Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 25. Oktober 2000 wird zurückgewiesen.
Die Kläger haben die außergerichtlichen Kosten der Beklagten auch für das Beschwerdeverfahren als Gesamtschuldner zu erstatten.
Tatbestand
I
Die als Kinderarzt (Kläger zu 1.) bzw Ärztin (Klägerin zu 2.) in einer Gemeinschaftspraxis zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Kläger wenden sich gegen Bescheide der beklagten Kassenärztlichen Vereinigung, mit denen ihnen im Quartal II/1997 46 mal das Honorar für eine Leistung nach Nr 19 des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs für vertragsärztliche Leistungen (EBM-Ä) gestrichen worden ist, die sie bei der Behandlung von Kindern angesetzt hatten. Danach wird die „Erhebung der Fremdanamnese, ggf bei mehreren Personen, über einen psychisch, hirnorganisch oder krankheitsbedingt erheblich kommunikationsgestörten Kranken (zB Taubheit/Sprachverlust) und/oder Unterweisung und Führung der entsprechenden Bezugsperson(en), einmal im Behandlungsfall” mit 500 Punkten honoriert. Die Beklagte ist der Auffassung, die von den Klägern angegebenen Diagnosen ließen nicht erkennen, daß es sich jeweils um psychisch, hirnorganisch oder krankheitsbedingt erheblich kommunikationsgestörte Kinder gehandelt habe; die noch nicht vorhandene Kommunikationsfähigkeit eines Kindes aufgrund der altersbedingten Entwicklung sei nicht krankheitsbedingt und erfülle damit nicht den Leistungsinhalt der Nr 19 EBM-Ä.
Widerspruch, Klage und Berufung sind erfolglos geblieben. Das Landessozialgericht (LSG) hat unter Hinweis auf sein Urteil vom 15. September 1999 – L 5 KA 316/99 – ausgeführt, die Leistung nach Nr 19 EBM-Ä habe in jeder Variante zur Voraussetzung, daß ein seinem Alter nach grundsätzlich der verbalen Kommunikation ausreichend mächtiger Patient an Kommunikationsstörungen leide. Die Nr 19 EBM-Ä sei nicht berechnungsfähig, wenn sich ein Kleinkind wegen des altersbedingt fehlenden Artikulationsvermögens zu krankheitsbedingten Beschwerden nicht äußern könne.
Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision machen die Kläger die grundsätzliche Bedeutung der zu entscheidenden Rechtsfrage (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫), die Abweichung der Entscheidung des LSG von verschiedenen Urteilen des Bundessozialgerichts ≪BSG≫ (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 2 SGG) sowie Verfahrensfehler (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG) geltend.
Entscheidungsgründe
II
Die Beschwerde ist teilweise unzulässig und im übrigen unbegründet.
Soweit die Kläger eine Divergenz zwischen den das Urteil tragenden Ausführungen des LSG und der Rechtsprechung des BSG zur Auslegung der vertragsärztlichen Gebührenordnung rügen, ist die Beschwerde unzulässig. Ihre Begründung entspricht insoweit nicht den gesetzlichen Anforderungen.
Wird eine Rechtsprechungsabweichung iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG geltend gemacht, so ist die behauptete Divergenz entsprechend den Anforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG durch Gegenüberstellung miteinander unvereinbarer Rechtssätze im Berufungsurteil und in einer höchstrichterlichen Entscheidung iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG zu bezeichnen. Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht. Sie rügt lediglich, das Berufungsgericht habe die Rechtsauffassung des BSG, bei der Auslegung der Gebührenordnung sei in erster Linie der Wortlaut der Leistungslegende maßgeblich, nicht hinreichend beachtet, und sein Entscheidungsergebnis sei mit dem Wortlaut der Leistungslegende der Nr 19 EBM-Ä unvereinbar. Welchen Rechtssatz das LSG zur Auslegung des EBM-Ä aufgestellt haben könnte und inwieweit dieser mit abstrakten Rechtssätzen der Rechtsprechung des Senats in Widerspruch stehen könnte, läßt sich der Beschwerdebegründung nicht entnehmen. Mit dem Vorwurf einer unzureichenden Beachtung der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist eine Divergenz iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG nicht hinreichend dargelegt.
