Verfahrensgang
SG Mainz (Entscheidung vom 21.03.2018; Aktenzeichen S 2 KA 111/15) |
LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 04.04.2019; Aktenzeichen L 5 KA 21/18) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 4. April 2019 wird verworfen.
Der Antrag des Klägers, ihm für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen und Rechtsanwalt Dr. P., D., beizuordnen, wird abgelehnt.
Der Kläger trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 15 000 Euro festgesetzt.
Gründe
I
Der Kläger war seit 1983 im Bezirk der beklagten Kassenzahnärztlichen Vereinigung (KZÄV) zur vertragszahnärztlichen Versorgung zugelassen. Die Erbringung und Abrechnung der Leistungen des Klägers waren seit Jahren Gegenstand von zahlreichen Verwaltungsverfahren und gerichtlichen Streitverfahren. Im Jahr 2016 wurde ihm die Zulassung entzogen; der Zulassungsausschuss begründete dies damit, durch die fortwährenden beleidigenden und diffamierenden Äußerungen gegenüber den Mitgliedern, Organen und Bediensteten der KZÄV habe der Kläger seine vertragszahnärztlichen Pflichten gröblich verletzt (vgl BSG Beschluss vom 11.9.2019 - B 6 KA 14/19 B - juris).
Am Morgen und - nach Entfernung - erneut am Abend des 6.7.2014 sowie am 7.7.2014 wurden drei Plakate an der Fassade des Verwaltungsgebäudes der Beklagten in K. angebracht, die ua folgenden Inhalt hatten: "KZV RLP ??V RLP Was kostet ein Fragezeichen in Deutschland? Sind einfache Fragen in Deutschland wie in einer Diktatur nicht mehr erlaubt? Warum sind die Vorstände Dr. S., Dr. R. so stolz auf ihr 'KZW', dass diese Vorstände mit Willkür selbst einfache Fragen durch Psychoterror unterdrücken wollen? Nur Nazis sind stolz auf ihr, KZ' " (Plakat 1), " 'ceterum censeo Nazi-ideologiam esse delendam' KZV RLP Nazi-Kürzel, nein danke" (Plakat 2), " … G'tt sei Dank sind nicht alle Zahnärzte stolz auf das Kürzel 'KZ' " (Plakat 3).
Die Beklagte untersagte daraufhin dem Kläger unter Androhung eines Zwangsgeldes in Höhe von 5000 Euro für jeden Fall der Zuwiderhandlung, an dem Gebäude der KZÄV in K. Plakate anzubringen, deren Inhalt nicht von dem das Hausrecht ausübenden Vorstand der KZÄV genehmigt worden ist, sowie das Gebäude der KZÄV in K. zu betreten, wenn nicht der mit dem Betreten verbundene Zweck vorher gegenüber dem das Hausrecht ausübenden Vorstand der KZÄV offengelegt worden ist und der Vorstand das Betreten genehmigt hat. Zustimmungsfähige Zwecke seien in der Regel solche, die sich aus den mitgliedschaftlichen Rechten der Mitglieder der KZÄV ergäben. Die Beklagte ordnete die sofortige Vollziehung an.
Nachdem an dem Gebäude der Beklagten am 9.11. und 23.11.2014 erneut mehrere Plakate mit ähnlichem Inhalt angebracht wurden, setzte die Beklagte mit zwei Bescheiden jeweils ein Zwangsgeld in Höhe von 5000 Euro gegen den Kläger fest und ordnete den Sofortvollzug an.
Die Widersprüche des Klägers gegen die Grundentscheidung und die Festsetzung der Zwangsgelder, mit denen dieser geltend machte, er habe mit dem Anbringen der Plakate in zulässiger Weise sein Grundrecht auf freie Meinungsäußerung wahrgenommen, blieben erfolglos. Das SG hob lediglich die Festsetzung der Zwangsgelder auf. Zwar liege eine wirksame Grundverfügung vor; es könne jedoch nicht mit hinreichender Sicherheit davon ausgegangen werden, dass der Kläger die Plakatierungsaktionen vom 23.11. und 1.12.2014 tatsächlich vorgenommen bzw zu vertreten habe. Das LSG hat die Berufung des Klägers hiergegen zurückgewiesen und auf die Berufung der Beklagten die Klage auch hinsichtlich der die Zwangsgelder festsetzenden Bescheide abgewiesen: Bei den Plakaten handele es sich um Schmähkritik. Der Kläger habe damit die Grenzen der Meinungsfreiheit überschritten. Er habe zur Überzeugung des LSG auch gegen die Verpflichtung, das Anbringen von Plakaten mit ungenehmigten Inhalt zu unterlassen, verstoßen.
Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des LSG macht der Kläger die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 SGG) geltend.
II
1. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig und deshalb zu verwerfen. Der Kläger hat in seiner Beschwerdebegründung eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht in der erforderlichen Weise dargelegt (§ 160a Abs 2 Satz 3 iVm § 160 Abs 2 Nr 1 SGG).
Für die Geltendmachung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache muss in der Beschwerdebegründung eine konkrete Rechtsfrage in klarer Formulierung bezeichnet und zudem aufgezeigt werden, inwiefern diese in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich), klärungsbedürftig sowie über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (stRspr; zB BSG Beschluss vom 30.8.2004 - B 2 U 401/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 5 RdNr 2 ff; BSG Beschluss vom 25.7.2011 - B 12 KR 114/10 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 22 RdNr 5; BSG Beschluss vom 12.9.2018 - B 6 KA 12/18 B - juris RdNr 5, jeweils mwN). Es muss aus der Beschwerdebegründung ersichtlich sein, dass sich die Antwort auf die Rechtsfrage nicht ohne Weiteres aus dem Gesetz oder der bisherigen Rechtsprechung ergibt; hierzu bedarf es der Auseinandersetzung mit den vorinstanzlichen Entscheidungen und sonstiger einschlägiger Rechtsprechung. Diese Anforderungen, die allerdings nicht überspannt werden dürfen, sind verfassungsrechtlich unbedenklich (BVerfG ≪Kammer≫ Beschluss vom 14.4.2010 - 1 BvR 2856/07 - SozR 4-1500 § 160a Nr 24 RdNr 5 ff). Dem wird die Beschwerde des Klägers nicht gerecht.
Der Kläger führt aus, die Entscheidung des LSG beruhe auf der Rechtsfrage, ob es "grundsätzlich geboten und nicht nur im Rahmen der Zulassung der revisionsrechtlichen Überprüfung (er)möglich ist, eine als Schmähkritik beurteilte Äußerung höchstrichterlich zu überprüfen und zu bewerten, um sicherzustellen, dass der der Äußerung innewohnende verfassungsrechtliche Gehalt und ihr grundrechtlicher Schutz nicht wesentlich verkürzt wird und in diesem Umfang leerläuft." Der Kläger hält es für klärungsbedürftig, "ob die Feststellung der Grenzen der Meinungsfreiheit und die Beurteilung einer Äußerung als Schmähkritik grundsätzlich höchstrichterlich zu überprüfen ist".
Letztendlich will der Kläger geklärt wissen, ob das Grundrecht der Meinungsfreiheit es erfordert, bei Rechtsfragen betreffend die Grenzen dieses Grundrechts in jedem Fall ein Revisionsverfahren durchzuführen, also auch dann, wenn keiner der in § 160 Abs 2 SGG abschließend aufgezählten Revisionszulassungsgründe vorliegt. Unabhängig davon, dass der Kläger schon den Weg nicht aufzeigt, wie eine solche Entscheidung des Revisionsgerichts herbeigeführt werden soll (etwa über eine verfassungskonforme Auslegung des Prozessrechts), wäre es erforderlich gewesen, sich wenigstens im Ansatz mit Sinn und Zweck der Zulassungsrevision auseinanderzusetzen. Der Gesetzgeber hat bei Erlass des Gesetzes zur Änderung des SGG vom 30.7.1974 (BGBl I 1625 mWv 1.1.1975), mit dem er umfassend und mit dem Ziel der Rechtsvereinheitlichung der Revisionsverfahren die ausschließliche Zulassungsrevision eingeführt hat, die wesentlichen Aufgaben des Revisionsgerichts in der Wahrung der Rechtseinheit und in der Fortentwicklung des Rechts gesehen (vgl Begründung des Gesetzentwurfs der BReg, BT-Drucks 7/861 S 9 f zu Art 1 Nr 13; BT-Drucks 7/2024 S 3). Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde ist dagegen nicht, ob das Berufungsgericht in der Sache richtig entschieden hat (vgl BSG Beschluss vom 26.6.1975 - 12 BJ 12/75 - SozR 1500 § 160a Nr 7).
Der Kläger geht auch nicht auf die Rechtsprechung des BVerfG zur Zulassungsrevision ein. Danach ist es insbesondere mit Art 19 Abs 4 GG vereinbar, wenn das Gericht die Zulassung der Revision auf Grund einer Nichtzulassungsbeschwerde von bestimmten formalen Voraussetzungen wie Begründungs-, Darlegungs- und Bezeichnungserfordernissen innerhalb einer bestimmten Frist abhängig macht (vgl BVerfG Dreierausschussbeschluss vom 6.9.1983 - 1 BvR 237/83 - SozR 1500 § 160a Nr 48; BVerfG ≪Kammer≫ Beschluss vom 18.12.1991 - 1 BvR 1411/91 - SozR 3-1500 § 160a Nr 7 S 13 = juris RdNr 7; BVerfG ≪Kammer≫ Beschluss vom 19.2.1992 - 1 BvR 1935/91 - SozR 3-1500 § 160 Nr 6 S 13 = juris RdNr 4). Weder Art 19 Abs 4 GG noch das allgemeine Rechtsstaatsprinzip - ebenso wenig das Sozialstaatsprinzip - gewährleistet einen Instanzenzug (vgl BVerfGE 11, 232, 233). Bei der normativen Ausgestaltung des Rechtswegs kommt dem Gesetzgeber eine weite Gestaltungsfreiheit zu. Es ist nicht geboten, das Rechtsmittel der Revision stets zu eröffnen (vgl BVerfGE 19, 323, 327 f). Das Institut der Revision ist eine nach gesetzgeberischen Zweckmäßigkeitsvorstellungen geformte prozessuale Einrichtung (vgl BVerfGE 49, 148, 160). Der Gesetzgeber kann bei der Gestaltung des Revisionsverfahrens die Einbußen an Chancen, materiale Gerechtigkeit im Einzelfall herzustellen, in Kauf nehmen (vgl dazu BVerfGE 60, 253, 268; vgl zu dem Ganzen BVerfG ≪Kammer≫ Beschluss vom 19.2.1992 - 1 BvR 1935/91 - SozR 3-1500 § 160 Nr 6 S 13 = juris RdNr 5). Eine Auseinandersetzung damit, weshalb gerade im Fall des Grundrechts der Meinungsfreiheit in jedem Fall eine Revisionsinstanz eröffnet sein muss, erfolgt in der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde nicht. Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang auf Rechtsprechung des BGH verweist, der zufolge die Rechtsfrage, ob der Tatrichter rechtlich einwandfrei zwischen Tatsachenbehauptungen und Meinungsäußerungen unterschieden hat, in vollem Umfang der Nachprüfung durch das Revisionsgericht unterliegt (Hinweis auf BGH Urteil vom 16.11.2004 - VI ZR 298/03 - NJW 2005, 279 = juris RdNr 23; BGH Urteil vom 11.3.2008 - VI ZR 7/07 - NJW 2008, 2110 = juris RdNr 15), übersieht er, dass es sich hierbei um vom Berufungsgericht zugelassene Revisionen handelte.
Soweit der Kläger generell im Hinblick auf die Reichweite der grundrechtlich geschützten Meinungsäußerungsfreiheit von Vertrags(zahn)ärzten in Konflikten mit den Institutionen der vertrags(zahn)ärztlichen Versorgung Fragen von grundsätzlicher Bedeutung sehen sollte, wäre auch insoweit die Begründung hinsichtlich des Klärungsbedarfs unzureichend. In dem schon erwähnten Senatsbeschluss vom 11.9.2019 - B 6 KA 14/19 B - ist die umfangreiche Rechtsprechung des Senats zu dieser Frage angeführt; inwieweit auf der Grundlage dieser Rechtsprechung weiterer Klärungsbedarf bestehen könnte, ist der Beschwerdebegründung nicht zu entnehmen.
2. Auch der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe war abzulehnen. Eine Bewilligung setzt nach § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 ZPO ua voraus, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Daran fehlt es hier aus den zuvor dargelegten Gründen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm einer entsprechenden Anwendung der §§ 154 ff VwGO. Danach trägt der Kläger die Kosten des von ihm erfolglos geführten Rechtsmittels (§ 154 Abs 2 VwGO).
4. Die Festsetzung des Streitwerts hat ihre Grundlage in § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 1 und 3, § 47 Abs 1 und 3 GKG. Sie entspricht der Entscheidung des LSG, deren Richtigkeit von keinem der Beteiligten in Frage gestellt worden ist.
Fundstellen
Dokument-Index HI13777005 |