Entscheidungsstichwort (Thema)
Rentenberechnung. belegungsfähiger Gesamtzeitraum. Beginn der Rente. Rentenzahlbeginn. Verfassungsmäßigkeit
Orientierungssatz
Beim 4. Senat des Bundessozialgerichts wird angefragt, ob er bei der Berechnung der Regelaltersrente an der Rechtsauffassung festhält, dass der "Beginn der ... Rente" iS von § 72 Abs 2 S 1 Nr 1 SGB 6 der Beginn des Monats ist, der auf den Eintritt des Versicherungsfalls folgt, welcher die Entstehung des Stammrechts auslöst.
Normenkette
SGB 6 § 72 Abs. 2 S. 1 Nr. 1; SGB 6 § 71 Abs. 1 S. 1; SGB 6 § 72 Abs. 1, 3; SGB 6 § 75; SGB 6 § 77; SGB 6 § 35; SGB 6 § 64; SGB 6 §§ 64ff; SGB 6 § 99; GG Art. 14 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1
Tatbestand
Die Klägerin begehrt im Zugunstenverfahren von der Beklagten einen höheren Zahlbetrag ihrer Regelaltersrente (RAR) unter Berücksichtigung eines früheren Endes des belegungsfähigen Gesamtzeitraums im Sinne des § 72 Abs 2 Satz 1 Nr 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI).
Die am 1927 in Berlin geborene Klägerin ist jüdischer Abstammung und als Opfer nationalsozialistischer Verfolgung im Sinne des Bundesentschädigungsgesetzes anerkannt. Für die vom 1.5.1940 bis 15.4.1945 erlittene Ghetto- und KZ-Haft in Zdunska-Wola, Auschwitz, Bremen und Bergen-Belsen erhielt sie eine Haftentschädigung. Seit 1947 lebt die Klägerin im Staat Israel, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt. Von 1968 bis 1987 ging die Klägerin in Israel einer Erwerbstätigkeit nach und entrichtete Beiträge zur israelischen Nationalversicherung, aus der sie mittlerweile eine Rente bezieht.
Am 5.8.1999 beantragte die Klägerin ua die Anerkennung von Beitragszeiten im Ghetto Lodz und die Gewährung einer Rente wegen Alters. Mit Bescheid vom 8.6.2001 bewilligte die Beklagte der Klägerin eine RAR beginnend am 1.1.1995. Bei der Rentenberechnung legte die Beklagte als belegungsfähigen Gesamtzeitraum die Zeit vom 25.2.1944 (Vollendung des 17. Lebensjahres) bis zum 31.12.1994 (Kalendermonat vor Rentenbeginn) zu Grunde.
Im Dezember 2001 beantragte die Klägerin unter Hinweis auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 24.7.2001 (B 4 RA 45/99 R - SozR 3-2600 § 71 Nr 2) eine Neuberechnung der Rente gemäß § 44 Abs 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Nach dem zitierten Urteil sei die Zeit vom 1.3.1992 bis 31.12.1994 zu Unrecht in den belegungsfähigen Gesamtzeitraum einbezogen worden, da sie nach dem Rentenbeginn im Sinne des § 72 SGB VI liege. Rentenbeginn im Sinne der Norm sei der Zeitpunkt, zu dem der Rechtsinhaber zum ersten Mal vom Rentenversicherungsträger die Auszahlung der Rente verlangen könne. Dieses Recht erlange der Rechtsinhaber mit Beginn des Monats, der auf die Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen folge. Mit Bescheid vom 14.5.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5.9.2002 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Der belegungsfähige Gesamtzeitraum in § 72 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB VI ende mit dem Kalendermonat vor Beginn der Altersrente, der durch § 99 SGB VI und § 30 Fremdrentengesetz geregelt sei. Diese Vorschriften stellten auf den tatsächlichen Rentenbeginn ab.
Auf die hiergegen gerichtete Klage hat das Sozialgericht (SG) Düsseldorf mit Urteil vom 9.12.2003 unter Aufhebung des Bescheides vom 14.5.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5.9.2002 die Beklagte verpflichtet, den Rentenbescheid vom 8.6.2001 zu ändern und die Rente der Klägerin unter Berücksichtigung eines für den Rangstellenwert aus beitragsfreien Zeiten maßgeblichen Gesamtzeitraums, der am 29.2.1992 ende, neu zu berechnen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Der Rentenbescheid vom 8.6.2001 sei zurückzunehmen bzw zu ändern, da in diesem der belegbare Gesamtzeitraum um 34 Kalendermonate (1.3.1992 bis 31.12.1994) unzulässig verlängert worden sei. Diese Zeiten seien in den Gesamtzeitraum einbezogen worden, obwohl sie nach Beginn der zu berechnenden Rente, also nach dem 1.3.1992 (Kalendermonat nach Vollendung des 65. Lebensjahres) lägen. Gemäß § 72 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB VI ende der belegungsfähige Gesamtzeitraum mit dem Kalendermonat vor Beginn der zu berechnenden Rente. Rentenbeginn im Sinne der Vorschrift sei der Zeitpunkt, zu dem der Rechtsinhaber zum ersten Mal vom Rentenversicherungsträger verlangen könne, die Rente als eine jetzt zu erbringende Leistung zu zahlen (Fälligkeit des ersten Einzelanspruchs aus dem Rentenstammrecht). Die Kammer folge damit nach eigener Prüfung den Ausführungen des BSG im Urteil vom 24.7.2001 (aaO) . Es könne nicht dem Willen des Gesetzgebers entsprechen, dass die Rentenhöhe immer weiter sinke, je länger ein Versicherter über die Vollendung des 65. Lebensjahres hinaus die Rente nicht in Anspruch nehme. Dies gelte insbesondere im Hinblick darauf, dass der Gesetzgeber eine spätere Inanspruchnahme der Rente grundsätzlich durch einen höheren Zugangsfaktor honorieren wolle.
Mit der vom SG zugelassenen Sprungrevision, deren Einlegung die Klägerin zugestimmt hat, rügt die Beklagte eine Verletzung des § 72 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB VI. Nach Auffassung der Rentenversicherungsträger umfasse der belegungsfähige Gesamtzeitraum im Sinne der Norm bei einer Rente wegen Alters die Zeit vom vollendeten 17. Lebensjahr bis zum Kalendermonat vor Beginn der zu berechnenden Rente. Der Beginn der zu berechnenden Rente bestimme sich nach § 99 Abs 1 SGB VI. Danach werde die Rente aus eigener Versicherung von dem Kalendermonat an geleistet, zu dessen Beginn die Anspruchsvoraussetzungen für die Rente erfüllt seien, wenn die Rente innerhalb von drei Kalendermonaten nach Erfüllung dieser Voraussetzungen beantragt werde. Bei späterer Antragstellung beginne die Rente mit dem Antragsmonat. Ende des belegungsfähigen Gesamtzeitraums könne also auch in Fällen der verspäteten Antragstellung nur der Vormonat des tatsächlichen Rentenbeginns sein. § 99 SGB VI unterscheide nicht zwischen Fälligkeit des ersten Einzelanspruchs aus dem Stammrecht auf Rente und dem Zahlungsbeginn; er bestimme vielmehr den tatsächlichen Rentenbeginn mit allen sich im Rahmen des SGB VI daraus ergebenden Folgen. Sowohl die Vorschrift des § 99 SGB VI als auch § 72 Abs 2 SGB VI seien eindeutig und von daher nicht auslegungsfähig. Zudem beachte der 4. Senat des BSG nicht, dass der Versicherte Beitragszeiten auch nach Vollendung des 65. Lebensjahres zurücklegen könne. Diese Zeiten würden nach Auffassung des 4. Senats im Rahmen der Gesamtleistungsbewertung nicht berücksichtigt werden können, weil sie nach Ende des belegungsfähigen Zeitraums lägen. Ein Absinken des Gesamtleistungswertes in Fällen eines späteren Altersrentenbeginns werde durch den zu erhöhenden Zugangsfaktor nach § 77 Abs 2 SGB VI ausgeglichen. Insoweit könne der Argumentation des SG, es könne nicht dem Willen des Gesetzgebers entsprechen, dass die Rentenhöhe immer weiter absinke, je länger ein Versicherter über die Vollendung des 65. Lebensjahres hinaus die Rente nicht in Anspruch nehme, nicht gefolgt werden.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 9.12.2003 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Während des Revisionsverfahrens hat die Beklagte die Rente der Klägerin in Ausführung des erstinstanzlichen Urteils unter der Annahme eines am 29.2.1992 endenden Gesamtzeitraums neu berechnet. Danach und laut weiterer Auskünfte der Beklagten beträgt die von der Klägerin begehrte Rentenerhöhung - bezogen auf den 1.7.2004 - monatlich 0,1045 Euro.
Entscheidungsgründe
Der 5. Senat beabsichtigt, auf die Revision der Beklagten das Urteil des SG Düsseldorf vom 9.12.2003 aufzuheben und die Klage abzuweisen (hierzu im Folgenden unter 1). Er sieht sich hieran jedoch durch das Urteil des 4. Senats vom 24.7.2001 (B 4 RA 45/99 R - SozR 3-2600 § 71 Nr 2) gehindert; würde er die Rechtsauffassung, auf der dieses Urteil beruht, auch im vorliegenden Fall zu Grunde legen, wäre die Revision der Beklagten zurückzuweisen (hierzu im Folgenden unter 2).
1a) Die Sprungrevision der Beklagten ist zulässig; die formalen Voraussetzungen des § 161 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sind erfüllt.
b) Die Klage gegen den Bescheid vom 14.5.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5.9.2002 ist zulässig.
Die Klägerin ist insbesondere durch die angefochtenen Verwaltungsakte beschwert. Dabei kann dahinstehen, ob eine Beschwer bereits dann zu bejahen ist, wenn die Entgeltpunkte (EP) fehlerhaft berechnet worden sind, ohne dass sich die fehlerhafte Berechnung auf die Rentenhöhe auswirkt (so wohl Urteil des 4. Senats vom 24.7.2001 - B 4 RA 45/99 R - SozR 3-2600 § 71 Nr 2 S 15) . Denn im vorliegenden Fall würde die von der Klägerin begehrte Verkürzung des belegungsfähigen Gesamtzeitraums um 34 Kalendermonate (1.3.1992 bis 31.12.1994) zu einer Erhöhung des monatlichen Rentenzahlbetrags führen, die für die Zeit ab 1.7.2004 nach der Berechnung der Beklagten einen Umfang von gerundet 0,10 Euro hat. Auf diesen Anspruch hat die Klägerin ihr Begehren spätestens im Revisionsverfahren beschränkt, indem sie im Schriftsatz vom 11.12.2006 die Bewertung der beitragslosen Zeiten ausdrücklich als (einzigen) Gegenstand des jetzigen Verfahrens bezeichnet.
c) Ob die Klage auch begründet ist, dh ein Anspruch der Klägerin gemäß § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X auf teilweise Rücknahme des Bescheides vom 8.6.2001 und auf Zahlung einer höheren Rente besteht, richtet sich danach, wie der Begriff "Beginn der ... Rente" in § 72 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB VI zu verstehen ist. Denn hiervon ist die Länge des belegungsfähigen Gesamtzeitraums im Sinne von § 72 Abs 2 SGB VI und damit die Höhe der der Klägerin gewährten RAR abhängig.
|
|
Der Monatsbetrag der Rente errechnet sich gemäß § 64 SGB VI durch die Multiplikation der unter Berücksichtigung des Zugangsfaktors ermittelten persönlichen EP, des Rentenartfaktors und des aktuellen Rentenwerts, wobei der Wert dieser Faktoren bei Beginn der Rente zu Grunde zu legen ist. Die Anzahl der Monate des belegungsfähigen Gesamtzeitraums wird ausschließlich zur Ermittlung der EP für beitragsfreie und beitragsgeminderte Zeiten im Rahmen der Gesamtleistungsbewertung der §§ 71 ff SGB VI benötigt. § 72 SGB VI regelt die Grundbewertung beitragsfreier und beitragsgeminderter Zeiten; Abs 1 legt die Berechnungsformel (Summe der EP für Beitragszeiten und Berücksichtigungszeiten dividiert durch die Anzahl der belegungsfähigen Monate) fest, Abs 2 bestimmt den belegungsfähigen Gesamtzeitraum, der um die in Abs 3 genannten Zeiten zu kürzen ist. Durch diese Rechenoperationen wird ermittelt, in welcher Gesamtzeit der Versicherte seine auf Beschäftigung und gleichgestellten Zeiten beruhenden EP erwirtschaftet hat; der sich daraus ergebende Durchschnittswert (EP pro Monat) ist als Mindestwert für die beitragsfreien und beitragsgeminderten Zeiten einzusetzen. Als Durchschnittswert ist er um so niedriger, je länger der Versicherte benötigt hat, um die zu berücksichtigenden EP zu erzielen, also je länger der belegungsfähige Gesamtzeitraum ist. Gemäß § 72 Abs 2 Satz 1 SGB VI umfasst |
|
der belegungsfähige Gesamtzeitraum die Zeit ... bis zum |
|
1. |
Kalendermonat vor Beginn der zu berechnenden Rente bei einer Rente wegen Alters, bei einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (ab 1.1.2001 wegen voller Erwerbsminderung), auf die nach Erfüllung einer Wartezeit von 20 Jahren ein Anspruch besteht, oder bei einer Erziehungsrente, |
|
2. |
Eintritt der maßgebenden Minderung der Erwerbsfähigkeit bei einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, |
|
3. |
Tod des Versicherten bei einer Hinterbliebenenrente. |
Der Begriff "Beginn der ... Rente" in § 72 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB VI ist nach Auffassung des 5. Senats als Rentenzahlbeginn zu verstehen.
aa) Im allgemeinen Sprachgebrauch wird der Begriff "Rente" bzw "Rente im Sozialrecht" als "regelmäßige Zahlung, die jemand aus einem angelegten Kapital, auf der Grundlage von Rechtsansprüchen oder als freiwillige Zuwendung erhält" ( Brockhaus, Die Enzyklopädie, 20. Aufl, Bd 18, 1998, S 272 ) bzw als "periodisch gezahlter Geldbetrag, der jemandem auf Grund der Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen in der Sozialversicherung ... zusteht" ( Brockhaus aaO; s auch Creifelds, Rechtswörterbuch, 19. Aufl 2007, S 39 zum Begriff "Altersrente" ) verstanden. Damit ist nach allgemeinem Sprachgebrauch unter Rentenbeginn der Beginn der Rentenleistung zu verstehen. Nicht anders definiert § 99 SGB VI den Rentenbeginn, wenn er unter der amtlichen Überschrift "Beginn" anordnet: "Eine Rente wird … von dem Kalendermonat an geleistet, …"
bb) Dasselbe Ergebnis ergibt sich im Wege systematischer Betrachtung des § 72 Abs 2 Satz 1 SGB VI in Verbindung mit Sinn und Zweck der Norm.
(1) Während der belegungsfähige Gesamtzeitraum bei Altersrenten, bei Renten wegen voller Erwerbsminderung, auf die erst nach Erfüllung einer Wartezeit von 20 Jahren ein Anspruch besteht, oder bei einer Erziehungsrente mit dem Ablauf des Kalendermonats vor dem Beginn der zu berechnenden Rente endet (Nr 1) , endet er bei einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit mit dem Eintritt der maßgebenden Minderung der Erwerbsfähigkeit (Nr 2) und bei einer Hinterbliebenenrente mit dem Tod des Versicherten (Nr 3) . Nr 2 und Nr 3 stellen demnach auf den Eintritt des versicherten Risikos ab. Dass das Gesetz demgegenüber in Nr 1 den Rentenbeginn als Ende des belegungsfähigen Gesamtzeitraums aufführt und nicht den Eintritt des versicherten Risikos, indiziert die Maßgeblichkeit eines anderen Zeitpunkts ( so auch Zweng/Scheerer/Buschmann/Dörr, Handbuch der Rentenversicherung Teil II, Bd 2, Stand: Dezember 2006, § 72 RdNr 5 und 6 ).
Eine vergleichende Betrachtung insbesondere der in Nr 1 genannten Altersrenten mit den in Nr 2 und Nr 3 der Vorschrift aufgeführten Renten zeigt, dass dieser Zeitpunkt der Rentenzahlbeginn ist. Während bei Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit im Sinne der Nr 2 nach Eintritt der maßgebenden Minderung der Erwerbsfähigkeit grundsätzlich keine EP mehr erzielt (näher dazu § 75 SGB VI, s unten) bzw bei Hinterbliebenenrenten im Sinne der Nr 3 wegen des Todes des Versicherten keine Beitragszeiten mehr zurückgelegt werden können, ist dies bei den Altersrenten nicht der Fall. Hier hat der Versicherte vielmehr trotz Erreichens des Rentenalters die Möglichkeit, weitere EP zu erwirtschaften.
§ 72 ist mit Wirkung vom 1.1.1992 durch Art 1 Rentenreformgesetz 1992 (RRG 1992) vom 18.12.1989 (BGBl I 2261) eingeführt worden. Dieses bezweckte eine Flexibilisierung und Verlängerung der Lebensarbeitszeit durch die Neueinführung von Altersrenten als Teilrenten sowie die Anhebung der Altersgrenzen mit der Möglichkeit der vorzeitigen Inanspruchnahme von Altersrenten oder des Hinausschiebens ihrer Inanspruchnahme bei Ausgleich der unterschiedlichen Bezugsdauer mittels eines Zugangsfaktors ( BT-Drucks 11/4124 S 163 zu §§ 41, 42) . Die Versicherten haben damit zum einen die Wahlmöglichkeit erhalten, mit Erreichen des Rentenalters, in der Regel der Vollendung des 65. Lebensjahres, entweder die ihnen zustehende Vollrente zu beantragen oder lediglich hiervon ein Drittel, die Hälfte oder zwei Drittel zu beanspruchen und daneben weiterhin eine Teilzeitbeschäftigung auszuüben. Neben dem Teilrentenbezug gezahlte Beiträge wirken sich über diesbezügliche Zuschläge an EP stets rentensteigernd auf die spätere Vollrente aus, wie das RV-Nachhaltigkeitsgesetz vom 21.7.2004 (BGBl I 1791) durch eine Änderung des § 75 Abs 1 SGB VI und die Einfügung des § 76d SGB VI mit Wirkung zum 1.8.2004 sichergestellt hat (vgl BT-Drucks 15/2149 S 24 zu §§ 75, 76d) . Zum anderen steht es den Versicherten frei, trotz Eintritt des Rentenalters keine Rente in Anspruch zu nehmen und weiterhin einer Vollzeittätigkeit nachzugehen.
