Entscheidungsstichwort (Thema)

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Irrtum über Zustellungsdatum eines Urteils

 

Orientierungssatz

Zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, wenn ein Anwalt die Beschwerdebegründungsfrist versäumt hat, weil er sich über das Zustellungsdatum des Urteils geirrt hatte.

 

Normenkette

SGG § 67 Abs 1, § 160a Abs 2 S 1

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 03.12.1991; Aktenzeichen L 15 U 56/91)

 

Gründe

Die Kläger sind mit ihrem Begehren auf Hinterbliebenenleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ohne Erfolg geblieben (Bescheid der Beklagten vom 12. Juli 1989; Urteile des Sozialgerichts <SG> vom 10. Juni 1991 und des Landessozialgerichts <LSG> vom 3. Dezember 1991). Das LSG ist zu dem Ergebnis gelangt, der Ehemann der Klägerin zu 1) und Vater der Kläger zu 2) und 3) sei nicht durch einen Arbeitsunfall ums Leben gekommen, als er auf dem Heimweg von der Zusammenkunft am 23. Dezember 1988 (gemeinsames Kegeln mit anschließendem "gemütlichen Beisammensein" mit Arbeitskollegen seiner Abteilung) tödlich verunglückte. Es habe bei dieser Veranstaltung nicht nur an dem erforderlichen Gemeinschaftszweck gefehlt; es habe auch daran gemangelt, daß die Veranstaltung von der Unternehmensleitung durchgeführt oder gefördert und gebilligt sowie bei der Durchführung und Planung von der Autorität der Unternehmensleitung als betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung getragen worden sei.

Gegen das am 4. Februar 1992 zugestellte Urteil haben die Kläger am 19. Februar 1992 Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision eingelegt und mit Schriftsatz vom 9. April 1992 - eingegangen beim Bundessozialgericht (BSG) am 13. April 1992 - begründet. Sie machen geltend, sie fühlten sich in ihrem Recht dadurch verletzt, daß Beweisanträge in 1. und 2. Instanz nicht voll ausgeschöpft worden seien. Darüber hinaus seien die Bekundungen der gehörten Zeugen praxisfremd ausgelegt worden, so daß es zu dem unrichtigen Urteil des LSG gekommen sei, mit dem die Berufung der Kläger gegen das Urteil des SG zurückgewiesen worden sei.

Nach Hinweis des erkennenden Senats, daß die Beschwerdebegründungsfrist am 6. April 1992 geendet habe und daß die Beschwerde am 13. April 1992 damit verspätet begründet worden sei, beantragen die Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Zur Begründung tragen sie vor: Ihr Prozeßbevollmächtigter sei bei der Bearbeitung der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde irrtümlich davon ausgegangen, daß das angefochtene Urteil "hier tatsächlich am 25. 02. 1992 eingegangen sei und infolgedessen die Begründungsfrist am 25.02.1992" (gemeint ist offenbar: 25.04.1992) ablaufe. "Lediglich der Umstand, daß bei der Rücksendung des Urteils des Landessozialgerichts vom 03.12.1991, hier am 25.02.1992 abgestempelt wurde, so daß der Unterzeichner und Sachbearbeiter die Notfristen, die richtig mit dem 10.03. und 20.03.1992 notiert waren, als ein Versehen ansah, weil er die zurückgeschickte Ausfertigung des Urteils des Landessozialgerichts mit dem Eingangsstempel 25.02.1992 vor sich sah. Er ist dem Irrtum erlegen, daß die Ausfertigung erst am 25.02.1992 hier zugestellt worden ist, so daß es zu dieser verspäteten Abgabe der Begründung der Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision kam."

Der Antrag der Kläger, ihnen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde zu gewähren, war abzulehnen. Nach § 67 Abs 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nur demjenigen zu gewähren, der ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten. Daran fehlt es hier.

Der Prozeßbevollmächtigte eines Beteiligten muß das nach Lage des Falles vernünftigerweise zuzumutende äußerste Maß von Vorsicht und Sorgfalt walten lassen, um die Einhaltung einer gesetzlichen Frist zu ermöglichen. Der Gesetzgeber hat die Zulässigkeit einzelner wichtiger Prozeßhandlungen derart an bestimmte Fristen geknüpft, daß deren Nichteinhaltung ohne weiteres den endgültigen Verlust der Prozeßhandlung zur Folge hat. Angesichts der Bedeutung der Fristen und der weittragenden Folgen, die eine Versäumung der Frist hat, muß jeder Rechtsanwalt Fristsachen mit der größten Peinlichkeit und Genauigkeit behandeln (BGHZ 43, 148, 150). Das ist im vorliegenden Fall nicht geschehen. Bei auch nur einfachster Aufmerksamkeit hätte es dem Prozeßbevollmächtigten der Kläger auffallen müssen, daß das angefochtene Urteil nicht erst am 25. Februar 1992 zugestellt war. Dies gilt hier um so mehr, als nach dem eigenen Vortrag der Kläger in der Kanzlei ihrer Prozeßbevollmächtigten die konkreten Notfristen mit dem 10. März und 20. März 1992 "sowohl in der Akte als auch im Fristenkalender" notiert waren. Ein Blick allein in die Akte hätte genügt, den Irrtum zu bemerken. Zumindest hätten die ordnungsgemäß notierten Notfristen den Prozeßbevollmächtigten der Kläger veranlassen müssen, die einzuhaltenden Fristen genauer nachzuprüfen.

Davon abgesehen ist die Beschwerde unzulässig, weil die dazu gegebene Begründung nicht der in § 160 Abs 2 und § 160a Abs 2 Satz 3 SGG festgelegten Form entspricht. Nach der ständigen Rechtsprechung verlangen diese Vorschriften, daß die Zulassungsgründe schlüssig dargetan werden (BSG SozR 1500 § 160a Nrn 34, 47, 54 und 58; vgl hierzu auch Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 1991, IX RdNr 177 mwN). Daran fehlt es der Beschwerde.

Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann. Auf eine Verletzung des § 103 SGG (eine Verletzung dieser Vorschrift rügen offenbar die Kläger) kann die Beschwerde nur gestützt werden, wenn sich der geltend gemachte Verfahrensmangel auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG). Dazu hat der Senat in ständiger Rechtsprechung entschieden, daß es jedenfalls rechtskundig vertretenen Beteiligten obliegt, in der mündlichen Verhandlung alle diejenigen Anträge zur Niederschrift des Gerichts zu stellen, über die das Gericht entscheiden soll (vgl ua Beschluß des Senats vom 24. April 1992 - 2 BU 26/92 - sowie Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Februar 1992 - 1 BvR 1935/91 -). Es ist der Sinn der erneuten Antragstellung, zum Schluß der mündlichen Verhandlung auch darzustellen, welche Anträge nach dem Ergebnis der für die Entscheidung maßgebenden mündlichen Verhandlung noch abschließend gestellt werden, mit denen sich das LSG dann im Urteil befassen muß, wenn es ihnen nicht folgt. Die Kläger hätten deshalb in der mündlichen Verhandlung vom 3. Dezember 1991 entsprechende Beweisanträge zumindest hilfsweise zu dem Sachantrag stellen müssen. Ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 3. Dezember 1991 hat der Prozeßbevollmächtigte der Kläger nach der Vernehmung des Personalreferenten K. neben den Anträgen zur Sache keinen diesbezüglichen Beweisantrag gestellt.

Alle übrigen Ausführungen und Rügen der Kläger betreffen die vorhandenen Beweise sowie deren Würdigung nach § 128 Abs 1 Satz 1 SGG durch das LSG. Auf diese Rügen kann die Beschwerde nicht gestützt werden (s § 160 Abs 2 Nr 3 SGG).

Die Beschwerde war daher aus diesen Gründen als unzulässig zu verwerfen (§ 169 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1651168

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