Verfahrensgang

SG Wiesbaden (Entscheidung vom 23.11.2018; Aktenzeichen S 4 R 74/16)

Hessisches LSG (Entscheidung vom 06.12.2021; Aktenzeichen L 5 R 439/18)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 6. Dezember 2021 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.

 

Gründe

I

Der im Jahr 1965 geborene Kläger begehrt eine Rente wegen Erwerbsminderung. Der beklagte Rentenversicherungsträger lehnte den im Februar 2015 gestellten Antrag nach Einholung eines neurologischen Gutachtens ab. Der Kläger könne mit den bei ihm bestehenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen unter Beachtung gewisser qualitativer Einschränkungen weiterhin mittelschwere Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für wenigstens sechs Stunden arbeitstäglich verrichten (Bescheid vom 14.10.2015; Widerspruchsbescheid vom 22.12.2015). Ein im Klageverfahren erstelltes neurologisch-psychiatrisches Gutachten des Sachverständigen S gelangte zu dem Ergebnis, dass der Kläger insbesondere aufgrund einer mittelschweren Depression nur noch weniger als drei Stunden täglich leichte körperliche Tätigkeiten ausüben könne. Daraufhin hat das SG die Beklagte für die Zeit von Juli 2018 bis Juni 2020 zur Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung verurteilt und im Übrigen die Klage abgewiesen (Urteil vom 23.11.2018). Auf die Berufung der Beklagten hat das LSG von der Sachverständigen O ein weiteres neurologisch-psychiatrisches Gutachten anfertigen lassen. Nach deren Beurteilung war das Leistungsvermögen des Klägers seit Rentenantragstellung nicht auf weniger als sechs Stunden täglich abgesunken und auch seine Wegefähigkeit sei nicht eingeschränkt. Hierauf gestützt hat das LSG die Entscheidung des SG geändert und die Klage in vollem Umfang abgewiesen (Urteil vom 6.12.2021).

Gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG hat der Kläger beim BSG Beschwerde eingelegt. Er rügt einen Verfahrensmangel.

II

Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Ihre Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen. Der Kläger hat den von ihm geltend gemachten Verfahrensmangel nicht in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG erforderlichen Weise bezeichnet. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 SGG zu verwerfen.

Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde damit begründet, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (Revisionszulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG), so müssen zur Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) zunächst die Umstände, aus denen sich der Verfahrensfehler ergeben soll, substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist es erforderlich, darzulegen, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann ein Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

Die Beschwerdebegründung des Klägers wird diesen Anforderungen nicht gerecht. Er rügt eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht nach § 103 SGG und führt dazu aus, das Gutachten der Ärztin O könne nicht überzeugen. Dies insbesondere deshalb, weil die Gutachterin keine Feststellungen zum Vorliegen einer Depression getroffen und insoweit auch keine weitere Begutachtung für erforderlich erachtet habe. Aus diesem Grund habe er bereits "mit Schriftsatz vom 04.01.2021 ein ergänzendes Gutachten" beantragt, weil nach seiner Auffassung das Gericht wegen der völlig unterschiedlichen Gutachten in erster und zweiter Instanz im Rahmen seiner Amtsermittlungspflicht gehalten gewesen sei, "wegen der Neutralität" ein abschließendes Gutachten bei einem anderen Gutachter in Auftrag zu geben. Diesem Antrag sei das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt.

Wird ein Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht geltend gemacht, muss die Beschwerdebegründung hierzu jeweils folgende Punkte enthalten: (1) Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren, bis zum Schluss aufrechterhaltenen Beweisantrags, dem das LSG nicht gefolgt ist, (2) Wiedergabe der Rechtsauffassung des LSG, aufgrund derer bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen, (3) Darlegung der von dem betreffenden Beweisantrag berührten Tatumstände, die zu weiterer Sachaufklärung Anlass gegeben hätten, (4) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme und (5) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des LSG auf der angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das LSG mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der unterlassenen Beweisaufnahme von seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen können (stRspr; vgl BSG Beschluss vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 5 mwN; BSG Beschluss vom 3.4.2020 - B 9 SB 71/19 B - juris RdNr 8; BSG Beschluss vom 20.1.2021 - B 5 R 248/20 B - juris RdNr 7; Fichte in Fichte/Jüttner, SGG, 3. Aufl 2020, § 160a RdNr 56; Voelzke in jurisPK-SGG, § 160a RdNr 167, Stand der Einzelkommentierung 4.3.2022).

Das Vorbringen des Klägers entspricht bereits nicht dem unter (1) genannten Erfordernis. Die Forderung nach einem "ergänzenden Gutachten" bzw nach einem abschließenden Gutachten "von einem anderen Gutachter" bezeichnet schon keinen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag iS von § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 403 ZPO(vgl dazu zB BSG Beschluss vom 10.2.2022 - B 5 R 276/21 B - juris RdNr 7 mwN). Ein "Schriftsatz vom 04.01.2021" ist in den Akten des LSG zudem nicht enthalten. Soweit der Kläger damit seinen Schriftsatz vom 4.10.2021 (Bl 483 LSG-Akte) in Bezug nehmen wollte, zeigt er nicht auf, dass er den dort enthaltenen Antrag bis zum Schluss aufrechterhalten oder das LSG den Beweisantrag in seinem Urteil wiedergegeben habe (vgl dazu BSG Beschluss vom 10.3.2022 - B 5 R 5/22 B - juris RdNr 6 mwN). Seine Beschwerdebegründung lässt nicht erkennen, ob er diesen Antrag im weiteren Verlauf des Verfahrens - insbesondere bei Erteilung seiner Zustimmung zur Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (vgl Schriftsatz vom 26.11.2021) - bekräftigt oder aber nicht mehr weiter verfolgt hat. Es fehlen darüber hinaus aber auch jegliche Ausführungen zu den oben genannten Punkten (4) und (5).

Der bereits im Berufungsverfahren anwaltlich vertretene Kläger berücksichtigt bei seiner Rüge nicht hinreichend, dass die Einordnung und Würdigung unterschiedlicher Gutachtensergebnisse zur Kernaufgabe des LSG als Tatsachengericht gehört. Hält das Gericht eines oder einige von mehreren Gutachten für überzeugend, darf es sich diesen grundsätzlich anschließen, ohne ein weiteres Gutachten einholen zu müssen (stRspr; vgl BSG Beschluss vom 19.11.2007 - B 5a/5 R 382/06 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 21 RdNr 8). Etwas anderes gilt nur, wenn die vorhandenen Gutachten grobe Mängel oder unlösbare Widersprüche enthalten, von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgehen oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde des Gutachters geben. Aber auch wenn solche Umstände vorliegen sollten, kann das mit einer Sachaufklärungsrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren nur mit Erfolg gerügt werden, wenn aufgezeigt wird, dass beim LSG mit entsprechend substantiierter Begründung ein Beweisantrag auf Einholung eines weiteren Gutachtens angebracht und bis zum Schluss aufrechterhalten worden ist (vgl BSG Beschluss vom 6.10.2021 - B 5 R 211/21 B - juris RdNr 6).

Der Bitte um einen rechtlichen Hinweis, "wenn das Gericht weitere Ausführungen für erforderlich erachtet", war vor einer Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde nicht nachzukommen. Der Senat ist nicht verpflichtet, einen anwaltlich vertretenen Kläger vorab auf Mängel der Beschwerdebegründung hinzuweisen. Die Bestimmung des § 106 Abs 1 SGG gilt insoweit nicht. Das Gesetz unterstellt vielmehr, dass ein Rechtsanwalt in der Lage ist, eine Nichtzulassungsbeschwerde formgerecht zu begründen, sofern die Zulassungsvoraussetzungen vorliegen (stRspr; vgl ua BSG Beschluss vom 10.8.2011 - B 5 RS 40/11 B - juris RdNr 9). Gerade dies ist ein Grund für den Vertretungszwang des § 73 Abs 4 SGG(vgl BSG Beschluss vom 17.6.2019 - B 5 R 92/19 B - juris RdNr 12) .

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Düring                                        Hahn                                     Gasser

 

Fundstellen

Dokument-Index HI15225301

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