Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Amtsenthebung eines ehrenamtlichen Richters. grobe Amtspflichtverletzung. Verurteilung wegen Bestechlichkeit
Orientierungssatz
Zur Amtsenthebung eines ehrenamtlichen Richters am BSG, der unter Bezugnahme auf sein Amt von einem Verfahrensbeteiligten einen Vorteil für eine sachwidrige Beeinflussung von Gerichtsentscheidungen gefordert hat und dafür rechtskräftig nach § 332 Abs 2 StGB wegen Bestechlichkeit von Richtern verurteilt wurde.
Normenkette
GG Art. 97 Abs. 2 S. 1; SGG §§ 21, 22 Abs. 1 S. 2, Abs. 2, § 47 S. 2; StGB § 332 Abs. 2; DRiG § 44 Abs. 2, § 45
Tenor
Der ehrenamtliche Richter C. wird seines Amtes enthoben.
Gründe
I. C. ist ehrenamtlicher Richter beim BSG. Er wird seit dem 30.7.2015 aufgrund des Beschlusses des erkennenden Senats vom gleichen Tag bis zur Entscheidung über seine Amtsenthebung nicht mehr als ehrenamtlicher Richter herangezogen. Das Amtsgericht B. verurteilte den ehrenamtlichen Richter wegen Bestechlichkeit von Richtern (§ 332 Abs 2 Strafgesetzbuch ≪StGB≫) zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und fünf Monaten ohne Bewährung. Das Amtsgericht sah es als erwiesen an, dass der ehrenamtliche Richter unter Bezugnahme auf sein Amt von einem Verfahrensbeteiligten an Kündigungsschutzverfahren als Gegenleistung für eine sachfremde Beeinflussung von Entscheidungen des Arbeitsgerichts B., an dem er als ehrenamtlicher Richter tätig war, 130 Packungen Zigaretten und mehrere hochwertige Geschenke (zB Lederschreibmappen, Tischuhren oder Kugelschreiber) konkludent gefordert hatte (Urteil vom 10.10.2017 - 21 Ls 7/17). Im auf das Strafmaß beschränkten Berufungsverfahren verurteilte das Landgericht P. den ehrenamtlichen Richter rechtskräftig wegen Bestechlichkeit unter Einbeziehung eines Urteils des Amtsgerichts A. zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren, die es zur Bewährung aussetzte (Urteil vom 3.7.2018 - 26 (b) Ns 134/17).
Der Senat hat den ehrenamtlichen Richter zu seiner beabsichtigten Amtsenthebung angehört (§ 22 Abs 2 S 2 iVm § 47 S 2 SGG). Er hat daraufhin mitgeteilt, sein Amt als ehrenamtlicher Richter aus persönlichen Gründen niederzulegen.
II. Der ehrenamtliche Richter ist seines Amtes zu entheben.
Nach Art 97 Abs 2 S 1 GG können Richter wider ihren Willen nur kraft richterlicher Entscheidung und nur aus Gründen und unter den Formen, welche die Gesetze bestimmen, vor Ablauf ihrer Amtszeit entlassen oder dauernd oder zeitweise ihres Amtes enthoben werden. Sinn und Zweck der hierdurch gewährleisteten persönlichen Unabhängigkeit ist die Sicherung der sachlichen Unabhängigkeit des Richters, die ihrerseits der Unparteilichkeit der Rspr dient (vgl BVerfGE 14, 56, 69 f; 14, 156, 162). Seinem Wortlaut nach bezieht sich die Vorschrift nur auf die "hauptamtlich und planmäßig angestellten Richter". Aber auch den ehrenamtlichen Richtern ist als ein Mindestmaß an persönlicher Unabhängigkeit garantiert, dass sie vor Ablauf ihrer Amtszeit gegen ihren Willen nur kraft richterlicher Entscheidung und nur unter den im Gesetz vorgesehenen Voraussetzungen aus ihrem Amt abberufen werden können (BVerfGE 14, 56, 70; 18, 241, 254 f; 26, 186, 198 f; 27, 312, 322 = SozR Nr 4 zu Art 101 GG S Ab 3 R; BVerfGE ; 42, 206, 209 f; 87, 68, 85). Dieser Grundsatz wird in § 44 Deutsches Richtergesetz (DRiG) und für die Sozialgerichtsbarkeit in § 22 SGG einfachrechtlich ausgeformt (vgl BVerfGE 27, 312, 322 = SozR Nr 4 zu Art 101 GG S Ab 3 R).
Nach § 22 Abs 1 S 2 iVm § 47 S 2 SGG ist ein ehrenamtlicher Richter am BSG seines Amtes zu entheben, wenn er seine Amtspflichten grob verletzt. Die Amtsenthebung bedarf keines Antrags; es genügt bereits das Bekanntwerden eines Enthebungsgrundes bei dem nach § 22 Abs 2 iVm § 47 S 2 SGG zuständigen Senat (vgl BSGE 59, 4 = SozR 1500 § 22 Nr 1). Der für das Amtsenthebungsverfahren geschäftsplanmäßig zuständige 1. Senat des BSG entscheidet durch Beschluss ohne Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter. Da nach § 22 Abs 2 iVm § 47 S 2 SGG keine mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, kann die Entscheidung nach § 124 Abs 3 SGG außerhalb der mündlichen Verhandlung durch Beschluss ergehen. Entscheidungen durch Beschluss ergehen, soweit die Hinzuziehung ehrenamtlicher Richter nicht ausdrücklich geregelt ist (vgl etwa § 160a Abs 4 S 1 SGG), ohne deren Hinzuziehung (vgl zum Ganzen ausführlich BSGE 59, 4 = SozR 1500 § 22 Nr 1).
Eine grobe Amtspflichtverletzung iSd § 22 Abs 1 S 2 SGG liegt grundsätzlich nur bei einer schwerwiegenden Zuwiderhandlung gegen die Pflichten eines ehrenamtlichen Richters vor (vgl BVerfG ≪Kammer≫ Beschluss vom 26.8.2013 - 2 BvR 225/13 - NZS 2014, 105 = Juris RdNr 11; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 22 RdNr 7; Wiegand in Zeihe/Hauck, SGG, Stand April 2018, § 22 Anm 6a mwN). Die Verletzung einer Amtspflicht ist dann gröblich, wenn sie nach der Intensität der Handlung oder deren Häufigkeit schwerwiegend ist und die Ungeeignetheit des Richters für sein Amt belegt (vgl OVG Sachsen-Anhalt Beschluss vom 10.10.2011 - 1 P 147/11 - Juris RdNr 4; OVG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 28.2.2008 - OVG 4 E 3.08 - Juris RdNr 4). Wann das erforderliche Maß der Pflichtverletzung erreicht ist, ist eine Frage der Umstände des konkreten Einzelfalls. Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist grundsätzlich zunächst von dem Mittel des Ordnungsgeldes (§ 21 SGG) Gebrauch zu machen, bevor eine Amtsenthebung zu erwägen ist. In besonderen Fällen kann aber auch ohne die vorherige Verhängung von Ordnungsgeldern eine Amtsenthebung zulässig sein.
So liegt es hier. Der ehrenamtliche Richter wurde rechtskräftig wegen Bestechlichkeit von Richtern (§ 332 Abs 2 StGB) verurteilt. Dies stellt eine so schwerwiegende Verletzung seiner Amtspflichten dar, dass sie ohne Weiteres die Ungeeignetheit des ehrenamtlichen Richters für sein Amt belegt und die vorherige Verhängung eines Ordnungsgeldes nicht in Betracht kommt. Die nach § 45 DRiG auch für ehrenamtliche Richter geltende Neutralität und Unparteilichkeit des Richters ist der wichtigste und wesensprägende Grundsatz der Dritten Staatsgewalt im gewaltengeteilten Rechtsstaat nach dem GG. Das GG gewährleistet den Beteiligten eines gerichtlichen Verfahrens, vor einem unabhängigen und unparteilichen Richter zu stehen, der die Gewähr für Neutralität und Distanz gegenüber allen Verfahrensbeteiligten und dem Verfahrensgegenstand bietet (vgl BVerfGE 4, 412, 416; 21, 139, 145 f; 23, 321, 325; 82, 286, 298; 89, 28, 36 = SozR 3-1500 § 60 Nr 2 S 8). Neben der sachlichen und persönlichen Unabhängigkeit des Richters (Art 97 Abs 1 und 2 GG) ist es wesentliches Kennzeichen der Rspr im Sinne des GG, dass die richterliche Tätigkeit von einem "nicht beteiligten Dritten" ausgeübt wird (vgl BVerfGE 3, 377, 381; 4, 331, 346; 21, 139, 145; 27, 312, 322 = SozR Nr 4 zu Art 101 GG S Ab 3; BVerfGE; 48, 300, 316; 87, 68, 85; 103, 111, 140). Diese Vorstellung von neutraler Amtsführung ist mit den Begriffen "Richter" und "Gericht" untrennbar verknüpft (vgl BVerfGE 4, 331, 346; 60, 175, 214; 103, 111, 140). Die richterliche Tätigkeit erfordert daher unbedingte Neutralität gegenüber den Verfahrensbeteiligten (vgl BVerfGE 21, 139, 146; 103, 111, 140). Das Recht auf den gesetzlichen Richter (Art 101 Abs 1 S 2 GG) gewährt deshalb nicht nur einen Anspruch auf den sich aus dem GVG, den Prozessordnungen sowie den Geschäftsverteilungs- und Besetzungsregelungen des Gerichts ergebenden Richter (vgl BVerfGE 89, 28, 36 = SozR 3-1500 § 60 Nr 2 S 8), sondern garantiert auch, dass der Betroffene nicht vor einem Richter steht, der aufgrund persönlicher oder sachlicher Beziehungen zu den Verfahrensbeteiligten oder zum Streitgegenstand die gebotene Neutralität vermissen lässt (vgl BVerfGE 21, 139, 146; 89, 28, 36). Dieses Verlangen nach Unvoreingenommenheit und Neutralität des Richters ist zugleich ein Gebot der Rechtsstaatlichkeit (vgl BVerfGE 3, 377, 381; 37, 57, 65; 133, 168 RdNr 62).
Ein ehrenamtlicher Richter, der unter Bezugnahme auf sein Amt von einem Verfahrensbeteiligten einen Vorteil für eine sachwidrige Beeinflussung von Gerichtsentscheidungen fordert, lässt eine die verfassungsmäßige Ordnung grundsätzlich in Frage stellende Einstellung erkennen und bietet nicht die Gewähr für eine den oben dargestellten Grundsätzen entsprechenden Amtsführung. Ua wegen eines solchen Fehlverhaltens wurde der ehrenamtliche Richter rechtskräftig wegen Bestechlichkeit von Richtern zu einer zweijährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Er bestreitet die Tat gegenüber dem erkennenden Senat nicht. Vielmehr hat er auf die Anhörung des Senats zur Amtsenthebung mitgeteilt, sein Amt als ehrenamtlicher Richter "aus persönlichen Gründen" niederzulegen. Das Fehlverhalten ist so schwerwiegend, dass der Schutz von Neutralität und Unparteilichkeit künftiger Entscheidungen des BSG und des Vertrauens der Öffentlichkeit hierauf nicht angemessen durch die Verhängung eines Ordnungsgeldes gewährleistet werden kann. Der Amtsenthebung steht auch nicht entgegen, dass der ehrenamtliche Richter die Verfehlungen nicht bei der Ausübung seines Amtes als ehrenamtlicher Richter beim BSG, sondern als ehrenamtlicher Richter beim Arbeitsgericht B. begangen hat. Denn sie stellen die richterliche Integrität des ehrenamtlichen Richters generell in Frage. Wenn selbst außerdienstliches Verhalten als grobe Amtspflichtverletzung angesehen werden kann, wenn dadurch das Vertrauen in die Integrität des Richters erschüttert wird oder negative Rückschlüsse auf die Pflichterfüllung des Betroffenen als ehrenamtlicher Richter gezogen werden können (vgl BVerfG ≪Kammer≫ Beschluss vom 26.8.2013 - 2 BvR 225/13 - NZS 2014, 105 = Juris RdNr 11; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 22 RdNr 7; Wiegand in Zeihe/Hauck, SGG, Stand April 2018, § 22 Anm 6a mwN), gilt dies erst recht für Verfehlungen bei der Ausübung des Richteramtes an einem anderen Gericht.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 22 Abs 2 S 3 iVm § 47 S 2 SGG).
Fundstellen
Haufe-Index 12550270 |
FA 2019, 74 |
RohR 2019, 31 |