Entscheidungsstichwort (Thema)
Schiedsamt. Schiedsspruch. Zustandekommen einer Gesamtregelung auch bei wechselnden Mehrheiten zu in sich selbstständigen Einzelbestimmungen
Orientierungssatz
Werden die in sich selbstständigen Bestimmungen einer Gesamtregelung jeweils mit einer Mehrheit der Mitglieder des Gremiums eines Schiedsamtes beschlossen, so ist der Vertragsinhalt insgesamt iS des § 89 Abs 1 S 3 SGB 5 mit der Mehrheit seiner Mitglieder auch dann zu Stande gekommen, wenn es sich um wechselnde Mehrheiten handelte.
Normenkette
SGB 5 § 89 Abs. 1 S. 3
Verfahrensgang
Tatbestand
Nach dem Scheitern der Verhandlungen zwischen der klagenden Kassenärztlichen Vereinigung und der beigeladenen Krankenkasse (AOK) über die Höhe der Gesamtvergütung für 1999 setzte das Landesschiedsamt am 30. Juni 1999 die Honorarvereinbarung für 1999 fest. Der Vertragsinhalt ging von der Gesamtvergütung 1997 aus. Die Vergütungen für Präventionsleistungen seien dabei aber herauszurechnen. Die Gesamtvergütung sei von 1997 auf 1998 um 1,66 % entsprechend der korrigierten Bekanntmachung des Bundesministeriums für Gesundheit und von 1998 auf 1999 um 1,3 % anzuheben. Ausweislich der Bekanntgabe des Vorsitzenden in der Niederschrift über die Sitzung des Landesschiedsamtes war diese Entscheidung mit wechselnden Mehrheiten zu Stande gekommen.
Die Klägerin ist mit ihrer Klage und mit ihrer Berufung erfolglos geblieben. Im Urteil des Landessozialgerichts (LSG) ist ausgeführt, die Entscheidung des Schiedsamtes sei sowohl in formeller als auch in materieller Hinsicht rechtmäßig. Für eine Festsetzung des Vertragsinhalts durch das Schiedsamt "mit der Mehrheit seiner Mitglieder" gemäß § 89 Abs 1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) in Verbindung mit der gemäß Abs 6 erlassenen Rechtsverordnung (§ 18 Abs 1 Schiedsamtsverordnung) sei eine Entscheidung mit einfacher Stimmenmehrheit und ohne Stimmenthaltungen erforderlich. Ein Verbot von Abstimmungen über Einzelfragen bestehe nicht, so wie dies auch in § 195 Gerichtsverfassungsgesetz bei Kollegialentscheidungen als zulässig vorausgesetzt werde. Aus dem Nacheinander der Abstimmungen über Teilfragen könne nicht gefolgert werden, das Gesamtergebnis sei nicht mit der Mehrheit der Mitglieder des Schiedsamtes zu Stande gekommen. In materieller Hinsicht entspreche die Herausrechnung der Vergütungen für Präventionsleistungen aus der Gesamtvergütung 1997 dem Gesetz. Der Wortlaut des Art 14 Abs 1 GKV-Solidaritätsstärkungsgesetz (vom 19. Dezember 1998, BGBl I 3853 ≪GKV-SolG≫) sei nicht eindeutig. Ebenso wenig lasse sich aus der systematischen Auslegung oder aus den Gesetzesmaterialien ein klares Ergebnis ableiten. Aber Sinn und Zweck sowie Entstehungsgeschichte der Regelung ergäben deutlich, dass die Vergütungen für Leistungen iS des Art 14 Abs 4 GKV-SolG herauszurechnen seien. Dies sei zusätzlich durch Einfügung des Satz 3 in Art 14 Abs 1 GKV-SolG durch Art 10 Nr 2 GKV-Gesundheitsreformgesetz 2000 (vom 22. Dezember 1999, BGBl I 2626 ≪GKV-GRG 2000≫) klargestellt worden. Auch die Anhebungen um 1,66 % für 1998 und um 1,3 % für 1999 seien nicht zu beanstanden. Bei den Erhöhungen der Gesamtvergütungen gemäß Art 14 Abs 1 Satz 1 GKV-SolG ("... dürfen sich im Jahr 1999 höchstens um die nach Art 18 festgestellte Veränderungsrate ... verändern") habe der Beklagte für die Erhöhung von 1997 auf 1998 zu Recht die erst nach dem 5. März 1999 bekannt gegebene geänderte Veränderungsrate von 1,66 % (statt vorher 1,73 %) zu Grunde gelegt. Die Vorgabe des Art 18 Satz 3 GKV-SolG (Bekanntgabe bis zum 5. März 1999) habe die Korrektur wenige Tage später (wegen Rechenfehlers eines Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenversicherung) nicht ausgeschlossen. Es gebe keinen Anhaltspunkt, dass bereits schutzwürdiges Vertrauen in die so kurz zuvor zu hoch angesetzte Veränderungsrate entstanden sein könnte.
Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des LSG macht die Klägerin geltend, die Rechtssache habe hinsichtlich aller drei vom LSG entschiedenen Rechtsfragen grundsätzliche Bedeutung.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde der Klägerin hat keinen Erfolg. Die von ihr erhobene Grundsatzrüge ist hinsichtlich einer von ihr aufgeworfenen Rechtsfrage zulässig, aber nicht begründet, und hinsichtlich der anderen zwei Rechtsfragen bereits unzulässig.
Hinsichtlich der Rechtsfrage,
ob ein Schiedsspruch iS des § 89 Abs 1 Satz 1 SGB V auch dann ergehen kann, wenn das Schiedsamt ihn nicht als Ganzen mit der Mehrheit seiner Mitglieder festsetzt, sondern nur Abstimmungen zu den einzelnen Punkten eines sich aus einer Vielzahl von Einzelpunkten zusammensetzenden Schiedsspruchs vornimmt und es hier zu wechselnden Mehrheiten kommt,
ist zwar von einer zulässigen Grundsatzrüge auszugehen (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫). Diese ist aber unbegründet, denn nicht alle Erfordernisse für die Revisionszulassung sind erfüllt.
Die Revisionszulassung setzt eine Rechtsfrage voraus, die in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl BVerfG ≪Kammer≫, SozR 3-1500 § 160a Nr 7 S 14; s auch BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 19 S 34 f; Nr 30 S 57 f mwN). Die Klärungsbedürftigkeit fehlt, falls sich die Antwort auf die Rechtsfrage ohne Weiteres aus den Rechtsvorschriften und/oder der bisherigen Rechtsprechung ergibt (zur Verneinung der Klärungsbedürftigkeit im Falle klarer Antwort s zB BSG SozR 3-1500 § 146 Nr 2 S 6; SozR 3-2500 § 75 Nr 8 S 34; SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38; vgl auch BSG SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f). Diese Anforderungen sind verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl zB BVerfG ≪Kammer≫, Beschluss vom 29. Mai 2001 - 1 BvR 791/01 -, und früher schon BVerfG ≪Kammer≫, SozR 3-1500 § 160a Nr 6 S 10 f; Nr 7 S 14; s auch BVerfG ≪Kammer≫, DVBl 1995, 35).
Zu der genannten ersten Rechtsfrage fehlt es an der Klärungsbedürftigkeit, denn die Antwort auf sie ergibt sich ohne Weiteres aus der hier maßgeblichen Rechtsvorschrift des § 89 Abs 1 Satz 3 SGB V. Diese steht im Kontext der Regelungen über das Schiedsamt insgesamt, das oft gerade wegen Nichtzustandekommens von Einigungen über komplexe Vereinbarungen, die sich aus mehreren verschiedenen in sich selbstständigen Einzelbestimmungen zusammensetzen, angerufen wird. Diese Einzelpunkte werden dann typischerweise jeder für sich und nicht als ein Gesamtblock zur Abstimmung gestellt. Werden die in sich selbstständigen Bestimmungen der Gesamtregelung jeweils mit einer Mehrheit der Mitglieder des Gremiums beschlossen - mag es sich auch um wechselnde Mehrheiten handeln -, so ist der Vertragsinhalt insgesamt iS des § 89 Abs 1 Satz 3 SGB V mit der Mehrheit seiner Mitglieder zu Stande gekommen. Von dieser Auslegung geht auch das Schrifttum aus, das dem Schiedsamt bzw der Schiedsstelle ausdrücklich die Befugnis einräumt, über alle zur Entscheidung stehenden Sachfragen entweder zusammen oder über einzelne Punkte getrennt abzustimmen (s Düring, Das Schiedswesen in der gesetzlichen Krankenversicherung, 1992, S 118; ebenso Quaas in Schnapp ≪Hrsg≫, Handbuch des sozialrechtlichen Verfahrens, 2003, Kapitel C RdNr 221 ≪S 107≫ zur Schiedsstelle gemäß § 18a KHG). Damit ergibt sich, dass der vorliegende Schiedsspruch nicht deshalb mängelbehaftet sein kann, weil er ausweislich der Bekanntgabe des Vorsitzenden in der Niederschrift über die Sitzung des Landesschiedsamtes mit wechselnden Mehrheiten zu Stande kam. Mithin ist - ohne dass es der Klärung in einem Revisionsverfahren bedarf - die von der Beschwerdeführerin aufgeworfene erste Rechtsfrage dahin zu beantworten, dass ein Schiedsspruch der vorliegenden Art auch dadurch wirksam zu Stande kommen kann, dass über die einzelnen Punkte getrennt abgestimmt wird, auch wenn es dabei zu wechselnden Mehrheiten kommt.
Bereits unzulässig ist die von der Klägerin erhobene Grundsatzrüge hinsichtlich der von ihr formulierten zweiten Rechtsfrage,
ob Grundlage der Gesamtvergütung des Jahres 1999 das vollständige "Vergütungsvolumen des Jahres 1997" gemäß Art 14 Abs 1 Satz 2 GKV-SolG oder ein von vornherein um die Präventionsleistungen iS des Art 14 Abs 4 GKV-SolG verringertes Vergütungsvolumen ist.
Für eine zulässige Grundsatzrüge muss gemäß den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Darlegungsanforderungen in der Beschwerdebegründung eine konkrete Rechtsfrage in klarer Formulierung bezeichnet (vgl BVerfGE 91, 93, 107; BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 37 f) und ausgeführt werden, inwiefern diese Rechtsfrage in dem mit der Beschwerde angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich (klärungsfähig) sowie klärungsbedürftig ist. Es muss ersichtlich sein, dass sich die Antwort nicht ohne Weiteres aus den Rechtsvorschriften und/oder der bisherigen Rechtsprechung ergibt (vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38; SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f; s auch BSG SozR 3-2500 § 240 Nr 33 S 151 f mwN). Dabei bedarf es der Auseinandersetzung mit den vorinstanzlichen Entscheidungen und sonstiger einschlägiger Rechtsprechung (vgl BVerfG ≪Kammer≫, SozR 3-1500 § 160a Nr 6 S 10 f; BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38; Nr 23 S 42). Lediglich allgemeine oder nur kursorische Hinweise ohne Durchdringung des Prozessstoffs reichen nicht aus (vgl BVerfG ≪Kammer≫, DVBl 1995, 35). Diese Anforderungen sind verfassungsrechtlich unbedenklich (s die zitierte BVerfG-Rspr und zB BVerfG ≪Kammer≫, SozR 3-1500 § 160a Nr 7 S 14).
Zu der genannten zweiten Rechtsfrage fehlen ausreichende Darlegungen zur Klärungsbedürftigkeit entsprechend diesen aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Anforderungen. Die Beschwerdebegründung enthält keine rechtliche Auseinandersetzung mit den Ausführungen des LSG. Dieses hat unter Heranziehung der anerkannten Auslegungsmethoden (Wortlaut, Systematik, Sinn und Zweck, Entstehungsgeschichte) ausgeführt, dass sich weder aus dem Wortlaut noch aus der Systematik der Regelung noch aus den Materialien des Gesetzgebungsverfahren ein eindeutiges Ergebnis ableiten lasse, dass aber ihr Sinn und Zweck sowie ihre Entstehungsgeschichte klar ergäben, dass die Vergütungen für Präventionsleistungen iS des Art 14 Abs 4 GKV-SolG aus dem Vergütungsvolumen 1997 herauszurechnen seien; dies habe die Einfügung des Satz 3 in Art 14 Abs 1 GKV-SolG durch Art 10 Nr 2 GKV-GRG 2000 zusätzlich klargestellt. Die Klägerin befasst sich weder mit den vom LSG angewandten Auslegungsmethoden noch mit der ihnen zugemessenen Aussagekraft näher noch mit dem Auslegungsergebnis des LSG, dass schon Art 14 Abs 1 Satz 2 GKV-SolG nach Sinn und Zweck sowie Entstehungsgeschichte klar die Herausrechnung der Präventionsleistungen iS des Art 14 Abs 4 GKV-SolG ergebe, noch befasst sie sich mit dem weiteren Argument des LSG, dass sich dasselbe auch aus der Einfügung des Satz 3 ergebe, der diese Auslegung noch einmal klarstelle. Sie stellt in ihrer Beschwerdebegründung - abgesehen von Hinweisen auf weitere Rechtsstreitigkeiten zu dieser Rechtsfrage und auf deren wirtschaftliche Bedeutung - lediglich fest, dass es vorliegend um die Auslegung des Gesetzes unter Zugrundelegung der Wortlautauslegung, der systematischen Auslegung, der historischen Auslegung sowie der teleologischen Auslegungsmethode gehe, und sagt nur pauschal, das LSG erkläre fälschlicherweise die grammatikalische, systematische und historische Auslegung für unergiebig und nehme eine Auslegung allein auf der Basis der teleologischen Auslegungsmethode im Rahmen eines Zirkelschlusses vor. Eine nähere Auseinandersetzung im Sinne einer rechtlichen Durchdringung des Prozessstoffs findet nicht statt. Dies wäre aber zur Darlegung einer rechtsgrundsätzlichen Bedeutung erforderlich (s obige Rechtsprechungs-Angaben). Zudem müsste die Beschwerdebegründung in einem Fall, in dem wie hier das Berufungsurteil auf mehrere Gesichtspunkte gestützt ist, die jeder für sich die Zurückweisung des Klagebegehrens tragen (zum einen die Auslegung des Art 14 Abs 1 Satz 2 GKV-SolG und zum anderen die Einfügung des Satz 3), jeden dieser Gesichtspunkte mit einer Grundsatz-, Divergenz- oder Verfahrensrüge angreifen (vgl dazu zusammenfassend BSG, Beschluss vom 20. Oktober 2004 - B 6 KA 50/04 B - mwN). Auch daran fehlt es.
Ebenfalls unzulässig ist die Grundsatzrüge hinsichtlich der von der Klägerin formulierten dritten Rechtsfrage,
welche Veränderungsrate auf der Basis der Art 14 Abs 1 Satz 1, 18 GKV-SolG für die Steigerung des Vergütungsvolumens der Gesamtvergütungen des Jahres 1999 zu Grunde zu legen ist.
Auch insoweit fehlen ausreichende Darlegungen zur Klärungsbedürftigkeit entsprechend den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Anforderungen. Die Klägerin gibt - abgesehen von Hinweisen auf die große Bedeutung dieser Rechtsfrage und auf weitere dazu anhängige Rechtsstreitigkeiten - lediglich den Ablauf der Veröffentlichungen im Bundesanzeiger wieder (am 5. März 1999 1,73 %; Änderung am 16. März 1999 1,73 %) und referiert, dass das LSG entgegen dem Wortlaut des Art 18 GVK-SolG nicht die tatsächlich bis zum 5. März 1999 bekannt gegebene, sondern die später korrigierte Veränderungsrate, wie sie richtigerweise hätte veröffentlicht werden müssen, als maßgebend zu Grunde gelegt hat. In diesen Ausführungen liegt keine rechtliche Auseinandersetzung mit der vorinstanzlichen Entscheidung und keine Durchdringung des Prozessstoffs.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG ab. Zu dem nachgereichten Schriftsatz vom 20. Oktober 2004 wird darauf hingewiesen, dass nach Ablauf der Begründungsfrist zwar eine bereits vorgebrachte, den Zulässigkeitsanforderungen entsprechende Begründung noch ergänzt und verdeutlicht, neue Rügen aber nicht mehr zulässigerweise nachgeschoben werden können (vgl Hennig in Hennig, SGG, § 160a RdNr 202 ff). Soweit hiernach das nachgeschobene Vorbringen hat berücksichtigt werden können, ist dies erfolgt.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 und 4 SGG (in der bis zum 1. Januar 2002 geltenden und hier noch anzuwendenden Fassung).
Fundstellen