Verfahrensgang
Nachgehend
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 17. Dezember 1997 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.
Gründe
Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Die Begründung entspricht nicht der in § 160 a Abs. 2 Satz 3 SGG vorgeschriebenen Form.
Die Revision kann nur aus den in § 160 Abs. 2 Nrn. 1 bis 3 SGG genannten Zulassungsgründen – grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, Abweichung der angefochtenen Entscheidung von anderen Entscheidungen, Vorliegen eines Verfahrensmangels – zugelassen werden. Die Klägerin stützt ihre Nichtzulassungsbeschwerde auf alle diese Gründe. In der Beschwerdebegründung müssen jedoch die grundsätzliche Bedeutung und die Divergenz „dargelegt” und der Verfahrensmangel „bezeichnet” werden (§ 160 a Abs. 2 Satz 3 SGG). Diesen Erfordernissen genügt die Beschwerdebegründung vom 4. März 1998 nicht.
1. Grundsätzliche Bedeutung (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG) hat eine Rechtssache, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus – aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts – einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung gehört es deshalb, daß in der Beschwerdebegründung eine Rechtsfrage klar formuliert und anhand der anwendbaren Rechtsnormen unter Berücksichtigung der Rechtsprechung und ggf des Schrifttums aufgezeigt wird, daß diese Frage noch nicht geklärt ist, weshalb aus Gründen der Rechtseinheit oder Fortbildung des Rechts eine Klärung erforderlich ist und schließlich, daß das angestrebte Revisionsverfahren diese Klärung erwarten läßt (st.Rspr. – vgl. BSG Beschlüsse vom 2. März 1976 – 12/11 BA 116/75 – SozR 1500 § 160 Nr. 17, vom 9. Oktober 1986 – 5 b BJ 174/86 – SozR 1500 § 160 a Nr. 59 und vom 22. Juli 1988 – 7 BAr 104/87 – SozR 1500 § 160 a Nr. 65). Diese Anforderungen gelten grundsätzlich auch für die Rüge der Verfassungswidrigkeit einer Norm (vgl. BSG Beschluß vom 19. Mai 1983 – 6 BKa 29/82 – SozR 1500 § 160 a Nr. 47; BVerfG Kammer-Beschluß vom 8. Juni 1982 – 2 BvR 1037/81 – SozR 1500 § 160 a Nr. 45; BVerfG Beschluß vom 14. Juni 1994 – 1 BvR 1022/88 – BVerfGE 91, 93, 106 f = SozR 3-5870 § 10 Nr. 5; vgl. auch Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 1990, RdNr. 146).
Die Klägerin hat die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache damit begründet, es stelle sich die über den Einzelfall hinausgehende Rechtsfrage, ob § 44 SGB VI insoweit mit dem Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 GG und dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG vereinbar sei, als danach Behinderte eine Erwerbsunfähigkeitsrente nach einer Wartezeit von 60 Monaten nur erlangen können, wenn sie auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können. Nicht schlüssig dargelegt ist jedoch, weshalb diese Rechtsfrage noch klärungsbedürftig ist. Zwar kann einer Rechtsfrage, die das BSG bereits entschieden hat, weiterhin oder wieder grundsätzliche Bedeutung zukommen, insbesondere dann, wenn der Auffassung des BSG in Literatur und Rechtsprechung widersprochen worden ist. Daß dies der Fall ist, muß indes aufgezeigt werden. Das ist nicht geschehen.
