Verfahrensgang
LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 10.11.1988) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 10. November 1988 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.
Gründe
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem vorbezeichneten Urteil ist unbegründet.
Auf die Beschwerde ist die Revision u.a. zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG –). In der Begründung der Beschwerde muß die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt werden (§ 160 a Abs. 2 Satz 3 SGG). Diesen Formerfordernissen hat die Klägerin genügt. Sie hat im einzelnen dargelegt, warum sie § 32 a Abs. 5 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) für verfassungswidrig, insbesondere mit Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) für unvereinbar hält.
Die Beschwerde der Klägerin ist jedoch unbegründet. Die von der Klägerin aufgeworfene Rechtsfrage, ob § 32 a Abs. 5 AVG (= § 1255 a Abs. 5 Reichsversicherungsordnung – RVO –) insoweit verfassungswidrig ist, als Kindererziehungszeiten vor dem 1. Januar 1986 beim Zusammentreffen mit freiwilligen Beiträgen hinter diesen zurücktreten, hat keine grundsätzliche Bedeutung. Sie ist geklärt. Bereits der 4. Senat des Bundessozialgerichts –BSG– (vgl Urteile vom 1. September 1988 – 4/11 a RA 59/87 – = SozR 2200 § 1255 a Nr. 20 und vom 22. Juni 1989 – 4 RA 86/88 – Orientierungssatz in SozSich 1990, S. 29) hat entschieden, daß § 32 a Abs. 5 AVG nicht verfassungswidrig ist, insbesondere nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt. Dem hat sich der beschließende Senat in vollem Umfang angeschlossen (Urteil vom 19. April 1990 – 1 RA 83/88 –). § 32 a Abs. 5 AVG (i.d.F. des Art. 1 Nr. 10 HEZG vom 11. Juli 1985, BGBl. I 1450) regelt zum einen, daß beim Zusammentreffen von Kindererziehungszeiten vor dem 1. Januar 1986 mit Beitrags-, Ersatz-, Ausfall- und Zurechnungszeiten vorrangig die letztgenannten Zeiten bewertet und ggf auf den Wert 6,25 angehoben werden, und zum anderen, daß, wenn die primär bewerteten Zeiten bereits mindestens den Wert 6,25 je Monat erreicht haben, eine weitere Berücksichtigung der Kindererziehungszeiten ausgeschlossen ist. Kindererziehungszeiten sind mithin nur subsidiär im Sinne einer Auffüllung des Wertes einer Rentenanwartschaft anzurechnen, wenn der jeweilige Monat der Kindererziehungszeit bis zum Wert 6,25 eine Lücke aufweist. Daß unter Beitragszeit i.S. des § 32 a Abs. 5 AVG auch eine freiwillige Beitragszeit zu verstehen ist, hat der 4. Senat (a.a.O.) ebenfalls bereits entschieden. Das ergibt sich schon aus dem nicht auf Pflichtbeitragszeiten beschränkten Wortlaut dieser Bestimmung, erst recht aber aus Systematik und Zweck des Gesetzes. Zwar treten Kindererziehungszeiten nach dem 1. Januar 1986 (§ 2 a AVG), die als Pflichtversicherung ausgestaltet sind, nach § 32 Abs. 6 a AVG u.a. nur hinter Pflichtbeitragszeiten zurück, weil mit Beitragszeiten hier wegen der Unzulässigkeit der Entrichtung freiwilliger Beiträge neben einer Pflichtversicherung (§ 10 AVG) nur Pflichtbeiträge gemeint sein können. Diese systematische Einschränkung entfällt aber bei § 32 a Abs. 5 AVG, weil mit der rückwirkenden Anerkennung von Kindererziehungszeiten vor dem 1. Januar 1986, die als Versicherungszeiten eigener Art ausgestaltet sind, gerade die Berechtigung zur freiwilligen Versicherung nicht nachträglich entzogen werden sollte (BT-Drucks 10/2677, S. 31). Im übrigen folgt auch aus dem Zweck des Gesetzes, daß Kindererziehungszeiten nicht generell mit einem bestimmten Wert in die Rentenberechnung einfließen sollten, sondern nur insoweit, als ein entsprechender Bedarf in der sozialen Absicherung vorhanden ist. Die Nichtberücksichtigung des vollen Wertes für Kindererziehungszeiten kumulativ neben dem Wert der freiwilligen Beiträge ist damit nicht planwidrig.
§ 32 a Abs. 5 AVG verstößt insoweit aber auch nicht gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Der Gesetzgeber hat bei der Wertung von Kindererziehungszeiten ausschließlich danach differenziert, ob der erziehende Elternteil während des ersten Lebensjahres nach der Geburt des Kindes Lücken im Aufbau einer Rentenanwartschaft bis zur Obergrenze des Wertes von 6,25 hat (der einem erzielten Arbeitsentgelt in Höhe von 75 vH des durchschnittlichen Bruttoarbeitsentgelts aller rentenversicherten Arbeitnehmer entspricht). Dieses Unterscheidungskriterium ist nicht willkürlich. Die mit der Kindererziehung erbrachte Leistung soll nur insoweit honoriert werden, als die dadurch möglicherweise entgangenen Rentenanwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung (pauschal) ausgeglichen werden. In diesem Zusammenhang kommt es – wie der 4. Senat bereits dargelegt hat – auch nicht darauf an, daß mit der Anrechnung von Kindererziehungszeiten nach den Motiven des Gesetzgebers ein entscheidender Beitrag zur „Anerkennung der Erziehungstätigkeit in ihrer Bedeutung für die Allgemeinheit”, zu einer „Gleichbewertung der Tätigkeit in der Familie und in der häuslichen Erwerbstätigkeit” sowie zu einer „Verbesserung der eigenständigen sozialen Sicherung der Frau” geleistet werden sollte (BT-Drucks 10/2677 S. 28). Diese Zielvorstellungen zwingen nicht zu einer verfassungsrechtlichen Beanstandung einer neuartigen Regelung, welche diese Ziele erst ansatzweise verwirklicht (vgl. BVerfGE 65, 104, 115). Vielmehr steht es dem Gesetzgeber bei derartigen „Innovationen” frei zu bestimmen, ob, ab wann, in welcher Höhe und gegenüber welchem Personenkreis er mit der beabsichtigten Verbesserung beginnen will. Dabei ist es auch nicht willkürlich, wenn nicht allen erziehenden Elternteilen Kindererziehungszeiten wertmäßig gleichermaßen angerechnet werden, sondern diejenigen nicht (oder nicht in gleicher Höhe) begünstigt werden, bei denen das Schutzbedürfnis nicht (oder nicht in gleichem Umfange) besteht und deren rentenversicherungsrechtliche Sicherung auch ohne zusätzliche staatliche Maßnahmen gewährleistet ist.
Insofern bedeutet es auch keine willkürliche Ungleichbehandlung, wenn der Gesetzgeber die vor dem 1. Januar 1921 geborenen Mütter anders – und hinsichtlich des Zusammentreffens mit Pflicht- oder freiwilligen Beiträgen günstiger – behandelt hat. Nachdem dieser Personenkreis bei Einführung von Kindererziehungszeiten durch das HEZG unberücksichtigt geblieben war, hat sich der Gesetzgeber für die vor dem 1. Januar 1921 geborenen Mütter zu einer Spezialregelung entschlossen (Art. 2 §§ 61 ff des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes –AnVNG– = KLG), in der er den besonderen Belastungen dieses Personenkreises durch die Kriegs- und Nachkriegszeit besonders Rechnung getragen hat. Für derartige Regelungen steht dem Gesetzgeber ein besonders weitgehender Gestaltungsspielraum zu, ohne daß daraus Folgerungen für die Gleichstellung anderer Personengruppen gezogen werden könnten. Ob und inwieweit der Gesetzgeber aufgerufen bleibt, Systemwidrigkeiten – insbesondere durch die Auswirkungen der Kindererziehungsleistungen – zu mildern, ist eine andere Frage, die nicht die Verfassungsmäßigkeit des § 32 a Abs. 5 AVG berührt.
Nach allem kann die Beschwerde mangels grundsätzlicher Bedeutung der aufgeworfenen Rechtsfrage nicht zum Erfolg führen.
Die Kostenentscheidung ergeht in entsprechender Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen