Verfahrensgang

Hessisches LSG (Urteil vom 19.10.2022; Aktenzeichen L 6 AS 96/22)

SG Kassel (Entscheidung vom 01.12.2021; Aktenzeichen S 13 AS 293/21)

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 19. Oktober 2022 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil ein Zulassungsgrund (§ 160 Abs 2 SGG) nicht in der erforderlichen Weise dargelegt bzw bezeichnet worden ist (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Die Beschwerde ist daher ohne Zuziehung ehrenamtlicher Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 SGG, § 169 SGG).

Grundsätzliche Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) hat eine Rechtssache nur, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Die Darlegung einer grundsätzlichen Bedeutung erfordert, dass eine konkrete Rechtsfrage klar formuliert wird. Weiter muss ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit im jeweiligen Rechtsstreit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) aufgezeigt werden (stRspr; vgl etwa BSG vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN).

Eine Abweichung (Divergenz) iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG ist nur dann hinreichend dargelegt, wenn aufgezeigt wird, mit welcher genau bestimmten entscheidungserheblichen rechtlichen Aussage die angegriffene Entscheidung des LSG von welcher ebenfalls genau bezeichneten rechtlichen Aussage des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des BVerfG abweicht. Eine Abweichung liegt nicht schon vor, wenn die angefochtene Entscheidung nicht den Kriterien entsprechen sollte, die das BSG, der GmSOGB oder das BVerfG aufgestellt haben, weil die Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall nicht die Zulassung einer Revision wegen Abweichung rechtfertigt. Erforderlich ist vielmehr, dass das LSG diesen Kriterien widersprochen und über den Einzelfall hinausgehende andere rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Nicht die - behauptete - Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die fehlende Übereinstimmung im Grundsätzlichen kann die Zulassung wegen Abweichung begründen (stRspr; vgl etwa BSG vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34; Voelzke in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl 2022, § 160 RdNr 121).

Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 (Anhörung eines bestimmten Arztes) und 128 Abs 1 Satz 1 SGG (freie richterliche Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Wer eine Nichtzulassungsbeschwerde auf diesen Zulassungsgrund stützt, muss zu seiner Bezeichnung (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) die diesen Verfahrensmangel des LSG (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dartun, also die Umstände schlüssig darlegen, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (stRspr; siehe bereits BSG vom 29.9.1975 - 8 BU 64/75 - SozR 1500 § 160a Nr 14; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 160a RdNr 16 mwN). Darüber hinaus ist aufzuzeigen, dass und warum die Entscheidung - ausgehend von der Rechtsansicht des LSG - auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit der Beeinflussung des Urteils besteht (stRspr; vgl bereits BSG vom 18.2.1980 - 10 BV 109/79 - SozR 1500 § 160a Nr 36).

Diese Voraussetzungen einer zulässigen Beschwerde sind hier nicht erfüllt. Die Klägerin rügt als Verfahrensmangel, dass das LSG zu Unrecht von der Unzulässigkeit der Berufung (wegen Zulassungsbedürftigkeit) ausgegangen ist. Der Beschwerdebegründung lässt sich allerdings nicht entnehmen, dass die Voraussetzungen des § 144 Abs 1 SGG für eine zulassungsfreie Berufung vorgelegen hätten. Die Klägerin scheint vielmehr die Auffassung zu vertreten, dass es auf das Vorliegen der Voraussetzungen des § 144 Abs 1 SGG nicht ankomme, weil das SG die Klage aufgrund Verfristung bereits als unzulässig verworfen habe; die Beschwerdebegründung führt insoweit aus, das gerichtliche Verfahren sei "unter klarem Verstoß gegen die Verfahrensregeln vorzeitig beendet" worden. § 144 Abs 1 SGG ist indes auch anzuwenden, wenn das SG eine Prozessentscheidung getroffen hat (BSG vom 10.10.2017 - B 12 KR 3/16 R - juris RdNr 12; siehe auch BSG vom 19.3.2020 - B 4 AS 4/20 R - SozR 4-1500 § 144 Nr 10 RdNr 14 mwN). Damit setzt sich die Klägerin nicht auseinander. Der Beschwerdebegründung lässt sich daher weder ein Verfahrensmangel noch eine diesbezügliche Frage von grundsätzlicher Bedeutung entnehmen. Die weitere Rüge in der Beschwerdebegründung, das LSG hätte die Sache an das SG zurückverweisen müssen, geht ins Leere, denn dies setzt - unter anderem - eine zulässige Berufung voraus. Auch hierzu trägt die Klägerin nichts vor. Soweit die Beschwerdebegründung eine Divergenz rügt, weil das SG einen Fehler bei der Fristberechnung gemacht habe, kann hierauf eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision schon deswegen nicht gestützt werden, weil § 160 Abs 2 Nr 2 SGG auf das Urteil des LSG, nicht aber auf die Entscheidung des SG abstellt (vgl nur Voelzke in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl 2022, § 160 RdNr 124).

Dass eine Berufung nicht in eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung umgedeutet werden kann und dass eine fehlerhafte Belehrung über die Statthaftigkeit der Berufung keine Zulassung derselben durch das SG ist, entspricht der Rechtsprechung des BSG (etwa BSG vom 4.7.2018 - B 3 KR 14/17 R - juris RdNr 15 mwN). Dies gilt unabhängig davon, ob das SG eine Sach- oder eine Prozessentscheidung getroffen hat. Die Beschwerdebegründung verhält sich auch hierzu nicht und hat daher auch insofern keinen Verfahrensmangel schlüssig aufgezeigt. Die Frage, ob und wann die Frist für eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung im vorliegenden Fall abgelaufen ist, stellt sich im vorliegenden Verfahren nicht, da eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung nicht Gegenstand der Entscheidung des LSG war. Dies ergibt sich aus dem Vortrag der Klägerin selbst. Selbst wenn man von einer einjährigen Beschwerdefrist nach Zustellung des Gerichtsbescheids vom 1.12.2021 am 25.1.2022 ausgehen würde, wäre im Übrigen zum Zeitpunkt der Entscheidung des LSG am 19.10.2022 die Einlegung einer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung noch fristgerecht gewesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 Satz 1, Abs 4 SGG.

Meßling

Söhngen

Burkiczak

 

Fundstellen

Dokument-Index HI15741849

Dieser Inhalt ist unter anderem im TVöD Office Professional enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge