Verfahrensgang
SG Freiburg i. Br. (Entscheidung vom 21.06.2023; Aktenzeichen S 8 R 339/23) |
LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 17.10.2023; Aktenzeichen L 13 R 1856/23) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 17. Oktober 2023 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.
Gründe
I
Streitig ist die Anrechnung von Einkommen auf die große Witwerrente des Klägers.
Die Beklagte gewährt dem 1965 geborenen Kläger ab dem 2022 eine große Witwerrente aus der Versicherung seiner verstorbenen Ehefrau(Bescheid vom 1.6.2022) . Ab dem 1.9.2022 rechnete sie das den Freibetrag übersteigende Erwerbseinkommen des Klägers auf die Rente an und bezifferte den monatlichen Rentenzahlbetrag auf 13,45 Euro brutto bzw 11,98 Euro netto. Der Widerspruch blieb erfolglos(Widerspruchsbescheid vom 19.1.2023) .
Mit Gerichtsbescheid vom 21.6.2023 hat das SG die Klage abgewiesen. Das LSG hat die Berufung des Klägers mit Urteil vom 17.10.2023 zurückgewiesen. Die Beklagte habe zu Recht das Erwerbseinkommen des Klägers auf die Witwerrente angerechnet. Die Regelungen über die Anrechnung von Erwerbs- und Erwerbsersatzeinkommen auf die Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung seien zur Überzeugung des Senats auch verfassungsgemäß. Das BVerfG habe in seinem Beschluss vom 18.2.1998 - 1 BvR 1318/96 - ausdrücklich betont, dass die Hinterbliebenenversorgung nicht dem Eigentumsschutz desArt 14 Abs 1 GG unterliege. Auch ein Verstoß gegenArt 3 Abs 1 GG liege nicht vor. Insbesondere gebieteArt 3 Abs 1 GG nicht, die Anrechnung von Einkommen auf Versorgungsleistungen für die Alterssicherungssysteme "gesetzliche Rentenversicherung" und "Beamtenversorgung" in gleicher Weise zu regeln. Zwischen beiden Systemen bestünden Unterschiede von solchem Gewicht, dass diese verschiedene Regelungen rechtfertigten. Etwas anderes folge auch nicht aus der Entscheidung desBVerfG vom 6.3.2002 - 2 BvL 17/99 . Ein Verstoß gegenArt 6 Abs 1 GG und gegen Art 20 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und den Bestimmungen der EMRK sei ebenfalls nicht gegeben.
Gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG hat der Kläger Beschwerde beim BSG eingelegt. Er macht die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend.
II
1. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist. Der geltend gemachte Grund für die Zulassung der Revision wird nicht nach Maßgabe der Erfordernisse des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG dargetan. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 SGG zu verwerfen.
Der Kläger legt eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht anforderungsgerecht dar. Grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine abstraktgenerelle Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus allgemeine Bedeutung hat und aus Gründen der Rechtseinheit oder der Rechtsfortbildung einer Klärung durch das Revisionsgericht bedarf (Klärungsbedürftigkeit) und fähig (Klärungsfähigkeit) ist. In der Beschwerdebegründung ist daher zunächst aufzuzeigen, welche rechtliche Frage sich zu einer bestimmten revisiblen Norm iS des § 162 SGG stellt. Sodann ist anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung darzutun, weshalb deren Klärung erforderlich und im angestrebten Revisionsverfahren zu erwarten ist. Schließlich ist aufzuzeigen, dass der angestrebten Entscheidung eine über den Einzelfall hinausgehende Breitenwirkung zukommt(s etwa Senatsbeschluss vom 25.8.2022 - B 5 R 11/22 B - juris RdNr 12 mwN) .
Eine Rechtsfrage ist nicht klärungsbedürftig, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, sich zB unmittelbar aus dem Gesetz ergibt oder bereits höchstrichterlich geklärt ist. In der Beschwerdebegründung muss deshalb unter Auswertung der Rechtsprechung des BSG bzw des BVerfG zu dem Problemkreis substantiiert vorgebracht werden, dass zu diesem Fragenbereich noch keine Entscheidung gefällt oder durch die schon vorliegenden Urteile und Beschlüsse die aufgeworfene Frage noch nicht beantwortet worden ist(vgl uaBSG Beschluss vom 23.2.2022 - B 5 R 316/21 B - juris RdNr 6 mwN) .
