Verfahrensgang

LSG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 26.04.2022; Aktenzeichen L 9 KR 392/20)

SG Potsdam (Entscheidung vom 21.09.2020; Aktenzeichen S 15 KR 642/17)

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 26. April 2022 wird als unzulässig verworfen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 23 853,24 Euro festgesetzt.

 

Gründe

I

Die Klägerin ist Trägerin eines Krankenhauses, das 2014 im Krankenhausplan des Landes Brandenburg ua mit der Fachabteilung Innere Medizin/Geriatrie, nicht aber für Herzchirurgie aufgenommen war. Es schloss am 1.9.2013 mit einem Herzzentrum einen Kooperationsvertrag für die Erbringung der kathetergestützten transapikalen Aortenklappenintervention bzw katheterbasierter Aorten-Klappenersatz - TAVI.

Das Krankenhaus behandelte in der Zeit vom 30.6. bis 15.7.2014 eine bei der beklagten Krankenkasse (KK) Versicherte stationär mit der Hauptdiagnose nichtrheumatische Aortenklappenkrankheiten/Aortenklappenstenose. Es führte ua einen kathetergestützten minimal-invasiven Eingriff an den Herzklappen (TAVI) durch. Das Krankenhaus stellte der KK für den stationären Aufenthalt insgesamt 32 897,50 Euro auf Grundlage der Fallpauschale DRG F98Z in Rechnung. Die Beklagte zahlte einen Betrag in Höhe von 9044,26 Euro und lehnte eine Zahlung der Rechnung im Übrigen unter Hinweis auf den fehlenden herzchirurgischen Versorgungsauftrag der Klägerin für die TAVI ab.

Das SG hat die KK verurteilt, an die Klägerin 23 853,24 Euro nebst Zinsen in Höhe von 2 Prozent über dem Basiszinssatz ab Fälligkeit zu zahlen (Gerichtsbescheid vom 21.9.2020). Das LSG hat den Gerichtsbescheid des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Das Krankenhaus habe keinen Anspruch auf die begehrte (weitere) Vergütung. Es fehle an der Erforderlichkeit und Wirtschaftlichkeit der Behandlung. Zwar habe der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) erst am 22.1.2015 die Richtlinie zu minimalinvasiven Herzklappeninterventionen (MHI-RL) beschlossen, die Vorgaben für die TAVI umfasse, und am 25.7.2015 in Kraft getreten sei. Bereits zuvor habe das behandelnde Krankenhaus aber strukturelle und/oder prozedurale Mindestanforderungen an die Behandlung beachten müssen, die von der großen Mehrheit der einschlägigen Fachleute aufgrund des Standes der medizinischen Erkenntnisse befürwortet worden seien. Ausweislich der tragenden Gründe zum Beschluss des GBA, der sich überwiegend auf Publikationen aus dem Jahr 2012 gestützt und auch mit der (abweichenden) Ansicht der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DKG) und anderer Fachärzte auseinandergesetzt habe, habe sich bereits vor dem hier maßgeblichen Behandlungszeitraum ein umfassender Konsens gebildet, wonach für die Durchführung einer TAVI neben einer Fachabteilung für Innere Medizin und Kardiologie auch eine Fachabteilung für Herzchirurgie notwendig gewesen sei. Das Krankenhaus habe keine Stimmen aus der Fachwelt benannt, die konkret für das Jahr 2014 einen demgegenüber abweichenden Konsens im Sinne eines Überwiegens der Gegenauffassung belegten. Vor diesem Hintergrund habe im Jahr 2014 mit Blick auf die unterschiedlichen Auffassungen zur Überzeugung des Senats gerade kein breiter wissenschaftlicher Konsens darüber bestanden, dass die TAVI-Leistungen auch in Krankenhäusern ohne eine Fachabteilung für Herzchirurgie hätten erbracht werden können. Das Krankenhaus könne sich für den Vergütungsanspruch auch weder auf die Übergangsregelung in § 9 Satz 1 MHI-RL noch auf die 2014 geltenden Entgeltvereinbarungen (oder deren behördliche Genehmigung) berufen (Urteil vom 26.4.2022).

Die Klägerin wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil.

II

Die Beschwerde ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 3 SGG zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung des allein geltend gemachten Revisionszulassungsgrundes des Verfahrensmangels.

1. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von § 109 SGG und § 128 Abs 1 Satz 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Um einen Verfahrensmangel in diesem Sinne geltend zu machen, müssen die Umstände bezeichnet werden, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (vgl zB BSG vom 18.2.1980 - 10 BV 109/79 - SozR 1500 § 160a Nr 36 mwN; BSG vom 31.7.2017 - B 1 KR 47/16 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 30 RdNr 16 mwN).

Wer sich - wie hier die Klägerin - auf eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht nach § 103 SGG stützt, muss ua einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrag bezeichnen, die Rechtsauffassung des LSG wiedergeben, aufgrund derer bestimmte Tatsachen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen und die von dem betreffenden Beweisantrag berührten Tatumstände darlegen, die zu weiterer Sachaufklärung Anlass gegeben hätten (stRspr; vgl zB BSG vom 26.5.2020 - B 1 KR 7/19 B - juris RdNr 11; BSG vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 5 mwN).

Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht. Die Klägerin rügt, das LSG sei ihrem Antrag, durch Einholung eines Sachverständigengutachtens Beweis zu erheben zu der Frage, dass die Durchführung der Leistung dem medizinischen Standard zum damaligen Zeitpunkt entsprochen habe, nicht gefolgt und führt im Übrigen zur Begründung der Verfahrensrüge lediglich aus, der medizinische Standard zum Zeitpunkt einer Leistungserbringung werde im sozialgerichtlichen Verfahren durch Sachverständigengutachten ermittelt.

Für die Frage, ob ein hinreichender Grund für die unterlassene Beweiserhebung vorliegt, kommt es darauf an, ob das Gericht objektiv gehalten gewesen wäre, den Sachverhalt zu dem von dem betreffenden Beweisantrag erfassten Punkt weiter aufzuklären, ob es sich also zur beantragten Beweiserhebung hätte gedrängt fühlen müssen (stRspr; vgl zB BSG vom 7.4.2011 - B 9 SB 47/10 B - juris RdNr 4). Die Klägerin setzt sich nicht mit der Auffassung des LSG zur Reichweite des Amtsermittlungsgrundsatzes nach § 103 SGG auseinander. Das LSG hat ausgeführt, es sei nicht gehalten, zu der Frage des 2014 bestehenden wissenschaftlichen Konsenses ein Sachverständigengutachten einzuholen. Der Senat könne sich vielmehr zur Beantwortung der Beweisfrage auf die Übersicht des GBA zu den wissenschaftlichen Studien aus dem Verfahren zum Erlass der MHI-RL stützen. Der GBA habe ausführlich und nachvollziehbar dargelegt, welche Studien im Jahr 2015, zum Zeitpunkt des Erlasses der RL, vorgelegen hätten, und dass nach diesen für das Jahr 2014 nicht von einem weitgehenden wissenschaftlichen Konsens hinsichtlich der Qualität der Behandlungsmethode in einem Krankenhaus mit nur einer der beiden Fachabteilungen auszugehen gewesen sei. Demgegenüber habe das Krankenhaus auch im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht dargelegt, dass und warum im Jahr 2014, dem Jahr der streitgegenständlichen Behandlung, ein davon abweichender Konsens bestanden habe. Näher liege es bei dieser Sachlage, davon auszugehen, dass bis 2015 eine Verengung der wissenschaftlichen Erkenntnis dergestalt stattgefunden habe, dass sich aus der Vielzahl der Stimmen mehr und mehr eine überwiegende Meinung herausgebildet habe. Diese habe es für zwingend gehalten, dass das ausführende Krankenhaus über beide Fachabteilungen verfüge. Andere Anhaltspunkte habe die Klägerin - speziell für das Jahr 2014 - nicht dargelegt. Die dem Senat mit dem Beweisantrag angetragenen Ermittlungen wären solche ins Blaue. Auf diese gesamte Argumentation geht die Klägerin in ihrer Beschwerdebegründung nicht ein.

2. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm § 154 Abs 2 VwGO, diejenige über den Streitwert auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 3, § 47 Abs 1 und 3 GKG.

Schlegel

Estelmann

Geiger

 

Fundstellen

Dokument-Index HI16129395

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