Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Nichtzulassungsbeschwerde. Sachverhaltsschilderung. Mindestanforderung an die Darlegung bzw Bezeichnung eines Revisionszulassungsgrundes
Orientierungssatz
Eine Sachverhaltsschilderung gehört zu den Mindestanforderungen an die Darlegung bzw Bezeichnung eines Revisionszulassungsgrundes. "Bezeichnet" ist der Verfahrensmangel noch nicht, wenn einzelne Sachverhaltselemente herausgegriffen werden und anhand dieser der behauptete Verfahrensmangel diskutiert wird, sondern nur dann, wenn er in der Gesamtheit der ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan wird.
Normenkette
SGG §§ 103, 118 Abs. 1 S. 1, § 153 Abs. 4, § 160 Abs. 2 Nr. 3, § 160a Abs. 2 S. 3; ZPO § 373
Verfahrensgang
SG Hamburg (Urteil vom 22.06.2017; Aktenzeichen S 4 R 839/14) |
LSG Hamburg (Beschluss vom 02.05.2019; Aktenzeichen L 3 R 99/17) |
Tenor
Der Antrag des Klägers, ihm für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Landessozialgerichts Hamburg vom 2. Mai 2019 Prozesskostenhilfe zu bewilligen und Rechtsanwalt L. beizuordnen, wird abgelehnt.
Die Nichtzulassungsbeschwerde wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
I. Mit Beschluss vom 2.5.2019 hat das LSG Hamburg einen Anspruch des Klägers auf Rente wegen Erwerbsminderung verneint.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Beschluss hat der Kläger Beschwerde beim BSG eingelegt. Er beruft sich ausschließlich auf einen Verfahrensmangel, das Übergehen eines Beweisantrags (Zulassungsgrund nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG). Mit der Beschwerdebegründung hat er zudem die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten beantragt.
II. 1. Der Antrag des Klägers auf Gewährung von PKH zur Durchführung des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde gegen den Beschluss des LSG Hamburg vom 2.5.2019 ist abzulehnen.
Nach § 73a Abs 1 S 1 SGG iVm §§ 114, 121 ZPO kann einem bedürftigen Beteiligten für das Beschwerdeverfahren vor dem BSG ua nur dann PKH bewilligt und ein Rechtsanwalt beigeord-net werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor, weil die vom Kläger eingelegte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des LSG Hamburg vom 2.5.2019 nicht erfolgreich sein kann. Der Kläger hat PKH für eine von einem beim BSG zugelassenen Prozessbevoll-mächtigten bereits eingelegte und bis zum Ablauf der Begründungsfrist am 8.7.2019 bereits begründete Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision beantragt. Die Revision wäre daher nur zuzulassen, wenn mit dieser Beschwerde einer der in § 160 Abs 2 Nr 1 bis 3 SGG genannten Zulassungsgründe in der gemäß § 160a Abs 2 S 3 SGG vorgeschriebenen Form dargelegt wäre. Solche Erfolgsaussicht besteht hier nicht, weil die Beschwerde unzulässig ist (dazu unten 2.).
Mit der Ablehnung des Antrags auf Bewilligung von PKH entfällt zugleich die Möglichkeit der Beiordnung eines Rechtsanwalts im Rahmen der PKH (§ 73a Abs 1 S 1 SGG iVm § 121 Abs 1 ZPO).
2. Die Beschwerde ist unzulässig. Die Beschwerdebegründung vom 8.7.2019 genügt hinsichtlich des allein geltend gemachten Zulassungsgrundes des Verfahrensfehlers nicht den Anforderungen des § 160a Abs 2 S 3 SGG. Der Kläger hat bereits den Sachverhalt, der dem angefochtenen Beschluss des LSG zugrunde liegt, nicht hinreichend mitgeteilt. Seinen Schilderungen sind nur Teile der entscheidungserheblichen Tatsachen zu entnehmen. Eine Sachverhaltsschilderung gehört jedoch zu den Mindestanforderungen an die Darlegung bzw Bezeichnung eines Revisionszulassungsgrundes. "Bezeichnet" ist der Verfahrensmangel noch nicht, wenn einzelne Sachverhaltselemente herausgegriffen werden und anhand dieser der behauptete Verfahrensmangel diskutiert wird, sondern nur dann, wenn er in der Gesamtheit der ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan wird. Denn das Beschwerdegericht muss sich bereits anhand der Beschwerdebegründung ein Urteil darüber bilden können, ob die geltend gemachten Tatsachen - ihre Richtigkeit unterstellt - es als möglich erscheinen lassen, dass die Entscheidung darauf beruhe (BSG Beschluss vom 29.9.1975 - 8 BU 64/75 - SozR 1500 § 160a Nr 14 S 21 = juris RdNr 3; s auch BSG Beschluss vom 10.10.2017 - B 13 R 234/17 B - juris RdNr 5). Dies erfordert neben der Angabe der den Mangel begründenden Tatsachen ua eine - in der Beschwerdebegründung des Klägers weitgehend fehlende - geraffte Darstellung der tragenden Gründe der angegriffenen Entscheidung. Denn nur hierdurch wird das BSG in die Lage versetzt, festzustellen, dass die Entscheidung auf Grundlage der insoweit maßgeblichen Rechtsauffassung des LSG (vgl BSG Urteil vom 28.5.1957 - 3 RJ 219/56 - SozR Nr 79 zu § 162 SGG; BSG Beschluss vom 31.1.1979 - 11 BA 166/78 - SozR 1500 § 160 Nr 33) auf diesem Mangel beruhen kann.
3. Abgesehen davon genügt die Beschwerdebegründung des Klägers aber auch im Übrigen nicht den Darlegungsanforderungen im Hinblick auf den von ihm gerügten Verfahrensmangel.
Ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist der Verstoß des Gerichts im Rahmen des prozessualen Vorgehens im unmittelbar vorangehenden Rechtszug (vgl zB BSG Urteil vom 29.11.1955 - 1 RA 15/54 - BSGE 2, 81, 82; BSG Urteil vom 24.10.1961 - 6 RKa 19/60 - BSGE 15, 169, 172 = SozR Nr 3 zu § 52 SGG). Nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann die Geltendmachung eines Verfahrensmangels auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungspflicht) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Neben der Geltendmachung des Vorliegens eines Verstoßes gegen das Verfahrensrecht ist mit der Beschwerdebegründung darzulegen, dass die angefochtene Entscheidung auf diesem Verstoß beruhen kann. Dabei ist von der Rechtsauffassung des LSG auszugehen. Ein entscheidungserheblicher Mangel des Berufungsverfahrens wird nur dann substantiiert bezeichnet, wenn der Beschwerdeführer diesen hinsichtlich aller ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen darlegt, sodass das Beschwerdegericht allein anhand dieser Begründung darüber befinden kann, ob die angegriffene Entscheidung des LSG möglicherweise auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel beruht.
Der Kläger hat geltend gemacht, das LSG hätte eine Abklärung des Absinkens seines Leistungsvermögens durch Einholung eines weiteren Gutachtens auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet vornehmen müssen. Das LSG sei dem weiteren Beweisantrag insoweit nicht gefolgt.
Mit diesen Ausführungen genügt der Kläger jedoch nicht den Anforderungen an die Darlegung einer unzureichenden Sachaufklärung durch das LSG. Eine solche Rüge muss folgende Punkte enthalten: (1) Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrags, dem das LSG nicht gefolgt ist, (2) Wiedergabe der Rechtsauffassung des LSG, aufgrund derer bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen und zu weiterer Sachaufklärung drängen müssen, (3) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme und (4) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des LSG auf der angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das LSG mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der Beweisaufnahme von seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigen Ergebnis hätte gelangen können (stRspr, vgl zB BSG Beschluss vom 19.11.2007 - B 5a/5 R 382/06 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 21 RdNr 5; BSG Beschluss vom 3.12.2012 - B 13 R 351/12 B - juris RdNr 6 mwN).
Der Kläger benennt zwar einen "Beweisantrag", macht jedoch weder Angaben zu dessen genauem Inhalt (a), wann er den benannten Beweisantrag im Verlaufe des Verfahrens vor dem LSG gestellt hat (b), noch dass er ihn auch auf die Anhörung des LSG hin zur Entscheidung durch Beschluss nach § 153 Abs 4 SGG aufrechterhalten hat (c).
a) Nur aufgrund der Benennung des Inhalts des Beweisantrags bzw dessen Formulierung kann das Beschwerdegericht überprüfen, ob es sich um einen ordnungsgemäßen Beweisantrag iS der § 118 Abs 1 S 1 SGG, § 373 ZPO handelt. Denn ein zu einer Zulassung der Revision führender Beweisantrag kann grundsätzlich nur ein solcher sein, der in prozessordnungsgerechter Weise formuliert ist, das Beweisthema möglichst konkret angibt und insoweit wenigstens umreißt, was die Beweisaufnahme ergeben soll (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 160 RdNr 18a mwN). Entsprechende Angaben fehlen in der Beschwerdebegründung. Die Darlegung, es hätte vom LSG ein neurologisch-psychiatrisches Sachverständigengutachten eingeholt werden müssen, genügt dem nicht.
b) Auch fehlt es an der Angabe, wann, in welchem Schriftsatz der benannte Beweisantrag gestellt worden ist, denn nur dann ist das Beschwerdegericht in der Lage, ihn - ohne weiteres Studium der Akten - aufzufinden und dessen Relevanz im Rahmen des Beschwerdeverfahrens zu prüfen.
c) Ungeachtet dessen mangelt es schließlich an der nach ständiger Rechtsprechung des BSG geforderten Darlegung, dass ein anwaltlich vertretener Beteiligter einen Beweisantrag bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem LSG gestellt und noch zumindest hilfsweise aufrechterhalten hat (vgl zB BSG Beschluss vom 14.6.2005 - B 1 KR 38/04 B - juris RdNr 5; BSG Beschluss vom 25.4.2006 - B 1 KR 97/05 B - juris RdNr 6; BSG Beschluss vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11 mwN). Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn - wie hier - das LSG von der ihm durch § 153 Abs 4 SGG eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, die Berufung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zurückzuweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Der in einem solchen Fall den Beteiligten zugestellten Anhörungsmitteilung nach § 153 Abs 4 SGG muss jedenfalls ein rechtskundig vertretener Beteiligter auch entnehmen, dass das Berufungsgericht keine weitere Sachaufklärung mehr beabsichtigt und dass es etwaige schriftsätzlich gestellte Beweisanträge lediglich als Beweisanregungen, nicht aber als förmliche Beweisanträge iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ansieht. Nach Zugang der Anhörungsmitteilung muss daher der Beteiligte, der schriftsätzlich gestellte Beweisanträge aufrechterhalten oder neue Beweisanträge stellen will, dem LSG ausdrücklich die Aufrechterhaltung dieser Anträge mitteilen oder neue förmliche Beweisanträge stellen (vgl BSG Senatsbeschluss vom 7.2.2017 - B 13 R 389/16 B - juris RdNr 9; s auch BSG Beschluss vom 9.3.2016 - B 1 KR 6/16 B - juris RdNr 4 f mwN). Die Beschwerdebegründung enthält keine Angaben hierzu.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).
4. Die Verwerfung der der unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 S 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI13500580 |