Soweit die Kläger die grundsätzliche Bedeutung der zu entscheidenden Rechtsfragen geltend machen, ist die Beschwerde unbegründet. Wegen grundsätzlicher Bedeutung ist die Revision nur zuzulassen, wenn die von der Beschwerde hinreichend deutlich bezeichnete Rechtsfrage in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist. Die Klärungsbedürftigkeit ist zu verneinen, wenn die Beantwortung der aufgeworfenen Rechtsfrage nach den maßgeblichen Rechtsvorschriften bzw der dazu bereits vorliegenden höchstrichterlichen Rechtsprechung keinem Zweifel mehr unterliegt (vgl zu diesem eine Grundsatzrevision ausschließenden Umstand allgemein zB BSG SozR 3-1500 § 146 Nr 2 S 6 und SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38). Das ist hier der Fall.
Das LSG hat in seiner angefochtenen Entscheidung sowie dem im Bezug genommenen Urteil vom 15. September 1999 – L 5 KA 316/99 – dargelegt, daß die Leistungslegende der Nr 19 EBM-Ä nur erfüllt ist, wenn ein seinem Alter nach grundsätzlich der verbalen Kommunikation ausreichend fähiger Patient psychisch, hirnorganisch oder krankheitsbedingt kommunikationsgestört ist und infolge dessen die zur Diagnosestellung und/oder Behandlung erforderlichen Angaben über seinen Gesundheitszustand nur bei Angehörigen, Pflegern oder anderen Betreuungspersonen erhoben werden können. Das schließt nach Auffassung des LSG die Berechnungsfähigkeit der Nr 19 EBM-Ä regelmäßig aus, wenn Kinder im Alter unter vier Jahren behandelt werden und der behandelnde Arzt die für Diagnose oder Therapie erforderlichen Informationen durch ein Gespräch mit den Eltern oder einer anderen das Kind betreuenden Person erhebt. Diese Auffassung wird in den Kommentaren zu den Vertragsgebührenordnungen geteilt (vgl Wezel/Liebold, Handkommentar BMÄ, E-GO und GOÄ, S 9 B 70/2; Kölner Komm zum EBM, Nr 19 Anm 1: „Ebenso ist die Befragung der Eltern von Kindern, die sich aufgrund ihres Alters noch nicht ausreichend artikulieren können, in keinem Fall als Erhebung einer Fremdanamnese im Sinne der Leistung nach Nr 19 zu verstehen”). Ihre Richtigkeit steht auch nach Ansicht des Senats außer Zweifel.
Nach dem Wortlaut der Leistungslegende setzt die Berechnungsfähigkeit der Erhebung der Fremdanamnese nach Nr 19 EBM-Ä voraus, daß ein Patient behandelt wird, der krankheitsbedingt, hirnorganisch oder psychisch erheblich kommunikationsgestört ist, der also aus einem der drei genannten, einander nicht notwendig ausschließenden Gründen diejenigen Informationen dem Arzt nicht selbst geben kann, die ein Patient, der an vergleichbaren Störungen nicht leidet, dem behandelnden Arzt selbst verschaffen könnte. Es bedarf keiner Klärung im Revisionsverfahren, sondern liegt auf der Hand, daß Säuglinge und Kleinstkinder ungeachtet ihrer unbestrittenen Fähigkeit, mit anderen Menschen zu kommunizieren, Angaben zB über die Frequenz nächtlichen Aufwachens, die Häufigkeit von Erbrechen, von Anfallszuständen, Fieberschüben oder ähnlichem dem Arzt unabhängig von psychischen, hirnorganischen oder krankheitsbedingten Kommunikationsstörungen nicht vermitteln können. Der Umstand, daß die Erhebung der Anamnese bei einem Kleinkind, das aus den in Nr 19 EBM-Ä angesprochenen Gründen erheblich kommunikationsgestört ist, besonders schwierig ist, rechtfertigt den Ansatz der Nr 19 EBM-Ä nicht, weil auch bei einem an diesen Gesundheitsstörungen nicht leidenden Kleinkind die Fremdanamnese nur über die Eltern oder andere Betreuungspersonen erhoben werden kann.
