Verfahrensgang

SG Reutlingen (Entscheidung vom 16.10.2018; Aktenzeichen S 2 R 1476/17)

LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 25.10.2019; Aktenzeichen L 8 BA 449/19)

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin zu 1. gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 25. Oktober 2019 wird als unzulässig verworfen. Die Klägerin zu 1. trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5000 Euro festgesetzt.

 

Gründe

I

In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit wendet sich die klagende GmbH gegen die Feststellung von Versicherungspflicht in der Zeit vom 14.3.2016 bis zum 31.10.2017 aufgrund der Beschäftigung des Klägers. Die Klägerin ist ein EDV-Unternehmen, das ua die Betreuung von EDV-Programmen für Kunden übernimmt. Der Kläger, der zunächst als Gesellschafter-Geschäftsführer der Klägerin tätig war, ist seit 1.3.2015 mit einem eigenen EDV-Unternehmen tätig. Auch nach seinem Ausscheiden betreut er einen von ihm angeworbenen Kunden der Klägerin auf der Grundlage eines Wartungsvertrags zwischen ihm und der Klägerin weiter. Danach hat er Telefon-, Remote- und Vor-Ort-Support mit fünf Terminen pro Monat in der Betriebsstätte des Kunden wahrzunehmen. Im Statusfeststellungsverfahren stellte die Beklagte fest, dass diese Tätigkeit im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses erfolge und der Kläger der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung unterliege (Bescheid vom 1.12.2016; Widerspruchsbescheid vom 17.5.2017). Klage und Berufung dagegen sind ohne Erfolg geblieben (Urteil SG Reutlingen vom 16.10.2018; Urteil LSG Baden-Württemberg vom 25.10.2019). Das LSG hat im Rahmen einer Gesamtabwägung der Umstände festgestellt, dass die Indizien und Aspekte, die für eine abhängige Beschäftigung sprächen, überwögen. Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des LSG.

II

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der angefochtenen Entscheidung des LSG ist als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG). Die Klägerin hat entgegen § 160a Abs 2 Satz 3 SGG die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG), der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) und des Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) nicht hinreichend dargelegt oder bezeichnet.

1. Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG bedeutet Widerspruch im Rechtssatz, nämlich das Nichtübereinstimmen tragender abstrakter Rechtssätze, die zwei Urteilen zugrunde gelegt sind. Eine Abweichung liegt nicht schon dann vor, wenn das Urteil eine höchstrichterliche Entscheidung unrichtig ausgelegt oder das Recht unrichtig angewendet hat, sondern erst, wenn das LSG Kriterien, die eines der in der Norm genannten Gerichte aufgestellt hat, widersprochen, also andere Maßstäbe entwickelt hat. Das LSG weicht damit nur dann iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG von einer Entscheidung ua des BSG ab, wenn es einen abstrakten Rechtssatz aufstellt, der der zum selben Gegenstand gemachten und fortbestehenden aktuellen abstrakten Aussage des BSG entgegensteht und dem Berufungsurteil tragend zugrunde liegt. Die Beschwerdebegründung muss deshalb erkennen lassen, welcher abstrakte Rechtssatz in den genannten höchstrichterlichen Urteilen enthalten ist und welcher im Urteil des LSG enthaltene Rechtssatz dazu im Widerspruch steht sowie, dass die Entscheidung hierauf beruhen kann (stRspr; ua BSG Beschluss vom 1.8.2016 - B 12 R 19/15 B - juris RdNr 5).

Insoweit genügt es nicht darauf hinzuweisen, dass das LSG seiner Entscheidung nicht die höchstrichterliche Rechtsprechung zugrunde gelegt hätte. Nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Zulassung der Revision wegen Divergenz. Sie liegt daher nicht schon dann vor, wenn das angefochtene Urteil nicht den Kriterien entsprechen sollte, die das BSG, der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder das BVerfG entwickelt hat, sondern erst dann, wenn das LSG diesen Kriterien auch widersprochen, also andere rechtliche Maßstäbe bei seiner Entscheidung herangezogen hat (vgl BSG Beschlüsse vom 12.5.2005 - B 3 P 13/04 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 6 RdNr 5 und 16.7.2004 - B 2 U 41/04 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 4 RdNr 6, jeweils mwN).

Eine solche Abweichung hat die Klägerin nicht dargetan. Sie behauptet eine Divergenz zu dem Urteil des Senats vom 4.9.2018 - B 12 KR 11/17 R(BSGE 126, 235 = SozR 4-2400 § 7a Nr 19 RdNr 22, 23).

a. Nach dieser Entscheidung seien anderweitige Tätigkeiten in relevantem Umfang für andere Auftraggeber ein Indiz für eine ganz erhebliche Dispositionsfreiheit. Dies folge bereits daraus, dass sie die zeitliche Verfügbarkeit des Auftragnehmers erheblich einschränken würden. Daraus schließt die Klägerin, das LSG hätte feststellen müssen, in welchem Umfang der Kläger für andere Auftraggeber tätig gewesen sei und wie sich dies auf seine Tätigkeit für die Klägerin ausgewirkt habe.

Das LSG habe demgegenüber ausgeführt:

"Eine abhängige Beschäftigung ist grundsätzlich neben einer selbstständig ausgeübten Tätigkeit möglich; die Ausübung einer selbstständigen Tätigkeit schließt im Umkehrschluss gerade eine abhängige Beschäftigung im selben Berufsfeld nicht aus. Daher geht der Hinweis der Kläger, ihr Bevollmächtigter kenne nur abhängig Beschäftigte mit maximal einem Nebenjob bzw. die Anzahl der Nebenjobs sei auf 1 bis höchstens 3 begrenzt, fehl."

Das LSG habe damit entgegen dem Urteil des BSG abgeleitet, dass die Anzahl der Vertragsverhältnisse und darüber hinaus deren zeitlicher Umfang für die Beurteilung einer abhängigen Beschäftigung im Rahmen eines Vertragsverhältnisses ohne Bedeutung sei.

Mit diesem Vorbringen hat die Klägerin keine abstrakten widersprechenden Rechtssätze herausgearbeitet. Sie bewertet die Aussagen des LSG nach eigener Deutung und legt eine vom Berufungsgericht nicht gezogene rechtliche Schlussfolgerung zugrunde. Auch ein Widerspruch im Grundsätzlichen ist nicht erkennbar. Denn nach den zitierten Aussagen hat weder das BSG festgestellt, dass die Tätigkeit für andere Auftragnehmer stets zur Annahme einer Selbstständigkeit führen würde, noch das LSG das Gegenteil behauptet, dass dies nie von Bedeutung sein könne. Die Klägerin verfolgt daher im Wesentlichen eine bloße Subsumtionsrüge, die im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren unbeachtlich ist (vgl BSG Beschluss vom 19.3.2015 - B 12 KR 16/14 B - juris RdNr 12). Soweit sie auf mangelnde Feststellungen des LSG abzielt, erhebt sie im Grunde eine Sachaufklärungsrüge (§ 103 SGG), ohne jedoch deren formale Voraussetzung - die Benennung eines bis zuletzt aufrecht erhaltenen Beweisantrags (vgl § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG) - zu erfüllen.

