Verfahrensgang
SG Berlin (Entscheidung vom 14.06.2018; Aktenzeichen S 88 SO 535/16) |
LSG Berlin-Brandenburg (Beschluss vom 24.06.2019; Aktenzeichen L 23 SO 129/18) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 24. Juni 2019 wird als unzulässig verworfen.
Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Im Streit sind um mindestens 91 Euro monatlich höhere Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (Grundsicherung) nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) für die Zeit vom 1.12.2015 bis 30.11.2016.
Der 1946 geborene Kläger bezieht neben einer Regelaltersrente ergänzend Leistungen der Grundsicherung, für Dezember 2015 in Höhe von 380,38 Euro und von Januar bis November 2016 in Höhe von 264,24 Euro (Bescheide vom 23.11.2015 und 10.10.2016) unter Berücksichtigung des Regelsatzes nach der Regelbedarfsstufe 1 (Dezember 2015: 399 Euro; ab Januar 2016: 404 Euro monatlich). Sein Begehren, um mindestens 91 Euro monatlich höhere Grundsicherungsleistungen zu erhalten, gestützt auf die Behauptung einer verfassungswidrig zu niedrigen Höhe des Regelsatzes, ist ohne Erfolg geblieben (Widerspruchsbescheid vom 15.3.2016; Urteil des Sozialgerichts ≪SG≫ Berlin vom 14.6.2018; Beschluss des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg ≪LSG≫ vom 24.6.2019). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ua ausgeführt, es bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass die Festsetzung der Regelsätze rechts- oder verfassungswidrig erfolgt wäre. Insbesondere zeige die Neuermittlung des Regelbedarfs im Jahr 2016, der zu einem um (lediglich) fünf Euro höheren Regelsatz in der Regelbedarfsstufe 1 geführt habe, dass der für 2016 festgestellte Bedarf nicht in verfassungswidriger Weise evident zu niedrig angesetzt sei.
Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des LSG macht der Kläger eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache sowie einen Verfahrensmangel geltend. Grundsätzlich bedeutsam sei folgende Frage:
"Ist die von Behörden und Gerichten auf der Basis der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 23.7.2014 (BVerfGE 137, 34) angenommene Vereinbarkeit von § 5 Absatz 1 RBEG in Verbindung mit § 28 SGB 12 mit dem Grundgesetz tatsächlich noch vereinbar, ohne dass eine Prüfung der in den tragenden Gründen der Entscheidung enthaltenen Maßgaben in Verbindung mit dem § 31 BVerfGG erfolgt ist?"
Das LSG habe selbst grundsätzliche Überlegungen zur Frage der (formellen) Verfassungswidrigkeit der Regelungen angestellt und diese verneint. Damit habe es ihm, dem Kläger, den Weg zu einer Klärung in einem Revisionsverfahren versperrt. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) beschäftige sich ausschließlich mit dem Recht des Sozialgesetzbuchs Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II), nicht aber mit dem 4. Kapitel des SGB XII. Er habe Beweismittel vorgelegt, die belegten, dass die Verbrauchsausgaben für die Referenzgruppe der Einpersonenhaushalte evident zu niedrig angesetzt seien. Dass der Gesetzgeber die Regelbedarfe nur in langen zeitlichen Abschnitten aktualisiere, sei unzureichend. Der Landesgesetzgeber könne zudem nach § 29 SGB XII abweichende Sätze festlegen, um regionale Besonderheiten abzubilden. Verfahrensfehlerhaft habe das LSG die von ihm vorgelegten Beweise für seine höheren Ausgaben nicht ausreichend gewürdigt, sondern in seiner Entscheidung mit einem Satz abgetan. Eine ausreichende Begründung sei nicht erfolgt und damit sein rechtliches Gehör verletzt worden.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil weder der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫) noch des Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) in der gebotenen Weise dargelegt bzw bezeichnet worden ist. Der Senat konnte deshalb über die Beschwerde ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter nach § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 3 SGG entscheiden.
Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Um der Darlegungspflicht zu genügen, muss eine konkrete Rechtsfrage formuliert, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihr angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) dargelegt werden (vgl nur Bundessozialgericht ≪BSG≫ vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN). Klärungsfähig ist eine Rechtsfrage nur dann, wenn sie für den zu entscheidenden Fall rechtserheblich ist (BSG vom 25.10.1978 - 8/3 BK 28/77 - SozR 1500 § 160a Nr 31). Über die aufgeworfene Rechtsfrage müsste das Revisionsgericht also - in Ergänzung zur abstrakten Klärungsfähigkeit - konkret-individuell sachlich entscheiden müssen (BSG vom 25.6.1980 - 1 BA 23/80 - SozR 1500 § 160 Nr 39 und BSG vom 25.10.1978 - 8/3 BK 28/77 - SozR 1500 § 160a Nr 31). Dies erfordert es, dass der Beschwerdeführer den nach seiner Auffassung vom Revisionsgericht einzuschlagenden Weg der Nachprüfung des angefochtenen Beschlusses und damit insbesondere den Schritt darlegt, der die Entscheidung der als grundsätzlich bezeichneten Rechtsfrage notwendig macht (BSG vom 25.10.1978 - 8/3 BK 28/77 - SozR 1500 § 160a Nr 31).
Es kann dahinstehen, ob der Kläger überhaupt eine in einem Revisionsverfahren abstrakt klärungsfähige Rechtsfrage formuliert hat und ob sich unter Berücksichtigung der Regelung des § 31 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) die aufgeworfene Rechtsfrage überhaupt ernsthaft stellt. Denn beruft sich der Kläger auf die Verfassungswidrigkeit einer gesetzlichen Regelung, bedarf es zur ordnungsgemäßen Begründung der Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage neben der genauen Bezeichnung der Norm substanzieller Argumentation unter Erörterung der Ausgestaltung und des Bedeutungsgehalts der infrage stehenden einfachgesetzlichen Regelung sowie der Auseinandersetzung mit der dazu ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl nur Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 160a RdNr 14e mwN). Der Kläger benennt zwar § 5 Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz (RBEG) und § 28 SGB XII als einfachgesetzliche Regelungen und nennt auch die Entscheidung des BVerfG vom 23.7.2014 (1 BvL 10/12 ua - BVerfGE 137, 34 = SozR 4-4200 § 20 Nr 20). Schon den Inhalt der Entscheidung des BVerfG stellt der Kläger jedoch nicht dar. Da das BVerfG dort zudem entschieden hat, dass die Höhe der Regelbedarfe mit der Verfassung in Einklang steht und auch am Konzept ihrer Fortschreibung (§ 28a SGB XII) keine verfassungsrechtlichen Zweifel geäußert hat, hätte es zur ordnungsgemäßen Darlegung der Klärungsbedürftigkeit der formulierten Frage neben einer nachvollziehbaren Auseinandersetzung mit der Entscheidung des BVerfG auch der schlüssigen Erläuterung bedurft, warum die vom BVerfG in seiner Entscheidung akzeptierten Maßstäbe für die Ermittlung und Fortschreibung der Regelbedarfe für den streitbefangenen Zeitraum nicht mehr gelten sollen, also weiterhin Klärungsbedarf besteht oder neuer Klärungsbedarf entstanden ist. Daran fehlt es; die apodiktische Behauptung, die Regelsätze seien unzureichend, genügt diesen Anforderungen jedenfalls nicht. Auch setzt sich der Kläger mit den zur Frage der Verfassungsmäßigkeit der Regelsätze bereits ergangenen Entscheidungen des BSG nicht auseinander. Der Verweis darauf, dass Entscheidungen nur zum SGB II, nicht aber zum SGB XII oder zum 4. Kapitel des SGB XII ergangen seien, macht dies nicht entbehrlich und begründet auch keinen zusätzlichen, ausschließlich das SGB XII betreffenden Klärungsbedarf, denn die Regelsätze nach dem SGB II sind der Höhe nach mit denen des SGB XII identisch und decken jeweils den Lebensunterhaltsbedarf ab. Der Umstand, dass der Kläger anderer Auffassung ist als das LSG, ist ohne rechtliche Bedeutung. Denn damit rügt er letztlich nur die inhaltliche Unrichtigkeit der Entscheidung des LSG, die jedoch der Beschwerde nicht zum Erfolg verhelfen kann.
Schließlich hat der Kläger auch einen Verfahrensmangel nicht ordnungsgemäß dargelegt (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG). Danach ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von § 109 SGG und § 128 Abs 1 S 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Um einen Verfahrensmangel in diesem Sinne geltend zu machen, müssen die Umstände bezeichnet werden, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (vgl zB BSG vom 29.9.1975 - 8 BU 64/75 - SozR 1500 § 160a Nr 14, vom 24.3.1976 - 9 BV 214/75 - SozR 1500 § 160a Nr 24, vom 18.2.1980 - 10 BV 109/79 - SozR 1500 § 160a Nr 36). Der Vortrag des Klägers zur Begründung eines vermeintlichen Verfahrensfehlers ist jedoch widersprüchlich und schon deshalb nicht geeignet, die Zulassung der Revision zu begründen. Denn der Kläger rügt zwar formal einen Gehörsverstoß, trägt zur Begründung aber selbst vor, das LSG habe die von ihm für individuell höhere Ausgaben vorgelegten Beweise zur Kenntnis und hierzu Stellung genommen. Dass der Kläger die Begründung (ein Satz) nicht für ausreichend hält, rechtfertigt für sich gesehen nicht die Annahme, das LSG habe das rechtliche Gehör verletzt. Das Prozessgericht ist schon nicht verpflichtet, ausdrücklich jedes Vorbringen der Beteiligten zu bescheiden (vgl nur BSG vom 21.11.2012 - B 8 SO 83/12 B - juris RdNr 5; BSG vom 2.8.2019 - B 9 V 3/19 BH - juris RdNr 9). Es ist auch nicht gehalten, der Rechtsansicht eines Beteiligten zu folgen (BVerfG vom 8.4.2014 - 1 BvR 2933/13 - juris RdNr 13 mwN), ihn also zu "erhören". Vielmehr verpflichtet das Gebot des rechtlichen Gehörs nur, seine Darlegungen zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Es ist erst dann verletzt, wenn sich im Einzelfall aufgrund besonderer Umstände klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist (BVerfG vom 25.3.2010 - 1 BvR 2446/09 - juris RdNr 11 mwN; BVerfG vom 8.7.1997 - 1 BvR 1621/94 - BVerfGE 96, 205, 216). Solche Umstände sind der Beschwerdebegründung nicht zu entnehmen. Soweit er weiter ausführt, das LSG habe zugleich gegen die Pflicht zur Amtsermittlung (§ 103 SGG) verstoßen, weil es auf Basis seines Vortrags keine weiteren Ermittlungen getätigt habe, fehlt es auch insoweit an einer ordnungsgemäßen Begründung. Denn wer sich auf eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht nach § 103 SGG stützt, muss ua einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrag bezeichnen, die Rechtsauffassung des LSG wiedergeben, aufgrund der bestimmte Tatsachen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen und die von dem betreffenden Beweisantrag berührten Tatumstände darlegen, die zu weiterer Sachaufklärung Anlass gegeben hätten (vgl zB BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3 mwN). Hierzu gehört nach ständiger Rechtsprechung des BSG die Darlegung, dass ein anwaltlich vertretener Beteiligter - wie hier der Kläger - einen Beweisantrag bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung gestellt und noch zumindest hilfsweise aufrechterhalten (vgl dazu BSG vom 20.9.2013 - B 8 SO 15/13 B; BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11 mwN) bzw - bei einer Entscheidung durch Beschluss nach § 153 Abs 4 SGG wie im vorliegenden Fall - nach Erhalt der Anhörungsmitteilung gemäß § 153 Abs 4 Satz 2 SGG einen Beweisantrag gestellt oder einen im schriftlichen Verfahren gestellten Beweisantrag aufrechterhalten hat (BSG vom 18.12.2000 - B 2 U 336/00 B - SozR 3-1500 § 160 Nr 31 S 52; BSG vom 18.2.2003 - B 11 AL 273/02 B - juris RdNr 3). Ein solcher Vortrag fehlt gänzlich; einen Beweisantrag gestellt zu haben, behauptet der Kläger noch nicht einmal.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI13579328 |