Tenor
Bei dem 13. Senat wird angefragt, ob dem 5. Senat darin zugestimmt wird, daß – entgegen den Urteilen vom 8. November 1995 (13 RJ 5/95 – SozR 3-2600 § 300 Nr 5) und vom 30. Oktober 1997 (13 RJ 71/96 – SozR 3-2600 § 300 Nr 12) sowie den nicht veröffentlichten Entscheidungen vom 30. Oktober 1997 (13 RJ 3/97) und vom 9. September 1998 (B 13 RJ 63/97 R) – bei der Neufeststellung einer Rente nach dem SGB VI in einem Zugunstenverfahren (§ 44 SGB X) gemäß § 300 Abs 3 Satz 2 SGB VI nicht die bisher zuerkannten persönlichen Entgeltpunkte, sondern die sich bei richtiger Anwendung des alten Rechts (hier: § 250 SGB VI in der bis zum 30. Juni 1993 gültigen Fassung) ergebenden persönlichen Entgeltpunkte besitzgeschützt sind.
Tatbestand
I
Die Klägerin begehrt eine höhere Regelaltersrente (RAR). Umstritten ist insbesondere, ob im Verfahren auf einen im Jahre 1995 gestellten Zugunstenantrag (§ 44 SGB X) eine Ersatzzeit bis 1. Mai 1987 nach dem zum Zeitpunkt der Rentenantragstellung (Mai 1992) geltenden Recht anzurechnen ist oder nur eine Ersatzzeit bis zum 31. Dezember 1956 nach dem am 1. Juli 1993 in Kraft getretenen § 250 Abs 2 Nr 3 SGB VI.
Die am 2. Mai 1922 geborene Klägerin ist als Vertriebene anerkannt. Sie hat ihr Arbeitsleben in der ehemaligen UdSSR (Kasachstan) zurückgelegt, wo sie bereits ab Mai 1975 Altersrente bezog. Im April 1992 siedelte sie in die Bundesrepublik Deutschland aus. Auf ihren Rentenantrag vom Mai 1992 bewilligte ihr die Beklagte mit (bestandskräftigem) Bescheid vom 30. November 1992 RAR ab 22. April 1992. Hierbei ging sie aus von Beitragszeiten nach § 15 FRG, Beitrags- und Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung im Zeitraum von Mai 1949 bis April 1975 sowie Ersatzzeiten in den Monaten Januar 1945 bis Dezember 1946. Die Klägerin hatte im Verwaltungsverfahren eine Bescheinigung der Ukrainischen SSR (Verwaltung des Inneren, Gebiet Donezk) vom 6. August 1991 vorgelegt. Hiernach war sie 1941 wegen ihrer deutschen Volkszugehörigkeit nach Kasachstan umgesiedelt und erst am 21. Januar 1956 von der Zwangsansiedlung befreit worden.
Im August 1995 beantragte die Klägerin die Neufeststellung ihrer Rente. Sie machte geltend, es seien weitere Beitrags- und Ersatzzeiten anzurechnen. Die Beklagte entsprach diesem Antrag mit den Neufeststellungsbescheiden vom 2. November 1995, 6. Februar 1996 und 7. Juni 1996 zum Teil. Sie rechnete eine weitere Beitragszeit vom 2. Mai 1938 bis 31. August 1941 an sowie Ersatzzeiten wegen Internierung, Verschleppung und Rückkehrverhinderung bis 31. Dezember 1956. Die Berücksichtigung von Ersatzzeiten wegen Rückkehrverhinderung auch über den 31. Dezember 1956 hinaus bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres (am 1. Mai 1987) lehnte die Beklagte hingegen ab. Denn Ersatzzeiten könnten grundsätzlich nur noch bis längstens 31. Dezember 1956 anerkannt werden. Dies folge aus der mit Wirkung vom 1. Juli 1993 durch Art 1 Nr 10 des Rü-ErgG vom 24. Juni 1993 (BGBl I 1038) eingefügten Ergänzung des § 250 Abs 2 SGB VI um die Regelung der Nr 3. Diese Neuregelung sei gemäß § 300 Abs 2 SGB VI wegen des nach dem 30. September 1993 eingegangenen Überprüfungsantrages anzuwenden. Weitere Ersatzzeiten kämen nur dann in Betracht, wenn der Versicherte eine Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit ausschließlich aus den dort genannten Gründen nicht ausgeübt habe. Davon könne hier nicht ausgegangen werden (Widerspruchsbescheid vom 31. Oktober 1996).
Im gerichtlichen Verfahren hat die Klägerin das Ziel weiterverfolgt, die – für sie günstigere – Berechnung noch nach dem alten, bis 30. Juni 1993 geltenden Recht vorzunehmen. Klage und Berufung sind erfolglos geblieben (Urteil des SG vom 30. Mai 1997, Urteil des LSG vom 26. März 1998).
Die Entscheidung des LSG ist im wesentlichen auf folgende Erwägungen gestützt: Zwar sei der bestandskräftig gewordene Rentenbescheid vom 30. November 1992 unrichtig iS von § 44 SGB X gewesen. Die Klägerin sei nicht nur bis 21. Januar 1956, sondern auch nach Aufhebung der Kommandanturaufsicht an der Rückkehr in ihr ursprüngliches Heimatgebiet gehindert worden. Dieser Zustand habe bis zu ihrer Ausreise aus der ehemaligen UdSSR angedauert. Demzufolge habe nach der zum Zeitpunkt des Erlasses des Rentenbescheides gegebenen Sach- und Rechtslage eine Ersatzzeit gemäß § 250 Abs 1 Nr 3 SGB VI auch über den 31. Dezember 1956 hinaus vorgelegen. Diese Zeit sei – soweit nicht schon durch Pflichtbeitragszeiten nach dem FRG belegt – bei der ursprünglichen Rentenberechnung zu Unrecht nicht berücksichtigt worden. Gleichwohl habe die Beklagte bei der Neuberechnung der Rente aufgrund des Zugunstenantrags vom August 1995 zutreffend die neue Rechtslage (§ 250 Abs 2 Nr 3 SGB VI idF des Rü-ErgG) berücksichtigt. Danach komme die Berücksichtigung ua einer Ersatzzeit nach dem 31. Dezember 1956 nur noch unter bestimmten Voraussetzungen in Betracht: Allein wegen der dort genannten Gründe (Internierung, Verschleppung, Rückkehrverhinderung, Festgehaltenwerden, Gewahrsam) dürfe keine Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt worden sein. Hiervon könne bei der Klägerin nicht ausgegangen werden. Dies gelte um so mehr, als ihr Versicherungsverlauf selbst während der Internierung bis 1956 und auch danach bis zum Beginn des Altersrentenbezuges im Mai 1975 überwiegend Pflichtbeitragszeiten aufweise. Für die Zeit des Altersrentenbezuges ab Mai 1975 bis zur Aussiedlung sei die Anerkennung einer Ersatzzeit ohnehin durch § 250 Abs 2 Nr 2 SGB VI in der seit dem 1. Juli 1993 geltenden Fassung ausgeschlossen. Zur Anwendbarkeit des neuen Rechts auf den Zugunstenantrag der Klägerin hat sich das LSG auf die Entscheidungen des 13. und des 5. Senats des BSG gestützt (Urteile vom 8. November 1995 – 13 RJ 5/95 – SozR 3-2600 § 300 Nr 5, vom 18. Juni 1997 – 5 RJ 36/96 – SozR 3-2600 § 300 Nr 11 und vom 30. Oktober 1997 – 13 RJ 71/96 – SozR 3-2600 § 300 Nr 12). Für die Leistungsbewilligung nach § 44 Abs 4 SGB X stehe § 300 Abs 3 SGB VI einer Anwendung der zum Zeitpunkt der Rentenantragstellung geltenden Vorschriften des SGB VI entgegen. Die Sonderregelung des § 300 Abs 2 SGB VI greife nicht ein, weil der nach dieser Vorschrift maßgebende Antrag nicht innerhalb von drei Monaten nach Inkrafttreten der Neuregelung gestellt worden sei. Im übrigen könne sich die Klägerin auch nicht mit Erfolg auf einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch stützen. Es fehle bereits an der erforderlichen Kausalität zwischen einer möglicherweise fehlerhaften Sachbearbeitung für einen sozialrechtlichen Nachteil. Die Klägerin sei nicht gehindert gewesen, gegen den Rentenbescheid vom 30. November 1992 Rechtsbehelfe einzulegen oder zu einem früheren Zeitpunkt einen Neufeststellungsantrag zu stellen.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin ua eine Verletzung von § 44 SGB X und § 300 SGB VI. Entgegen der Rechtsansicht des LSG seien bei der Neuberechnung ihrer Rente nach § 44 SGB X die zum Zeitpunkt der Rentenantragstellung geltenden Rechtsvorschriften anzuwenden. Zwar seien bei Neufeststellungen stets sämtliche Neuregelungen des SGB VI vom Zeitpunkt ihres Inkrafttretens anzuwenden, wenn der Antrag nach Ablauf der dreimonatigen Ausschlußfrist gestellt werde. Doch dies gelte nicht, wenn wegen eines Fehlers des Versicherungsträgers ein Herstellungsanspruch bestehe. Andernfalls werde der Normzweck des § 44 SGB X in rechtsstaatswidriger Weise ausgehöhlt.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 26. März 1998 und das Urteil des SG Aachen vom 30. Mai 1997 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung der Bescheide vom 30. November 1992, 2. November 1995, 6. Februar 1996 und 7. Juni 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Oktober 1996 zu verurteilen, die Regelaltersrente der Klägerin ab 22. April 1992 neu festzustellen und dabei die Zeit vom 1. Januar 1957 bis 1. Mai 1987, soweit in diesem Zeitraum nicht bereits vorrangige Beitragszeiten angerechnet wurden, als Ersatzzeit rentensteigernd zu berücksichtigen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II
Der Senat beabsichtigt, der Revision der Klägerin stattzugeben. Es besteht zwar kein Herstellungsanspruch, da diesem die hier einschlägige gesetzliche Regelung des Zugunstenverfahrens in § 44 SGB X vorgeht. Entgegen der Ansicht der Vorinstanzen und der Beklagten hat die Klägerin aber Anspruch auf eine RAR, bei deren Berechnung – im Wege der Besitzstandswahrung – noch das alte (bis 30. Juni 1993 geltende) Recht anzuwenden ist. Dessen materiell-rechtliche Voraussetzungen sind im Fall der Klägerin gegeben (dazu im folgenden unter 1). Zwar ist nach dem geltenden Recht der gesetzlichen Rentenversicherung auf einen Zugunstenantrag nach § 44 SGB X, der mehr als drei Monate nach dem Inkrafttreten neuen Rechts gestellt wird, grundsätzlich neues Recht anzuwenden (dazu im folgenden unter 2). Gemäß § 300 Abs 3 Satz 2 SGB VI sind aber als nach § 88 SGB VI besitzgeschützte bisherige persönliche Entgeltpunkte diejenigen zugrunde zu legen, die sich bei richtiger Berechnung der Rente, dh unter Anwendung alten Rechts, ergeben. Der dynamische Bestandsschutz führt bei der Klägerin dazu, daß ihr die Rente nach den bisherigen persönlichen Entgeltpunkten – dh unter Berücksichtigung der vollen Ersatzzeit – auch in Zukunft weiter zu gewähren ist. Dies gilt so lange, bis (was derzeit nicht absehbar ist) die der Klägerin nach der Neuregelung des § 250 SGB VI zustehende Rente den besitzgeschützten Betrag übersteigt (dazu im folgenden unter 3).
An der beabsichtigten Entscheidung sieht sich der Senat durch die Rechtsprechung des 13. Senats gehindert. Dieser geht bei der Neufeststellung einer Rente in einem Zugunstenverfahren (§ 44 SGB X) zwar ebenfalls von der Anwendbarkeit neuen Rechts (§ 250 Abs 2 Nr 3 SGB VI) aus, wenn der Zugunstenantrag später als drei Monate nach dem Außerkrafttreten des alten Rechts gestellt worden ist. Als besitzgeschützt sieht er dabei aber nur die laufende Rente an, dh den in seiner Höhe dynamisierten Rentenbetrag, wie er sich aufgrund der bisher zuerkannten Entgeltpunkte ergibt (Urteile vom 8. November 1995 – 13 RJ 5/95 – SozR 3-2600 § 300 Nr 5 und vom 30. Oktober 1997 – 13 RJ 71/96 – SozR 3-2600 § 300 Nr 12 sowie vom 30. Oktober 1997 – 13 RJ 3/97 – und vom 9. September 1998 – B 13 RJ 63/97 R – jeweils nicht veröffentlicht). Soweit er sich in seiner bisherigen Rechtsprechung (Urteile vom 18. Juni 1997 – 5 RJ 36/96 – SozR 3-2600 § 300 Nr 11 und vom 12. Mai 1998 – B 5 RJ 8/97 R – nicht veröffentlicht) der Rechtsprechung des 13. Senats angeschlossen hat, hält der Senat hieran nicht mehr fest.
(1) Der Anspruch der Klägerin auf (teilweise) Rücknahme des bindenden Rentenbescheides vom 30. November 1992 ergibt sich aus § 44 Abs 1 SGB X. Danach ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, daß bei Erlaß dieses Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind (Abs 1). Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden die Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuchs längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht (vgl § 44 Abs 4 Satz 1 SGB X). Ein solcher Fall liegt hier vor.
Wie bereits das LSG zutreffend ausgeführt hat und auch zwischen den Beteiligten nicht zweifelhaft ist, war der unanfechtbar gewordene Rentenbescheid der Beklagten vom 30. November 1992 nach der im Zeitpunkt seiner Bekanntgabe gegebenen Sach- und Rechtslage rechtswidrig: Für die Zeit vom 1. September 1941 (Verschleppung) bis 1. Mai 1987 waren – soweit die Klägerin in dieser Zeit nicht bereits (vorrangige) Pflichtbeitragszeiten zurückgelegt hat – Ersatzzeiten unzureichend berücksichtigt; demzufolge war die RAR der Klägerin zu niedrig bemessen. Nach den bindenden (vgl § 163 SGG) Feststellungen des LSG war die Klägerin nicht nur bis 21. Januar 1956, sondern auch nach Aufhebung der Kommandanturaufsicht bis zu ihrer Ausreise aus der ehemaligen UdSSR an der Rückkehr in ihr ursprüngliches Heimatland gehindert worden. Damit war der Tatbestand einer Ersatzzeit gemäß § 250 Abs 1 Nr 3 iVm Abs 2 SGB VI in der bis zum 30. Juni 1993 gültigen Fassung des RRG 1992, zuletzt geändert durch Art 1 des RÜG vom 25. Juli 1991, in Kraft getreten am 1. Januar 1992 (Art 85 Abs 1 RRG), gegeben. Gemäß § 250 Abs 1 Nr 3 SGB VI in der damaligen Fassung (im folgenden aF) sind Ersatzzeiten ua Zeiten, in denen Versicherte während oder nach Kriegsende an der Rückkehr aus Gebieten außerhalb des jeweiligen Geltungsbereichs der Reichsversicherungsgesetze oder danach aus Gebieten außerhalb des Geltungsbereichs dieser Gesetze, soweit es sich nicht um das Beitrittsgebiet handelt, verhindert gewesen oder dort festgehalten worden sind. Allerdings sind nach § 250 Abs 2 Nr 2 SGB VI aF Ersatzzeiten nicht Zeiten, in denen von der Vollendung des 65. Lebensjahres an außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzbuchs eine Rente wegen Alters oder anstelle einer solchen eine andere Leistung bezogen worden ist. Da die Klägerin am 1. Mai 1987 ihr 65. Lebensjahr vollendet und bis zu ihrer Ausreise aus der (ehemaligen) UdSSR eine Altersrente bezogen hat, waren somit nach der Sach- und Rechtslage bei Erlaß des Rentenbescheides vom 30. November 1992 Ersatzzeiten bis 1. Mai 1987 berücksichtigungsfähig.
Dieser Rechtslage hat die Beklagte mit den angefochtenen Neufeststellungsbescheiden vom 2. November 1995, 6. Februar 1996 und 7. Juni 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Oktober 1996 nur teilweise Rechnung getragen. Der im Widerspruchsverfahren ergangene Abhilfebescheid vom 7. Juni 1996 (die übrigen Bescheide betrafen andere Faktoren) berücksichtigt Ersatzzeiten nur bis 31. Dezember 1956. Die Beklagte hat also den bindenden Rentenbescheid vom 30. November 1992 nicht – wie dies nach der bis zum 30. Juni 1993 geltenden Rechtslage zutreffend gewesen wäre – für den gesamten Zeitraum bis 1. Mai 1987 (Vollendung des 65. Lebensjahres der Klägerin) zurückgenommen, sondern nur für die Zeit bis zum 31. Dezember 1956; nur insoweit berücksichtigt die Neuberechnung der Rente (rentensteigernd) Ersatzzeiten. Diese nur eingeschränkte Rücknahme des bestandskräftigen Bescheides vom 30. November 1992 und die gleichzeitige Neubescheidung auf der Grundlage neuen Rechts, dh nur unter Anwendung des § 250 Abs 2 Nr 3 SGB VI idF des Rü-ErgG vom 24. Juni 1993 rückwirkend ab Rentenbeginn (April 1992), sind rechtswidrig. Denn die Klägerin hat – im Wege des Besitzschutzes nach § 300 Abs 3 Satz 2 SGB VI – Anspruch auf eine (dynamisierte) Rente mindestens in der Höhe, wie sie sich auf der Grundlage des alten, bis 30. Juni 1993 gültigen Rechts ergibt.
Unter Anwendung des § 250 Abs 2 Nr 3 SGB VI nF steht der Klägerin kein Anspruch auf Berücksichtigung von Ersatzzeiten über den 31. Dezember 1956 hinaus zu. Auch dies haben die Vorinstanzen zutreffend ausgeführt und ist zwischen den Beteiligten nicht streitig. Nach § 250 Abs 2 Nr 3 SGB VI sind Ersatzzeiten nicht Zeiten, in denen nach dem 31. Dezember 1956 die Voraussetzungen ua des § 250 Abs 1 Nr 3 SGB VI vorliegen, jedoch Versicherte eine Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit auch aus anderen als den dort genannten Gründen – also im Falle der hier einschlägigen Nr 3 dem der Rückkehrverhinderung – nicht ausgeübt haben. Nach den bindenden Feststellungen des LSG besteht kein Anhaltspunkt für die Annahme, daß die Rückkehrverhinderung für die Nichtausübung einer Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit ursächlich gewesen wäre. Letzteres macht auch die Klägerin nicht geltend.
(2) Die Frage, ob auf einen bestimmten Sachverhalt „altes” oder „neues” Recht Anwendung findet, wird durch die am 1. Januar 1992 in Kraft getretene Vorschrift des § 300 SGB VI beantwortet. Dies hat der Senat bereits in den Urteilen vom 18. Juni 1997 (5 RJ 36/96 – SozR 3-2600 § 300 Nr 11), vom 12. Mai 1998 (B 5 RJ 8/97 R – nicht veröffentlicht) und vom 24. Februar 1999 – B 5 RJ 28/98 R – zur Veröffentlichung vorgesehen) in Übereinstimmung mit dem 13. Senat (Urteile vom 8. November 1995 – 13 RJ 5/95 – SozR 3-2600 § 300 Nr 5, vom 30. Oktober 1997 – 13 RJ 71/96 – SozR 3-2600 § 300 Nr 12, vom 30. Oktober 1997 – 13 RJ 3/97 – und vom 9. September 1998 – B 13 RJ 63/97 R – jeweils nicht veröffentlicht) ausgesprochen. Die Regelungen des § 300 SGB VI sehen allerdings keine ausnahmslose Anwendung neuen Rechts vor. Für die Fälle einer Zugunstenentscheidung nach § 44 SGB X ergibt sich aus § 300 Abs 3 SGB VI, daß die Rente trotz der zwischenzeitlichen Rechtsänderung in der aufgrund des früheren Rechts eigentlich zustehenden Höhe zu leisten ist. Insoweit korrigiert der Senat seine bisherige Rechtsprechung.
§ 300 Abs 3 SGB VI regelt den Fall, daß „eine bereits vorher geleistete Rente neu festzustellen ist” und bestimmt in seinem Satz 1, daß dann die Absätze 1 und 2 des § 300 SGB VI gelten. Diese Vorschrift ist auch im Rahmen eines Verfahrens nach § 44 SGB X anzuwenden. Dabei kann dahinstehen, ob sich ihre Anwendbarkeit aus der Vorrangregelung des § 37 SGB I ergibt (so BSG Urteil vom 22. Juni 1994 – 8 RKn 10/93 – SozR 3-5750 Art 2 § 12b Nr 2 – zu der früheren Übergangsregelung des Art 2 § 10c KnVNG) oder der Vorschrift des § 44 Abs 4 SGB X zu entnehmen ist (so die Urteile des erkennenden Senats vom 18. Juni 1997 – 5 RJ 36/96 – SozR 3-2600 § 300 Nr 11 und vom 12. Mai 1998 – B 5 RJ 8/97 R – nicht veröffentlicht; ebenso der 13. Senat: Urteile vom 30. Oktober 1997 – 13 RJ 71/96 – SozR 3-2600 § 300 Nr 12 und – 13 RJ 3/97 – nicht veröffentlicht).
§ 300 Abs 1 SGB VI bestimmt, daß Vorschriften des SGB VI „vom Zeitpunkt ihres Inkrafttretens” an auf einen Sachverhalt oder Anspruch auch dann anzuwenden sind, wenn bereits vor diesem Zeitpunkt der Sachverhalt oder Anspruch bestanden hat. Diese Grundregel wird allerdings in mehrfacher Weise eingeschränkt.
Nach der – hier nicht einschlägigen – Sonderregelung des § 300 Abs 2 SGB VI ist eine Rente noch nach den alten Rechtsvorschriften zu bewilligen, wenn schon bis zum Zeitpunkt ihrer Aufhebung ein Anspruch darauf bestand und der Anspruch bis zum Ablauf von drei Monaten nach der Aufhebung geltend gemacht wird. Gleichzeitig bestätigt § 300 Abs 2 SGB VI, daß auf einen Antrag, der später als drei Monate nach Außerkrafttreten des alten Rechts gestellt worden ist, neues Recht anzuwenden ist.
Bei laufenden Renten – wie im vorliegenden Fall – ist ferner die Ausnahmeregelung des § 306 Abs 1 SGB VI (Regelung der Rentenhöhe) zu beachten: Bestand Anspruch auf Leistung einer Rente vor dem Zeitpunkt einer Änderung rentenrechtlicher Vorschriften, werden aus Anlaß der Rechtsänderung die einer Rente zugrunde gelegten persönlichen Entgeltpunkte grundsätzlich nicht neu bestimmt. Nach dieser Ausnahmeregelung soll also allein aus Anlaß einer Rechtsänderung keine Neubestimmung der Rentenhöhe erfolgen (so übereinstimmend BSG Urteile vom 18. Juli 1996 – 4 RA 108/94 – SozR 3-2600 § 300 Nr 7; vom 30. Januar 1997 – 4 RA 55/95 – SozR 3-2600 § 300 Nr 10; vom 18. Juni 1997 – 5 RJ 36/96 – SozR 3-2600 § 300 Nr 11 und vom 30. Oktober 1997 – 13 RJ 71/96 – SozR 3-2600 § 300 Nr 12).
Gegenüber § 300 Abs 1 bis 4 SGB VI hat zwar die Regelung des § 306 Abs 1 SGB VI grundsätzlich Vorrang (vgl § 300 Abs 5 SGB VI); sie wird aber ihrerseits wiederum durch § 300 Abs 3 SGB VI verdrängt (sogenannte Rückausnahme). Hiernach gilt § 300 Abs 1 SGB VI auch dann, wenn nach dem maßgeblichen Zeitpunkt (hier: Inkrafttreten des Rü-ErgG am 1. Juli 1993) eine bereits vorher geleistete Rente neu festzustellen ist und damit persönliche Entgeltpunkte neu zu ermitteln sind (die Fälle des § 300 Abs 2 SGB VI sind auch hier ausgenommen). Wenn also der Rentenversicherungsträger – wie vorliegend aufgrund des Antrags nach § 44 SGB X – aus einem anderen Grund als dem (bloßen) Inkrafttreten neuen Rechts die der Rente zugrunde gelegten persönlichen Entgeltpunkte neu zu bestimmen hat, ist auch bei laufenden Renten neues Recht anzuwenden.
Dabei ist ergänzend zu den bisherigen Ausführungen des Senats in seinen Entscheidungen vom 18. Juni 1997 (5 RJ 36/96 – SozR 3-2600 § 300 Nr 11) und 12. Mai 1998 (B 5 RJ 8/97 R – nicht veröffentlicht) auf folgendes hinzuweisen: Das Zusammenspiel der Regelungen von § 300 und § 306 SGB VI entspricht früheren Übergangsregelungen (vgl Art 2 § 12b Abs 5 ArVNG bzw AnVNG, Art 2 § 10c Abs 5 KnVNG idF des RAG 1985, BGBl I 913). Nach diesen wurde ebenfalls neues Recht nach seinem Inkrafttreten auch für frühere Versicherungsfälle maßgebend. Diese beschränkte Rückwirkung des neuen Rechts galt jedoch nicht, wenn über einen Anspruch „eine nicht mehr anfechtbare Entscheidung getroffen worden war” (so die Formulierung der zitierten früheren Übergangsregelungen). Dann blieb es (ebenso wie nach § 306 Abs 1 SGB VI) ungeachtet der Neufassung der für die Rentenberechnung maßgeblichen Vorschriften bei der bisherigen Rentenbewilligung. Anders war es jedoch, wenn eine bindend festgestellte Rente aus anderen Gründen als einer Rechtsänderung, also zB nach den allgemeinen Vorschriften über die Aufhebung von Rentenbescheiden (§§ 44 ff SGB X), neu festgesetzt und die Bestandskraft des Rentenbescheides bereits deshalb durchbrochen wurde. Dann lagen keine zwingenden Gründe vor, für die Berechnung einer Rente das neue Recht weiterhin als für den Anspruch „nicht wesentlich” zu behandeln und für künftige Rentenbezugszeiten außer Betracht zu lassen (vgl BSG Urteile vom 9. Juni 1988 – 4/1 RA 57/87 – SozR 2200 § 1255a Nr 19, vom 22. Juni 1994 – 8 RKn 10/93 – SozR 3-5750 Art 2 § 12b Nr 2 und vom 30. Januar 1997 – 4 RA 55/95 – SozR 3-2600 § 300 Nr 10).