Außerdem mangelt es an ausreichenden Darlegungen dazu, dass das Urteil des LSG auf der behaupteten Abweichung beruhe. Zwar macht die Klägerin pauschal geltend, ohne die gerügten Abweichungen hätte das LSG im Rahmen seiner Gesamtabwägung der für und gegen eine abhängige Beschäftigung sprechenden Merkmale zu einem anderen Ergebnis gelangen müssen, jedoch unterbleibt die erforderliche Auseinandersetzung mit der Gewichtung dieser Merkmale durch das LSG im Einzelfall. Zudem führt sie auch nicht aus, inwiefern die Tätigkeiten für andere Auftragnehmer hier tatsächlich relevante Auswirkungen auf die hier zu beurteilende Tätigkeit gehabt hätten, zumal deren eingeschränkter zeitlicher Umfang sich von vornherein aus dem Wartungsvertrag ergibt.

b. Die Klägerin macht außerdem geltend, das LSG habe die Eingliederung in ihre Arbeitsorganisation bejaht und dies vor allem mit der vereinbarten Ruf- und Remote-Bereitschaft des Klägers begründet. Damit habe das LSG "gegen das Urteil des BSG verstoßen" (Urteil vom 4.9.2018 - B 12 KR 11/17 R - aaO), wonach allein die organisatorische Einbindung von Aufgaben in einem Betrieb noch nicht die Stellung als abhängig Beschäftigter begründe. Entscheidend sei, ob die Gestaltung der gegenseitigen Beziehung noch einen für eine selbstständige Tätigkeit der betreffenden Art typischen Freiraum lasse. Dies habe das LSG aber noch nicht einmal geprüft.

Auch insoweit zeigt die Klägerin nicht auf, dass das LSG seiner Entscheidung grundlegend andere, von der Rechtsprechung des BSG abweichende abstrakte Rechtssätze zugrunde gelegt hätte. Sie behauptet vielmehr Fehler und Abweichungen bei der konkreten Rechtsanwendung, die jedoch nicht zur Zulassung der Revision führen können.

2. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine abstrakt-generelle Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - allgemeine Bedeutung hat und aus Gründen der Rechtseinheit oder der Rechtsfortbildung einer Klärung durch das Revisionsgericht bedarf (Klärungsbedürftigkeit) und fähig (Klärungsfähigkeit) ist. Mit der Beschwerdebegründung ist daher aufzuzeigen, welche rechtliche Frage sich zu einer bestimmten Norm des Bundesrechts iS des § 162 SGG stellt. Hierzu ist anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung und des Schrifttums auszuführen, weshalb eine Klärung erforderlich und im angestrebten Revisionsverfahren zu erwarten ist. Schließlich ist darzulegen, dass der angestrebten Entscheidung eine über den Einzelfall hinausgehende Breitenwirkung zukommt (vgl BSG Beschluss vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17 mwN).

Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht. Die Klägerin stellt die Fragen,

a. "Begründet die Untervergabe von Dienstleistungsverträgen, die keinen konkreten Arbeitsauftrag oder einen konkret geschuldeten Leistungserfolg beinhalten an natürliche Personen ohne Arbeitnehmer (sogenannte Solo-Selbstständige) eine Weisungsabhängigkeit gegenüber dem Auftraggeber und damit regelmäßig dessen Arbeitnehmerstatus?"

b. "Ist bei Vereinbarung einer Rufbereitschaft im Sinne eines Telefon- und Remote-Supports stets die Eingliederung des Auftraggebers in die Arbeitsorganisation des Auftraggebers zu bejahen?"

"Können eine unabhängig von der Rechtsform des Auftragnehmers und der Anzahl von dessen Beschäftigten erfolgende Einbindung in das Informations- und Datennetz des Auftraggebers oder von Rechtsform und der Anzahl von Beschäftigten des Auftragnehmers unabhängige Anordnungen oder eine unabhängig von der Rechtsform des Auftragnehmers und der Anzahl seiner Beschäftigten erfolgende Zusammenarbeit mit Personal des Auftraggebers als Indiz für die Eingliederung in den Betrieb des Auftraggebers oder Ausfluss des Direktionsrechts gewürdigt werden?"

c. "Ist die Vergütungshöhe bei der Gesamtwürdigung stets als gewichtiges Indiz für eine selbstständige Tätigkeit zu berücksichtigen, wenn sie deutlich über dem Arbeitsentgelt eines vergleichbar eingesetzten sozialversicherungspflichtigen/abhängig Beschäftigten liegt und dadurch Eigenvorsorge zulässt?"