In der Beschwerdebegründung wird lediglich vorgetragen, die Urteile des BSG vom 24. April 1996 (5 RJ 46/95 – BSGE 78, 163 = SozR 3-2600 und 5 RJ 94/95), in denen es sich mit der genannten Rechtsfrage auseinandergesetzt habe, bedürften der Überprüfung; das BSG habe die Anforderungen des Art. 3 Abs. 2 Satz 2 SGG nicht hinreichend bewertet und das Versicherungsprinzip könne die längere Wartezeit bei Behinderten nicht rechtfertigen; wegen ihrer durchschnittlich geringeren Lebenserwartung stünden dadurch den abgeforderten Pflichtversicherungsbeiträgen keine realistisch erreichbaren Rentenversicherungsleistungen gegenüber. Von welcher Seite und mit welchen Gründen die Rechtsprechung des BSG angegriffen worden ist, wird nicht dargelegt. Eine Auseinandersetzung mit den diese Rechtsprechung tragenden Gründen enthält die Beschwerdebegründung nicht. Insbesondere fehlt es an einer Auseinandersetzung mit den Argumenten, die vom BSG dafür angeführt werden, daß sich aus Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG lediglich ein Benachteiligungsverbot ergibt, welches den Gesetzgeber nicht zu einem bestimmten begünstigenden Handeln verpflichtet (vgl. Urteil des BSG vom 24. Juli 1997 – 11 RAr 45/96 – SozR 3-4100 § 136 Nr. 7). Verbietet aber Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG lediglich, Behinderte zu benachteiligen, dann ist weder schlüssig dargetan noch sonst ersichtlich, inwieweit es gegen diesen Verfassungsgrundsatz verstoßen sollte, wenn Behinderten, die schon erwerbsunfähig sind, der Zugang zu einem Schutzsystem eröffnet wird, das gegen Erwerbsunfähigkeit versichert. Vielmehr handelt es sich bei der von der Klägerin insbesondere beanstandeten Regelung in § 44 Abs. 3 SGB VI um eine an sich systemwidrige Begünstigung der Behinderten, wobei – wie der Senat bereits in seinen zitierten Entscheidungen vom 24. April 1996 ausgeführt hat – die längere Wartezeit eine gewisse Gleichwertigkeit zwischen Beitragsleistung und Versicherungsleistung gewährleisten soll. Auch die Ausführungen in der Beschwerdebegründung zum Sozialstaatsprinzip zeigen keinen Klärungsbedarf der Rechtsfrage schlüssig auf; es fehlt insbesondere an einer Auseinandersetzung mit dem schon in der Entscheidung des LSG erhobenen Einwand, wonach sich aus dem Sozialstaatsprinzip grundsätzlich kein subjektives Recht auf eine bestimmte Leistung ableiten läßt.
2. Auch der geltend gemachte Zulassungsgrund der Divergenz (§ 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG) ist nicht in der erforderlichen Weise dargelegt.
Von einer Abweichung kann nur bei einem Widerspruch im Rechtssatz gesprochen werden. Sie kommt in Betracht, wenn das LSG einen tragenden (abstrakten) Rechtssatz in Abweichung von einem vorhandenen Rechtssatz des BSG oder des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts aufgestellt hat (BSG Beschluß vom 29. November 1989 – 7 BAr 130/88 – SozR 1500 § 160 a Nr. 67 m.w.N.). Es müssen deshalb der Rechtssatz der angefochtenen Entscheidung und der der anderen Entscheidung, von der angeblich abgewichen wird, herausgearbeitet und deren Unvereinbarkeit dargelegt werden (st.Rspr. – vgl. BSG Beschlüsse vom 29. September 1975 – 8 BU 64/75 – SozR 1500 § 160 a Nr. 14 und 29. November 1989 – 7 BAr 130/88 – SozR 1500 § 160 a Nr. 67). Der Rechtssatz der anderen Entscheidung muß außerdem rechtserheblich gewesen sein (BSG Beschluß vom 16. Oktober 1986 – 5 b BJ 338/85 – SozR 1500 § 160 Nr. 61). Schließlich verlangt auch der Zulassungsgrund der Divergenz die schlüssige Darlegung ihrer Entscheidungserheblichkeit, d.h. daß die angefochtene Entscheidung auf dieser Abweichung beruht (BSG Beschluß vom 12. Juli 1985 – 7 BAr 114/84 – SozR 1500 § 160 a Nr. 54).
Die Klägerin hat insoweit zwar ausgeführt, das LSG sei, indem es den mit Antrag vom 15. März 1994 geltend gemachten Rentenanspruch der Klägerin nach § 44 SGB VI in der erst am 1. Juli 1994 in Kraft getretenen Fassung beurteilt habe, von der Entscheidung des BSG vom 24. April 1996 (5 RJ 34/95) abgewichen, wonach ein Anspruch trotz zwischenzeitlicher Aufhebung noch nach den früheren gesetzlichen Vorschriften zu entscheiden sei, wenn er bis zum Ablauf von drei Kalendermonaten nach der Aufhebung geltend gemacht werde. Es ist aber nicht schlüssig dargetan, daß der von der Klägerin aus dem Urteil des BSG abgeleitete Rechtssatz entscheidungserheblich ist, die Entscheidung des LSG also bei Anwendung des bis 30. Juni 1994 geltenden Rechts anders ausgefallen wäre. Insoweit enthält die Beschwerdebegründung lediglich die Behauptung, daß sich die Rechtsposition der Klägerin durch die am 1. Juli 1994 in Kraft getretene Änderung des § 44 SGB VI entscheidend verschlechtert habe. Nicht vorgetragen und auch nicht erkennbar ist, inwiefern dies der Fall sein soll. Insoweit hätte sich die Klägerin mit den angeführten Urteilen vom 24. April 1996 (5 RJ 56/95 – BSGE 78, 163, 165 = SozR 3-2600 § 44 Nr. 6 und 5 RJ 34/95) auseinandersetzen müssen, wonach gerade keine derartige Veränderung festgestellt worden ist. Der Senat hat darin für das bis 31. Dezember 1991 geltende Recht ausgeführt, daß Pflichtversicherte, die in einer Werkstatt für Behinderte tätig sind, nach den allgemein für nicht behinderte Versicherte geltenden Maßstäben entweder erwerbsfähig oder erwerbsunfähig sein können und dies wegen der insoweit wortgleichen Formulierung von § 1247 Abs. 2 Satz 1 RVO und § 44 Abs. 2 Satz 1 SGB VI auch für das am 1. Januar 1992 in Kraft getretene Recht zutrifft. Er hat ferner ausgeführt, daß der Gesetzgeber mit der Einfügung des Halbsatzes 2 in § 44 Abs. 2 Satz 1 SGB VI durch Art. 3 des 2. SED-UnrBerG vom 23. Juni 1994 zu erkennen gegeben hat, daß er insoweit die Auffassung des Senats teilt und für § 44 SGB VI aufrechterhalten wissen will. Schließlich gilt nach diesen Urteilen auch für das frühere Recht, daß Versicherte, die in einer Werkstatt für Behinderte oder in einer anderen beschützenden Werkstatt beschäftigt sind, erwerbsunfähig sind, wenn sie wegen der Art oder der Schwere ihrer Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein, d.h. dort eine typgleiche Tätigkeit im Umfang des § 44 Abs. 2 Satz 1 SGB VI a.F. (seit 1. Juli 1994 § 44 Abs. 2 Satz 1 Halbs 1 SGB VI) ausfüllen können (Senatsurteil vom 24. April 1996 – 5 RJ 56/95 – BSGE 78, 163, 166 = SozR 3-2600 § 44 Nr. 6).
3. Schließlich ist auch kein Verfahrensmangel dargetan, welcher die Zulassung der Revision rechtfertigen könnte (§ 160 Abs. 2 Nr. 3 SGG). Insoweit rügt die Klägerin, das LSG habe seine Entscheidung nicht allein auf die Aussagen des Zeugen Schiffers stützen dürfen, vielmehr den Darlegungen der Klägerin in ihren verschiedenen Schriftsätzen zur Frage der Bewertung ihrer beruflichen Tätigkeit beweiserhebend nachgehen müssen. Mit dieser auf die Verletzung der Pflicht zur Amtsaufklärung nach § 103 Satz 1 SGG gestützen Rüge kann die Klägerin jedoch nicht durchdringen. Denn gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 3 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Daß sie einen bestimmten Beweisantrag gestellt hätte, behauptet die Klägerin nicht und ist auch nicht ersichtlich.
Die somit nicht formgerecht begründete und damit unzulässige Beschwerde der Klägerin mußte verworfen werden. Dies konnte gemäß § 202 SGG i.V.m. § 574 ZPO und § 169 SGG analog durch Beschluß ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter erfolgen (BSG Beschlüsse vom 15. April 1975 – 5 BKn 1/75 – SozR 1500 § 160 a Nr. 1 und vom 19. Juni 1975 – 12 BJ 24/75 – SozR 1500 § 160 a Nr. 5; BVerfG Beschluß vom 9. Mai 1978 – 2 BvR 952/75 – SozR 1500 § 160 a Nr. 30).
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 SGG.
Fundstellen