Der Gesetzgeber des früheren Übergangsrechts hat damit das Konzept verfolgt, nach dem Inkrafttreten neuen Rechts grundsätzlich nur noch dieses zur Anwendung zu bringen. Bereits nach altem Recht bewilligte, laufende Renten sollten jedoch in der Regel nach altem Recht unverändert weitergewährt werden; dies verursachte auch keinen Verwaltungsaufwand. Mußte der Versicherungsträger aber in eine laufende Rente eingreifen, so sollte er nur noch neues Recht anwenden müssen. Diesen Grundgedanken des alten Übergangsrechts entspricht die Neuregelung des § 300 Abs 3 iVm Abs 1 SGB VI auch nach den Gesetzesmaterialien. Danach ergänzt § 300 Abs 3 SGB VI „die Grundsätze der Absätze 1 und 2 für den Fall, daß eine Rente nach einer bestandskräftigen Feststellung neu festzustellen ist, weil zB nachträglich bisher nicht berücksichtigte Beitragszeiten oder beitragsfreie Zeiten nachgewiesen werden und deshalb die persönlichen Entgeltpunkte neu zu ermitteln sind. Die Neufeststellung erfolgt dann grundsätzlich nach dem zu diesem Zeitpunkt geltenden Recht, wobei die bisher zustehende Rentenhöhe besitzgeschützt ist. Diese Neufeststellung kann ggf auch für Zeiten des Rentenbezugs vor dem Inkrafttreten des neuen Rechts von Bedeutung sein” (BT-Drucks 11/4124, S 206 zu § 291 Abs 3 = § 300 Abs 3 SGB VI).
Aus dieser Begründung des Entwurfs zum RRG 1992 wird deutlich, welche Voraussetzungen im Falle des § 300 Abs 3 Satz 1 SGB VI erfüllt sein müssen: nämlich eine bereits vor dem maßgebenden Zeitpunkt, dh dem Inkrafttreten neuen Rechts, laufende Rente, die nach dem maßgebenden Zeitpunkt neu festzustellen ist, weil die persönlichen Entgeltpunkte neu zu ermitteln sind. Die Neuermittlung der Entgeltpunkte muß aus anderen Gründen als der Rechtsänderung erforderlich sein. Erforderlich ist die Neuermittlung der persönlichen Entgeltpunkte insbesondere beim Hinzutritt oder Wegfall von rentenrechtlichen Zeiten.
§ 300 Abs 1 bis 3 und § 306 Abs 1 SGB VI und den Gesetzesmaterialien läßt sich deshalb mit hinreichender Deutlichkeit entnehmen, daß der Rentenversicherungsträger neues Recht auch dann zugrunde zu legen hat, wenn er bei laufenden Renten die Rentenhöhe ändern muß.
Die Übergangsregelung des § 300 Abs 3 iVm Abs 1 SGB VI ist im Falle der Klägerin anwendbar. Denn die übergangsrechtlichen Grundsätze in § 300 Abs 1 bis 3 SGB VI gelten für alle Änderungen des SGB VI, also nicht allein für den Übergang von der RVO usw zum SGB VI zum 1. Januar 1992. Dies ergibt sich bereits aus dem allgemein gehaltenen Wortlaut, der nicht nur auf das Inkrafttreten des SGB VI zu jenem Datum abstellt; es wird im übrigen durch die Gesetzesmaterialien bestätigt (vgl Begründung zum Entwurf des RRG 1992, BT-Drucks 11/4124, S 206 zu § 291 Abs 1 = § 300 Abs 1 SGB VI; ebenso BSG Urteile vom 30. Oktober 1997 – 13 RJ 71/96 – SozR 3-2600 § 300 Nr 12 und – 13 RJ 3/97 – nicht veröffentlicht, jeweils mwN sowie vom 9. September 1998 – B 13 RJ 63/97 R – nicht veröffentlicht).
Dies bedeutet für den vorliegenden Fall, daß das neue Recht, dh hier § 250 SGB VI idF des Rü-ErgG, für den Fall der Neufeststellung der Rente mit Neuermittlung der Entgeltpunkte vom Zeitpunkt seines Inkrafttretens, dh ab 1. Juli 1993 (Art 18 Abs 1 Rü-ErgG), auf das Leistungsverhältnis anzuwenden ist. Folgt man seinem Wortlaut, so stellt § 300 Abs 3 Satz 1 SGB VI insoweit weiterhin nicht auf den Zahlungszeitraum ab, sondern auf den Zeitpunkt des Zugunstenantrags: Ist dieser noch zu Zeiten der Gültigkeit alten Rechts oder in den ersten drei Monaten nach dem Inkrafttreten neuen Rechts (§ 300 Abs 2 SGB VI) gestellt, besteht noch Anspruch auf Neufeststellung auf der Grundlage alten Rechts. Auf einen späteren Zugunstenantrag hingegen ist dann von Anfang an neues Recht anzuwenden, und zwar auch, soweit die vierjährige Rückwirkung nach § 44 Abs 4 SGB X noch einen Zeitraum der Geltung alten Rechts umfaßt.