Der zuletzt genannten Alternative kann bei der Rentenberechnung lediglich dann sachgerecht Rechnung getragen werden, wenn das Ende des Gesamtzeitraums im Sinne des § 72 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB VI von dem jeweiligen Zeitpunkt der Inanspruchnahme der Rente und damit dem Beginn der Rentenleistung abhängt. Nur bei diesem Verständnis der Norm ist es möglich, die vom Versicherten nach Vollendung des 65. Lebensjahres aus einer Vollzeitbeschäftigung entrichteten Beiträge für die spätere Rente zu berücksichtigen. Wäre demgegenüber Rentenbeginn der "Zeitpunkt, zu dem der Rechtsinhaber zum ersten Mal vom Rentenversicherungsträger verlangen könnte, die Rente als jetzt zu erbringende Leistung zu zahlen", müssten die nach Vollendung des 65. Lebensjahres entrichteten Beiträge bei der Berechnung der späteren Rente außer Betracht bleiben, da der belegungsfähige Gesamtzeitraum mit Ablauf des Kalendermonats der Vollendung des 65. Lebensjahres ohne Rücksicht auf die individuelle Entscheidung des Versicherten enden würde. Ähnliches müsste konsequenterweise für freiwillige Versicherungsbeiträge gelten, obwohl nach § 7 Abs 3 SGB VI eine freiwillige Versicherung erst nach bindender Bewilligung einer Vollrente wegen Alters bzw für Zeiten des Bezugs einer solchen Rente, dh ab dem Zeitpunkt, von dem an die Rente bewilligt worden ist (vgl Gürtner, Kasseler Komm, Sozialversicherungsrecht, Stand: März 2007, § 7 SGB VI RdNr 12 mwN) unzulässig ist; hierauf wird im Folgenden nicht weiter eingegangen.
Obwohl § 72 SGB VI lediglich die Grundbewertung beitragsfreier und beitragsgeminderter Zeiten regelt, gilt der für diese angeordnete zeitliche Rahmen auch für Beitragszeiten. Denn § 71 Abs 1 Satz 1 SGB VI bestimmt, dass beitragsfreie Zeiten den Durchschnittswert an EP erhalten, der sich aus der Gesamtleistung an Beiträgen im belegungsfähigen Zeitraum ergibt. Damit hat der Gesetzgeber deutlich gemacht, dass bei der Rentenberechnung nur solche Beiträge berücksichtigungsfähig sind, die innerhalb dieser Zeitspanne entrichtet worden sind. Zudem widerspräche die Ermittlung eines Durchschnittwerts für beitragsfreie Zeiten aus Beiträgen, die außerhalb des belegungsfähigen Gesamtzeitraums entrichtet worden sind, der Grundbewertung des § 72 Abs 1 SGB VI, nach der für den Durchschnittswert dieser Zeiten die Beitragsdichte im Gesamtzeitraum maßgeblich ist.
Dass der belegungsfähige Gesamtzeitraum grundsätzlich mit dem Zeitraum deckungsgleich ist, in dem rentenwirksame Beitragszeiten zurückgelegt werden können, zeigen auch § 72 Abs 2 Satz 2 und § 75 SGB VI.
Im Regelfall ist der Beginn des belegungsfähigen Gesamtzeitraums auf den Zeitpunkt der Vollendung des 17. Lebensjahres bestimmt (§ 72 Abs 2 Satz 1 SGB VI) , verlängert sich aber gemäß Satz 2 um Kalendermonate mit rentenrechtlichen Zeiten vor Vollendung des 17. Lebensjahres. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass das Versicherungsleben nicht stets erst mit Vollendung des 17. Lebensjahres beginnt, sondern die Zurücklegung insbesondere von Beitragszeiten auch bereits früher möglich ist (etwa bei einer Lehre, vgl § 1 Satz 1 Nr 1 SGB VI) .
Nach § 75 Abs 1 1. Alternative SGB VI werden für Zeiten nach Beginn der zu berechnenden Rente EP nur für eine Zurechnungszeit ermittelt (Ausnahme: Abs 4). Daraus ergibt sich im Umkehrschluss, dass andere nach dem Beginn der Rente liegende rentenrechtliche Zeiten (wie zB Beitragszeiten) grundsätzlich bei der Rentenberechnung nicht berücksichtigt werden dürfen. Gemäß § 75 Abs 2 Satz 1 SGB VI werden EP nicht ermittelt für Beitragszeiten und Anrechnungszeiten, die nach Eintritt der hierfür maßgeblichen Minderung der Erwerbsfähigkeit liegen, sowie für freiwillige Beiträge, die nach Eintritt der hierfür maßgebenden Minderung der Erwerbsfähigkeit gezahlt worden sind (Ausnahmen: Abs 2 Satz 1 und Abs 3, ua für eine Rente wegen voller Erwerbsminderung, auf die erst nach Erfüllung einer Wartezeit von 20 Jahren ein Anspruch besteht). Damit bestimmt § 75 SGB VI die Endzeitpunkte, bis zu denen erworbene EP bei den Renten berücksichtigt werden können (Polster, Kasseler Komm, Sozialversicherungsrecht, Stand: März 2007, § 75 SGB VI RdNr 2) . Diese stimmen grundsätzlich mit dem jeweiligen Ende des Gesamtzeitraums in § 72 Abs 2 SGB VI überein - zB bei einer Rente wegen Alters der Kalendermonat vor Beginn der zu berechnenden Rente bzw bei einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit der Eintritt der maßgebenden Minderung der Erwerbsfähigkeit.
(2) Eine Betrachtung des § 77 SGB VI, der ebenso wie § 72 SGB VI der Ermittlung der persönlichen EP dient, bestätigt die Auslegung des Begriffs Rentenbeginn im Sinne des Rentenzahlbeginns.
