Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde. Darlegungsanforderungen. Divergenz. Bindungswirkung einer zurückverweisenden BSG-Entscheidung. Zurückverweisung wegen Prozess- statt Sachurteil. Geltendmachung einer abweichenden Rechtsprechung zur Begründetheit. Verfahrensmangel. Fehlen von Entscheidungsgründen. unterlassene Sachverhaltsdarstellung in der mündlichen Verhandlung. faires Verfahren. rechtliches Gehör. sozialgerichtliches Verfahren
Orientierungssatz
1. Die Behauptung des Beschwerdeführers, das LSG habe die Rechtsprechung des BSG in der zurückverweisenden Entscheidung nicht genügend berücksichtigt oder im Einzelfall falsch angewandt, genügt - unabhängig davon, ob hierin die Rüge einer Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG oder die Rüge eines Verfahrensmangels nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG wegen Verstoßes gegen § 170 Abs 5 SGG gesehen wird - nicht den Darlegungsanforderungen an die Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde.
2. Basierte die Zurückverweisung durch das BSG ausschließlich auf dem Vorliegen eines Verfahrensfehlers iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG wegen des Vorliegens eines Prozess- anstatt eines Sachurteils, muss der Beschwerdeführer einer Nichtzulassungsbeschwerde, der eine abweichende Rechtsprechung des LSG im Rahmen der Begründetheit der Klage geltend macht, auch die Entscheidungserheblichkeit der Abweichung darlegen.
3. Zu den Darlegungserfordernissen für Verstöße gegen § 112 Abs 1 S 2 SGG (unterlassene Sachverhaltsdarstellung in der mündlichen Verhandlung), § 547 Nr 6 ZPO (Fehlen von Entscheidungsgründen), Art 6 Abs 1 S 1 MRK iVm Art 19 Abs 4 GG (faires Verfahren) sowie § 62 SGG iVm Art 103 Abs 1 GG (rechtliches Gehör).
4. Die Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss wurde nicht zur Entscheidung angenommen (BVerfG 1. Senat 2. Kammer vom 21.8.2014 - 1 BvR 2115/14).
Normenkette
SGG § 160a Abs. 2 S. 3, § 160 Abs. 2 Nrn. 2-3, § 170 Abs. 5, § 112 Abs. 1 S. 2, § 62; ZPO § 547 Nr. 6; ÜberlVfRSchG Art. 23 S. 1; MRK Art. 6 Abs. 1 S. 1; GG Art. 19 Abs. 4, Art. 103 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 17. Dezember 2013 wird als unzulässig verworfen.
Der Kläger trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird auf 10 000 Euro festgesetzt.
Gründe
I. Streitig ist eine Entschädigung von Nachteilen infolge einer überlangen Dauer der Gerichtsverfahren S 35 KA 322/01 (SG Hannover), L 3 KA 156/04 und L 3 KA 55/10 WA (LSG Niedersachsen-Bremen).
Der Kläger nimmt als Zahnarzt an der vertragszahnärztlichen Versorgung in Niedersachsen teil. Mit Bescheid vom 5.4.2000 setzte die Kassenzahnärztliche Vereinigung Niedersachen (KZVN) das vertragszahnärztliche Honorar des Klägers für das Kalenderjahr 1999 fest. Nach erfolglosem Widerspruch erhob der Kläger am 17.4.2001 beim SG Klage. Durch Urteil vom 30.6.2004 - S 35 KA 322/01 - hob das SG den angefochtenen Verwaltungsakt auf und verurteilte die KZVN zur Neubescheidung. Die dagegen vom Kläger eingelegte Berufung wies das LSG mit Urteil vom 9.4.2008 - L 3 KA 156/04 - zurück; eine gegen einen weiteren Honorarbescheid vom 6.4.2006 gerichtete Klage wies es ab. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG wurde durch Beschluss des BSG vom 17.6.2009 zurückgewiesen. Die dagegen erhobene Verfassungsbeschwerde des Klägers nahm das BVerfG nicht zur Entscheidung an (Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 9.11.2009).
Am 25.5.2010 reichte der Kläger beim LSG in Bezug auf dessen Urteil vom 9.4.2008 eine Nichtigkeitsklage ein, die das LSG durch Beschluss vom 16.12.2011 - L 3 KA 55/10 WA - abwies.
Zwischenzeitlich reichte der Kläger beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) elf Individualbeschwerden ein, wobei er unter anderem auch in Bezug auf das vorliegende Ausgangsverfahren (Individualbeschwerde Nr 52719/08) insbesondere rügte, dass die Verfahrensdauer mit dem Gebot der "angemessenen Frist" nach Art 6 Abs 1 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) unvereinbar sei. Mit Urteil vom 16.12.2010 verband der EGMR diese Individualbeschwerden und erklärte die Rügen wegen der überlangen Verfahrensdauer für zulässig sowie Art 6 Abs 1 EMRK für verletzt; ferner entschied er, dass die beklagte Bundesrepublik Deutschland dem Kläger 30 000 Euro in Bezug auf den immateriellen Schaden zu zahlen habe. Die Forderung bezüglich des geltend gemachten materiellen Schadens wies der EGMR in vollem Umfang zurück.
Am 16.1.2012 hat der Kläger beim LSG gegen das beklagte Land eine Entschädigungsklage erhoben. In der mündlichen Verhandlung vor dem LSG hat er beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an ihn wegen der Nachteile aus der überlangen Dauer der Gerichtsverfahren S 35 KA 322/01 = L 3 KA 156/04 und L 3 KA 55/10 WA immateriellen Schadensersatz in Höhe von 10 000 Euro zu zahlen sowie materiellen Schadensersatz zu zahlen, dessen Höhe das Gericht durch Einholung eines Sachverständigengutachtens ermitteln solle. Durch Urteil vom 23.11.2012 hat das LSG die Klage abgewiesen, weil Art 23 Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (ÜGG) vom 24.11.2011 (BGBl I 2302) den zeitlichen Geltungsbereich des Gesetzes für das Verfahren S 35 KA 322/01 = L 3 KA 156/04 ausschließe. Die Dauer dieses Verfahrens sei bereits Gegenstand der mit Urteil vom 16.12.2010 abgeschlossenen Individualbeschwerde Nr 52719/08 vor dem EGMR gewesen. Damit sei dieser Gegenstand am 3.12.2011 weder vor dem EGMR anhängig gewesen, noch habe er es zu diesem Zeitpunkt zulässigerweise werden können. Denn dem Erheben einer erneuten Individualbeschwerde im Hinblick auf die Verfahrensdauer S 35 KA 322/01 = L 3 KA 156/04 stehe Art 35 Abs 2 Buchst b EMRK entgegen, wonach wiederholte Beschwerden unzulässig seien, wenn sie denselben Beschwerdegegenstand wie eine schon einmal eingereichte Beschwerde an den Gerichtshof beträfen. Dies gelte unabhängig von dem Umstand, ob sich die frühere Individualbeschwerde gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichtet habe, während die jetzige Klage gegen das Land Niedersachsen erhoben worden sei.
Zu keinem anderen Ergebnis führe das Argument des Klägers, dass das Verfahren S 35 KA 322/01 = L 3 KA 156/04 aufgrund der Erhebung der Nichtigkeitsklage (L 3 KA 55/10 WA) erst im Dezember 2011 (Beschluss des LSG vom 16.12.2011) beendet worden sei. Diese Sichtweise verkenne, dass die Wiederaufnahme des rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens S 35 KA 322/01 = L 3 KA 156/04 mangels Vorliegens der Voraussetzungen gerade abgelehnt und die insoweit erhobene Nichtigkeitsklage des Klägers abgewiesen worden sei. Damit aber stehe der rechtskräftige Abschluss des Verfahrens S 35 KA 322/01 = L 3 KA 156/04 spätestens seit dem 17.6.2009 fest.
Eine Entschädigung des Klägers komme mangels Verzögerungsrüge auch nicht im Hinblick auf das Verfahren L 3 KA 55/10 WA in Betracht (vgl § 198 Abs 5 S 1 GVG). Zwar sei in Bezug auf dieses Verfahren das ÜGG anzuwenden, weil insoweit der zeitliche Geltungsbereich des Gesetzes zu bejahen sei; denn dieses Gesetz gelte auch für Verfahren, die bei seinem Inkrafttreten am 3.12.2011 bereits anhängig gewesen seien, was auf das am 25.5.2010 begonnene und am 16.12.2011 abgeschlossene Verfahren L 3 KA 55/10 WA zutreffe. § 198 Abs 3 S 1 GVG normiere aber als zwingende Voraussetzung für die Gewährung von Entschädigung, dass der Betroffene in dem Verfahren, für dessen Dauer er entschädigt werden wolle, eine Verzögerungsrüge erhoben habe, was gemäß Art 23 S 2 und 3 ÜGG auch für anhängige Verfahren gelte, die bei seinem Inkrafttreten schon verzögert seien. Der letzte Schriftsatz des Klägers in dem Verfahren L 3 KA 55/10 WA datiere ausweislich der Akten vom 5.8.2011, ohne dass eine Verzögerungsrüge erhoben worden sei. Das Argument des Klägers, von dem Erheben einer Verzögerungsrüge deshalb abgesehen zu haben, weil der 3. Senat im August 2011 angekündigt habe, alsbald zu entscheiden, sei in diesem Zusammenhang unerheblich, denn der Gesetzgeber habe zum Zwecke der Verfahrensbeschleunigung und auch zur Missbrauchsabwehr als zwingende Voraussetzung für die Gewährung von Entschädigung das Erheben einer Verzögerungsrüge normiert. Das gänzliche Fehlen einer Verzögerungsrüge sei von Amts wegen zu berücksichtigen und schließe Entschädigungsansprüche für den Verfahrensbeteiligten aus, der die Rügeobliegenheit verletzt habe.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Kläger beim BSG Beschwerde erhoben und unter anderem geltend gemacht, der Streitgegenstand stimme nicht mit dem des durch das Urteil des EGMR vom 16.12.2010 abgeschlossenen Beschwerdeverfahrens überein, sondern betreffe weitere vom EGMR noch nicht erfasste Konventionsverletzungen in Folge der Dauer des Verfahrens S 35 KA 322/01 = L 3 KA 156/04. Entgegen der Ansicht des LSG sei das ÜGG vorliegend anwendbar, weil die Dauer dieses Verfahrens Gegenstand einer am 3.12.2011 am EGMR anhängigen Individualbeschwerde gewesen sei. Soweit das LSG hinsichtlich des Verfahrensendes durch den Beschluss vom 16.12.2011 eine Verzögerungsrüge für erforderlich gehalten habe, sei zu berücksichtigen, das ihm, dem Kläger, der 3. Senat des LSG mit Schreiben vom 1.8.2011 mitgeteilt habe, über die anhängige Nichtigkeitsfeststellungsklage werde demnächst entschieden. Unter diesen Umständen sei eine Verzögerungsrüge nach Inkrafttreten des ÜGG am 3.12.2011 unsinnig gewesen. Darüber hinaus habe das LSG insoweit den Begriff der Unverzüglichkeit willkürlich angewendet.
Mit Beschluss vom 27.6.2013 (B 10 ÜG 9/13 B) hat das BSG das Urteil des LSG aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen, weil ein Verfahrensmangel gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliege. Das LSG habe sowohl betreffend das Verfahren S 35 KA 322/01 = L 3 KA 156/04 als auch das Verfahren der Nichtigkeitsklage L 3 KA 55/10 WA zu Unrecht ein Prozessurteil anstelle eines Sachurteils gefällt. Soweit sich die Klage auf das Verfahren S 35 KA 322/01 = L 3 KA 156/04 beziehe, sei das LSG zu Unrecht gemäß Art 23 ÜGG von einer Unzulässigkeit der Klage ausgegangen. Das ÜGG enthalte sowohl materiell-rechtliche als auch verfahrensrechtliche Vorschriften. Erstere beträfen insbesondere den Entschädigungsanspruch bei überlanger Verfahrensdauer selbst (vgl §§ 198 - 200 GVG), während sich letztere unter anderem auf die zuständigen Gerichte, das geltende Verfahrensrecht und die Klagefrist bezögen (vgl § 198 Abs 5, § 201 GVG). Wollte man Art 23 S 1 ÜGG wortlautgetreu anwenden, fehlte es an Regelungen dazu, welches Gericht nach welchem Verfahren darüber zu entscheiden hat, ob die Voraussetzungen dieser Norm vorliegen. Soweit Art 23 ÜGG den zeitlichen Geltungsbereich der materiell-rechtlichen Vorschriften des ÜGG regele, betreffe er die Frage, ob ein Kläger seinen Entschädigungsanspruch auf die einschlägigen Vorschriften insbesondere § 198 GVG stützen könne. Dieser Punkt gehöre zur Begründetheit der Klage. Im Rahmen der Zulässigkeit sei bei einer allgemeinen Leistungsklage entsprechend § 54 Abs 1 S 2 SGG insoweit nur die Klagebefugnis zu prüfen. Diese fehle erst dann, wenn der geltend gemachte Anspruch unter keinem Gesichtspunkt zustehen könne. Es reiche vielmehr aus, wenn nicht ausgeschlossen werden könne, dass der Kläger dadurch in eigenen Rechten verletzt sei, dass der Beklagte die begehrte Zahlung unterlassen habe (vgl Senatsbeschluss vom 27.6.2013 - B 10 ÜG 9/13 B - RdNr 19 ff mwN).
Vorliegend sei eine Klagebefugnis nicht zu verneinen, da der Kläger eine Entschädigung nach §§ 198 ff GVG begehre und unwidersprochen behauptet habe, dass bei Inkrafttreten des ÜGG am 3.12.2011 eine Individualbeschwerde betreffend der Dauer jenes Verfahrens beim EGMR "anhängig" gewesen sei. Ob das tatsächlich zutreffe und wie Art 23 S 1 ÜGG insofern auszulegen und anzuwenden sei, sei nicht im Rahmen der Zulässigkeit der Klage zu prüfen. Das LSG selbst habe nicht zu prüfen, ob eine beim EGMR anhängige Individualbeschwerde im Einzelnen unzulässig sei oder nicht. Schon der Wortlaut des Art 23 S 1 ÜGG lege eine solche genaue Zulässigkeitsprüfung nicht nahe, weil er nur von "anhängigen Beschwerden" spreche.
In Bezug auf das Verfahren der Nichtigkeitsklage L 3 KA 55/10 WA habe das LSG zu Unrecht eine Unzulässigkeit der Entschädigungsklage wegen Fehlens einer Verzögerungsrüge angenommen, weil diese als materielle Voraussetzung des Entschädigungsanspruchs konzipiert sei und nicht als Zulässigkeitskriterium für dessen prozessuale Geltendmachung angesehen werden könne. Das Fehlen einer Verzögerungsrüge könne sich nur dann auf die Zulässigkeit der Klage auswirken, wenn im Hinblick darauf die Klagebefugnis zu verneinen sei. Davon sei hier nicht auszugehen.
Nach Zurückverweisung der Sache hat das LSG im vorbereitenden Verfahren eine Auskunft des EGMR vom 2.8.2013 eingeholt mit dem Ergebnis, dass der Kläger dort im Hinblick auf die Dauer des Verfahrens S 35 KA 322/01 = L 3 KA 156/04 am 20.2.2011 eine weitere Individualbeschwerde (Nr 27862/11) anhängig gemacht hat. Hierüber hat der EGMR am 20.9.2012 entschieden und die weitere Beschwerde für unzulässig erklärt, weil die in Art 34 und 35 EMRK niedergelegten Voraussetzungen nicht erfüllt gewesen seien. Sodann hat das LSG mit Urteil auf die mündliche Verhandlung vom 17.12.2013 (L 10 SF 28/13 EK KA ZVW) die Klage als unbegründet abgewiesen, weil im Hinblick auf den Streitgegenstand S 35 KA 322/01 = L 3 KA 156/04 Art 23 ÜGG den Geltungsbereich des Gesetzes für den vorliegenden Fall ausschließe. Es könne dahinstehen, ob nur vor dem EGMR zulässig anhängig gemachte Beschwerden den Voraussetzungen dieser Regelung genügten. Denn wie das BSG in seiner Entscheidung vom 27.6.2013 (B 10 ÜG 9/13 B) ausdrücklich entschieden habe, könnten zumindest missbräuchlich erhobene bzw offensichtlich unzulässige Individualbeschwerden zum EGMR sicher nicht die Anwendung des ÜGG für Altfälle eröffnen, da sonst die Übergangsvorschrift leerlaufen würde. Bei der vom Kläger am 20.2.2011 erhobenen weiteren Individualbeschwerde (Nr 27862/11) handele es sich um eine missbräuchlich erhobene bzw offensichtlich unzulässige Individualbeschwerde. Denn die Dauer des Verfahrens S 35 KA 322/01 = L 3 KA 156/04 sei bereits Gegenstand der mit Urteil vom 16.12.2010 abgeschlossenen Individualbeschwerde Nr 52719/08 vor dem EGMR gewesen, sodass dem Erheben einer erneuten Individualbeschwerde im Hinblick auf die Verfahrensdauer S 35 KA 322/01 = L 3 KA 156/04 Art 35 Abs 2 Buchst b EMRK entgegengestanden habe, wonach wiederholte Beschwerden unzulässig seien, wenn sie denselben Beschwerdegegenstand wie eine schon einmal eingereichte Beschwerde an den Gerichtshof beträfen. Art 23 ÜGG schließe den Geltungsbereich des Gesetzes für den vorliegenden Fall damit aus. Der Senat habe keine Bedenken, Art 35 Abs 2 EMRK (selbst) anzuwenden. Denn zum einen habe er die von dem deutschen Gesetzgeber in Art 23 ÜGG geregelten Tatbestandsmerkmale zu prüfen und müsse sich damit zu der Rechtsfrage der hier benannten "Anhängigkeit" verhalten. Im Übrigen habe der EGMR unter dem 2.8.2013 mitgeteilt, dass die im Hinblick auf die Dauer des Verfahrens S 35 KA 322/01 = L 3 KA 156/04 eingebrachte weitere Beschwerde (Nr 27862/11) am 20.9.2012 für unzulässig erklärt worden sei, weil die in Art 34 und 35 EMRK niedergelegten Voraussetzungen nicht erfüllt gewesen seien.
Auch in Bezug auf den Streitgegenstand L 3 KA 55/10 WA sei die zulässige Entschädigungsklage unbegründet, weil eine Entschädigung des Klägers mangels Vorliegens einer Verzögerungsrüge nicht in Betracht komme. Von dem Erfordernis einer Verzögerungsrüge habe der Gesetzgeber nur unter den hier nicht gegebenen Voraussetzungen des Art 23 S 4 - 6 ÜGG abgesehen.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem, ihm am 4.1.2014 zugestellten Urteil, hat der Kläger mit Schriftsatz vom 28.1.2014 am 31.1.2014 beim BSG Beschwerde erhoben mit der erneuten Rüge einer falschen Anwendung des Art 23 ÜGG und des § 198 GVG. Der Kläger macht ua eine bestehende Divergenz des Urteils des LSG vom 17.12.2013 zum Beschluss des BSG vom 27.6.2013 (B 10 ÜG 9/13 B) geltend und beruft sich auf verschiedene Verfahrensfehler. So habe es das LSG rechtswidrig unterlassen, in der mündlichen Verhandlung den Sachverhalt darzustellen; das Sitzungsprotokoll sei insoweit unrichtig. Der Vorsitzende und die Berichterstatterin hätten in der mündlichen Verhandlung gegen den Willen des Klägers darauf gedrängt, den Sachverhalt nicht vorzutragen und hätten diesen in der Folge auch tatsächlich nicht vorgetragen. Um den Kläger von der Rüge des nichtvorgetragenen Sachverhalts abzuschneiden, habe das Entschädigungsgericht offenbar das Sitzungsprotokoll in der vorliegenden Sache verändert und unrichtig beurkundet. Hiergegen habe der Kläger unmittelbar nach Zustellung der Abschrift Einwendungen erhoben, die vom Entschädigungsgericht ignoriert und nicht bearbeitet worden seien. Ferner habe das LSG aufgrund unterlassener Sachverhaltsermittlung zu Unrecht unterstellt, dass in dem Verfahren L 3 KA 55/10 WA eine Verzögerungsrüge nicht erhoben worden sei. Da dieses eine Verlängerung der Sache L 3 KA 156/04 darstelle, sei von einer tatsächlich erhobenen "Verfahrensdauerrüge" auszugehen. Das Fehlen einer Verzögerungsrüge mache die Klage keinesfalls unbegründet, sondern führe gemäß § 198 Abs 3 GVG lediglich zum Versagen einer Entschädigung, nicht aber zum Versagen einer Wiedergutmachung auf andere Weise nach § 198 Abs 4 GVG. Auch habe das LSG in seinem Urteil in mehrfacher Hinsicht nicht die rechtliche Beurteilung des BSG aus dessen Beschluss vom 27.6.2013 (B 10 ÜG 9/13 B) zugrunde gelegt unter Verstoß gegen § 170 Abs 5 SGG. Ferner habe das LSG den Kernvortrag des Klägers weder gewürdigt noch geprüft und genüge damit weder den konventionsrechtlichen Anforderungen der Art 6, 13, 17 und 46 EMRK noch den Begründungspflichten hinsichtlich seines Urteils. Art 35 EMRK werde vom LSG falsch zitiert und angewendet und das LSG wende den Begriff der "Anhängigkeit" verfahrensfehlerhaft an. Ferner rügt der Kläger allgemein einen Verstoß des LSG gegen den Vorrang des Gesetzes, eine unzulässige Prüfung des Verfahrensrechts des EGMR und eine falsche Kostenentscheidung. Insgesamt ist der Kläger auch der Auffassung, dass die Entscheidung des LSG auf diesen Verfahrensfehlern beruhe.
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Ihre Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen (§ 160a Abs 2 S 3 SGG). Keiner der in § 160 Abs 2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe ist ordnungsgemäß dargetan worden.
Zur formgerechten Rüge eines Zulassungsgrundes der Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG, auf den sich der Kläger hier unter anderem beruft, ist in der Beschwerdebegründung die Entscheidung, von der das Urteil des LSG abweichen sollte, zumindest so zu bezeichnen, dass sie ohne Schwierigkeiten auffindbar ist. Ferner ist deutlich zu machen, worin eine Abweichung zu sehen sein soll. Der Beschwerdeführer muss also darlegen, zu welcher konkreten Rechtsfrage eine die Berufungsentscheidung tragende Abweichung in deren rechtlichen Ausführungen enthalten sein soll. Er muss einen abstrakten Rechtssatz des vorinstanzlichen Urteils und einen abstrakten Rechtssatz aus der höchstrichterlichen Entscheidung so bezeichnen, dass die Divergenz erkennbar wird. Es reicht dagegen nicht aus, auf eine bestimmte höchstrichterliche Rechtsprechung mit der Behauptung hinzuweisen, das angegriffene Urteil weiche hiervon ab. Schließlich ist darzulegen, dass die berufungsgerichtliche Entscheidung auf der gerügten Divergenz beruhe (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 21, 29).
Der Kläger trägt insoweit im Wesentlichen vor, es liege eine Abweichung des LSG von dem vorangehenden zurückverweisenden Beschluss des BSG vom 27.6.2013 (B 10 ÜG 9/13 B) vor und arbeitet verschiedene vermeintliche Rechtssätze des BSG und des LSG aus diesen Entscheidungen heraus. Ungeachtet des Umstandes, dass ein solches Vorbringen ganz überwiegend ausschließlich als Rüge eines Verfahrensmangels nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG wegen Verstoßes gegen § 170 Abs 5 SGG gesehen wird (vgl BSG SozR 3-3900 § 15 Nr 4; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 160 RdNr 11b; Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 2. Aufl 2010, RdNr 408 und 539 mwN; wohl aA Becker, Die Nichtzulassungsbeschwerde zum BSG ≪Teil I≫, in SGb 2007, 261, 268), berücksichtigt der Kläger aber auch die oben genannten Begründungserfordernisse nicht ausreichend.
Die bloße Behauptung, das LSG weiche von der Entscheidung des BSG entgegen deren Bindungswirkung nach § 170 Abs 5 SGG ab, reicht insoweit nicht aus. Im Grunde behauptet der Kläger nur, das LSG habe die Rechtsprechung des BSG nicht genügend berücksichtigt oder im Einzelfall falsch angewandt. Ein solcher Mangel stellt jedoch, auch wenn er vorläge, keine Divergenz iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG dar (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 67; BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 21, 29; BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 26). Es ist nicht zulässiger Gegenstand einer Nichtzulassungsbeschwerde, ob das LSG richtig entschieden hat (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7 S 10).
Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde - wie hier - darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), so müssen zur Bezeichnung des Verfahrensmangels die diesen (vermeintlich) zu begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 24, 34, 36). Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 S 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Diesen Kriterien hat der Kläger nicht hinreichend Rechnung getragen.
Soweit der Kläger als wesentlichen Verfahrensfehler wegen des Verstoßes gegen § 112 Abs 1 S 2 SGG rügt, dass es das LSG unterlassen habe, in der mündlichen Verhandlung den Sachverhalt darzustellen, obwohl dies im Protokoll vom 17.12.2013 so niedergelegt ist, fehlt es an einer näheren Auseinandersetzung damit, dass er den von ihm angesprochenen Mangel nicht durch eine Berichtigung der Sitzungsniederschrift (vgl § 122 SGG iVm § 164 ZPO) hätte beheben lassen können. Zwar behauptet der Kläger, das LSG habe seinen Antrag, die unrichtige Beurkundung zu berichtigen, ignoriert und nicht bearbeitet. Es hätte aber der weiteren Darlegung bedurft, ob der behauptete Verfahrensfehler auch vor dem Hintergrund des Beschlusses des LSG vom 31.1.2014 noch besteht, mit dem dieses den Antrag des Klägers auf Berichtigung der Niederschrift über die öffentliche Sitzung in der Streitsache vom 17.12.2013 abgelehnt hat, weil die Sitzungsniederschrift keine Unrichtigkeiten enthalte.
Sofern der Kläger unter Bezugnahme auf die zurückverweisende Entscheidung des BSG vom 27.6.2013 (B 10 ÜG 9/13 B) im Rahmen der Divergenzrüge geltend macht, das LSG weiche von der Entscheidung des BSG entgegen deren Bindungswirkung nach § 170 Abs 5 SGG ab, hat er auch insoweit einen Verfahrensmangel nicht hinreichend dargelegt. Zwar stellt die Nichtbeachtung der Bindung des LSG an die Beurteilung des BSG nach § 170 Abs 5 SGG einen Verfahrensfehler dar und führt zur Aufhebung und Zurückverweisung der Rechtssache (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 170 RdNr 10 mwN und § 160 RdNr 11b ff mwN). Allerdings hat es der Kläger im hier zugrunde liegenden Fall bereits versäumt darzulegen, warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf diesem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht (siehe oben). Denn die Behauptung, die Entscheidung des LSG setze sich nicht mit der Entscheidung des BSG auseinander, verhält sich nicht dazu, dass sich die Ausführungen des LSG sowohl hinsichtlich des Streitgegenstandes S 35 KA 322/01 = L 3 KA 156/04 als auch hinsichtlich des Streitgegenstandes L 3 KA 55/10 WA lediglich mit der Begründetheit der Klage befassen, zu der das BSG in seinem Beschluss vom 27.6.2013 (B 10 ÜG 9/13 B) keinerlei rechtliche Beurteilungen abgegeben hat. Dessen Zurückverweisung basiert ausschließlich auf dem Vorliegen eines Verfahrensfehlers iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG wegen des Vorliegens eines Prozess- anstatt eines Sachurteils, weil das LSG hinsichtlich der Zulässigkeit der Klage Art 23 S 1 ÜGG unrichtig angewandt und zu Unrecht eine Verzögerungsrüge gefordert habe. Damit fehlen Darlegungen zur Entscheidungserheblichkeit.
Soweit der Kläger das Fehlen von Entscheidungsgründen rügt und damit sinngemäß einen Verstoß gegen § 547 Nr 6 ZPO geltend macht, genügen seine Ausführungen gleichfalls nicht den Darlegungserfordernissen. Dieses Vorbringen lässt jede Auseinandersetzung mit § 547 Nr 6 ZPO und der dazu ergangenen Rechtsprechung vermissen. Sie wird ohne rechtliche Begründung in den Raum gestellt, obwohl die Voraussetzungen des § 547 Nr 6 ZPO nicht schon dann vorliegen, wenn Urteilsgründe unrichtig, unzureichend oder unvollständig sind (Heßler in Zöller, ZPO, 29. Aufl 2012, § 547 RdNr 7 mwN). Gleiches gilt auch, sofern der Kläger als Verfahrensfehler eine fehlende Begründung der tragenden Elemente des Urteils des LSG behauptet und darin einen Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens iS von Art 6 EMRK sieht. Rechtsgrundlage für das Recht auf ein faires Verfahren ist neben Art 6 Abs 1 S 1 EMRK Art 19 Abs 4 GG, wonach Streitigkeiten von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht in einem fairen Verfahren öffentlich und innerhalb angemessener Frist zu verhandeln sind. Der Kläger legt jedoch nicht dar, auf welchen Rechtsauffassungen, Tatsachen oder Beweisergebnissen die Entscheidung des LSG beruht, die in den Entscheidungsgründen hätten genannt werden müssen, zu denen er sich nicht habe äußern können. Auch wird nicht deutlich, aufgrund welcher Umstände das LSG nicht unabhängig und unparteiisch, auf Gesetz beruhend innerhalb angemessener Frist verhandelt haben soll.
Vor diesem Hintergrund ist auch eine eventuelle Rüge der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG; Art 103 Abs 1 GG) nicht ausreichend dargelegt. Die Nichtberücksichtigung von Vorbringen wird zwar behauptet, aber nicht anhand der Entscheidungsgründe des LSG im Einzelnen dargetan. Im Übrigen kann ein Beteiligter mit einer Gehörsrüge nur dann durchdringen, wenn er vor dem LSG alle prozessualen Möglichkeiten ausgeschöpft hat, um sich Gehör zu verschaffen (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 62 RdNr 11d mwN). Weshalb der Kläger hieran gehindert gewesen sein sollte, legt er nicht dar. Die Stellung weiterer Beweisanträge oder deren Übergehung durch das LSG wird nicht behauptet. Die bloße Kritik an der vom LSG vorgenommenen Auslegung des prozessualen Geschehens und der gesetzlichen Merkmale betrifft lediglich die Rechtsanwendung durch das LSG. Mit der Rüge, das LSG habe unrichtig entschieden, kann der Kläger - wie bereits oben dargestellt - keine Revisionszulassung erreichen.
Soweit der Kläger eine Verletzung von § 94 SGG hinsichtlich der Bewertung des Merkmals der Rechtshängigkeit sieht, fehlt es zudem bereits an der Darlegung, inwiefern die Entscheidung des LSG vom 17.12.2013 darauf beruhen kann. Dies gilt auch hinsichtlich der weiteren Rügen, insbesondere der vermeintlichen unzulässigen Prüfung des Verfahrensrechts des EGMR durch das LSG sowie dessen fehlerhafter Kostenentscheidung, mit denen er lediglich die materielle Rechtmäßigkeit der Entscheidung des LSG kritisiert (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7 S 10).
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).
Die Verwerfung der Beschwerde erfolgt ohne Hinzuziehung ehrenamtlicher Richter (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 SGG).
Die Streitwertentscheidung folgt aus § 197a Abs 1 S 1 SGG iVm § 52 Abs 1 bis 3 GKG. Die Streitwertreduzierung folgt aus der Absenkung des geforderten immateriellen Schadensersatzes durch den Kläger vor dem LSG auf 5000 Euro.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 S 1 SGG iVm § 154 Abs 1 VwGO.
Fundstellen