Soweit der 4. Senat in seinem Urteil vom 30. Januar 1997 – 4 RA 55/95 – (SozR 3-2600 § 300 Nr 10) die Auffassung vertreten hat, § 300 Abs 1 SGB VI sei dahin zu verstehen, daß er die Anwendung der neuen Vorschriften frühestens für Zeiten ab ihrem Inkrafttreten vorsehe, vermag sich der erkennende Senat deshalb dieser Auffassung nicht anzuschließen. Einer Anfrage beim 4. Senat gemäß § 41 Abs 3 Satz 1 SGG bedurfte es nicht. Der 4. Senat hat in dem von ihm entschiedenen Fall nämlich letztlich den auf einer Anwendung des neuen Rechts beruhenden Neufeststellungsbescheid bestätigt, weil der Kläger durch die Vorgehensweise der Beklagten (insgesamt günstigere Gesamtleistungsbewertung nach § 263 Abs 3 SGB VI) nicht beschwert war. Die betreffenden Ausführungen des 4. Senats sind demnach für diese Entscheidung nicht tragend gewesen (so bereits der 13. Senat in seinen Entscheidungen vom 30. Oktober 1997 – 13 RJ 71/96 – SozR 3-2600 § 300 Nr 12 und – 13 RJ 3/97 – nicht veröffentlicht). Im übrigen dürfte die vom 4. Senat zu § 44 SGB X iVm § 300 SGB VI vertretene Rechtsauffassung weitgehend mit dem Ergebnis des Senats übereinstimmen. Dies ergibt sich aus folgendem:
(3) § 300 Abs 3 SGB VI bestimmt bei Vorliegen seiner Anwendungsvoraussetzungen nicht nur in seinem Satz 1, daß die Rente unter Anwendung des neuen Rechts neu festzustellen ist; vielmehr enthält die Vorschrift in ihrem Satz 2 auch eine Besitzschutzregelung: Nach § 300 Abs 3 Satz 2 SGB VI ist „§ 88 über die weitere Leistung der Rente aus den bisherigen persönlichen Entgeltpunkten” entsprechend anzuwenden. Wird also eine Bestandsrente nach neuem Recht neu festgestellt und ergibt sich dabei eine Rentenminderung, sind die der bisherigen Rente zugrundeliegenden persönlichen Entgeltpunkte auch bei den künftigen Anpassungen zu berücksichtigen. Diese Regelung weicht von den Besitzschutzregelungen in den früheren rentenrechtlichen Übergangsbestimmungen (zB Art 2 § 12b Abs 3 und 5 AnVNG, Art 2 § 10c Abs 5 KnVNG) insoweit ab, als nicht mehr (nur) der „eingefrorene”) bisherige Zahlbetrag, sondern die dynamische Rente besitzgeschützt ist (so auch die Begründung des federführenden Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zur erst während der Gesetzesberatung vorgenommenen Einfügung der Worte „aus den bisherigen persönlichen Entgeltpunkten” im Ausschußbericht-RRG, BT-Drucks 11/5530, S 58 – Begründung zu § 291). In den früheren rentenrechtlichen Übergangsregelungen war dagegen der „bisherige Zahlbetrag” garantiert (Art 2 § 12b AnVNG = Art 2 § 10c KnVNG). Diesem Unterschied kommt aber für die Beantwortung der Frage, welches die „bisherigen Entgeltpunkte” sind, keine entscheidende Bedeutung zu.
a) Nach der Rechtsprechung des BSG zum Besitzschutz für den „bisherigen Zahlbetrag” in den Vorgängerregelungen des § 300 SGB VI war dieser abweichend vom üblichen Wortverständnis zu definieren: Es war darunter derjenige Rentenbetrag zu verstehen, der sich im Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Neufeststellung bei richtiger Berechnung der Rente unter Anrechnung der bisherigen (vor Inkrafttreten der von der jeweiligen Übergangsvorschrift des AnVNG bzw KnVNG begleiteten Gesetzesänderung) Werte ergab (BSG Urteile vom 28. Juni 1990 – 4 RA 57/89 – BSGE 67, 104, 122 = SozR 3-1300 § 32 Nr 2 und vom 22. Juni 1994 – 8 RKn 10/93 – SozR 3-5750 Art 2 § 12b Nr 2). Weiterzuzahlen war also der Rentenbetrag bei richtiger Berechnung der Rente. Diese Auslegung war nicht nur für die Fälle einer Neufeststellung nach § 45 SGB X zwingend; hier verhinderte sie, daß trotz der nach dieser Vorschrift gebotenen Korrektur der bis dahin gezahlte, überhöhte Zahlbetrag festgeschrieben wurde (BSG Urteil vom 28. Juni 1990 – 4 RA 57/89 – BSGE 67, 104, 121 f = SozR 3-1300 § 32 Nr 2 S 23 f). Vielmehr ergab sich nur so auch für Neufeststellungen nach § 44 SGB X eine stimmige Lösung; die Berechtigten wurden nicht durch ein „Einfrieren” ihrer bis dahin gezahlten, zu niedrigen Rente für ein Vorgehen nach § 44 SGB X (zB einen Zugunstenantrag) auch noch „bestraft” (BSG Urteil vom 22. Juni 1994 – aaO).
Die zitierte Rechtsprechung mußte in Kauf nehmen, daß dadurch – entgegen der Konzeption des Gesetzgebers – die Versicherungsträger bei der Neufeststellung einer laufenden Rente neben dem neuen weiterhin auch das alte Recht anzuwenden hatten: Der „bisherige Zahlbetrag” ließ sich nur nach altem Recht ermitteln.
b) Sieht man aber die Neuregelung des § 300 Abs 3 SGB VI vor dem Hintergrund der Vorläuferregelungen in Art 2 der früheren Neuregelungsgesetze, so müssen auch im geltenden Recht die „bisherigen” persönlichen Entgeltpunkte als diejenigen verstanden werden, die sich aus der richtigen Anwendung des für die Erteilung des ursprünglichen Rentenbescheids maßgeblichen Rechts ergeben. Auch hier kann an die Argumentation angeknüpft werden, die der früheren BSG-Rechtsprechung zugrunde lag: Es wäre widersinnig, § 44 Abs 1 SGB X als zentrale Vorschrift des Verwaltungsverfahrensrechts dadurch im Rentenrecht eines Großteils seiner Wirkung zu berauben, daß den Berechtigten die Korrektur falscher Entscheidungen im Rentenbescheid vorenthalten wird, sie vielmehr auf der bisher gezahlten, zu niedrigen Rente „sitzen gelassen” werden. Hieran ändert auch nichts, daß diese Rente – durch die Anknüpfung des Besitzschutzes an die „persönlichen Entgeltpunkte” statt wie früher an den „Zahlbetrag” – nunmehr dynamisiert ist: Es bliebe das Ergebnis, daß die Berechtigten, zu deren Ungunsten die Verwaltung bei Erteilung des Rentenbescheides einen Fehler gemacht hat, von dessen Wiedergutmachung ausgeschlossen werden.
Dies gälte zudem nicht generell, sondern nur in jenen Fällen, in denen – zufällig – nach Erteilung des Rentenbescheides (für Neufälle) Leistungskürzungen erfolgt sind. Dagegen bliebe die Wirkung des § 44 SGB X in solchen Fällen voll erhalten, in denen (noch) keine einschlägige Rechtsänderung vorliegt. Und dann, wenn Leistungsverbesserungen vorgenommen werden (die nach § 306 Abs 1 SGB VI laufende Renten nicht erfassen), käme der Betreffende in den Genuß einer zusätzlichen Wohltat, die jener nicht erführe, über dessen Rentenantrag von vornherein richtig entschieden worden ist.
c) Ebensowenig wie dem Gesetzgeber der Übergangsvorschriften in den früheren Neuregelungsgesetzen kann dem Gesetzgeber der Übergangsvorschriften des SGB VI unterstellt werden, daß er die andernfalls eintretenden Konsequenzen für die Verfahren nach § 44 SGB X – und auch im Blick auf das Verfahren nach § 45 SGB X – gewollt hat. Es entstünden nicht nur ungereimte Ergebnisse; es ergäben sich auch verfassungsrechtliche Probleme, sowohl unter dem Aspekt des Rückwirkungsverbots als auch des Gleichbehandlungsgrundsatzes.
aa) Der dynamische Besitzschutz nach § 300 Abs 3 Satz 2 SGB VI tritt nur dann ein, wenn sich infolge der Anwendung neuen Rechts niedrigere persönliche Entgeltpunkte errechnen. Mindert sich – wie nach § 45 SGB X, evtl auch nach § 48 SGB X – die Rente auch ohne Anwendung neuen Rechts, findet § 300 Abs 3 Satz 2 SGB VI keine Anwendung. Erfolgt daher eine Neufeststellung wegen nicht zustehender rentenrechtlicher Zeiten, weil beispielsweise bei der bisherigen Rente zu Unrecht eine Beitragszeit berücksichtigt wurde, ergibt sich unmittelbar aus § 45 SGB X ein Besitzschutz für den sich nach richtiger Anwendung des alten Rechts ergebenden Zahlbetrag der Rente. Denn nur soweit der begünstigende Rentenbescheid rechtswidrig war, darf er nach dieser Vorschrift zurückgenommen werden. Korrigiert werden also im Fall des § 45 SGB X mit der Neufeststellung die Fehler nach altem Recht; eine weitere Minderung der persönlichen Entgeltpunkte aufgrund des neuen Rechts tritt nicht ein. Allenfalls könnte bei künftigen Rentenerhöhungen der nach neuem Recht zu hohe Zahlbetrag unter Anwendung der Aussparungsregelung des § 48 Abs 3 SGB X bis zum Erreichen des rechtmäßig zustehenden Rentenbetrages abgeschmolzen werden (vgl Kasseler Komm-Niesel, § 300 RdNr 24 mwN). Im Ergebnis würde sich damit ein Fall des § 45 SGB X günstiger für den Versicherten auswirken als die Fallgestaltung des § 44 SGB X, wenn der dynamische Besitzschutz nach § 300 Abs 3 Satz 2 SGB VI dabei nur jene Entgeltpunkte erfaßt, die aufgrund des alten Rechts bisher fehlerhaft zu niedrig berücksichtigt wurden. Allein mit der Unterschiedlichkeit der Lebenssachverhalte ließe sich dieses Ergebnis kaum rechtfertigen. Die hier vorgeschlagene Lösung kommt demgegenüber zu einer für beide Fallgestaltungen gleichen Anwendung des alten Rechts.
bb) Wenn die Rente aufgrund des Berichtigungsanspruchs auch für die zurückliegende Zeit nicht mehr in der dem alten Recht entsprechenden Höhe zu leisten ist und Leistungsverschlechterungen auf diese Weise bereits für Zeiträume vor dem Inkrafttreten des neuen Rechts (und auch vor Verkündung des anderen Gesetzes) „durchschlagen”, wie das bei der Klägerin der Fall wäre, kann sich eine „echte”, den rechtsstaatlich gebotenen Vertrauensschutz verletzende Rückwirkung ergeben (vgl dazu zuletzt BVerfG Beschluß vom 3. Dezember 1997 – 2 BvR 882/97 – BVerfGE 97, 67, 79). Nach der Rechtsprechung des BVerfG ist diese nur aus zwingenden Gründen des gemeinen Wohls oder wegen eines nicht – oder nicht mehr – vorhandenen Vertrauens zulässig, oder wenn durch die sachlich begründete Gesetzesänderung kein oder nur ganz unerheblicher Schaden verursacht wird (vgl BVerfG Urteil vom 19. Dezember 1961 – 2 BvL 6/59 – BVerfGE 13, 261, 271 f sowie Beschlüsse vom 31. März 1965 – 2 BvL 17/63 – BVerfGE 18, 429, 439, vom 25. Mai 1993 – 1 BvR 1509/91 – BVerfGE 88, 384, 404 und vom 3. Dezember 1997 – 2 BvR 882/97 – BVerfGE 97, 67, 79 f).
Die Argumentation, wegen der Regelungen in § 300 Abs 1 und 3 SGB VI könne ein schützenswertes Vertrauen in den Fortbestand rentenrechtlicher Vorschriften gar nicht vorhanden sein, kann hier nicht weiterführen: Nur dann, wenn den genannten Regelungen in der Tat ein rechtsverkürzender Inhalt eigen wäre, könnten sich die Versicherten hierauf einstellen. Zudem: Selbst wenn man davon ausginge, daß die Rechtsposition für einen Zugunstenantrag seit Inkrafttreten des SGB VI am 1. Januar 1992 generell und somit auch die Rechtsposition der Klägerin bei ihrer Einreise in die Bundesrepublik (im April 1992) durch die Neufeststellungsregelung des § 300 Abs 3 belastet wäre, bliebe es doch dabei, daß jedenfalls weiterhin die belastende Rechtsänderung (hier durch das Rü-ErgG vom 24. Juni 1993) für die Klägerin nicht vorhersehbar war.
Zwar hat das BVerfG betont, daß die von ihm falltypisch entwickelten Ausnahmen vom Rückwirkungsverbot nicht erschöpfend seien (BVerfG Beschlüsse vom 14. Mai 1986 – 2 BvL 2/83 – BVerfGE 72, 200, 258 und vom 3. Dezember 1997 – 2 BvR 882/97 – BVerfGE 97, 67, 80). Der Senat geht jedoch davon aus, daß die in § 300 Abs 2 SGB VI enthaltene Drei-Monats-Regelung allein nicht im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG eine neue Fallgruppe begründet, die in den hiervon nicht erfaßten Fällen eine Rückwirkung erlauben würde. Die Möglichkeit, sich durch einen Zugunstenantrag innerhalb der ersten drei Monate nach Inkrafttreten neuen Rechts die Vorteile des alten Rechts auf Dauer zu erhalten, ist für eine generelle Absicherung gegen eine rechtsstaatlich unzulässige Rückwirkung wenig geeignet. Selbst wenn sie bei der lange vor Inkrafttreten der Rechtsänderung liegenden Verkündung anläßlich des Übergangs von der RVO zum SGB VI (Ende 1989/Anfang 1990) ausreichend gewesen wäre, so gilt dies doch nicht gleichermaßen für alle (zukünftigen) Änderungen des SGB VI, für die die übergangsrechtlichen Grundsätze des § 300 Abs 1 bis 3 SGB VI ebenso gelten. Die Problematik der Rückwirkung der Rechtsänderung stellt sich hierbei jeweils erneut. Nach § 44 Abs 4 SGB X wirkt aber ein Zugunstenantrag nicht lediglich drei Monate, sondern vier Jahre zurück, so daß auch nach Ablauf der Frist des § 300 Abs 2 SGB VI die oben beschriebene Konstellation eintreten kann, daß das neue Recht auf solche Zeiten anzuwenden ist, in denen es weder in Kraft getreten noch verkündet war. Bei der Lösung des Senats entfällt bei der Anwendung neuen Rechts nach § 300 Abs 1 bis 3 SGB VI für Zeiten vor seinem Inkrafttreten hingegen von vornherein eine mögliche Verletzung des Vertrauensschutzes.
d) Wendet man § 300 Abs 3 SGB VI in der hieraus folgenden Auslegung auf den Fall der Klägerin an, bedeutet dies: Auf den Zugunstenantrag vom August 1995 hat die Beklagte zunächst nach § 44 Abs 1 SGB X den Rentenbescheid vom 30. November 1992 zurückzunehmen, soweit darin Ersatzzeiten über den 31. Dezember 1956 hinaus bis 1. Mai 1987 nicht berücksichtigt sind (§ 44 Abs 1 SGB X). Sodann ist die RAR ab Beginn (22. April 1992) neu festzustellen, und zwar nach § 300 Abs 3 Satz 1 SGB VI auf der Grundlage des neuen, im Zeitpunkt des Zugunstenantrags geltenden Rechts (hier: des § 250 Abs 2 Nr 3 SGB VI idF ab 1. Juli 1993). In einer Vergleichsberechnung ist sodann festzustellen, ob auf der Grundlage des nunmehr maßgebenden Sachverhalts (hier: Rückkehrverhinderung bis zum 1. Mai 1987) die der Rente zugrundeliegenden persönlichen Entgeltpunkte unter Anwendung bisherigen Rechts (hier: des § 250 Abs 2 Nr 3 SGB VI idF bis 30. Juni 1993) höher ausfallen. Dies führt zur Anrechnung weiterer rentenrechtlicher Zeiten, soweit im genannten Zeitraum nicht bereits vorrangige Beitragszeiten angerechnet sind. Hieraus ergeben sich die nach § 300 Abs 3 Satz 2 SGB VI besitzgeschützen „bisherigen persönlichen Entgeltpunkte” als individueller Ausgangswert für die Rentenhöhe (vom 4. Senat in seinen Urteilen vom 31. März 1998 – B 4 RA 49/96 R – BSGE 82, 83, 95 – in SozR 3 zur Veröffentlichung vorgesehen – und vom 10. November 1998 – B 4 RA 32/98 R – in SozR 3 zur Veröffentlichung vorgesehen – als „Rangstelle” bezeichnet). Auf deren Grundlage nimmt die Rente an den kommenden Rentenanpassungen teil (dynamischer Bestandsschutz, vgl hierzu BSG Urteil vom 18. Juli 1996 – 4 RA 108/94 – SozR 3-2600 § 300 Nr 7, S 24, 25 mwN – zum Konzept des früheren § 30 Abs 2 Satz 5 AVG). Der der Klägerin nach altem Recht zustehende bisherige Zahlbetrag der Rente wird also nicht „eingefroren” (anders als nach der früheren Übergangsregelung des Art 2 § 10c Abs 5 KnVNG: BSG im Urteil vom 22. Juni 1994 – 8 RKn 10/93 – SozR 3-5750 Art 2 § 12b Nr 2).
Die persönlichen Entgeltpunkte stehen damit in Anwendung des so verstandenen § 300 Abs 3 Satz 2 SGB VI nicht in vollem Umfang „originär” zu, sondern sind (soweit nicht im Einklang mit dem neuen Recht) lediglich „besitzgeschützt”. Dies kann sich (nur) dann zuungunsten der Versicherten auswirken, wenn die Entgeltpunkte wegen einer tatsächlichen oder rechtlichen Änderung neu zu ermitteln sind. Ein Beispiel hierfür ist die Berechnung einer nach § 89 Abs 1 Satz 2 SGB VI vorrangigen Rente, wenn während einer zuvor bezogenen Rente Beiträge entrichtet wurden; auch bei Inanspruchnahme einer Vollrente nach vorherigem Bezug einer Teilrente unter Zahlung weiterer Beiträge (vgl § 35 Abs 3 Nr 2, § 42 SGB VI) sind Entgeltpunkte neu zu ermitteln (vgl § 66 Abs 3 Satz 1, § 77 SGB VI). Ebenso kann nicht ausgeschlossen werden, daß der Gesetzgeber Leistungsverbesserungen auch durch Erhöhung der Entgeltpunkte bei laufenden Renten vornimmt (so geschehen zB durch Art 82 RRG 1992 für die Rente nach Mindesteinkommen).
Im Ergebnis führt die beschriebene Lösung dazu, daß der Anwendungsbereich des § 44 SGB X nur geringfügig eingeschränkt wird. Der Versicherte wird danach im Ergebnis im Vergleich zu Fallgestaltungen, bei denen der Rentenversicherungsträger von Anfang an richtig entschieden hat, nur in Ausnahmefällen schlechtergestellt: Er nimmt an zukünftigen Rentensteigerungen nur dann nicht mehr (voll) teil, wenn sie auf Erhöhung der Entgeltpunkte beruhen. Beim Bezug einer RAR dürften insoweit keine Nachteile zu erwarten sein.
Einzuräumen ist, daß diese Lösung vom Versicherungsträger für die Zukunft die Überprüfung fordert, ob der Besitzschutz noch „greift”. Dies gilt jedoch nur für den Fall, daß eine Änderung der Entgeltpunkte zugunsten des Versicherten erfolgt; nur dann ist zu überprüfen, ob hierdurch die besitzgeschützten Entgeltpunkte überschritten werden.
Entscheidend für die Lösung des Senats spricht aber, daß sie durch das Abstellen auf das für den ursprünglichen Rentenbescheid geltende Recht dem Restitutionsgedanken des § 44 SGB X so weit wie möglich Rechnung trägt. Hiernach ist der Berechtigte so zu stellen, als hätte die Verwaltung von vornherein richtig entschieden (vgl BSG Urteile vom 10. September 1987 – 12 RK 27/86 – BSGE 62, 143, 146 f = SozR 5750 Art 2 § 28 Nr 5 und vom 30. Januar 1997 – 4 RA 55/95 – SozR 3-2600 § 300 Nr 10, S 40).
(4) Nach § 41 Abs 3 Satz 1 SGG iVm § 3 Abs 2 der Geschäftsordnung des BSG (vgl Bekanntmachung vom 6. Juli 1981, BAnz 119 vom 17. Juli 1981 S 5) ist daher beim 13. Senat des BSG anzufragen, ob der beabsichtigten Abweichung zugestimmt wird.
Fundstellen
Haufe-Index 1175659 |
SGb 1999, 513 |