Verfahrensgang
SG Berlin (Entscheidung vom 20.09.2018; Aktenzeichen S 56 KR 1186/17) |
LSG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 12.06.2020; Aktenzeichen L 1 KR 336/18) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 12. Juni 2020 wird als unzulässig verworfen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit streiten die Beteiligten um die Höhe der Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung für den Zeitraum von April bis Oktober 2015. Der Kläger ist als selbstständig Tätiger bei der Beklagten zu 1. freiwillig und bei der Beklagten zu 2. pflichtversichert. Die Beklagten berechneten die ab April 2015 zu zahlenden Beiträge auf der Grundlage des Einkommensteuerbescheids für 2013 (Bescheid vom 20.4.2015). Eine Änderung der Beitragseinstufung aufgrund im Juni 2015 festgesetzter niedrigerer Steuervorauszahlungen lehnten die Beklagten ab, weil ein Vorauszahlungsbescheid nach den Beitragsverfahrensgrundsätzen Selbstzahler erst ab einer - hier nicht belegten - Einkommensreduktion von mehr als 25 vH zu berücksichtigen sei. Seit November 2015 wurden die Beiträge ermäßigt, weil der Kläger keine selbstständige Tätigkeit mehr ausübte. Der Antrag des Klägers auf rückwirkende Änderung der Beitragseinstufung für das Jahr 2015 auf der Grundlage seines im November 2016 erstellten Einkommensteuerbescheids für 2015 lehnten die Beklagten ab (Bescheid vom 8.3.2017, Widerspruchsbescheid vom 8.6.2017). Klage und Berufung sind erfolglos geblieben (Urteil des SG Berlin vom 20.9.2018; Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 12.6.2020). Ein Anspruch auf Rücknahme des Beitragsbescheids vom 20.4.2015 und Neuberechnung nach § 44 SGB X bestehe nicht. Maßgebend seien die bei Erlass des zu überprüfenden Bescheids für die Beitragserhebung geltenden Vorschriften. Die Gesetzesänderung in § 240 Abs 4a SGB V, wonach die Beitragsbemessung anhand der tatsächlichen Einnahmen des jeweiligen Kalenderjahres endgültig vorzunehmen sei, gelte erst für vorläufige Beitragsfestsetzungen ab 1.1.2018. Gegen die Nichtzulassung der Revision wendet sich der Kläger mit seiner Beschwerde.
II
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ist als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG). Der Kläger hat den allein geltend gemachten Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) entgegen § 160a Abs 2 Satz 3 SGG nicht hinreichend dargelegt.
Bei Geltendmachung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache muss die Beschwerdebegründung ausführen, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (stRspr; vgl nur BSG Beschluss vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17 und Beschluss vom 28.1.2019 - B 12 KR 94/18 B - juris RdNr 6 mwN). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.
Der Kläger bezeichnet als Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung:
"Ist im Überprüfungsverfahren nach § 44 SGB X auf eine Beitragsbemessung bei einer selbständigen Tätigkeit vor 2018 nicht § 6 Abs. 3a der Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler, sondern der ab 1. Januar 2018 geltende § 240 Abs. 4a SGB V anzuwenden?"
Der Kläger legt die Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Frage nicht hinreichend dar. Eine Rechtsfrage ist dann als nicht klärungsbedürftig anzusehen, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, dh sich unmittelbar aus dem Gesetz ergibt (vgl BSG Beschluss vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 11 und BSG Beschluss vom 21.1.1993 - 13 BJ 207/92 - SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17). Bei der insoweit gebotenen Aufarbeitung der rechtlichen Problematik hat sich die Beschwerde mit dem fraglichen Gesetz, der Rechtssystematik sowie den Gesetzesmaterialien auseinanderzusetzen (vgl BSG Beschluss vom 16.10.2018 - B 12 KR 26/18 B - juris RdNr 5). Die Rechtsfrage ist dann höchstrichterlich geklärt und damit als nicht (mehr) klärungsbedürftig anzusehen, wenn diese bereits beantwortet ist. Ist sie noch nicht ausdrücklich entschieden, genügt es, dass schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beantwortung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (BSG Beschluss vom 30.8.2016 - B 2 U 40/16 B - SozR 4-1500 § 183 Nr 12 RdNr 7 mwN). Daher muss substantiiert aufgezeigt werden, dass und warum sich früheren Entscheidungen keine solchen Anhaltspunkte entnehmen lassen. Diesen Anforderungen wird die Beschwerde nicht gerecht.
Es fehlt zunächst an einer hinreichenden Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des BSG, wonach sich die im Rahmen des § 44 SGB X relevante Frage, inwieweit bei Erlass eines Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt worden ist, nach dem bei Erlass des Verwaltungsakts anwendbaren Recht ergibt (vgl zB BSG Urteil vom 21.6.2005 - B 8 KN 9/04 R - SozR 4-1300 § 44 Nr 5 RdNr 14). Geklärt ist insoweit auch, dass eine spätere Änderung des Rechts (auch noch im Revisionsverfahren) zu beachten ist, soweit es rückwirkend geändert worden ist und nach seinem zeitlichen Geltungswillen auch den Zeitpunkt des Bescheiderlasses umfasst (vgl BSG Urteil vom 20.7.2011 - B 13 R 40/10 R - juris RdNr 16; BSG Urteil vom 25.1.2011 - B 5 R 47/10 R - juris RdNr 12).
Soweit der Kläger mit seiner Frage implizieren will, ob dem ab 1.1.2018 geltenden § 240 Abs 4a SGB V Rückwirkung zukomme, setzt er sich nicht hinreichend mit Wortlaut, Systematik und der vom LSG zitierten Gesetzesbegründung zum Inkrafttreten auseinander. Die vom Kläger offenbar verfolgte endgültige Beitragsfestsetzung auf der Grundlage des Einkommensteuerbescheids 2015 nach § 240 Abs 4a Satz 3 SGB V bedingt nach Abs 4a Sätze 1 und 2 zunächst eine "vorläufige Festsetzung". Solche vorläufigen Beitragsfestsetzungen sollten laut der Gesetzesbegründung zum Inkrafttreten der Neuregelung (BT-Drucks 18/11205 S 84), auf die das LSG verweist, nach den erforderlichen technischen Umsetzungen erstmals für das Kalenderjahr 2018 erfolgen. Der Kläger befasst sich nicht mit diesen Gesichtspunkten und auch nicht damit, ob eine generelle Rückwirkung in allen Fällen (zB bei Nacherhebungen) mit dem Grundsatz des Vertrauensschutzes vereinbar wäre. Er erklärt stattdessen im Wesentlichen nur, dass er eine andere Auffassung als das LSG in seiner Urteilsbegründung vertrete. Dies reicht zur Darlegung der Klärungsbedürftigkeit aber nicht.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI14375235 |