Gemäß § 77 Abs 1 SGB VI richtet sich der Zugangsfaktor nach dem Alter des Versicherten bei Rentenbeginn oder bei Tod und bestimmt, in welchem Umfang EP bei der Ermittlung des Monatsbetrags der Rente als persönliche EP zu berücksichtigen sind. Abs 2 Satz 1 konkretisiert den jeweils maßgeblichen Rentenbeginn und die Höhe des Zugangsfaktors wie folgt: Der Zugangsfaktor beträgt 1,0 für EP, die noch nicht Grundlage von persönlichen EP einer Rente waren, bei Renten wegen Alters, die mit Ablauf des 65. Lebensjahres oder eines für den Versicherten maßgebenden niedrigeren Rentenalters beginnen (Nr 1) . Bei Renten wegen Alters, die vorzeitig in Anspruch genommen werden, ist der Zugangsfaktor für jeden Kalendermonat um 0,003 niedriger als 1,0 (Nr 2 Buchst a) und bei Renten wegen Alters, die nach Vollendung des 65. Lebensjahres trotz erfüllter Wartezeit nicht in Anspruch genommen werden, für jeden Kalendermonat um 0,005 höher als 1,0 (Nr 2 Buchst b) . Bei Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, Erziehungsrenten und Hinterbliebenenrenten richtet sich der Zugangsfaktor ebenfalls nach dem Zeitpunkt der Inanspruchnahme der Rente bzw dem Zeitraum ihrer Nichtinanspruchnahme (Nr 3 und 4) .
Inanspruchnahme der Rente bedeutet indes, dass die Rente geleistet wird, wie umgekehrt Nichtinanspruchnahme bedeutet, dass eine Rentenleistung nicht erfolgt. Die Abhängigkeit eines niedrigeren oder höheren Zugangsfaktors als 1,0 vom Zeitpunkt der Rentenleistung spricht aber dafür, dass auch der Zugangsfaktor von 1,0 bei Altersrenten durch den Zeitpunkt der Rentenleistung bestimmt wird und damit dem Begriff "Rentenbeginn" in § 77 Abs 1 SGB VI allgemein die Bedeutung des Beginns der Rentenleistung zukommt.
(3) Entgegen der vom SG vertretenen Ansicht wirkt sich ein bei aufgeschobenem Beginn der Rentenleistung verlängerter Gesamtzeitraum in aller Regel nicht rentenmindernd aus. Eine Verlängerung des belegungsfähigen Gesamtzeitraums durch eine spätere Inanspruchnahme der Rente ist mit einer Erhöhung des Zugangsfaktors verbunden. Dies darf bei der Beurteilung der Auswirkungen des längeren Gesamtzeitraums nicht außer Betracht bleiben; denn beide können nur zusammen auftreten, haben aber einen gegenläufigen Einfluss auf die Rentenhöhe.
Richtig ist zwar, dass ein verlängerter Gesamtzeitraum zu geringeren EP für die beitragslosen und beitragsgeminderten Zeiten führt und für sich genommen die Rente mindert. Ehe daraus rechtliche Schlüsse zu ziehen sind, muss jedoch zunächst der konkrete Betrag erfasst werden, um den sich die Rente im typischen Fall tatsächlich verändert. Im Fall der Klägerin beträgt der auf dem längeren Gesamtzeitraum beruhende Minderwert der monatlichen Rente - bezogen auf den Juli 2004 - nach der Angabe der Beklagten lediglich 0,1045 Euro und fällt daher wirtschaftlich selbst dann nicht ins Gewicht, wenn eine gewisse Steigerung durch Dynamisierung in Rechnung gestellt wird. Unabhängig von der Dynamisierung beläuft sich die Differenz auf unter 0,07 % des jeweiligen Rentenbetrags. Allerdings enthält der Versicherungsverlauf der Klägerin mit acht Monaten eine im Verhältnis zum belegungsfähigen Gesamtzeitraum von rund 600 Monaten relativ kurze beitragslose Zeit, sodass die aufgezeigte Differenz besonders gering ausfällt; nach den hier maßgeblichen Faktoren wäre sie jedoch auch bei einem höheren Anteil an beitragslosen Zeiten kaum größer. Ein wirtschaftlich bedeutsamer Nachteil durch die vom Senat vertretene Auslegung wäre allenfalls bei extrem atypischem Versicherungsverlauf mit einem außergewöhnlichen Missverhältnis von wenigen Beiträgen zu langen beitragslosen Zeiten denkbar.
Vor allem aber greift der Einwand der Rentenminderung deshalb nicht, weil dabei die mit der Verschiebung des Rentenzahlbeginns zwangsläufig verbundene Rentenerhöhung durch einen höheren Zugangsfaktor zu Unrecht unberücksichtigt bleibt. Die für die Berechnung einer Rente notwendigen Rechenoperationen bilden rechtlich eine untrennbare Einheit, auch wenn sie die Rentenhöhe in gegensätzlicher Richtung (im Sinne der Minderung bzw der Erhöhung) beeinflussen; entscheidend für die Rechtmäßigkeit der Rentenberechnung ist allein der dem Versicherten schließlich zuzubilligende Rentenbetrag (vgl BVerfG vom 27.2.2007 - 1 BvL 10/00 - NJW 2007, 1577 RdNr 51 mwN) . Infolgedessen ist die Rente der Klägerin mit der Rente zu vergleichen, die bereits ab dem 65. Lebensjahr zu leisten gewesen wäre; denn zur Verlängerung des belegungsfähigen Gesamtzeitraums kommt es ausschließlich dadurch, dass die Klägerin die Rente statt zum 1.3.1992 erst zum 1.1.1995 erhält. Da der Zugangsfaktor mit jedem Monat, den die Rente später gewährt wird, um 0,005 zunimmt, erhöht sich die Rente nach 34 Monaten wie bei der Klägerin um den Faktor 0,17 oder um 17 % bzw - bezogen auf den Juli 2004 - um monatlich etwas weniger als 21 Euro. Das ist mehr als das 200-fache der durch die Verlängerung des belegungsfähigen Gesamtzeitraums verursachten Rentenminderung von 0,07 % oder rund 0,10 Euro.