Es kann dahinstehen, ob die Klägerin damit überhaupt abstrakt-generelle Rechtsfragen zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts (§ 162 SGG) formuliert hat oder vielmehr das Ergebnis eines konkreten Einzelfalls verallgemeinernd in Frageform kleidet. Insbesondere bei den Fragen a und b geht es der Klägerin letztlich um die Wertung und Schlussfolgerungen des LSG aus den konkreten Umständen des Einzelfalls. Denn diese hat das LSG - wie die Klägerin selbst dargestellt hat - insbesondere aus der Gestaltung des konkreten Wartungsvertrags abgeleitet. Die Würdigung der Tatsachen im Einzelfall (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG) ist jedoch mit der Nichtzulassungsbeschwerde nicht angreifbar (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG).

Die Klägerin hat die Klärungsbedürftigkeit sowie Breitenwirkung nicht hinreichend dargelegt. Sie setzt sich bei ihren Fragen nach der Relevanz von einzelnen Gegebenheiten insbesondere nicht mit der erforderlichen Gesamtschau der jeweiligen Umstände (zB BSG Urteil vom 31.3.2015 - B 12 KR 17/13 R - juris RdNr 27) auseinander und untersucht auch nicht - wie erforderlich (vgl BSG Beschluss vom 30.8.2016 - B 2 U 40/16 B - SozR 4-1500 § 183 Nr 12 RdNr 7 mwN; s auch BSG Beschluss vom 28.11.2018 - B 12 R 34/18 B - juris RdNr 6) -, ob der umfangreichen höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Weisungsabhängigkeit (vgl ua zum Verhältnis von vertraglichen Rahmenbedingungen und arbeitskraftbezogenen Einzelweisungen BSG Urteil vom 14.3.2018 - B 12 KR 3/17 R - SozR 4-2400 § 7 Nr 33 RdNr 15; BSG Urteil vom 12.2.2004 - B 12 KR 26/02 R - juris RdNr 29; BSG Urteil vom 4.4.1979 - 12 RK 37/77 - juris RdNr 15) und zur Eingliederung in den Betrieb bereits ausreichende Anhaltspunkte zur Beantwortung ihrer Fragen zu entnehmen sind. Bei Frage c geht sie nicht auf die individuelle Bedeutung der Vergütungshöhe ein, die nach der Rechtsprechung des BSG zwar bei der Gesamtwürdigung zu berücksichtigen (vgl BSG Urteil vom 31.3.2017 - B 12 R 7/15 R - BSGE 123, 50 = SozR 4-2400 § 7 Nr 30, RdNr 50-52), wegen des Grundsatzes der Solidarität aber eingeschränkt ist (BSG Urteil vom 4.6.2019 - B 12 R 11/18 R - SozR 4-2400 § 7 Nr 42 RdNr 36 f, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen).

3. Soweit die Klägerin geltend macht, dass das LSG keine ausreichenden Feststellungen zu den tatsächlichen Verhältnissen getroffen habe, hat sie einen Verfahrensmangel nicht hinreichend bezeichnet (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Eine Sachaufklärungsrüge hätte die - hier nicht erfolgte - Benennung eines Beweisantrags erfordert (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG). Dass die Klägerin mit der Auswertung und Würdigung des Sachverhalts nicht einverstanden ist oder die angegriffene Entscheidung für rechtsfehlerhaft hält, begründet die Zulassung der Revision nicht.

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 154 Abs 2 und 3, § 162 Abs 3 VwGO. Beschwerdeführerin ist nur die nicht gemäß § 183 SGG kostenprivilegierte Klägerin.

5. Die Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren folgt aus § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 52 Abs 3, § 47 Abs 1 Satz 1 und Abs 3 sowie § 63 Abs 2 Satz 1 GKG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI13976042

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