Entscheidungsstichwort (Thema)

Wiederaufnahme des Verfahrens

 

Orientierungssatz

1. Die strafbare Verletzung von Amtspflichten durch Richter ist nur unter den Voraussetzungen des § 581 Abs 1 ZPO Wiederaufnahmegrund.

2. Ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft rechtfertigt die Wiederaufnahme nicht. Auch die mangelnde Übersendung von Abschriften oder die Verweigerung von Akteneinsicht kommen als Wiederaufnahmegrund - selbst wenn entsprechende Verfahrensfehler tatsächlich vorliegen sollten - nicht in Betracht, wenn nicht ersichtlich ist, inwiefern der Kläger ohne eigenes Verschulden außerstande gewesen sein könnte, die angeblichen Verfahrensmängel durch Rechtsbehelfe in dem Ausgangsverfahren geltend zu machen (§ 582 ZPO).

3. Die Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluß wurde nicht zur Entscheidung angenommen (vgl BVerfG 1. Senat 2. Kammer vom 23.2.1994 - 1 BvR 253/94).

 

Normenkette

ZPO § 581 Abs 1, § 582

 

Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 19.05.1993; Aktenzeichen L 3 Ar 583/93)

 

Gründe

Die Beschwerde betrifft die Wiederaufnahme des Verfahrens.

Das Landessozialgericht (LSG) hat über den vom Kläger verfolgten Anspruch auf (Zwischen-) Übergangsgeld ab 1. März 1991 mit Urteil vom 29. Januar 1993 L 3 Ar 2253/91 - entschieden. Es hat die Berufung des Klägers gegen ein klagabweisendes Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 24. September 1991 - S 7 Ar 787/91 - als unbegründet zurückgewiesen. Die gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil gerichtete Beschwerde des Klägers hat das Bundessozialgericht (BSG) mit Beschluß vom 2. Juni 1993 - 11 BAr 37/93 - als unzulässig verworfen.

Mit dem am 2. April 1993 beim LSG eingegangenen Schriftsatz vom 24. März 1993 hat der Kläger die Wiederaufnahme jenes Verfahrens beantragt, weil er der Ansicht ist, das Urteil des LSG vom 29. Januar 1993 beruhe "auf einer unrichtigen, vom Gericht verfälschten Grundlage". Die Wiederaufnahmeklage hat das LSG mit Urteil vom 19. Mai 1993 - L 3 Ar 583/93 - als unzulässig verworfen und dem Kläger dem Gericht zu erstattende Kosten in Höhe von 100,-- DM auferlegt.

Am 15. Juni 1993 hat der Kläger um Prozeßkostenhilfe (PKH) für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision nachgesucht und mit dem von ihm selbst unterzeichneten Schriftsatz Beschwerde eingelegt. Er führt dazu aus, die Richter des LSG behaupteten seit Jahren wissentlich falsch, er habe durch unentschuldigtes Fernbleiben vom Unterricht selbst zu vertreten, daß eine bewilligte Maßnahme der beruflichen Bildung (Fortbildung zum Heizungstechniker) nicht beendet werden könne. Wegen der weiteren Einzelheiten seines Vorbringens wird auf den Schriftsatz des Klägers vom 12. Juni 1993 Bezug genommen.

Dem Kläger steht PKH nicht zu, denn die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet nicht hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 73a Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG), § 114 Satz 1 Zivilprozeßordnung (ZPO)).