Bei alledem ist schließlich noch zu berücksichtigen, dass es der Versicherte selbst in der Hand hat, ob er lieber mit Erreichung der jeweiligen Altersgrenze die ihm dann zustehende Rente mit dem Faktor 1,0 oder in höherem Alter - falls er vorerst noch beschäftigt sein kann - eine deutlich erhöhte Rente mit zusätzlichen EP aus Beitragszeiten oder schließlich - ohne weitere Beitragszeiten - eine mit Rücksicht auf den längeren Gesamtzeitraum nur geringer erhöhte Rente in Anspruch nimmt. In der Auslegung durch den Senat bieten die Rentenberechnungsvorschriften insgesamt ein in sich schlüssiges Konzept der flexiblen Altersgrenze, bei dem sich der Versicherte für diejenige Gestaltung entscheiden kann, die seinen Bedürfnissen am nächsten kommt.
cc) Gegen die Auslegung des Begriffs "Beginn der ... Rente" in § 72 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB VI im Sinne des Beginns der Rentenzahlung sprechen entgegen der Ansicht des 4. Senats auch keine verfassungsrechtlichen Erwägungen.
(1) Eine Unvereinbarkeit der hier vertretenen Auslegung mit Art 14 Abs 1 Grundgesetz (GG) liegt nicht vor.
Rentenansprüche und -anwartschaften werden vom verfassungsrechtlichen Eigentumsschutz erfasst. Dabei kommt dem Gesetzgeber bei der Bestimmung von Inhalt und Schranken rentenversicherungsrechtlicher Positionen grundsätzlich eine weite Gestaltungsfreiheit zu. Rentenansprüche und -anwartschaften weisen zwar einen hohen personalen Bezug auf, stehen aber zugleich in einem ausgeprägt sozialen Bezug ( vgl im Einzelnen BVerfGE 53, 257, 292 f = SozR 7610 § 1587 Nr 1 S 4 ). Deswegen verleiht Art 14 Abs 1 Satz 2 GG dem Gesetzgeber auch die Befugnis, Rentenansprüche und Rentenanwartschaften zu beschränken, Leistungen zu kürzen und Ansprüche und Anwartschaften umzugestalten, sofern dies einem Gemeinwohlzweck dient und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügt ( vgl BVerfGE 53, 257, 293 = SozR 7610 § 1587 Nr 1 S 4 f ). Allerdings verengt sich seine Gestaltungsfreiheit in dem Maß, in dem Rentenansprüche und -anwartschaften durch den personalen Bezug des Anteils eigener Leistungen der Versicherten geprägt sind ( BVerfGE 100, 1, 38 = SozR 3-8570 § 10 Nr 3 S 51 ). Zu den eigentumsrelevanten Eigenleistungen der Versicherten gehören sowohl die von ihnen selbst gezahlten Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung als auch der Beitragsanteil der Arbeitgeber ( vgl BVerfGE 69, 272, 302 = SozR 2200 § 165 Nr 81 S 127 ).
Danach ist eine gesetzliche Umgestaltung oder Beschränkung selbst solcher Rentenanwartschaften verfassungsrechtlich zulässig, die auf eigentumsrelevanten Eigenleistungen beruhen. Die nach § 72 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB VI zu ermittelnde Anzahl der belegungsfähigen Monate wirkt sich ausschließlich auf die Bewertung beitragsloser und beitragsgeminderter Zeiten aus und begegnet schon deshalb keinen aus Art 14 Abs 1 GG abzuleitenden Bedenken.
§ 72 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB VI verstößt bei dem hier vertretenen Normverständnis auch nicht gegen das Gebot der Verhältnismäßigkeit im Sinne des Teilgebots der Angemessenheit bzw Zumutbarkeit ( vgl zum Inhalt des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im Einzelnen Jarras/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 9. Aufl 2007, Art 20 RdNr 83, 86 mit zahlreichen Hinweisen auf die Rechtsprechung des BVerfG ). Insoweit ist die Intensität, die Schwere und Tragweite der Rechtsbeeinträchtigung bedeutsam ( BVerfGE 31, 229, 243 ). Eine intensive Beeinträchtigung von Rentenanwartschaften und -ansprüchen liegt nicht vor. Zum einen wird im Fall der späteren Inanspruchnahme der Rente der wegen des verlängerten Gesamtzeitraums geminderte Wert der beitragslosen Zeiten durch den höheren Zugangsfaktor in aller Regel mehr als ausgeglichen. So erreicht die Klägerin - wie oben ausgeführt - durch das Hinausschieben des Rentenbeginns eine um lediglich rund 0,10 Euro und daher nur ganz geringfügig abgesenkte Rentenerhöhung von monatlich über 20 Euro. Zum anderen ist zu bedenken, dass diese Wirkung vom Versicherten vollständig abgewendet werden kann, indem er rechtzeitig im Sinne des § 99 Abs 1 Satz 1 SGB VI einen Rentenantrag stellt. Insbesondere im Hinblick auf diese dem Versicherten eingeräumte Dispositionsbefugnis erweist sich § 72 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB VI als zumutbar.
Bedenken im Hinblick auf eine Vereinbarkeit der Norm mit Art 14 Abs 1 GG ergeben sich dagegen, wenn man den Begriff "Beginn der ... Rente" im Sinne von § 72 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB VI als Zeitpunkt versteht, in dem der Rechtsinhaber zum ersten Mal vom Rentenversicherungsträger verlangen kann, die Rente als eine jetzt zu erbringende Leistung zu zahlen. In diesem Fall könnten die Beitragszeiten, die ein vollbeschäftigter Versicherter nach Vollendung des 65. Lebensjahres zurücklegt, bei einer späteren Inanspruchnahme der RAR - wie oben dargelegt - nicht berücksichtigt werden. Derartige Beiträge könnten mithin keine Rentenanwartschaften mehr begründen und erst recht nicht zu erhöhten Rentenansprüchen führen. Eigentumsrechtlich relevanten Eigenleistungen würde insoweit jeglicher Wert genommen. Dies wäre mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Sinne der Zumutbarkeit zumindest dann nicht in Einklang zu bringen, wenn den Versicherten hierdurch Rentenzahlungen in nennenswertem Umfang vorenthalten blieben.
(2) Bei einer Auslegung des Begriffs "Beginn der ... Rente" im zuletzt dargelegten Sinne bestünden auch Bedenken gegen eine Vereinbarkeit des § 72 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB VI mit Art 3 Abs 1 GG.
Diese Norm ist verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten ( vgl BVerfGE 100, 1, 38 = SozR 3-8570 § 10 Nr 3 S 52 mwN ). Wäre unter Rentenbeginn der Zeitpunkt zu verstehen, in dem der Rechtsinhaber zum ersten Mal vom Rentenversicherungsträger die Rentenzahlung verlangen kann, würden die Versicherten, die über die Vollendung des 65. Lebensjahres hinaus einer vollen Beschäftigung nachgehen und hierfür Beiträge zur Rentenversicherung abführen, gegenüber den Versicherten, die lediglich bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres arbeiten und danach eine Altersrente als Vollrente in Anspruch nehmen, ungleich behandelt. Während nämlich bei der zuletzt genannten Versichertengruppe alle geleisteten Beiträge die Höhe der späteren Vollrente beeinflussen würden, berührten die Beitragsleistungen der zuerst genannten Versichertengruppe die Höhe der Vollrente teilweise nicht. Ein sachlich hinreichender Grund für diese Ungleichbehandlung ist nicht ersichtlich.
Ebenso wenig wäre einzusehen, warum sich Lücken im Versicherungsverlauf auf die Bewertung der beitragslosen Versicherungszeiten unterschiedlich auswirken sollten - je nach dem, ob sie vor der Altersgrenze eingetreten sind oder danach. Das wäre jedoch bei einem trotz Hinausschiebens des Rentenzahlbeginns mit der Altersgrenze endenden belegungsfähigen Gesamtzeitraum der Fall. Denn dann würden vor der Altersgrenze liegende Versicherungslücken die Beitragsdichte und damit den für die beitragslosen Zeiten maßgeblichen Durchschnittswert senken, während sich Versicherungslücken nach der Altersgrenze auf diesen Durchschnittswert nicht auswirken würden, weil sie außerhalb des Gesamtzeitraums lägen. Auch hierfür sieht der Senat keinen sachlichen Grund.
dd) Für die Auslegung des Begriffs "Beginn der ... Rente" in § 72 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB VI ist schließlich unerheblich, dass nach der Äußerung eines Mitarbeiters des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung in der 94. Sitzung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung am 22.6.1989 "der gesamte belegungsfähige Zeitraum ... mit dem Versicherungsfall" endet ( Protokoll Nr 94, S 7 ). Dabei kann dahinstehen, ob diese Erklärung dahin verstanden werden muss, dass bei sämtlichen Alternativen des § 72 Abs 2 Satz 1 SGB VI der belegungsfähige Zeitraum mit Eintritt des versicherten Risikos endet. Selbst wenn dies der Fall wäre, könnte hieraus nicht auf einen entsprechenden klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers geschlussfolgert werden. Denn die amtliche Begründung zu § 71 des Entwurfs des RRG 1992 ( = § 72 SGB VI ) enthält diesen Hinweis nicht ( vgl BT-Drucks 11/4124 S 171 zu § 71 ). Zudem kommt den Gesetzesmaterialien keine ausschlaggebende Bedeutung zu, wenn - wie hier - Wortlaut, systematischer Zusammenhang, Sinn und Zweck der Regelung sowie verfassungsrechtliche Erwägungen die Auslegung einer Norm in einem anderen Sinn tragen (vgl BVerfGE 111, 54, 91 mwN) .
Unter Zugrundelegung der hier vertretenen Auffassung wäre das Urteil des SG Düsseldorf aufzuheben und die Klage abzuweisen.
2. Eine Entscheidung in diesem Sinne ist dem Senat jedoch nicht ohne Abweichung von dem Urteil des 4. Senats vom 24.7.2001 ( SozR 3-2600 § 71 Nr 2 ) möglich.
|
|
In dem vom 4. Senat entschiedenen Fall hat der am 1928 geborene Kläger im Februar 1996 eine RAR beantragt. Der Rentenversicherungsträger bewilligte die RAR ab diesem Monat. Dabei legte er seiner Berechnung einen belegungsfähigen Gesamtzeitraum bis zum 31.1.1996, dem Monat vor Antragstellung zu Grunde. Mit seiner hiergegen gerichteten Klage hat der Kläger die Rentenberechnung angegriffen und die Gewährung einer höheren Rente begehrt. Außer dem Umfang des belegungsfähigen Gesamtzeitraums waren zwei weitere Punkte streitig. Der 4. Senat hat der Anfechtungsklage gegen die "Rentenhöchstwertfestsetzung" und der damit verbundenen (unechten) Leistungsklage auf Zahlung einer höheren Rente stattgegeben. Dabei hat er unter anderem ausgeführt (Urteilsumdruck S 5 f = SozR 3-2600 § 71 Nr 2 S 17 f): |
|
"... der 'belegungsfähige Zeitraum' (§§ 71 Abs 1 Satz 1, 72 Abs 2 SGB VI) wurde überdehnt, weil die Zeiten vom 1. August 1993 bis zum 31. Januar 1996 in ihn einbezogen wurden, obwohl sie nach 'dem Beginn der zu berechnenden Rente', also nach dem 1. August 1993 lagen. 'Rentenbeginn' iS von §§ 64, 72 SGB VI ist der Zeitpunkt, zu dem der Rechtsinhaber zum ersten Mal vom Rentenversicherungsträger verlangen kann, die Rente als eine jetzt zu erbringende Leistung zu zahlen (Fälligkeit des ersten Einzelanspruchs aus dem ≪Stamm-≫Recht auf Rente). Dieses Recht erlangt der Vollrechtsinhaber mit Beginn des Monats, der auf den Eintritt des Versicherungsfalles folgt, welcher die Entstehung des Stammrechts auslöst. |
|
