Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Operative Eingriffe. Regelrechter Körperzustand. Psychische Störung: Linderung. Transsexualität. Behandlungsbedürftige Krankheit. Psychiatrische Behandlung. Psychotherapeutische Behandlung
Orientierungssatz
1. Die Leistungspflicht der Krankenkasse umfasst nicht die Kosten für operative Eingriffe in einen regelrechten Körperzustand, um auf diesem Wege eine psychische Störung zu beheben oder zu lindern (vgl BSG vom 10.2.1993 - 1 RK 14/92 = BSGE 72, 96 = SozR 3-2200 § 182 Nr 14).
2. Transsexualität stellt im Einzelfalle eine behandlungsbedürftige Krankheit iS des Krankenversicherungsrechts dar, wenn psychiatrische und psychotherapeutische Mittel das Spannungsverhältnis zwischen dem körperlichen Geschlecht und der seelischen Identifizierung mit dem anderen Geschlecht nicht zu lindern oder zu beseitigen vermögen (vgl BSG vom 6.8.1987 - 3 RK 15/86 = BSGE 62, 83 = SozR 2200 § 182 Nr 106).
Normenkette
SGB 5 § 13 Abs. 3, § 27 Abs. 1, § 39 Abs. 1 S. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin hatte mit ihrem Begehren, ihr die Kosten der stationären Behandlung für eine geschlechtsangleichende Operation (Mann-zu-Frau) iHv 6.562,16 € zu erstatten, vor dem Sozialgericht Erfolg (Gerichtsbescheid vom 23. Mai 2002). Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) den Gerichtsbescheid aufgehoben und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, es lasse sich nicht feststellen, dass der geschlechtsangleichende Eingriff das einzige Mittel zur Linderung der Beeinträchtigungen gewesen sei. Die Klägerin habe sich zu keinem Zeitpunkt in psychiatrischer oder psychotherapeutischer Behandlung befunden (Urteil vom 23. Januar 2004).
Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 2 iVm § 169 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung des geltend gemachten Revisionszulassungsgrundes nach § 160 Abs 2 Nr 2 SGG.
Die Revision ist nach § 160 Abs 2 Nr 2 nur zuzulassen, wenn das Urteil des LSG von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG), des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Abweichung (Divergenz) iS dieser Vorschrift bedeutet Widerspruch im Rechtssatz, das Nichtübereinstimmen tragender abstrakter Rechtssätze, die zwei Urteilen zu Grunde gelegt worden sind. Die Beschwerdebegründung muss die Entscheidung, von der das Urteil des LSG abweicht, bezeichnen (vgl § 160a Abs 2 Satz 3 SGG) und nach der Rechtsprechung des BSG insoweit erkennen lassen, welcher abstrakte Rechtssatz in dem herangezogenen höchstrichterlichen Urteil enthalten ist und welcher im Urteil des LSG enthaltene Rechtssatz dazu im Widerspruch steht (vgl Senat, Beschluss vom 10. Mai 2005, B 1 KR 57/04 B, BSG SozR 1500 § 160a Nr 67). Darzulegen ist, dass sowohl das LSG als auch das BSG ein und dieselbe Rechtsfrage in unvereinbarer Weise verschieden und mit unterschiedlichen Konsequenzen beantwortet haben. Die Beschwerde muss zur Darlegung der Divergenz zunächst die Vergleichbarkeit der rechtlichen und tatsächlichen Ausgangssituation (Rechtsfragen) sowie die hierauf gegebenen Antworten (Rechtssätze) des LSG einerseits und des BSG andererseits aufzeigen. Hieran fehlt es.
Die Beschwerde geht schon nicht auf die Unterschiede in der jeweiligen Ausgangssituation ein und legt damit - an objektiven Maßstäben gemessen - eine Divergenzlage nicht hinreichend dar. Bei der Entscheidung des Senats vom 10. Februar 1993 (BSGE 72, 96 ff = SozR 3-2200 § 182 Nr 14) ging es darum, ob die gesetzlichen Krankenkassen verpflichtet sind, zur Behebung einer psychischen Störung - krankhafte Fixierung auf Kleinwuchs bei einer Körpergröße von 164 Zentimetern innerhalb des Normbereichs - die Kosten für den operativen Eingriff in einen im Normbereich liegenden Körperzustand (Beinverlängerung) zu tragen, wenn die einzige kausale Therapie mit den Mitteln der Psychiatrie und Psychotherapie krankheitsbedingt vom Versicherten abgelehnt wird, obwohl sie von der Krankenkasse angeboten wird. Das hat das BSG verneint, da die Leistungspflicht der Krankenkasse nicht die Kosten für operative Eingriffe in einen regelgerechten Körperzustand umfasst, um auf diesem Wege eine psychische Störung zu beheben oder zu lindern. Hiervon hat der Senat die Rechtsprechung zur geschlechtsangleichenden Operation bei Transsexualität (Urteil des 3. Senats des BSG vom 6. August 1987, BSGE 62, 83) abgegrenzt. Danach stellt die Transsexualität im Einzelfalle eine behandlungsbedürftige Krankheit im Sinne des Krankenversicherungsrechts dar. Nur wenn psychiatrische und psychotherapeutische Mittel das Spannungsverhältnis zwischen dem körperlichen Geschlecht und der seelischen Identifizierung mit dem anderen Geschlecht nicht zu lindern oder zu beseitigen vermögen, gehört es nach Auffassung des BSG zu den Aufgaben der gesetzlichen Krankenkassen, die Kosten für eine geschlechtsangleichende Operation zu tragen. Den Unterschied zum operativen Eingriff in einen Normalzustand in Rahmen einer Distraktionsepiphyseolyse hat der Senat darin gesehen, dass die geschlechtsangleichende Operation in den genannten Ausnahmefällen - unabhängig von der Zustimmung des Transsexuellen zu einer psychiatrisch/psychotherapeutischen Behandlung - die einzige Möglichkeit der Hilfe darstellt. Das LSG hat demgegenüber nicht feststellen können, dass sich zum Operationszeitpunkt im Mai 2000 der geschlechtsangleichende Eingriff tatsächlich als einziges Mittel zur Linderung der Beeinträchtigungen dargestellt hat. Es hat diesen Schluss daraus gezogen, dass sich die Klägerin zu keinem Zeitpunkt in psychiatrischer oder psychotherapeutischer Behandlung befunden hat. Auf diese Unterschiede in der jeweiligen Ausgangssituation geht die Beschwerde nicht ein.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Fundstellen