Beteiligte
Tenor
Die frühere Beklagte hat der früheren Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.
Gründe
I
Der Rechtsstreit betraf die Rechtmäßigkeit eines Feststellungsbescheides der früheren Beklagten über Pflichtarbeitsplätze für Schwerbehinderte.
Die frühere Klägerin ist Rechtsnachfolgerin der mit ihr zum 1. Januar 1992 verschmolzenen F. K. GmbH mit Sitz in N., die mehrere Friseurgeschäfte betrieb. Für das Jahr 1991 erstattete die K. Holding GmbH & Co KG in W. für die F. K. GmbH in N. hinsichtlich der Betriebe im Raum N. Einzelanzeigen nach §13 Schwerbehindertengesetz (SchwbG). Dabei ging die F. K. GmbH in N. davon aus, von der Pflicht zur Beschäftigung Schwerbehinderter befreit zu sein und deshalb auch keine Ausgleichsabgabe für unterbliebene Beschäftigungen zahlen zu müssen, weil in keinem Einzelbetrieb mehr als 15 Arbeitsplätze vorhanden waren.
Die Beklagte erließ einen Feststellungsbescheid, mit dem sie die Einzelanzeigen der F. K. GmbH in N. zusammenfaßte und danach die Zahl der Pflichtarbeitsplätze für Schwerbehinderte errechnete, weil die F. K. GmbH, die keine Schwerbehinderten beschäftigt hatte, die Anzeige nach §13 SchwbG im Hinblick auf die Vorschrift der §§5, 11 SchwbG als „Gesamtanzeige” hätte erstatten müssen (Bescheid vom 20. Juli 1992; Widerspruchsbescheid vom 9. Februar 1993). Klage und Berufung gegen diesen Bescheid blieben erfolglos (Urteil des Sozialgerichts ≪SG≫ vom 9. August 1994; Urteil des Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 21. März 1996).
Die frühere Klägerin ist der Ansicht, §5 Abs 1 SchwbG mit seiner arbeitgeberbezogenen – nicht betriebsbezogenen – Pflichtquote zur Beschäftigung von Schwerbehinderten verstoße gegen die Verfassung und gegen Art 92 Abs 1 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGVtr). Zwar berühre das vorliegende Verfahren nicht unmittelbar die Beschäftigungspflicht und die bei Nichterfüllung der Pflichtquote daraus abzuleitende Ausgleichsabgabe (§11 SchwbG); jedoch sei das Verfahren über die von der Hauptfürsorgestelle festgesetzte Ausgleichsabgabe vom Verwaltungsgericht (VG) im Hinblick auf das sozialgerichtliche Verfahren ausgesetzt.
Nachdem die frühere Beklagte den Feststellungsbescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheids zurückgenommen hat, hat die frühere Klägerin den Rechtsstreit für erledigt erklärt und beantragt nunmehr,
der früheren Beklagten die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen.
Die frühere Beklagte ist allenfalls bereit, die Kosten zur Hälfte zu übernehmen. Sie ist der Ansicht, daß die Anzeige nach §13 Abs 2 SchwbG nicht betriebsbezogen in Form von Einzelanzeigen, sondern arbeitgeberbezogen als Gesamtanzeige für alle Betriebe zu erstatten sei, weil die Anzeige Grundlage für die arbeitgeberbezogene Pflichtbeschäftigungsquote (§5 SchwbG) und die von der Hauptfürsorgestelle festzusetzende Ausgleichsabgabe (§11 SchwbG) bei Nichterfüllung der Pflichtquote sei.
II
Der früheren Beklagten sind die außergerichtlichen Kosten der früheren Klägerin gemäß §193 Abs 1 2. Halbsatz Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf deren Antrag aufzuerlegen, weil sich der Rechtsstreit nach Aufhebung des Feststellungsbescheids in der Gestalt des Widerspruchsbescheids durch die als Klagerücknahme zu wertende Erklärung der früheren Klägerin erledigt hat (§102 SGG); insoweit war über die gesamten Kosten des Rechtsstreits zu befinden (vgl BSG, Beschluß vom 7. September 1998 - B 2 U 10/98 R -, zur Veröffentlichung vorgesehen).
Die Erstattung der Kosten durch die frühere Beklagte entspricht unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere den Erfolgsaussichten der Klage, nach dem bisherigen Sach- und Streitstand dem billigen Ermessen (vgl zu dieser Voraussetzung nur: BSG, Beschluß vom 7. September 1998, aaO; Meyer-Ladewig, SGG, 6. Aufl 1998, RdNr 13 zu §193 mwN). Streitig war zwischen den Beteiligten ausschließlich die Berechtigung der früheren Beklagten zur Zusammenfassung der Einzelanzeigen in einem einzigen Feststellungsbescheid; ob dieser Bescheid die Angaben in den Einzelanzeigen abgeändert hat und deshalb rechtswidrig war, bedarf keiner weiteren Prüfung. Die Rechtswidrigkeit des Feststellungsbescheids ergab sich nämlich schon aus der Zusammenfassung der Einzelanzeigen, zu der die frühere Beklagte nicht befugt war. Keiner Prüfung bedarf auch die Frage, ob die Einzelanzeigen inhaltlich unrichtig waren und sich daraus ein Korrekturrecht der früheren Beklagten ergab; denn die Beteiligten waren sich im gesamten Verfahren darüber einig, daß die frühere Beklagte die Angaben in den Einzelanzeigen in vollem Umfang übernommen hat, also von deren Richtigkeit ausgegangen ist. Anlaß für weitere Ermittlungen im Rahmen eines Verfahrens, das nur noch den Erlaß einer Kostenentscheidung zum Ziel hat, besteht dann nicht.
Unter diesen Umständen war die Klage jedenfalls erfolgversprechend. Dies gilt zunächst für ihre Zulässigkeit. Insbesondere konnte der früheren Klägerin nicht entgegengehalten werden, es fehle ihr an der Klagebefugnis iS des §54 Abs 1 Satz 2 SGG, weil sie der Feststellungsbescheid der früheren Beklagten in seiner Funktion als – lediglich – beurkundender Verwaltungsakt überhaupt nicht beschweren könne.
Dies ist allerdings nicht allein damit zu begründen, daß – wie das LSG ausführt – der Feststellungsbescheid der früheren Beklagten die Anzeige des Arbeitgebers ersetzt und korrigiert und damit die Funktion als Beweismittel in Form einer öffentlichen Urkunde übernommen hat. Denn diese Beweisfunktion kann naturgemäß nur – hier unstreitige – Tatsachen, nicht aber die Rechtsfrage erfassen, ob bei der Berechnung der Pflichtarbeitsplätze und der Ausgleichsabgabe eine arbeitgeberbezogene statt einer betriebsbezogenen Berechnung erforderlich ist. Nur um die Klärung dieser Rechtsfrage ging es indes der früheren Klägerin, die die Beantwortung dieser Frage durch den Feststellungsbescheid als präjudiziert ansah. Hierzu hat der Senat bereits klargestellt, daß der Feststellungsbescheid nicht nur keine Bindungswirkung erzeugt, sondern auch, daß über die Ausgleichsabgabe, also auch die arbeitgeberbezogene Berechnung der Pflichtquote, erst von der Hauptfürsorgestelle zu entscheiden ist (BSGE 74, 176, 178 ff = SozR 3-3870 §13 Nr 2). Gleichwohl ergab sich die Klagebefugnis aus der Gefahr, daß das VG eine andere Auffassung als der erkennende Senat in der zitierten Entscheidung vertreten werde. Zudem waren Auslegung und Reichweite des §13 Abs 2 SchwbG vom Revisionsgericht letztlich zwar vorgeprägt, aber noch nicht abschließend geklärt (vgl zu dieser Voraussetzung BSG SozR 3-8570 §8 Nr 2 S 9), soweit es die Berechtigung der Bundesanstalt für Arbeit (BA) zum Erlaß eines „Gesamt”-Feststellungsbescheides und die Beurteilung seiner Wirkung betrifft.
Die Klage war nach dem unstreitigen Sach- und Streitstand auch begründet. Denn ausgehend davon, daß die Einzelangaben inhaltlich korrekt abgegeben worden waren, war die frühere Beklagte nicht berechtigt, den angefochtenen Feststellungsbescheid zu erlassen.
Nach §13 Abs 1 SchwbG haben die Arbeitgeber, gesondert für jeden Betrieb und jede Dienststelle, ein Verzeichnis der bei ihnen beschäftigten Schwerbehinderten, Gleichgestellten und sonstigen anrechnungsfähigen Personen laufend zu führen und den Vertretern des Arbeitsamtes (ArbA) und der Hauptfürsorgestelle, die für den Sitz des Betriebes oder der Dienststelle zuständig sind, auf Verlangen vorzuzeigen.
Nach §13 Abs 2 Satz 1 SchwbG haben die Arbeitgeber dem für ihren Sitz zuständigen ArbA unter Beifügung einer Durchschrift für die Hauptfürsorgestelle einmal jährlich bis spätestens 31. März für das vorangegangene Kalenderjahr, aufgegliedert nach Monaten, anzuzeigen
- die Zahl der Arbeitsplätze nach §7 Abs 1, darunter die nach §8 Satz 1, sowie der Stellen nach §7 Abs 2 und 3, gesondert für jeden Betrieb und jede Dienststelle,
- die Zahl der in den einzelnen Betrieben und Dienststellen beschäftigten Schwerbehinderten, Gleichgestellten und sonstigen anrechnungsfähigen Personen, darunter die Zahlen der zur Ausbildung und der zur sonstigen beruflichen Bildung eingestellten Schwerbehinderten und Gleichgestellten, gesondert nach ihrer Zugehörigkeit zu einer dieser Gruppen,
- Mehrfachanrechnungen und
- den Gesamtbetrag der geschuldeten Ausgleichsabgabe.
Nach §13 Abs 2 Satz 2 SchwbG erläßt das ArbA einen Feststellungsbescheid über die nach Satz 1 Nrn 1 bis 3 anzuzeigenden Verhältnisse, wenn ein Arbeitgeber die vorgeschriebene Anzeige bis zum 30. Juni nicht, nicht richtig oder nicht vollständig erstattet hat.
Schon der Wortlaut des §13 Abs 2 Satz 1 SchwbG macht deutlich, daß die Anzeige betriebsbezogen abzugeben ist, während §§5, 11 SchwbG nicht auf den Betrieb, sondern auf den Arbeitgeber abstellen (vgl BVerwG Buchholz 436.61 §4 SchwbG Nr 1). Die frühere Klägerin hat mithin ihre Anzeige bis 30. Juni nach dem gegenwärtigen Sach- und Streitstand richtig und vollständig abgegeben, soweit es die Nrn 1 bis 3 des §13 Abs 2 Satz 1 SchwbG betrifft.
Hinsichtlich des anzuzeigenden Gesamtbetrages der geschuldeten Ausgleichsabgabe steht der früheren Beklagten ein Recht auf Erlaß eines ersetzenden Feststellungsbescheides von vornherein, nicht zu, weil §13 Abs 2 Satz 2 SchwbG gerade nicht auf die Nr 4 des Satzes 1 verweist; eine evtl Unrichtigkeit als Voraussetzung für ein Ersetzungsrecht muß demnach die Nrn 1 bis 3 betreffen. Mit anderen Worten: Wenn die frühere Klägerin, ausgehend davon, daß auch die Ausgleichsabgabe betriebsbezogen – nicht arbeitgeberbezogen – zu ermitteln ist, in den Einzelanzeigen den Gesamtbetrag der Ausgleichsabgabe nicht angegeben hat, gewährt dies der früheren Beklagten selbst dann nicht das Recht, einen ersetzenden Feststellungsbescheid zu erlassen, wenn der Arbeitgeber trotz nur betriebsbezogener Pflicht zur Einzelanzeige jedenfalls den Gesamtbetrag der Ausgleichsabgabe arbeitgeberbezogen anzuzeigen hat. Entgegen der Ansicht der früheren Beklagten besteht nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift auch keine Pflicht, neben den Einzelanzeigen zusätzlich eine Gesamtanzeige zu erstellen. Dies wäre mit Rücksicht auf die nur beurkundende Funktion des Feststellungsbescheids (vgl hierzu BSGE 74, 176, 178 ff = SozR 3-3870 §13 Nr 2) auch sinnwidrig. Denn zur Bestimmung der Ausgleichsabgabe fehlt der BA die Kompetenz, und für eine Zusammenfassung von Einzelanzeigen in eine Gesamtanzeige unter Übernahme der Angaben des Arbeitgebers zu den Einzelbetrieben fehlt es an einem irgendwie gearteten Regelungsbedarf; Beweismittel in Form einer öffentlichen Urkunde kann der Bescheid nicht hinsichtlich der geschuldeten Ausgleichsabgabe, sondern nur hinsichtlich der in Nrn 1 bis 3 des §13 Abs 2 Satz 1 SchwbG anzuzeigenden Tatsachen sein.
Fundstellen
br 1999, 112 |
Breith. 1999, 804 |
SozSi 2000, 72 |
www.judicialis.de 1999 |