Entscheidungsstichwort (Thema)
Künstlersozialversicherung. Beitragsbemessung. gemischte Tätigkeit. Zulassung der Sprungrevision durch SG. keine Verpflichtung des LSG zur Zulassung der Revision
Leitsatz (amtlich)
1. Die Zulassung der Sprungrevision durch das SG verpflichtet das LSG bei gleichwohl durchgeführtem Berufungsverfahren nicht zur Zulassung der Revision.
2. Zur Frage der Beitragsbemessung in der Künstlersozialversicherung bei einer gemischten Tätigkeit.
Stand: 24. Oktober 2002
Normenkette
KSVG §§ 2, 4, 12, 15, 20, 24 Abs. 1 Nr. 9; KSVGDV § 2; AVG § 2 Abs. 1 Nr. 4, § 112 Abs. 3 Buchst. b; RVO § 1385 Abs. 3 Buchst. b; SGB VI § 165 Abs. 1 S. 1 Nr. 3; SGG §§ 144, 160 Abs. 2 Nr. 1, § 161 Abs. 2 S. 2, § 202; ZPO § 536
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches LSG (Urteil vom 20.02.1996; Aktenzeichen L 1 Kr 52/95) |
SG Itzehoe (Entscheidung vom 15.06.1995; Aktenzeichen S 9 Kr 72/93) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 20. Februar 1996 wird zurückgewiesen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Beteiligten streiten über die Höhe der von dem Kläger nach § 15 des Künstlersozialversicherungsgesetzes (KSVG) an die beklagte Künstlersozialkasse zu zahlenden Beitragsanteile zur gesetzlichen Rentenversicherung für die Zeit vom 5. März 1990 bis zum 31. Dezember 1991. Die Beklagte hat nur das Einkommen des Klägers aus seiner Tätigkeit als selbständiger Publizist für beitragspflichtig erachtet, nicht aber seine Einkünfte, die er als Rechtsanwalt und als nicht beamteter Hochschullehrer erzielt hat (undatierte Bescheide von Februar 1992 für das Jahr 1990 und von April 1992 für das Jahr 1991; Widerspruchsbescheid vom 30. Juni 1993). Der Kläger, der seit dem 1. Januar 1992 von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte eine Regelaltersrente bezieht, sieht sein gesamtes Jahreseinkommen aus allen drei Betätigungen, die untrennbar miteinander verbunden seien, als nach § 15 KSVG beitragspflichtig an. Das Sozialgericht (SG) Itzehoe hat die Klage abgewiesen, dabei aber die Sprungrevision nach § 161 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zugelassen (Urteil vom 15. Juni 1995). Der Kläger hat das Urteil nicht mit der Sprungrevision, sondern mit der Berufung angefochten, die beim Eingreifen der Berufungsausschließungsgründe des § 144 SGG durch die Rechtsmittelentscheidung des SG konkludent zugleich zugelassen wurde (BSG SozR 1500 § 150 Nrn 13, 21; Meyer-Ladewig, Komm zum SGG, 5. Aufl 1993, § 161 RdNr 2 mwN). Das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen (Urteil vom 20. Februar 1996).
Die gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG gerichtete Beschwerde des Klägers ist unbegründet.
1. Die Rüge des Klägers, die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht verstoße gegen das Verschlechterungsverbot und sei deshalb verfahrensfehlerhaft (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), ist unbegründet. Eine „Verschlechterung” ist schon deswegen nicht gegeben, weil die Sprungrevision nur mit schriftlicher Zustimmung des Gegners eingelegt werden darf (§ 161 Abs 1 SGG); eine solche Zustimmungserklärung ist von der Beklagten nicht erteilt worden. Im übrigen gilt das für das Berufungsverfahren aus § 202 SGG iVm § 536 der Zivilprozeßordnung (ZPO) folgende Verschlechterungsverbot nur für den Ausspruch des angefochtenen erstinstanzlichen Urteils zur Hauptsache, nicht aber für die prozessualen Nebenentscheidungen. Dazu gehören zB die Kostenentscheidung nach § 193 SGG und die Entscheidung über die Zulassung eines Rechtsmittels. Das Berufungsgericht ist an die in der Zulassung der Berufung nach § 144 Abs 2 Nr 1 SGG und in der Zulassung der Sprungrevision nach § 161 SGG iVm § 160 Abs 2 Nr 1 SGG zum Ausdruck kommende Wertung des SG, der Rechtssache komme grundsätzliche Bedeutung zu, nicht gebunden. Es hat eigenständig zu prüfen, ob die Revision gegen sein Urteil wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 160 Abs 2 Nr 1 SGG zuzulassen ist. Die vom Kläger angesprochene Bindungswirkung der erstinstanzlichen Entscheidung über die Zulassung der Berufung (§ 144 Abs 3 SGG) bzw der Sprungrevision (§ 161 Abs 2 Satz 2 SGG) beschränkt sich darauf, daß das vom Rechtsmittelführer angerufene Gericht die Zulassungsentscheidung für das Berufungsverfahren bzw das Sprungrevisionsverfahren hinzunehmen und nicht zu prüfen hat, ob das SG die Frage der grundsätzlichen Bedeutung zu Recht bejaht hat (Meyer-Ladewig, § 144 SGG RdNr 43 mwN und § 161 SGG RdNr 8 mwN). Die Bindungswirkung erstreckt sich aber nicht auf die nach § 160 Abs 1 SGG vom LSG zu treffende Entscheidung, ob es die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache oder wegen eines anderen Revisionsgrundes zuläßt oder ob derartige Gründe nicht vorliegen. Darüber hinaus wird die Zulassung einer Sprungrevision auch dadurch gegenstandslos, daß der Rechtsmittelführer die damit zugleich zugelassene Berufung wählt und die Frist für die Einlegung des Rechtsmittels abläuft. Nach Ablauf der Rechtsmittelfrist ist ein Übergang von der Berufung auf die – auch in diesem Fall stets eine Zustimmung des Gegners erfordernde (§ 161 Abs 1 SGG) – Sprungrevision ausgeschlossen (Meyer-Ladewig, § 161 SGG RdNr 9).