Der Kläger formuliert als Frage von grundsätzlicher Bedeutung:
"Ist§ 97 Abs. 1 SGB VI verfassungswidrig, weil die Vorschrift mitArt. 3 Abs. 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip,Art. 6 Abs. 1 GG , dem Schutz von Ehe und Familie,Art. 14 Abs. 1 GG , nicht in Einklang zu bringen ist?"
Er führt aus, die Frage sei bisher nicht hinreichend geklärt. Bereits in der Klageschrift habe er zur Verfassungswidrigkeit vorgetragen, worauf er Bezug nehme. Das LSG habe sich mit einem Gleichheitsverstoß nachArt 3 Abs 1 GG nicht näher befasst, sondern lediglich "Großformeln wie das Prinzip der amtsangemessenen Alimentation und wiederum den Hinweis auf unterschiedliche 'Systeme'" bemüht. Auch die Entscheidung des BVerfG vom 18.2.1998( BVerfGE 97, 271 ) bedeute nicht, dass die genannte Rechtsfrage ein für alle Mal entschieden sei. In der Klageschrift habe er deutlich herausgearbeitet, dass sich die Verhältnisse durch die Besteuerung und das Verständnis des BVerfG über die beiden Systeme deutlich verändert hätten. Aufgrund der bestehenden Anrechnungsvorschriften erfolge eine nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung von Hinterbliebenen von Beamten einerseits und Hinterbliebenen von gesetzlich Versicherten andererseits. Zudem sei nicht nachvollziehbar, wieso nur Einkünfte aus einer eigenen Lebensleistung, nicht aber nach dem SGB II angerechnet würden. Auch seienArt 6 Abs 1 GG iVmArt 8 Abs 1 ,14 EMRK sowieArt 14 Abs 1 GG verletzt.
Damit hat der Kläger einen ernstlich bestehenden Klärungsbedarf zur Verfassungswidrigkeit des§ 97 Abs 1 SGB VI nicht hinreichend dargelegt. Wer die Verfassungswidrigkeit einer gesetzlichen Regelung als eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung geltend machen will, darf sich nicht damit begnügen, die eigene Rechtsmeinung zur Verfassungswidrigkeit auszubreiten. Er muss vielmehr in substantieller Auseinandersetzung mit bereits vorhandener Rechtsprechung des BSG und des BVerfG zu dem Problemkreis darstellen, inwiefern im konkreten Fall eine Verletzung von Verfassungsvorschriften vorliegt. Hierzu müssen der Bedeutungsgehalt der betroffenen einfachgesetzlichen Normen aufgezeigt, die Sachgründe ihrer jeweiligen Ausgestaltung erörtert und im Einzelnen beschrieben werden, wodurch welche Vorschrift des GG verletzt wird(stRspr; vgl zBBSG Beschluss vom 23.2.2022 - B 5 R 316/21 B - juris RdNr 9 mwN). Diesen Anforderungen genügt der Vortrag des Klägers nicht. Es fehlt an einer substantiellen Auseinandersetzung insbesondere mit der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zu den vom Kläger benannten Grundrechten.
Abgesehen davon, dass die pauschale Bezugnahme auf den Inhalt eines Schriftsatzes im vorinstanzlichen Verfahren grundsätzlich nicht ausreichend ist(vgl dazuBSG Beschluss vom 26.10.2022 - B 5 R 101/22 B - juris RdNr 11 unter Hinweis aufBSG Beschluss vom 15.2.2011 - B 12 KR 53/10 B - juris RdNr 5 mwN; B. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl 2023, § 160a RdNr 13a mwN) , geht der Kläger inhaltlich nicht auf den Beschluss des BVerfG vom 18.2.1998 - 1 BvR 1318/86 ,1 BvR 1484/86 -( BVerfGE 97, 271 ) ein. Dort hat das BVerfG die Anrechnung von Erwerbs- und Erwerbsersatzeinkommen auf Hinterbliebenenrenten der gesetzlichen Rentenversicherung für mit dem GG vereinbar erklärt. Das LSG hat seine Entscheidung maßgeblich hierauf gestützt. Zwar erging die Entscheidung des BVerfG noch zu § 1281 Abs 1 RVO, § 58 Abs 1 AVG , § 78 Abs 1 RKG iVm§§ 18a ,18b SGB IV und nicht zu § 97 SGB VI. Die Regelung im SGB VI über die Einkommensanrechnung bei Witwen- und Witwerrenten entspricht aber im Wesentlichen dem früheren Recht(vgl Fichte in Hauck/Noftz, SGB VI, Stand 6/2016, § 97 RdNr 5 ) . Entgegen der Auffassung des Klägers hat sich auch das BSG bereits mehrfach mit der Anrechnung von Erwerbs- oder Erwerbsersatzeinkommen auf den Witwen-/Witwerrentenanspruch auseinandergesetzt und diese für verfassungsmäßig erachtet(vgl zu § 1281 RVO und § 58 AVG zBBSG Urteil vom 15.11.1989 - 5 RJ 60/88 - SozR 2200 § 1281 Nr 1;BSG Urteil vom 5.12.1989 - 5 RJ 28/88 - juris;BSG Urteil vom 16.8.1990 - 4 RA 27/90 - SozR 3-2200 § 1281 Nr 1) . Auch unter Anwendung des§ 97 SGB VI(idF der Bekanntmachung vom 19.2.2002, BGBl I 754) hat es befunden, die Anrechnung von Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung auf Hinterbliebenenrenten sei sowohl mit dem allgemeinen Gleichheitssatz ausArt 3 Abs 1 GG , als auch mit der Eigentumsgarantie ausArt 14 Abs 1 GG vereinbar(vglBSG Urteil vom 17.4.2012 - B 13 R 15/11 R - SozR 4-2400 § 18a Nr 2 RdNr 33) . Mit alledem befasst sich der Kläger in seiner Beschwerdebegründung nicht.
