Entscheidungsstichwort (Thema)

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

 

Orientierungssatz

Bei Verschulden einer Hilfsperson eines Rechtsanwalts ist eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nur zulässig, wenn die Hilfsperson ausreichend geschult, unterrichtet und überwacht worden ist.

 

Normenkette

SGG § 67 Abs 1, § 160a Abs 2 S 1

 

Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 06.06.1991; Aktenzeichen L 5 Kn 1/90)

 

Gründe

Der Kläger ist mit seinem auf die Gewährung von Rente gerichteten Begehren im sozialgerichtlichen Verfahren ohne Erfolg geblieben (Urteil des Sozialgerichts Koblenz <SG> vom 21. November 1989; Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz <LSG> vom 6. Juni 1991). Das Urteil des LSG ist ihm am 4. Juli 1991 zugestellt worden. Gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des LSG hat er am 5. August 1991 Beschwerde eingelegt. Dieser Tag war ein Montag. Seine Beschwerde hat er mit dem am 5. September 1991 bei dem Bundessozialgericht (BSG) eingegangenen Schriftsatz begründet.

Wegen der Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist beantragt der Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Nach dem Vorbringen seines Prozeßbevollmächtigten werden Fristen von dessen Bürovorsteherin überwacht. Diese sei stets zuverlässig gewesen. Außerdem erfolge von seiten des Prozeßbevollmächtigten in regelmäßigen Abständen eine Überprüfung der Fristen. Dabei sei eine Beanstandung oder Korrektur bisher nicht notwendig gewesen. Nach Einreichung der Beschwerde habe die Bürovorsteherin entsprechend der gerade erledigten Beschwerdefrist die Frist für die Beschwerdebegründung um einen Monat fortgeschrieben.

Der Antrag war abzulehnen. Nach § 67 Abs 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ist einem Beteiligten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten. Die Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde ist schuldhaft versäumt worden. Das Verschulden des Prozeßbevollmächtigten steht hinsichtlich der Versäumung der Verfahrensfristen dem Verschulden des vertretenen Beteiligten gleich (BSG SozR 1500 § 67 Nrn 16 und 20).

Nach Angaben des Prozeßbevollmächtigten des Klägers im Schriftsatz vom 20. September 1991 hat seine Bürovorsteherin die Zweimonatsfrist des § 160a Abs 2 Satz 1 SGG falsch berechnet. Sie ist nicht, wie dies in § 160a Abs 2 Satz 1 SGG ausdrücklich vorgeschrieben und in der Rechtsmittelbelehrung des LSG-Urteils unzweideutig aufgeführt ist, von der Zustellung des Urteils des LSG ausgegangen, sondern hat vielmehr angenommen, daß im Anschluß an die Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde eine weitere Monatsfrist für die Begründung derselben gegeben sei. Die Notierung des Fristablaufs läßt erkennen, daß die Bürovorsteherin das Fristenwesen nicht beherrscht. Bei Verschulden einer Hilfsperson eines Rechtsanwalts ist eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nur zulässig, wenn die Hilfsperson ausreichend geschult, unterrichtet und überwacht worden ist. Bei Fristberechnungen muß sich die ausreichende Schulung, Unterrichtung und Überwachung auf die maßgebenden Vorschriften auch solcher Verfahrensordnungen beziehen, nach denen nicht so häufig Prozesse geführt werden. Diese ist nicht erfolgt und wird von dem Bevollmächtigten des Klägers auch nicht behauptet. Insbesondere wird nicht dargelegt, daß eine ausführliche Unterrichtung über das Fristenwesen nach den Vorschriften des SGG durchgeführt ist. Das ist aber erforderlich, um ein Versehen einer Bürovorsteherin nicht dem Rechtsanwalt anlasten zu können. Da die Bürovorsteherin unter den gegebenen Umständen nicht als durch den Prozeßbevollmächtigten des Klägers ausreichend geschult, unterrichtet und überwacht angesehen werden kann, ist die Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde schuldhaft versäumt worden. Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand muß deshalb abgelehnt werden.

Die nicht in rechter Frist eingereichte Beschwerdebegründung führt zur Unzulässigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde. Diese war daher zu verwerfen.

Auch für den Fall, daß dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hätte gewährt werden können, müßte seine Beschwerde als unzulässig verworfen werden. Die Beschwerdebegründung vom 5. September 1991 entspricht nämlich nicht der im Gesetz vorgeschriebenen Form. Nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG muß der behauptete Verfahrensmangel bezeichnet werden. Hieran fehlt es. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG kann eine Beschwerde auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn sie sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Demgemäß muß ein Beschwerdeführer, welcher sich auf einen solchen Verfahrensmangel beruft, auch den Beweisantrag, welchen das LSG übergangen haben soll, genau bezeichnen. Hieran fehlt es in der Beschwerdebegründung. Ihr ist nicht ohne weiteres zu entnehmen, wann und wo der Kläger einen Beweisantrag gestellt hat. Es ist nicht Aufgabe des BSG, einen solchen Antrag in den Akten zu suchen (BSG SozR 1500 § 160 Nr 5, st. Rspr.).

Nach alledem mußte wie geschehen entschieden werden.

Die Kostenentscheidung ergeht in entsprechender Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1651733

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