Damit steht zugleich fest, daß der Frage zum Recht des LSG, trotz Zulassung der Sprungrevision durch das SG die Revision nicht zuzulassen, keine grundsätzliche Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) zukommt.
2. Auch in materieller Hinsicht kommt der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung zu. Der Kläger hat dazu vorgetragen, das LSG habe bei der Anwendung des § 15 KSVG verkannt, daß es eine Reihe von Berufen gebe, die nur als Einheit mehrerer Tätigkeiten vorstellbar seien. Einen solchen Beruf übe auch er aus. Die erfolgreiche Arbeit als Publizist sei nur mit Hilfe der speziellen Kenntnisse und beruflichen Resultate, die er als Rechtsanwalt und Hochschullehrer gewinne, zu erreichen. Alle drei Tätigkeitsbereiche seien untrennbar miteinander verbunden; dies gelte somit auch für die aus den einzelnen Tätigkeitsfeldern resultierenden Einkünfte. Sie seien deshalb vollständig dem inhaltlichen Schwerpunkt seiner Tätigkeit, der Publizistik, zuzuordnen.
Der vom Kläger damit als kärungsbedürftig angesehenen Rechtsfrage, ob bei untrennbarer Tätigkeit auch die Einkünfte nicht getrennt werden dürfen, kommt schon deswegen keine grundsätzliche Bedeutung zu, weil sie bereits nach dem Gesetz eindeutig iS des LSG zu beantworten ist. Das Gesetz bindet die Beitragspflicht zur Rentenversicherung in § 15 KSVG iVm § 112 Abs 3 Buchst b und § 2 Abs 1 Nr 4 des Angestelltenversicherungsgesetzes (für die Zeit ab 1. Januar 1992: § 15 KSVG iVm § 165 Abs 1 Satz 1 Nr 3 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch) an das voraussichtliche Jahresarbeitseinkommen iS des § 12 KSVG und damit an das Jahreseinkommen, das der Künstler oder Publizist „aus der Tätigkeit als selbständiger Künstler und Publizist erzielt”. Hiernach kommt es im Falle mehrer Tätigkeitsbereiche für die Anwendung des KSVG allein darauf an, ob die erzielten Entgelte der künstlerischen oder publizistischen Tätigkeit zugeordnet werden können, nicht aber darauf, ob diese auch ohne die anderen Tätigkeitsbereiche ausgeübt werden kann.
Von der Beitragspflicht der versicherten selbständigen Künstler und Publizisten zur gesetzlichen Rentenversicherung nach § 15 KSVG werden grundsätzlich nur Einkünfte aus der künstlerischen und publizistischen Tätigkeit erfaßt. Diese Frage ist nicht umstritten (vgl Brachmann in Finke/Brachmann/Nordhausen, Komm zum KSVG, 2. Aufl 1992, § 15 RdNrn 8 ff). Nur für die Bestimmung des Höchstbeitrags sind bei gleichzeitiger Ausübung einer rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung die Einkünfte aus beiden Tätigkeitsbereichen zusammenzuzählen (Brachmann, aaO, RdNr 23); hierbei ist allerdings zu beachten, daß die Versicherungspflicht nach dem KSVG entfallen sein kann (vgl § 4 Nr 2 KSVG). Bei der Berechnung des von der Künstlersozialkasse zu tragenden Beitragsanteils bleibt die abhängige Beschäftigung unberücksichtigt. Eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung hat der Kläger in der fraglichen Zeit jedoch nicht ausgeübt. Maßgebend für seine Beitragspflicht zur gesetzlichen Rentenversicherung nach § 15 KSVG sind deshalb allein seine Einkünfte aus publizistischer Tätigkeit. Diese Einkünfte lassen sich ohne weiteres von denen unterscheiden, die der Kläger als Rechtsanwalt oder Hochschullehrer erzielt. Die Zuordnung der Zahlungen an den Kläger erfolgt nach den zugrundeliegenden Rechtsverhältnissen und der zahlenden Person oder Einrichtung (zB Verlag, Hochschule, Mandant). Von daher brauchte das LSG auch nicht dem Vorbringen des Klägers näher nachzugehen, die von ihm ausgeübten Tätigkeiten seien untrennbar miteinander verbunden, seine Tätigkeiten als Rechtsanwalt und Hochschullehrer seien mit Blick auf die dabei gewonnenen Kenntnisse und Materialien gleichsam die Voraussetzung dafür, daß er sich auf seinem Spezialgebiet Natur- und Tierschutzrecht publizistisch betätigen könne.
3. Die Beschwerde wendet sich nicht gegen die Rechtsansicht des LSG, die Tätigkeit des Klägers als Hochschullehrer sei ihrerseits nicht als publizistische Betätigung iS des § 2 KSVG anzusehen. Die Beschwerde wirft insbesondere nicht die Frage auf, ob jede Lehrtätigkeit eine publizistische Tätigkeit sein kann oder ob eine solche die Inanspruchnahme der Massenmedien voraussetzt, also nur beim Schreiben eines Lehrbuches oder bei Unterricht über Rundfunk und Fernsehen erfüllt ist. Für eine derartige Einschränkung spricht, daß die üblichen Vermarkter des gesprochenen Worts außerhalb des künstlerischen Bereichs in § 24 KSVG nicht genannt sind (zB Einrichtungen der allgemeinen und der beruflichen Bildung außerhalb des „Kunst- und Publizistikunterrichts”; politische Einrichtungen). Deshalb bedarf es keiner Entscheidung dazu, ob es sich bei der Frage, in welchem Umfang die Lehrtätigkeit eines Publizisten zugleich publizistische Tätigkeit sein kann, um eine klärungsbedürftige Frage von grundsätzlicher Bedeutung handelt. An dieser Stelle mag der Hinweis genügen, daß der Gesetzgeber nur Ausbildungseinrichtungen für künstlerische oder publizistische Tätigkeiten (§ 24 Abs 1 Nr 9 KSVG), nicht aber allgemein Schulen, Hochschulen, Universitäten oder sonstige Ausbildungsstätten zu den abgabepflichtigen Unternehmen zählt und der Verordnungsgeber in der Verordnung zur Durchführung des KSVG (KSVGDV) vom 23. Mai 1984 (BGBl I S 709) nur Lehrtätigkeiten im Bereich „bildende Kunst” (§ 2 Abs 2 Nr 14 KSVGDV), im Bereich „Musik” (§ 2 Abs 3 Nr 17 KSVGDV) und im Bereich „darstellende Kunst” (§ 2 Abs 4 Nrn 12, 13 KSVGDV), also nur Lehrtätigkeiten von Künstlern, den nach dem KSVG versicherten Tätigkeiten zurechnet, nicht aber Lehrtätigkeiten von Publizisten. In dem die gesamte Bandbreite der Publizistik abdeckenden Bereich „Wort” iS des § 2 Abs 1 KSVGDV (Urteil des erkennenden Senats vom 27. März 1996 – 3 RK 10/95 – zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen), sind lehrende publizistische Betätigungen nicht aufgeführt. Dies dürfte darauf beruhen, daß die Lehrtätigkeit von selbständigen Publizisten, soweit sie an Ausbildungseinrichtungen für Publizistik erfolgt, ungeachtet deren grundsätzlicher Einbeziehung in den Kreis abgabepflichtiger Unternehmen (§ 24 Abs 1 Nr 9 KSVG) nach allgemeiner Auffassung keine publizistische Tätigkeit ist (Brachmann, aaO, § 24 RdNr 117).
4. Die Frage der Beitragspflicht des Klägers zur gesetzlichen Rentenversicherung in der hier fraglichen Zeit vom 5. März 1990 bis zum 31. Dezember 1991 richtet sich nach den §§ 15 und 20 KSVG idF des Art 1 Nr 4 des Gesetzes vom 20. Dezember 1988 (BGBl I S 2606), das am 1. Januar 1989 in kraft getreten ist. Spätere Änderungen des KSVG sind insoweit nicht einschlägig. Die Rüge des Klägers, das LSG habe zu Unrecht die sich aus dem Änderungsgesetz vom 20. Oktober 1988 ergebende Fassung des KSVG der Entscheidung zugrunde gelegt, geht daher fehl.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
SozR 3-5425 § 15, Nr. 1 |
Breith. 1997, 385 |
SozSi 1997, 198 |
SozSi 1997, 200 |