Aussicht auf Erfolg hat eine Nichtzulassungsbeschwerde nur, wenn Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Zulassungsgrundes bestehen. Zulassungsgründe sind nach der abschließenden Regelung des § 160 Abs 2 SGG: Grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, Abweichung des LSG von einer Entscheidung des BSG oder ein Verfahrensmangel, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann. Zulassungsgründe werden sich hier weder gegenüber der Entscheidung des LSG noch gegenüber dem von ihm eingeschlagenen Verfahren darlegen bzw bezeichnen lassen. Das LSG hat die Wiederaufnahme zutreffend als unzulässig erachtet, weil zum Zeitpunkt seiner Entscheidung am 19. Mai 1993 - allein dieser Zeitpunkt ist maßgebend - das Urteil des LSG vom 29. Januar 1993 noch nicht rechtskräftig war. Die Nichtzulassungsbeschwerde in jenem Verfahren hat das BSG erst mit Beschluß vom 2. Juni 1993 verworfen; das vom Kläger erwähnte Datum vom 3. Mai 1993 betraf den Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist. Zulassungsgründe werden sich auch nicht hinsichtlich des Verfahrens des LSG bezeichnen lassen. Insbesondere besteht kein Anhaltspunkt für eine unrichtige Besetzung des LSG. Keiner der mitwirkenden Richter war von der Mitwirkung ausgeschlossen (§ 60 SGG; § 41 ZPO) oder erfolgreich abgelehnt (§ 60 SGG, §§ 42 ff ZPO). Der Schriftsatz des Klägers vom 16. Mai 1993 ist beim LSG am 19. Mai 1993 eingegangen und konnte dem Senat nicht mehr vor Verkündung des Urteils vorgelegt werden.

Im übrigen bietet eine Rechtsverfolgung im Wege der Nichtzulassungsbeschwerde auch dann nicht hinreichende Aussicht auf Erfolg, wenn die beabsichtige Revision nicht zum Erfolg führen kann (BSG SozR 1750 § 114 Nrn 1 und 5). Das trifft hier zu. Der Kläger verkennt, daß das Urteil des LSG vom 29. Januar 1993 nicht auf der von ihm bekämpften "Behauptung" beruht, die Fortbildung zum Heizungstechniker sei wegen unentschuldigten Fehlens nicht erfolgreich beendet worden. Das LSG hat den geltend gemachten Anspruch auf (Zwischen-) Übergangsgeld gegen die Beklagte als Träger der beruflichen Rehabilitation verneint, weil durch die Klagerücknahme im Vorprozeß - S 7 Ar 1434/90 - der ablehnende Bescheid vom 20. April 1990, in der Fassung des Widerspruchbescheids vom 17. Mai 1990, bindend geworden ist (§ 77 SGG). Eine Beiladung der Landesversicherungsanstalt (LVA) Baden als Träger der gesundheitlichen Rehabilitation hat das LSG als ausgeschlossen erachtet, weil ein Anspruch auf (Zwischen-) Übergangsgeld gegen die LVA ebenfalls nicht gegeben sei. Der Kläger habe es selbst zu vertreten, daß berufsfördernde Maßnahmen nicht unmittelbar anschließend durchgeführt werden können. Wegen mangelhafter Leistungen könne er die Prüfung nicht mehr wiederholen. Auf den Vorwurf unentschuldigten Fehlens ist das Urteil vom 29. Januar 1993 nicht gestützt.

Die vom Kläger behauptete strafbare Verletzung von Amtspflichten durch Richter des LSG ist nur unter den hier nicht gegebenen Voraussetzungen des § 581 Abs 1 ZPO Wiederaufnahmegrund. Ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft rechtfertigt die Wiederaufnahme nicht. Auch die mangelnde Übersendung von Abschriften oder die Verweigerung von Akteneinsicht kommen als Wiederaufnahmegrund - selbst wenn entsprechende Verfahrensfehler tatsächlich vorliegen sollten - nicht in Betracht, weil nicht ersichtlich ist, inwiefern der Kläger ohne eigenes Verschulden außerstande gewesen sein könnte, die angeblichen Verfahrensmängel durch Rechtsbehelfe in dem Ausgangsverfahren geltend zu machen (§ 582 ZPO).

Gleichzeitig mit der Ablehnung der PKH ist die vom Kläger in dem von ihm selbst unterzeichneten Schreiben eingelegte Beschwerde in entsprechender Anwendung des § 169 SGG als unzulässig zu verwerfen. Sie entspricht nicht der gesetzlichen Form, denn sie kann - worauf das LSG in der Rechtsmittelbelehrung ausdrücklich hingewiesen hat - wirksam nur durch einen beim BSG zugelassenen Prozeßbevollmächtigten eingelegt werden (§ 166 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1654184

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