Entscheidungsstichwort (Thema)
Revisionsnichtzulassungsbeschwerde. Beiordnung eines Notanwalts. Rüge eines Verfahrensmangels. Angebot einer eidlichen Parteivernehmung. Unzulässigkeit im sozialgerichtlichen Verfahren
Leitsatz (redaktionell)
Anders als bei der Bewilligung von Prozesskostenhilfe kommt es für die Beiordnung eines sog. Notanwalts zwar nicht darauf an, ob für die Rechtsverfolgung eine Erfolgsaussicht besteht, aber sie darf gleichwohl nicht aussichtslos erscheinen. Aussichtslosigkeit in diesem Sinn besteht, wenn ein günstigeres Ergebnis auch bei anwaltlicher Beratung ganz offenbar nicht erreicht werden kann.
Orientierungssatz
Eine eidliche Parteivernehmung ist im sozialgerichtlichen Verfahren unzulässig.
Normenkette
SGG §§ 103, 118 Abs. 1 S. 1; ZPO § 445
Verfahrensgang
Gründe
Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU). Einen ersten Antrag vom 24. März 1994 auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung hatte die Beklagte abgelehnt, weil zwar EU vorliege, aber die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Die hiergegen gerichtete Klage wies das Sozialgericht Bayreuth (SG) mit Urteil vom 17. Oktober 1995 im Wesentlichen mit dieser Begründung ab. Ein weiterer Antrag vom 20. März 1996 wurde wiederum abgelehnt; eine Erwerbsminderung bereits vor dem 1. Januar 1985 sei nicht nachzuweisen. Dieses Verfahren wurde durch Klagerücknahme vor dem SG beendet.
Mit Bescheid vom 22. Juli 2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 27. September 2002 lehnte die Beklagte den Überprüfungsantrag des Klägers vom 5. Februar 2002 ab. Mit Urteil vom 31. August 2005 hat das Bayerische Landessozialgericht (LSG) die Berufung des Klägers gegen das klageabweisende Urteil des SG zurückgewiesen, weil die Voraussetzungen für die Rücknahme des Bescheids vom 28. Oktober 1994 nicht vorlägen. Die vom Kläger vorgelegten Arztberichte aus dem Jahre 2001 könnten einen Leistungsfall vor dem 23. März 1994 nicht begründen.
Gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG hat der Kläger beim Bundessozialgericht (BSG) Beschwerde eingelegt und die Beiordnung eines Notanwalts beantragt.
Der Antrag des Klägers auf Beiordnung eines Rechtsanwalts zur Wahrnehmung seiner Rechte im Beschwerdeverfahren ist abzulehnen.
Nach § 78b Abs 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) iVm § 202 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) hat das Prozessgericht einer Partei auf ihren Antrag durch Beschluss für den Rechtszug einen Rechtsanwalt zur Wahrnehmung ihrer Rechte beizuordnen, wenn sie einen zu ihrer Vertretung bereiten Rechtsanwalt nicht findet und die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht mutwillig oder aussichtslos erscheint.
Es kann dahinstehen, ob der Kläger ausreichend dargelegt hat, dass er einen zu seiner Vertretung bereiten Rechtsanwalt nicht finden konnte bzw dass er sich hierum ausreichend bemüht hatte. Die Beiordnung eines Rechtsanwalts kommt vorliegend nicht in Betracht, weil die Rechtsverfolgung des Klägers aussichtslos erscheint.
Anders als bei der Bewilligung von Prozesskostenhilfe kommt es für die Beiordnung eines so genannten Notanwalts zwar nicht darauf an, ob für die Rechtsverfolgung eine Erfolgsaussicht besteht, aber sie darf gleichwohl nicht aussichtslos erscheinen (vgl Hartmann in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 60. Aufl, § 78b RdNr 5). Aussichtslosigkeit in diesem Sinne besteht, wenn ein günstigeres Ergebnis auch bei anwaltlicher Beratung ganz offenbar nicht erreicht werden kann (Vollkommer in Zöller, ZPO, 24. Aufl, § 78b RdNr 3 mwN).
Vorliegend bezieht sich die Aussichtslosigkeit der Rechtsverfolgung in gleichem Maße auf die Einlegung des allein zulässigen Rechtsmittels der Nichtzulassungsbeschwerde als auch auf den Erfolg in der Sache selbst, der Gewährung von Rente wegen EU. Es ist nicht zu erkennen, dass ein nach § 166 Abs 2 SGG zugelassener Prozessbevollmächtigter in der Lage wäre, eine Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers erfolgreich zu begründen bzw den Kläger in der Sache selbst erfolgreich zu vertreten.
Gemäß § 160 Abs 2 SGG ist die Revision nur zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1), das Urteil des LSG von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr 2) oder wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (Nr 3). Ein solcher Zulassungsgrund ist weder nach dem Vorbringen des Klägers noch nach Prüfung des Streitstoffes ersichtlich.
Es ist nicht erkennbar, dass eine Zulassung der Revision gegen das vom Kläger angegriffene Urteil auf § 160 Abs 2 Nr 1 SGG gestützt werden könnte. Grundsätzliche Bedeutung iS dieser Vorschrift hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung hat (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 11, 39). Die Frage muss außerdem klärungsbedürftig sein. Das ist grundsätzlich nicht der Fall, wenn die Antwort darauf von vornherein praktisch außer Zweifel steht (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 4) oder die Frage bereits höchstrichterlich entschieden ist (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 13, 65). Rechtsfragen, die in diesem Sinne grundsätzliche Bedeutung haben könnten, sind hier nicht ersichtlich. Zu den Leistungsvoraussetzungen von Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit - soweit diese sich nicht bereits zweifelsfrei aus dem Gesetz ergeben - besteht bereits eine umfangreiche Rechtsprechung des BSG (vgl dazu Niesel in Kasseler Komm, Ablegeordner, Anmerkungen zu §§ 43, 44 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch ≪SGB VI≫). Dasselbe gilt für die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Sozialleistungsträger gehalten ist, einen früheren, bindend gewordenen Bescheid gemäß § 44 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) aufzuheben (vgl hierzu die Übersicht bei Steinwedel in Kasseler Komm, SGB X, § 44 RdNr 4f mwN).
Des Weiteren ist nicht ersichtlich, dass der Zulassungsgrund der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) mit Erfolg geltend gemacht werden könnte. Divergenz (Abweichung) bedeutet Widerspruch im Rechtssatz oder - anders ausgedrückt - das Nichtübereinstimmen tragender abstrakter Rechtssätze, die den miteinander zu vergleichenden Entscheidungen zugrunde gelegt worden sind. Sie kommt nur dann in Betracht, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem vorhandenen abstrakten Rechtssatz des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG aufgestellt hat (vgl Meyer-Ladewig in ders/Keller/Leitherer, SGG-Komm, 8. Aufl 2005, RdNr 13 zu § 160; Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 1990, RdNr 163f). Davon kann vorliegend nicht ausgegangen werden.
Schließlich lässt sich auch kein Verfahrensmangel feststellen, der gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG zur Zulassung der Revision führen könnte. Nach Halbsatz 2 dieser Bestimmung kann der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Ein derartiger Beweisantrag, den das Berufungsgericht unter Verstoß gegen die Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG) übergangen haben könnte, ist hier nicht ersichtlich. Zwar trägt der Kläger vor, er habe seine (eidliche) Parteivernehmung angeboten, dies sei vom LSG jedoch abgelehnt worden. Mit diesem Vorbringen kann er aber einen Verfahrensfehler schon deshalb nicht aufzeigen, weil eine eidliche Parteivernehmung im sozialgerichtlichen Verfahren unzulässig ist (vgl hierzu Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl 2005, § 103 RdNr 12 mwN). Abgesehen davon wäre die Vernehmung des Klägers zum Nachweis des Vorliegens der medizinischen Voraussetzungen der EU ein untaugliches Beweismittel.
Im Übrigen besteht auch in der Sache selbst keinerlei Aussicht auf Erfolg. Mit den vom Kläger vorgelegten Arztunterlagen aus dem Jahre 2001 lässt sich der Eintritt der EU bereits zu einem Zeitpunkt, in dem die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen noch gegeben waren (1. Januar 1985 oder jedenfalls zu einem Zeitpunkt vor dem 24. März 1994), in keiner Weise nachweisen. Nach Aktenlage sind die Möglichkeiten der Sachaufklärung erschöpft. Damit scheidet die Gewährung einer Rente wegen EU für den Kläger wegen der fehlenden versicherungsrechtlichen Voraussetzungen aus.
Die vom Kläger persönlich gegen das Urteil des LSG eingelegte Beschwerde ist bereits deshalb unzulässig, weil sie nicht durch einen vor dem BSG zugelassenen Prozessbevollmächtigten (vgl § 166 SGG) eingelegt worden ist. Die Verwerfung der unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 3 SGG ohne Hinzuziehung ehrenamtlicher Richter.
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen