgl § 147a Abs 4 SGB III) - sowohl in den gesetzlichen Voraussetzungen als auch in den Beteiligten deutlich unterscheiden.
3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).
Die Verwerfung der Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 SGG iVm § 169 S 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen