Entscheidungsstichwort (Thema)

Festsetzung des Gegenstandswertes für Beigeladenen

 

Leitsatz (amtlich)

Hat der Rechtsstreit für einen Beigeladenen eine erheblich geringere wirtschaftliche Bedeutung als für die Hauptbeteiligten, so kann dem im Sozialgerichtsprozeß durch die Festsetzung eines gesonderten, niedrigeren Gegenstandswertes für den Beigeladenen Rechnung getragen werden.

 

Normenkette

BRAGebO § 8 Abs. 2 S. 2; GKG § 13 Abs. 1; BRAGebO § 8 Abs. 1 S. 1; SGG § 75 Abs. 1; BRAGebO § 116 Abs. 2 S. 1

 

Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches LSG (Urteil vom 02.07.1991; Aktenzeichen L 6 Ka 9/90)

SG Kiel (Entscheidung vom 01.08.1990; Aktenzeichen S 8 Ka 81/89)

 

Gründe

In den Anwendungsfällen des § 116 Abs 2 Satz 1 Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte (BRAGebO) ist der Gegenstandswert mangels einschlägiger Wertvorschriften nach § 8 Abs 2 Satz 2 BRAGebO zu bestimmen. Dabei ist die gemäß § 8 Abs 1 Satz 1 BRAGebO für die Bestimmung des Gegenstandswertes im Verwaltungs- und Finanzgerichtsprozeß maßgebende Vorschrift des § 13 Gerichtskostengesetz (GKG) ergänzend heranzuziehen, um Abweichungen gegenüber diesen vergleichbaren Verfahren nach Möglichkeit zu vermeiden. Das bedeutet, daß grundsätzlich auch im sozialgerichtlichen Verfahren der Gegenstandswert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache zu bemessen ist (vgl zum Ganzen BSG SozR 1930 § 8 Nr 2). Die Bedeutung der Sache für den Kläger entspricht in der Regel seinem wirtschaftlichen Interesse an der erstrebten Entscheidung und ihren Auswirkungen.

Nach den in der Revisionsinstanz gestellten Anträgen ging das wirtschaftliche Interesse der Klägerin dahin, die in der Zeit vom 18. August 1989 bis 30. September 1990 in ihrem Institut erbrachten Dialyseleistungen von der beklagten Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) vergütet zu erhalten. Zwar war bei Einlegung der Revision der größte Teil der beanspruchten Dialyse-Sachkosten aufgrund einer zwischenzeitlich ergangenen einstweiligen Anordnung des Landessozialgerichts (LSG) vorläufig bezahlt worden. Das ändert aber nichts daran, daß im Hauptsacheverfahren weiterhin der gesamte Vergütungsanspruch streitig war und es, wirtschaftlich gesehen, nicht nur um die Zahlung der noch ausstehenden Kostenpauschalen, sondern auch darum ging, ob die Klägerin die bereits empfangenen Beträge würde behalten dürfen. Nach den Angaben der Beklagten im Berufungsverfahren, denen keiner der Beteiligten widersprochen hat, sind für den in Rede stehenden Zeitraum insgesamt 4.021 Dialysebehandlungen mit einem Gesamtwert von 1.407.320,00 DM abgerechnet worden. Dieser Betrag bildet somit den für die Tätigkeit der Prozeßbevollmächtigten der Klägerin im Revisionsrechtszug maßgebenden Gegenstandswert.

Abweichend hiervon war für die Beigeladenen zu 10) bis 12) der Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit auf 8.000,00 DM festzusetzen. Die zu 10) und 11) beigeladenen Ärzte waren nach den Feststellungen des LSG früher mit der ärztlichen Leitung und Betreuung des Dialyseinstituts der Klägerin betraut gewesen; sie haben diese Tätigkeit jedoch am 18. August 1989, also mit Beginn der hier streitigen Zeit, beendet und betreiben seither zusammen mit dem Beigeladenen zu 12) eine internistische Gemeinschaftspraxis, in der sie ihrerseits Dialysebehandlungen durchführen. Ein eigenes wirtschaftliches Interesse der Beigeladenen am Ausgang des Rechtsstreits ist bei dieser Sachlage nicht erkennbar und wird von ihnen auch selbst nicht behauptet. In Ermangelung tatsächlicher Anhaltspunkte für eine Schätzung des Gegenstandswertes kann daher insoweit nur auf den in § 8 Abs 2 Satz 2 Halbs 2 BRAGebO vorgesehenen Auffangwert zurückgegriffen werden.

An der Festsetzung eines besonderen, abweichenden Gegenstandswertes für die Beigeladenen sieht sich der Senat durch § 13 Abs 1 GKG nicht gehindert. Die verwaltungsrechtliche Rechtsprechung und Literatur will allerdings im Hinblick auf den Wortlaut und die Entstehungsgeschichte dieser Vorschrift die Bildung unterschiedlicher Streitwerte nur ausnahmsweise für den Fall zulassen, daß sich die rechtliche Betroffenheit eines Beteiligten auf lediglich einen Teil des Streitgegenstandes beschränkt. Sie hält es dagegen nicht für zulässig, über eine gesonderte Wertfestsetzung die voneinander abweichenden Interessen der Prozeßbeteiligten zur Geltung zu bringen (vgl dazu im einzelnen die Nachweise in BSG SozR 3-1930 § 8 Nr 1 S 6).

Ob § 13 Abs 1 GKG für das Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit und der Finanzgerichtsbarkeit zwingend eine gesonderte, an den unterschiedlichen Interessen der Beteiligten ausgerichtete Streitwertfestsetzung ausschließt, kann auf sich beruhen, denn die Vorschrift gilt für das sozialgerichtliche Verfahren nicht unmittelbar. Ihre vom Senat geforderte ergänzende Heranziehung im Rahmen des § 8 Abs 2 Satz 2 BRAGebO soll lediglich sachlich nicht begründete Abweichungen gegenüber der verwaltungs- und finanzgerichtlichen Praxis vermeiden helfen. Dieser Zweck rechtfertigt es nicht, die Regelung auch insoweit zu übernehmen, als sie den Besonderheiten des Sozialgerichtsprozesses nicht gerecht wird und zu unbilligen Ergebnissen führt.

Für das durch mehrseitige Rechtsbeziehungen geprägte Leistungserbringungsrecht des SGB V, dem der Großteil der unter § 116 Abs 2 BRAGebO fallenden Streitigkeiten angehört, ist kennzeichnend, daß Verwaltungsentscheidungen gleichzeitig auf die Rechtsstellung mehrerer Betroffener unmittelbar oder mittelbar einwirken. Dementsprechend sind an derartigen Verfahren neben den Hauptbeteiligten regelmäßig Beigeladene mit unterschiedlichen rechtlichen und wirtschaftlichen Interessen beteiligt, wobei die prozessuale Stellung als Kläger, Beklagter oder Beigeladener vielfach durch die Zufälligkeit der jeweiligen Verfahrenskonstellation bestimmt wird. Hinzu kommt, daß von den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit in weit stärkerem Maße als von den Verwaltungs- und Finanzgerichten von der Möglichkeit der sogenannten einfachen Beiladung Gebrauch gemacht wird. Da das Sozialgerichtsgesetz (SGG) im Unterschied zur Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und zur Finanzgerichtsordnung (FGO) für die einfache Beiladung keine rechtliche Betroffenheit verlangt, sondern es ausreichen läßt, wenn durch die Entscheidung berechtigte Interessen des Beizuladenden berührt werden (vgl § 75 Abs 1 SGG einerseits, § 65 Abs 1 VwGO und § 60 Abs 1 Satz 1 FGO andererseits), können im Sozialgerichtsprozeß nach dem Ermessen des Gerichts auch außerrechtliche, etwa wirtschaftliche, ethische, ideelle, soziale, kulturelle oder sonstige tatsächliche Interessen zur Beiladung führen. Ein für alle Betroffenen einheitlicher, allein durch das wirtschaftliche Interesse des Klägers bestimmter Gegenstandswert trägt diesen besonderen Gegebenheiten nicht Rechnung, weil er die typischerweise ganz unterschiedliche Interessenlage und wirtschaftliche Betroffenheit der Beteiligten vernachlässigt, die Höhe des Streitwertes von der zufälligen Stellung der Beteiligten im Prozeß abhängig macht und den einzelnen unter Umständen einem unkalkulierbaren Kostenrisiko aussetzt, das in keinem Verhältnis zu der Bedeutung steht, die der Prozeß für ihn selbst hat.

Mit seiner Entscheidung weicht der Senat nicht von der Rechtsprechung des 1. Senats des Bundessozialgerichts ab. Dieser hat in dem Beschluß vom 25. November 1992 (SozR 3-1930 § 8 Nr 1) die Frage nach der Zulässigkeit unterschiedlicher Gegenstandswerte für die verschiedenen Prozeßbeteiligten ausdrücklich offengelassen und nur entschieden, daß für einen Beigeladenen kein höherer Gegenstandswert festgesetzt werden kann als für die Hauptbeteiligten. Darum geht es aber vorliegend nicht.

 

Fundstellen

Haufe-Index 956155

Breith. 1996, 612

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