Diese eigentumsgrundrechtliche Freiheit des Rechtsinhabers im Vermögensbereich besteht unabhängig davon, ob er einen Rentenantrag stellt, er das Recht voll oder nur teilweise geltend macht (§ 42 SGB VI) oder ob er sein Recht nicht ausübt und sich dadurch einen höheren Zugangsfaktor sichert, aber sich ggf dem Antragseinwand aussetzt (§ 99 SGB VI), der nur entstandene Einzelansprüche betrifft. Übt der Versicherte - wie hier der Kläger - sein Recht auf RAR nicht aus, nimmt er also die ihm zustehenden monatlichen Zahlungen nicht in Anspruch, wird der Wert seines Rechts auf RAR sogar kraft Gesetzes nachträglich im Blick auf die kürzere Laufzeit der Rente für jeden Monat durch Anhebung des Zugangsfaktors um 0,0005 erhöht ... Das Gesetz 'belohnt' also den Inhaber eines Rechts auf RAR, der sein Recht nicht ausübt, durch Anhebung des Monatsbetrags der Rente. Es bedroht ihn aber gerade nicht damit, dass sein Rangstellenwert gemindert wird, wenn er seine Rente nicht in Anspruch nimmt. Eine mit Rangstellenverlusten sanktionierte Obliegenheit, sein Recht auf RAR auszuüben, kennt das Gesetz nicht. Solches praktiziert aber die BfA. Sie setzt rechtswidrig ... den vom Rentenantrag abhängigen Beginn der Zeiträume, für die sie auf Grund einer Rechtsausübung des Rechtsinhabers mangels eigener Gegnerrechte unausweislich zahlen muss, also den verwaltungstechnischen 'Zahlungsbeginn' (§ 99 SGB VI), mit dem 'Rentenbeginn', also mit der Fälligkeit des ersten Einzelanspruchs, gleich. Dadurch wird ua der Rangstellenwert auch des Inhabers eines Rechts auf RAR nachträglich verringert, der sich - wegen der gesetzlich versprochenen Rentenerhöhung - entschlossen hat, seine Rente nicht in Anspruch zu nehmen. ... Diese Verwaltungspraxis ist mit Gesetz und Verfassung nicht zu vereinbaren." |
Der 4. Senat legt damit seiner Entscheidung ein anderes Verständnis des Begriffs "Beginn der ... Rente" in § 72 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB VI zu Grunde als der 5. Senat.
|
|
Diese Auffassung ist für die Entscheidung des 4. Senats zumindest insoweit tragend, als dieser die Anfechtungsklage für zulässig und begründet erachtet. Insoweit führt der 4. Senat aus (Umdruck S 3 f = SozR 3-2600 § 71 Nr 2 S 15): |
|
"Die angefochtene Rentenhöchstwertfestsetzung verstößt gegen § 64 SGB VI und verletzt dadurch das Recht des Klägers auf richtige Feststellung des Wertes seines Rechts auf RAR; sie ist deshalb aufzuheben (§ 54 Abs 1 Satz 1 und Abs 2 Satz 1 SGG). ... Der Verwaltungsakt der Rentenhöchstwertfestsetzung ist rechtswidrig, weil er den (Teil-)Rangstellenwert des Klägers, soweit er sich aus seinen Ausbildungs-Anrechnungszeiten ergibt, entgegen § 64 SGB VI nicht mit seinem Wert bei Rentenbeginn, sondern zu niedrig angesetzt hat. Die Feststellung ist schon im Ansatz falsch, weil der belegbare Gesamtzeitraum gesetzwidrig um 30 Kalendermonate verlängert wurde ... " |
Es folgen sodann Ausführungen zu zwei weiteren vom 4. Senat festgestellten Rechtsfehlern der streitigen Rentenberechnung.
Darüber hinaus dürfte die Rechtsauffassung des 4. Senats zur Berechnung des Gesamtzeitraums aber auch der weiteren Entscheidung tragend zu Grunde liegen. Der 4. Senat hat die Beklagte im oben genannten Urteil dem Grunde nach verurteilt, dem Kläger eine höhere Altersrente nach Maßgabe seiner am 31.12.1991 erlangten Rangstelle zu zahlen.
Zwar hat die zu diesem Zeitpunkt erlangte Rangstelle nichts mit der Berechnung des Gesamtzeitraums zu tun, sondern beruht auf einem völkervertragsrechtlich garantierten Rangstellenwert, der 4,2746 EP beträgt. Unter Berücksichtigung der Entscheidungsgründe zu Ziff 4 (Umdruck S 15 = SozR 3-2600 § 71 Nr 2 S 27 f) ist der Tenor jedoch so zu verstehen, dass die Beklagte verurteilt worden ist, dem Kläger eine höhere Altersrente mindestens nach Maßgabe seiner am 31.12.1991 erlangten Rangstelle zu zahlen. Daher hat die Beklagte unter Korrektur aller vom 4. Senat festgestellten Rechtsfehler, und damit auch der aus seiner Sicht falschen Berechnung des Gesamtzeitraums den Rentenbetrag neu, und zwar insgesamt höher zu berechnen. Dabei hält es der 4. Senat zwar für fernliegend, dass auf Grund der Korrektur der übrigen Rechtsfehler sich höhere EP als 4,2746 ergeben. Ausgeschlossen hat er dies indes nicht. Dementsprechend ist die Beklagte verurteilt worden, auch die übrigen Fehler im Rahmen der Neuberechnung zu korrigieren und ggf auch insoweit eine höhere Rente zu zahlen.
Die Rechtsauffassung des 4. Senats ist mit der (unter 1 erläuterten) Rechtsauffassung des 5. Senats nicht zu vereinbaren. Auf den Fall der Klägerin angewandt, würde sie bedeuten, dass die Revision der Beklagten zurückgewiesen werden müsste: Das Urteil des SG Düsseldorf vom 9.12.2003 wäre dann rechtmäßig. Das SG hätte in diesem Fall die Beklagte zu Recht unter Aufhebung des Bescheides vom 14.5.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5.9.2002 verpflichtet, den Rentenbescheid vom 8.6.2001 zu ändern und die Rente der Klägerin unter Berücksichtigung eines Gesamtzeitraums, der am 29.2.1992 endet, neu zu berechnen.
Nach § 41 Abs 3 Satz 1 SGG ist daher beim 4. Senat des BSG anzufragen, ob dieser an seiner Rechtsauffassung festhält.
Fundstellen