Eine vergleichbare Erwägung enthält die Rechtsprechung des BSG zur Bemessung des Pflegebedarfs iS des § 15 Elftes Buch Sozialgesetzbuch – Soziale Pflegeversicherung – (SGB XI) bei Kindern. Nach § 15 Abs 2 SGB XI ist bei Kindern für die Zuordnung zu den Pflegestufen der zusätzliche Hilfebedarf gegenüber einem gesunden gleichaltrigen Kind maßgeblich. Dies bewirkt nach der Rechtsprechung des BSG keine Schlechterstellung hilfebedürftiger Kinder gegenüber Erwachsenen, sondern stellt lediglich klar, daß „der natürliche, altersentsprechende Pflegebedarf von Kindern” unberücksichtigt bleibt und allein auf den das altersübliche Maß übersteigenden Aufwand abzustellen ist (BSG SozR 3-3300 § 14 Nr 9 S 63).
Von welchem Alter an ein Kind grundsätzlich in der Lage ist, die erforderlichen Angaben über seine Beschwerden dem Arzt gegenüber selbst zu machen, so daß auf die Eltern regelmäßig nur bei Vorliegen der besonderen, in Nr 19 EBM-Ä angesprochenen Gesundheitsstörungen des Kindes zurückgegriffen werden muß, entzieht sich einer generellen Festlegung. Soweit das LSG angenommen hat, regelmäßig sei bei Kindern, die noch nicht vier Jahre alt sind, die erforderliche Artikulationsfähigkeit nicht vorhanden, ist das jedenfalls nicht zu beanstanden.
Soweit die Kläger schließlich als Verfahrensfehler rügen, das LSG sei einem von ihnen schriftsätzlich gestellten und in der mündlichen Verhandlung wiederholten Beweisantrag nicht nachgegangen, ist das Vorgehen des LSG nicht zu beanstanden. Die Kläger haben Beweis durch Sachverständigengutachten dafür angetreten, „daß auch Kleinstkinder erhebliche krankheitsbedingte Störungen der Kommunikationsfähigkeit haben können, aufgrund derer die Anamnese und Behandlung durch den Kinderarzt erheblich erschwert sein kann”. Diesem Beweisantrag ist das LSG von seinem insoweit maßgeblichen Rechtsstandpunkt aus zu Recht nicht gefolgt, weil es auf die Beantwortung der von den Klägern aufgeworfenen Beweisfrage für die Entscheidung des Rechtsstreits nicht ankommt. Nicht das Ausmaß einer eventuellen Störung der Kommunikations- und Artikulationsfähigkeit von Säuglingen und Kleinkindern ist entscheidend für die Nichtberechenbarkeit der Erhebung der Fremdanamnese nach Nr 19 EBM-Ä bei der Behandlung von Kleinkindern, sondern der Umstand, daß ein Kinderarzt weder bei kommunikationsgestörten noch bei altersentsprechend entwickelten Säuglingen und Kleinkindern auf die Befragung bzw Führung und Unterweisung der Eltern verzichten kann. Der Ausschluß der Berechnungsfähigkeit der Nr 19 EBM-Ä für die Befragung bzw Unterweisung der Eltern von Säuglingen und Kleinkindern gilt deshalb unabhängig davon, ob deren Artikulationsfähigkeit krankheitsbedingt hinter dem Stand zurückbleiben kann, der bei gesunden gleichaltrigen Säuglingen oder Kleinkindern zu erwarten ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 und 4 SGG.
Fundstellen