Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde. Verfahrensmangel iS des § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG. Verfahrensmangel des SG. Fortwirkung
Orientierungssatz
1. Ein Verfahrensmangel iS des § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG ist ein Verstoß des Gerichts im Rahmen des prozessualen Vorgehens im unmittelbar vorangehenden Rechtszug. Daher kann ein - etwaiger - Verfahrensmangel des SG die Zulassung der Revision nur ausnahmsweise rechtfertigen, wenn dieser fortwirkt und insofern ebenfalls als Mangel des LSG anzusehen ist.
2. Die Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss wurde nicht zur Entscheidung angenommen (BVerfG 1. Senat 3. Kammer vom 4.8.2016 - 1 BvR 1590/16).
Normenkette
SGG § 160 Abs. 2 Nrn. 1, 3 Hs. 2, § 160a Abs. 2 S. 3, § 162
Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 7. März 2016 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
Der Kläger wendet sich mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde gegen den Beschluss des LSG Berlin-Brandenburg vom 7.3.2016.
Die Beschwerde des Klägers ist unzulässig. Seine Beschwerdebegründung vom 12.3.2016 genügt nicht der gesetzlich vorgeschriebenen Form, denn er hat die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht ordnungsgemäß dargetan (vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG).
1. Der Kläger trägt vor, die "zu bejahende Rechtsfrage, ob die Vakanz des Präsidentenamtes über ein Jahr hinaus zur unheilbaren Nichtigkeit des Geschäftsverteilungsplans führt", sei noch nicht entschieden. Sofern er damit eine Grundsatzrüge erheben will, erfüllt sein Vortrag die Darlegungsanforderungen an eine solche Rüge nicht.
Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufzeigen, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine solche Klärung erwarten lässt.
Um seiner Darlegungspflicht zu genügen, muss ein Beschwerdeführer mithin eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (vgl zum Ganzen BSG Beschluss vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN).
Die Beschwerdebegründung wird schon dem ersten Darlegungserfordernis nicht gerecht. Denn der Kläger hat bereits keine abstrakt-generelle Rechtsfrage zum Inhalt oder Anwendungsbereich einer revisiblen Norm gestellt. Es bleibt offen, welches gesetzliche Tatbestandsmerkmal welcher Bundesnorm (§ 162 SGG) mit Blick auf welche Bestimmung ausgelegt werden soll, um die Rechtseinheit zu wahren oder das Recht fortzubilden. Überdies versäumt der Kläger es, die Klärungsbedürftigkeit und die Klärungsfähigkeit der aufgeworfenen Fragestellung substantiiert darzutun.
2. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 S 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
a) Der Kläger rügt, die angefochtene Entscheidung werte "ohne Begründungsversuch das Begehren als Verwaltungsakt". Es handele sich "bei der Datenlöschung jedoch ohne weiteres nur um eine sonstige Amtshandlung". Für die Verlautbarung einer Regelung fehle es an "einer klaren Verfügung mit Rechtsmittelbelehrung oder eines Widerspruchsbescheids". Damit macht der Kläger aber keinen Verfahrensfehler auf dem Weg zur Entscheidung des Berufungsgerichts geltend (sog "error in procedendo"), sondern rügt einen Fehler in der materiellen Rechtsanwendung ("error in iudicando"), der als solcher nicht geeignet ist, die Revisionszulassung zu eröffnen (vgl Senatsbeschluss vom 23.2.2010 - B 13 R 457/09 B - Juris RdNr 10).
b) Soweit der Kläger eine aus seiner Sicht "unverständliche Vertraulichkeit der Vorsitzenden erster Instanz mit der Beklagtenvertreterin nach Schluß der Sitzung" rügt, ist er darauf hinzuweisen, dass ein Verfahrensmangel iS des § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG ein Verstoß des Gerichts im Rahmen des prozessualen Vorgehens im unmittelbar vorangehenden Rechtszug ist und daher ein - etwaiger - Verfahrensmangel des SG die Zulassung nur ausnahmsweise rechtfertigen kann, wenn dieser fortwirkt und insofern ebenfalls als Mangel des LSG anzusehen ist (vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 160 RdNr 16a mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Hierzu fehlt aber ein schlüssiger Vortrag des Klägers.
c) Der Kläger macht weiter geltend, "verfahrensfehlerhaft" sei "die Annahme eines weiteren und eines engeren Streitgegenstandes unter Ausscheidung des gegebenen Hilfsantrags". Auch mit diesem Vorbringen hat er keinen Verfahrensmangel substantiiert bezeichnet. Er versäumt es bereits, seine zuletzt vor dem Berufungsgericht gestellten Anträge wiederzugeben. Überdies fehlt eine nachvollziehbare Darstellung des der angefochtenen LSG-Entscheidung zugrunde liegenden Lebenssachverhalts. Allein eine bruchstückhafte Wiedergabe vermeintlicher Sachverhaltselemente in der Beschwerdebegründung reicht nicht.
3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).
4. Die Verwerfung der danach nicht formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 S 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Fundstellen