Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragszahnarzt. Auslegung. Tatbestände der Gebührenordnung. Rüge. fehlerhafte Subsumtion. grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache
Orientierungssatz
1. Für die Auslegung von Tatbeständen der Gebührenordnung ist deren Wortlaut, ggf unter Berücksichtigung des zahnmedizinischen Ablaufs, maßgeblich (vgl BSG vom 13.5.1998 - B 6 KA 34/97 R = SozR 3-5555 § 10 Nr 1).
2. Es ist ausgeschlossen, unter Hinweis auf tatsächlich bestehende oder nur behauptete (zahn-)medizinisch-wissenschaftliche Auffassungen erweiterte Abrechnungsmöglichkeiten zu begründen (vgl BSG vom 25.8.1999 - B 6 KA 32/98 R = SozR 3-5533 Nr 2449 Nr 1 S 3).
3. Die bloße Rüge fehlerhafter Subsumtion reicht nicht aus, um eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache darzutun.
Normenkette
SGB V § 87 Abs. 1; Bema Nr. 55; SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Die seit 1999 als Ärztin für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie zur vertragsärztlichen und vertragszahnärztlichen Versorgung zugelassene Klägerin wendet sich gegen die Berichtigung ihrer Honorarforderungen für die Quartale III/1994 bis II/1995 durch die beklagte Kassenzahnärztliche Vereinigung (KZÄV). Umstritten sind im Beschwerdeverfahren noch Vergütungsansprüche nach den Geb-Nrn 32, 35 und 55 des Bewertungsmaßstabs für vertragszahnärztliche Leistungen (Bema).
Mit ihrer Klage zum Sozialgericht hatte sie Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung der Beklagten das Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt, die Aufbereitung des Wurzelkanalsystems im Sinne der Geb-Nr 32 Bema (30 Punkte) erfordere das Aufsuchen und Eröffnen der Kanaleingänge sowie die Exstirpation der Wurzelpulpa und das Erweitern und Säubern der Wurzelkanäle, und die Geb-Nr 35 Bema (15 Punkte) setze das Auffüllen der Wurzelkanäle bis zur bzw bis nahe an die Wurzelspitze voraus. Es reiche nicht aus, bei vorher wurzelbehandelten Zähnen den Wurzelkanal lediglich mit einem Mikrokopfbohrer bis zu einer Tiefe von 4 mm retrograd aufzubereiten und die Bohrung zu verfüllen. Eine Reimplantation nach Geb-Nr 55 liege vor, wenn der extrahierte Zahn - ggf nach Behandlung der zB durch ein Unfalltrauma luxierten Alveole oder nach einer extraoral durchgeführten Wurzelfüllung - wieder an Ort und Stelle eingesetzt werde. Das Versetzen eines Zahns an eine andere Stelle - sei es bei dem gleichen Patienten oder einem anderen - sei keine Reimplantation, sondern eine Transplantation, die keine vertragszahnärztliche Leistung darstelle.
Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG macht die Klägerin Verfahrensmängel und die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Sie ist teils unzulässig, teils unbegründet.
Die Klägerin rügt als Verfahrensmangel (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫ ), das LSG habe gegen das Gebot der Gewährung angemessenen rechtlichen Gehörs und in Verbindung damit gegen den Amtsermittlungsgrundsatz des § 103 SGG verstoßen. In der mündlichen Verhandlung habe Prof. Dr. Dr. S. als Vertreter der Beklagten den Sinn von Reimplantationen insbesondere bei Jugendlichen betont und deren Vergütung nach der Geb-Nr 55 Bema befürwortet. Daraufhin habe das LSG bei dem Beklagten-Vertreter insoweit die Erledigung des Rechtsstreits und den Erlaß eines Abhilfebescheides angeregt, was dieser allerdings abgelehnt habe. Danach habe sie - die Klägerin - ausgehend von einem für sie günstigen Ausgang des Prozesses keinen Anlaß gesehen, noch Beweisanträge zu stellen. Hätte das LSG indessen angedeutet, den Ausführungen des Prof. Dr. Dr. S. möglicherweise nicht zu folgen, so hätte sie beantragt, ein Sachverständigengutachten darüber einzuholen, daß Zahnverpflanzungen in der von ihr durchgeführten Art seit Jahren zum zahnmedizinischen Standard gehören und aus zahnmedizinischer Sicht eine Reimplantation darstellten. Das hätte das LSG davon überzeugt, daß die von Prof. Dr. Dr. S. dargelegte zahnmedizinische Sicht zutreffe, so daß die Abrechenbarkeit nach Geb-Nr 55 Bema anerkannt hätte.
Mit diesen Ausführungen macht die Klägerin in der Sache geltend, das LSG sei ihrer Auffassung, daß Reimplantation iS der Nr 55 Bema nicht notwendig eine Implantation am gleichen Ort meine, zu Unrecht nicht gefolgt. Ungeachtet der Frage, ob der Vorsitzende des Berufungssenats - wie die Beschwerde ohne Bezug zum Inhalt der gerichtlichen Akten vorträgt - die Klägerin auch insoweit durch seine Äußerungen in der mündlichen Verhandlung an der Stellung eines sachgerechten Beweisantrags gehindert haben mag, liegt in der Nichteinholung eines Sachverständigengutachtens keine unzureichende Aufklärung durch das Gericht. Der von der Klägerin im Beschwerdeverfahren benannte Sachverständige könnte nach ihrem eigenen Vortrag dazu gehört werden, ob die Verpflanzung eines Zahnes von einer Stelle an eine andere Stelle im gleichen Gebiß seit Jahren zum zahnmedizinischen Standard gehört. Darauf kommt es jedoch - wie das LSG zutreffend ausgeführt hat - im Zusammenhang mit der Berechnungsfähigkeit einer Position der vertrags(zahn)ärztlichen Gebührenordnung nicht an. Für die Auslegung von Tatbeständen der Gebührenordnung ist deren Wortlaut, ggf unter Berücksichtigung des zahnmedizinischen Ablaufs, maßgeblich (vgl BSG SozR 3-5555 § 10 Nr 1 S 4). Es ist ausgeschlossen, unter Hinweis auf tatsächlich bestehende oder nur behauptete (zahn-)medizinisch-wissenschaftliche Auffassungen erweiterte Abrechnungsmöglichkeiten zu begründen (BSG SozR 3-5533 Geb-Nr 2449 Nr 1 S 3). Mithin ergibt sich aus den Ausführungen der Klägerin kein Verfahrensmangel, auf dem das Berufungsurteil im Sinne des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG "beruhen" kann.
Erfolglos ist auch das Vorbringen der Klägerin, Fragen von grundsätzlicher Bedeutung stünden zur Entscheidung an (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 SGG). Wegen grundsätzlicher Bedeutung ist die Revision nur zuzulassen, wenn die von der Beschwerde hinreichend deutlich bezeichnete Rechtsfrage in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig, dh ua auch über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist.
Bei der ersten von der Klägerin aufgeworfenen Rechtsfrage ist die Voraussetzung der Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) nicht gegeben. Zu der Frage, ob die Geb-Nr 55 Bema auch Verpflanzungen von Zähnen im gleichen Gebiß umfasse, legt sie dar, daß Verpflanzungen von Zähnen im gleichen Gebiß heute oft vorkämen. Die Zugrundelegung der Auffassung des LSG würde dazu führen, daß die Gebührenordnung als veraltet anzusehen wäre und der Bewertungsausschuß sie zu ergänzen hätte. Diese Darlegungen der Klägerin verdeutlichen, daß sie die Auffassung des LSG zugrunde legt, daß die Geb-Nr 55 nach ihrem Wortsinn Zahnverpflanzungen nicht mitumfaßt. Sie will lediglich das rechtspolitische Bedürfnis nach einer Ergänzung der Gebührenordnung festgestellt wissen. Hierzu indessen würde in dem mit der Beschwerde angestrebten Revisionsverfahren keine Aussage getroffen werden; denn das BSG würde sich, entsprechend der Aufgabe der Gerichte, die Rechtsanwendung zu überprüfen, auf die Heranziehung der oben dargelegten Grundsätze zur Auslegung von Gebührentatbeständen (vgl BSG SozR 3-5555 § 10 Nr 1 S 4; SozR 3-5533 Geb-Nr 2449 Nr 1 S 3) beschränken. Anhaltspunkte dafür, daß es dabei zu einem anderen Auslegungsergebnis als dem des LSG kommen könnte, sind nicht erkennbar und auch nicht von der Klägerin geltend gemacht worden.
Hinsichtlich der zweiten von ihr als grundsätzlich bedeutsam angesehenen Frage ist die Beschwerde unzulässig. Sie betrifft insoweit die Frage, ob die Vergütung nach den Geb-Nrn 32 und 35 Bema beansprucht werden könne, wenn bei vorher wurzelbehandelten Zähnen der Wurzelkanal lediglich mit einem Mikrokopfbohrer bis zu einer Tiefe von 4 mm retrograd aufbereitet und die Bohrung verfüllt werde. Sie macht geltend, die Geb-Nrn 32 und 35 Bema seien auch bei retrograden Wurzelkanalaufbereitungen und anschließenden -auffüllungen abrechenbar. Diese Methode habe sich schon lange bewährt und entspreche vom Aufwand her der orthograden Vorgehensweise. Das LSG gehe von einen unzutreffenden zahnmedizinischen Ablauf aus und lege die einzelnen Geb-Nrn falsch aus. Mit diesen Ausführungen beanstandet die Klägerin lediglich die vom LSG vorgenommene Auslegung der Geb-Nrn 32 und 35 Bema als unzutreffend. Die bloße Rüge fehlerhafter Subsumtion reicht indessen nicht aus, um eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache darzutun. Die Grundsätze, nach denen Vergütungstatbestände auszulegen sind, sind in der Rechtsprechung des BSG geklärt (vgl zB BSG SozR 3-5555 § 10 Nr 1 S 4; SozR 3-5533 Geb-Nr 2449 Nr 1 S 3). Aus der richtigen oder falschen Anwendung dieser Grundsätze auf einzelne Geb-Nrn kann sich eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht ergeben. Inwiefern sich dennoch Fragen grundsätzlicher Bedeutung stellen sollen, ist in der Beschwerdebegründung nicht entsprechend den Anforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG dargelegt.
Nach alledem hat die Nichtzulassungsbeschwerde keinen Erfolg und ist mit der Kostenfolge entsprechend § 193 Abs 1 und 4 SGG zurückzuweisen.
Fundstellen