Soweit der Kläger die Entscheidung desBVerfG vom 18.2.1998 - 1 BvR 1318/86 ,1 BvR 1484/86 -( BVerfGE 97, 271 ) als nicht mehr einschlägig erachtet, hat er eine erneute Klärungsbedürftigkeit nicht ausreichend dargelegt. Eine höchstrichterlich bereits geklärte Rechtsfrage zum Anwendungsbereich einer Vorschrift des Bundesrechts kann iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG erneut klärungsbedürftig werden, wenn den bisherigen Entscheidungen in nicht geringem Umfang in Rechtsprechung oder Schrifttum widersprochen wird und keineswegs von vornherein abwegige Einwendungen vorgebracht werden oder dass sich völlig neue, bislang nicht erwogene Gesichtspunkte ergeben haben, die eine andere Beurteilung nahelegen könnten(vgl zBBSG Beschluss vom 22.12.2023 - B 5 R 83/23 B - juris RdNr 9 mwN;BSG Beschluss vom 17.9.2013 - B 1 KR 63/13 B - juris RdNr 6 mwN;BSG Beschluss vom 25.9.1975 - 12 BJ 94/75 - SozR 1500 § 160a Nr 13 S 19) . Dass diese Voraussetzungen vorliegen, ist in der Beschwerdebegründung näher darzulegen. Hierzu muss substantiiert aufgezeigt werden, in welchem Umfang, von welcher Seite und mit welcher Begründung der bisherigen Rechtsprechung widersprochen wird bzw inwiefern die Beantwortung der Rechtsfrage weiterhin umstritten ist oder welche neuen erheblichen Gesichtspunkte zu berücksichtigen sind, die zu einer Neubetrachtung der bereits entschiedenen Rechtsfrage führen könnten und eine anderweitige Entscheidung nicht offensichtlich ausschließen(zBBSG Beschluss vom 4.5.2023 - B 5 R 30/23 B - juris RdNr 10 mwN) . Hieran richtet der Kläger sein Vorbringen nicht aus. Er benennt weder (instanzgerichtliche) Entscheidungen noch (wissenschaftliches) Schrifttum, in denen der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Anrechnung von Erwerbs- oder Erwerbsersatzeinkommen widersprochen wird. Soweit er ausführt, dass "sich die Verhältnisse durch die Besteuerung und das Verständnis des Bundesverfassungsgerichts über die beiden Systeme deutlich verändert" hätten, verweist er allein auf seine Ausführungen in der Klagebegründung, ohne diese erneut für das Revisionsgericht aufzuarbeiten. Damit wird er seiner Darlegungspflicht nicht gerecht. Die weiteren Ausführungen des Klägers beinhalten lediglich seine eigene Auffassung zur Unvereinbarkeit des§ 97 SGB VI mit dem GG. Allein die Darstellung einer bestimmten (eigenen) Gesetzesinterpretation reicht zur Darlegung einer weiteren Klärungsbedürftigkeit einer vom BSG bereits entschiedenen Rechtsfrage nicht aus(vglBSG Beschluss vom 25.8.2022 - B 5 R 11/22 B - juris RdNr 16 mwN;BSG Beschluss vom 4.5.2023 - B 5 R 30/23 B - juris RdNr 12 ) .
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab(vgl§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG ) .
2. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des§ 193 SGG .
Fundstellen
Dokument-Index HI16322924 |