Entscheidungsstichwort (Thema)
Anwendbares Recht bei Rentenneufeststellung im Zugunstenverfahren. besitzgeschützte persönliche Entgeltpunkte
Leitsatz (amtlich)
Wird im Rahmen eines Zugunstenverfahrens (§ 44 SGB 10) eine Rente nach den Vorschriften des SGB 6 neu festgestellt, erfaßt der in § 300 Abs 3 S 2 SGB 6 geregelte Besitzschutz diejenigen persönlichen Entgeltpunkte, die sich bei von vornherein richtiger Bescheiderteilung ergeben hätten (Aufgabe von BSG vom 18.6.1997 – 5 RJ 36/96 = SozR 3-2600 § 300 Nr 11 und BSG vom 12.5.1998 – B 5 RJ 8/97 R = SozR 3-2200 § 1251 Nr 12).
Stand: 24. Oktober 2002
Normenkette
SGB VI § 300 Abs. 1, 3 Sätze 1-2, § 306 Abs. 1, § 250 Abs. 1 Nr. 3 F: 1991-07-25, Abs. 2 Nr. 2 F: 1993-06-24, Nr. 3 F: 1991-07-25, Nr. 3 F: 1993-06-24, § 88; SGB X § 44 Abs. 1, 4 S. 1, §§ 45, 48 Abs. 3
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Klägerin werden das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 26. März 1998 und das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 30. Mai 1997 aufgehoben.
Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheids vom 30. November 1992 sowie der Bescheide vom 2. November 1995, 6. Februar 1996 und 7. Juni 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Oktober 1996 verurteilt, bei der der Klägerin ab 22. April 1992 gewährten Regelaltersrente die Zeit vom 1. Januar 1957 bis 1. Mai 1987, soweit in diesem Zeitraum nicht bereits Beitragszeiten angerechnet sind, als Ersatzzeit rentensteigernd zu berücksichtigen.
Die Beklagte hat der Klägerin deren außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Klägerin begehrt die teilweise Rücknahme des ihr im Jahr 1992 erteilten Rentenbescheids und eine höhere Regelaltersrente (RAR) unter Berücksichtigung von Ersatzzeiten bis 1. Mai 1987 nach dem bei Bescheiderteilung geltenden Recht.
Die am 2. Mai 1922 geborene Klägerin ist als Vertriebene anerkannt. Sie hat ihr Arbeitsleben in der ehemaligen UdSSR (Kasachstan) zurückgelegt, wo sie bereits ab Mai 1975 Altersrente bezog. Im April 1992 siedelte sie in die Bundesrepublik Deutschland aus. Auf ihren Rentenantrag vom Mai 1992 bewilligte ihr die Beklagte mit (bestandskräftigem) Bescheid vom 30. November 1992 RAR ab 22. April 1992. Hierbei berücksichtigte sie ua die Monate Januar 1945 bis Dezember 1946 als Ersatzzeiten. Die Klägerin hatte im Verwaltungsverfahren eine Bescheinigung der Ukrainischen SSR (Verwaltung des Inneren, Gebiet Donezk) vom 6. August 1991 vorgelegt. Hiernach war sie 1941 wegen ihrer deutschen Volkszugehörigkeit nach Kasachstan umgesiedelt und erst am 21. Januar 1956 von der Zwangsansiedlung befreit worden.
Im August 1995 beantragte die Klägerin die Neufeststellung ihrer Rente: Es seien weitere Beitrags- und Ersatzzeiten anzurechnen. Die Beklagte entsprach diesem Antrag mit den Neufeststellungsbescheiden vom 2. November 1995, 6. Februar 1996 und 7. Juni 1996 zum Teil. Sie rechnete eine weitere Beitragszeit vom 2. Mai 1938 bis 31. August 1941 an sowie Ersatzzeiten wegen Internierung, Verschleppung und Rückkehrverhinderung bis 31. Dezember 1956. Hingegen lehnte sie die Berücksichtigung von Ersatzzeiten wegen Rückkehrverhinderung auch über den 31. Dezember 1956 hinaus bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres (mit Ablauf des 1. Mai 1987) ab. Denn Ersatzzeiten könnten grundsätzlich nur noch bis längstens 31. Dezember 1956 anerkannt werden. Dies folge aus der mit Wirkung vom 1. Juli 1993 durch Art 1 Nr 10 des Rü-ErgG vom 24. Juni 1993 (BGBl I 1038) eingefügten Ergänzung des § 250 Abs 2 SGB VI um die Regelung der Nr 3. Weitere Ersatzzeiten kämen hiernach nur dann in Betracht, wenn der Versicherte eine Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit ausschließlich aus den dort genannten Gründen nicht ausgeübt habe. Davon könne hier nicht ausgegangen werden. Diese Neuregelung sei gemäß § 300 Abs 2 SGB VI wegen des nach dem 30. September 1993 eingegangenen Überprüfungsantrags anzuwenden (Widerspruchsbescheid vom 31. Oktober 1996).
Klage und Berufung mit dem Ziel der günstigeren Rentenberechnung noch nach dem alten, bis 30. Juni 1993 geltenden Recht sind erfolglos geblieben (Urteil des SG vom 30. Mai 1997, Urteil des LSG vom 26. März 1998). Die Entscheidung des LSG ist im wesentlichen auf folgende Erwägungen gestützt: Zwar sei der bestandskräftig gewordene Rentenbescheid vom 30. November 1992 iS von § 44 SGB X unrichtig gewesen. Die Klägerin sei nicht nur bis 21. Januar 1956, sondern auch nach Aufhebung der Kommandanturaufsicht an der Rückkehr in ihr ursprüngliches Heimatgebiet gehindert worden. Dieser Zustand habe bis zu ihrer Ausreise aus der ehemaligen UdSSR angedauert. Demzufolge habe nach der bei Erlaß des Rentenbescheides gegebenen Sach- und Rechtslage eine Ersatzzeit gemäß § 250 Abs 1 Nr 3 SGB VI auch über den 31. Dezember 1956 hinaus vorgelegen. Diese Zeit sei – soweit nicht schon durch Pflichtbeitragszeiten nach dem FRG belegt – bei der ursprünglichen Rentenberechnung zu Unrecht nicht berücksichtigt worden. Gleichwohl habe die Beklagte bei der Neuberechnung der Rente aufgrund des Zugunstenantrags vom August 1995 zutreffend die neue Rechtslage (§ 250 Abs 2 Nr 3 SGB VI idF des Rü-ErgG vom 24. Juni 1993) berücksichtigt. Danach komme die Berücksichtigung ua einer Ersatzzeit nach dem 31. Dezember 1956 nur noch unter bestimmten Voraussetzungen in Betracht: Allein wegen der dort genannten Gründe (Internierung, Verschleppung, Rückkehrverhinderung, Festgehaltenwerden, Gewahrsam) dürfe keine Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt worden sein. Hiervon könne bei der Klägerin nicht ausgegangen werden. Dies gelte um so mehr, als ihr Versicherungsverlauf selbst während der Internierung bis 1956 und auch danach bis zum Beginn des Altersrentenbezuges im Mai 1975 überwiegend Pflichtbeitragszeiten aufweise. Für die Zeit des Altersrentenbezuges ab Mai 1975 bis zur Aussiedlung sei die Anerkennung einer Ersatzzeit ohnehin durch § 250 Abs 2 Nr 2 SGB VI in der seit dem 1. Juli 1993 geltenden Fassung ausgeschlossen. Zur Anwendbarkeit des neuen Rechts auf den Zugunstenantrag der Klägerin hat sich das LSG auf die Entscheidungen des 13. und des 5. Senats des BSG (Urteile vom 8. November 1995 – 13 RJ 5/95 – SozR 3-2600 § 300 Nr 5, vom 18. Juni 1997 – 5 RJ 36/96 – SozR 3-2600 § 300 Nr 11 und vom 30. Oktober 1997 – 13 RJ 71/96 – SozR 3-2600 § 300 Nr 12) gestützt. Für die Leistungsbewilligung nach § 44 Abs 4 SGB X stehe § 300 Abs 3 SGB VI einer Anwendung der zum Zeitpunkt der Rentenantragstellung geltenden Vorschriften des SGB VI entgegen. Die Sonderregelung des § 300 Abs 2 SGB VI greife nicht ein, weil der nach dieser Vorschrift maßgebende Antrag nicht innerhalb von drei Monaten nach Inkrafttreten der Neuregelung gestellt worden sei. Im übrigen könne sich die Klägerin auch nicht mit Erfolg auf einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch stützen. Es fehle bereits an der erforderlichen Kausalität zwischen einer möglicherweise fehlerhaften Sachbearbeitung und einem sozialrechtlichen Nachteil. Die Klägerin sei nicht gehindert gewesen, gegen den Rentenbescheid vom 30. November 1992 Rechtsbehelfe einzulegen oder zu einem früheren Zeitpunkt einen Neufeststellungsantrag zu stellen.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin ua eine Verletzung von § 44 SGB X und § 300 SGB VI. Entgegen der Rechtsansicht des LSG seien bei der Neuberechnung ihrer Rente nach § 44 SGB X die zum Zeitpunkt der Rentenantragstellung geltenden Rechtsvorschriften anzuwenden. Zwar seien bei Neufeststellungen stets sämtliche Neuregelungen des SGB VI vom Zeitpunkt ihres Inkrafttretens an anzuwenden, wenn der Antrag nach Ablauf der dreimonatigen Ausschlußfrist gestellt werde. Doch dies gelte nicht, wenn wegen eines Fehlers des Versicherungsträgers ein Herstellungsanspruch bestehe. Andernfalls werde der Normzweck des § 44 SGB X in rechtsstaatswidriger Weise ausgehöhlt.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 26. März 1998 und das Urteil des SG Aachen vom 30. Mai 1997 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung der Bescheide vom 30. November 1992, 2. November 1995, 6. Februar 1996 und 7. Juni 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31. Oktober 1996 zu verurteilen, die Regelaltersrente der Klägerin ab 22. April 1992 neu festzustellen und dabei die Zeit vom 1. Januar 1957 bis 1. Mai 1987, soweit in diesem Zeitraum nicht bereits vorrangige Beitragszeiten angerechnet wurden, als Ersatzzeit rentensteigernd zu berücksichtigen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und verweist auf eine Stellungnahme des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger (VDR) vom 20. September 1999.
Mit Beschluß vom 23. Juni 1999 hat der Senat beim 13. Senat des BSG angefragt, ob letzterer der Rechtsauffassung des erkennenden Senats zustimmt, daß bei der Neufeststellung einer Rente und dem SGB VI in einem Zugunstenverfahren (§ 44 SGB X) gemäß § 300 Abs 3 Satz 2 SGB VI nicht die bisher zuerkannten, persönlichen Entgeltpunkte, sondern die sich bei richtiger Anwendung des alten Rechts (hier: § 250 SGB VI in der bis zum 30. Juni 1993 gültigen Fassung) ergebenden persönlichen Entgeltpunkte besitzgeschützt sind. Der 13. Senat hat unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung durch Beschluß vom 1. September 1999 dieser Auslegung zugestimmt.
Entscheidungsgründe
II
Die zulässige Revision der Klägerin ist begründet. Es besteht zwar kein Herstellungsanspruch; die Korrektur eines fehlerhaften Verwaltungsakts richtet sich im Regelfall – wie hier – nach dem in § 44 SGB X abschließend geregelten Zugunstenverfahren (BSG Urteile vom 23. Juli 1986 – 1 RA 31/85 – BSGE 60, 158, 165 f = SozR-1300 § 44 Nr 23 S 59 f und vom 8. November 1995 – 13 RJ 5/95 – SozR 3-2600 § 300 Nr 5 S 11 f). Entgegen der Ansicht der Vorinstanzen und der Beklagten hat die Klägerin aber nach § 44 SGB X Anspruch auf eine RAR, bei deren Berechnung – im Wege der Besitzstandswahrung – die sich nach dem alten (bis 30. Juni 1993 geltenden) Recht ergebenden Entgeltpunkte zugrunde zu legen sind. Dem Anspruch der Klägerin auf Erteilung eines Zugunstenbescheides nach § 44 SGB X (hierzu im folgenden unter ≪1≫) steht die Übergangsvorschrift des § 300 SGB VI nicht entgegen. Der Senat gibt seine entgegenstehende Rechtsprechung auf (hierzu im folgenden unter ≪2≫). Die Beklagte ist verpflichtet, den bindenden Rentenbescheid vom 30. November 1992 – wie dies nach der bis zum 30. Juni 1993 geltenden Rechtslage zutreffend gewesen wäre – für den gesamten Zeitraum bis 1. Mai 1987 (Vollendung des 65. Lebensjahres der Klägerin) zurückzunehmen und bei der Neuberechnung der Rente Ersatzzeiten bis zu diesem Zeitpunkt rentensteigernd anzurechnen (hierzu im folgenden unter ≪3≫). Die nur hinsichtlich der Zeit bis 31. Dezember 1956 erfolgte Rücknahme des bestandskräftigen Bescheides vom 30. November 1992 und die gleichzeitige Neubescheidung unter Anwendung des § 250 Abs 2 Nr 3 SGB VI idF des Rü-ErgG vom 24. Juni 1993 (BGBl I 1038) rückwirkend ab Rentenbeginn (April 1992) sind demnach rechtswidrig.
(1) Der Anspruch der Klägerin auf (teilweise) Rücknahme des bindenden Rentenbescheids vom 30. November 1992 ergibt sich aus § 44 Abs 1 SGB X. Danach ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, daß bei Erlaß dieses Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Ist ein Verwaltungsakt nach § 44 Abs 1 SGB X mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden die Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuchs längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht (vgl § 44 Abs 4 Satz 1 SGB X). Ein solcher Fall liegt hier vor.
Wie bereits das LSG zutreffend ausgeführt hat und auch zwischen den Beteiligten nicht zweifelhaft ist, war der unanfechtbar gewordene Rentenbescheid der Beklagten vom 30. November 1992 nach der im Zeitpunkt seiner Bekanntgabe gegebenen Sach- und Rechtslage rechtswidrig: Für die Zeit vom 1. September 1941 (Verschleppung) bis 1. Mai 1987 waren – soweit die Klägerin in dieser Zeit nicht bereits (vorrangige) Pflichtbeitragszeiten zurückgelegt hat – Ersatzzeiten unzureichend berücksichtigt; demzufolge war die RAR der Klägerin zu niedrig bemessen. Nach den bindenden (vgl § 163 SGG) Feststellungen des LSG war die Klägerin nicht nur bis 21. Januar 1956, sondern auch nach Aufhebung der Kommandanturaufsicht bis zu ihrer Ausreise aus der ehemaligen UdSSR an der Rückkehr in ihr ursprüngliches Heimatland gehindert worden. Damit war der Tatbestand einer Ersatzzeit gemäß § 250 Abs 1 Nr 3 iVm Abs 2 SGB VI in der bis zum 30. Juni 1993 gültigen Fassung des RRG 1992 (BGBl I 2261), zuletzt geändert durch Art 1 des RÜG vom 25. Juli 1991 (BGBl I 1606), in Kraft getreten am 1. Januar 1992 (Art 85 Abs 1 RRG), gegeben. Gemäß § 250 Abs 1 Nr 3 SGB VI in der damaligen Fassung (im folgenden aF) sind Ersatzzeiten ua Zeiten, in denen Versicherte während oder nach Kriegsende an der Rückkehr aus Gebieten außerhalb des jeweiligen Geltungsbereichs der Reichsversicherungsgesetze oder danach aus Gebieten außerhalb des Geltungsbereichs dieser Gesetze, soweit es sich nicht um das Beitrittsgebiet handelt, verhindert gewesen oder dort festgehalten worden sind. Allerdings sind nach § 250 Abs 2 Nr 2 SGB VI aF Ersatzzeiten nicht Zeiten, in denen von der Vollendung des 65. Lebensjahres an außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzbuchs eine Rente wegen Alters oder anstelle einer solchen eine andere Leistung bezogen worden ist. Die am 2. Mai 1922 geborene Klägerin hat ihr 65. Lebensjahr mit Ablauf des 1. Mai 1987 vollendet und von da an (weiterhin) bis zu ihrer Ausreise aus der (ehemaligen) UdSSR eine Altersrente bezogen. Somit waren nach der Sach- und Rechtslage bei Erlaß des Rentenbescheids vom 30. November 1992 Ersatzzeiten bis 1. Mai 1987 berücksichtigungsfähig.
(2) Welches Recht der Neuberechnung der Rente iS des § 44 Abs 4 SGB X zugrunde zu legen ist, ergibt sich aus § 300 SGB VI. Diese am 1. Januar 1992 in Kraft getretene Vorschrift beantwortet die Frage, ob auf einen bestimmten Sachverhalt „altes” oder „neues” Recht Anwendung findet (vgl Senatsurteile vom 18. Juni 1997 – 5 RJ 36/96 – SozR 3-2600 § 300 Nr 11, vom 12. Mai 1998 – B 5 RJ 8/97 R – SozR 3-2200 § 1251 Nr 12 und vom 24. Februar 1999 – B 5 RJ 28/98 R – SozR 3-2600 § 300 Nr 14; ebenso: BSG Urteile vom 8. November 1995 – 13 RJ 5/95 – SozR 3-2600 § 300 Nr 5, vom 30. Januar 1997 – 4 RA 55/95 – SozR 3-2600 § 300 Nr 10, S 38, vom 30. Oktober 1997 – 13 RJ 71/96 – SozR 3-2600 § 300 Nr 12 und vom 30. Oktober 1997 – 13 RJ 3/97 – nicht veröffentlicht). Die Anwendung neuen Rechts unter Berücksichtigung der sich nach altem Recht ergebenden Entgeltpunkte folgt aus § 300 Abs 3 SGB VI. Diese Vorschrift regelt den Fall, daß „eine bereits vorher geleistete Rente neu festzustellen ist” und bestimmt in ihrem Satz 1, daß in diesem Fall die Absätze 1 und 2 des § 300 SGB VI gelten (dazu im folgenden unter a bis c). Satz 2 enthält eine Besitzschutzregelung (dazu im folgenden unter d). § 300 Abs 3 SGB VI ist auch im Rahmen eines Verfahrens nach § 44 SGB X anzuwenden. Dabei kann dahinstehen, ob sich die Anwendbarkeit aus der Vorrangregelung des § 37 SGB I ergibt (so BSG Urteil vom 22. Juni 1994 – 8 RKn 10/93 – SozR 3-5750 Art 2 § 12b Nr 2 – zu der Übergangsregelung des Art 2 § 10c KnVNG) oder durch § 44 Abs 4 SGB X bestimmt wird (so die Urteile des erkennenden Senats vom 18. Juni 1997 – 5 RJ 36/96 – SozR 3-2600 § 300 Nr 11 und vom 12. Mai 1998 – B 5 RJ 8/97 R – SozR 3-2200 § 1251 Nr 12, S 76; ebenso der 13. Senat: Urteile vom 30. Oktober 1997 – 13 RJ 71/96 – SozR 3-2600 § 300 Nr 12, S 55 und – 13 RJ 3/97 – nicht veröffentlicht).
a) § 300 Abs 1 SGB VI bestimmt, daß Vorschriften des SGB VI „vom Zeitpunkt ihres Inkrafttretens” an auf einen Sachverhalt oder Anspruch auch dann anzuwenden sind, wenn bereits vor diesem Zeitpunkt der Sachverhalt oder Anspruch bestanden hat. Diese Grundregel wird allerdings in mehrfacher Weise eingeschränkt.
Nach der – hier nicht einschlägigen – Sonderregelung des § 300 Abs 2 SGB VI ist eine Rente noch nach den alten Rechtsvorschriften zu bewilligen, wenn schon bis zum Zeitpunkt ihrer Aufhebung ein Anspruch darauf bestand und der Anspruch bis zum Ablauf von drei Monaten nach der Aufhebung geltend gemacht wird. Gleichzeitig bestätigt § 300 Abs 2 SGB VI, daß auf einen Antrag, der später als drei Monate nach Außerkrafttreten des alten Rechts gestellt worden ist, neues Recht anzuwenden ist.
Bei laufenden Renten – wie im vorliegenden Fall – ist ferner die Ausnahmeregelung des § 306 Abs 1 SGB VI (Regelung der Rentenhöhe) zu beachten: Bestand Anspruch auf Leistung einer Rente vor dem Zeitpunkt einer Änderung rentenrechtlicher Vorschriften, werden aus Anlaß der Rechtsänderung die einer Rente zugrunde gelegten persönlichen Entgeltpunkte grundsätzlich nicht neu bestimmt. Nach dieser Ausnahmeregelung sollen also allein aus Anlaß einer Rechtsänderung die einer Rente zugrunde gelegten persönlichen Entgeltpunkte grundsätzlich nicht neu bestimmt werden (so übereinstimmend BSG Urteile vom 18. Juli 1996 – 4 RA 108/94 – SozR 3-2600 § 300 Nr 7, vom 30. Januar 1997 – 4 RA 55/95 – SozR 3-2600 § 300 Nr 10, vom 18. Juni 1997 – 5 RJ 36/96 – SozR 3-2600 § 300 Nr 11 und vom 30. Oktober 1997 – 13 RJ 71/96 – SozR 3-2600 § 300 Nr 12).
Gegenüber § 300 Abs 1 bis 4 SGB VI hat zwar die Regelung des § 306 Abs 1 SGB VI grundsätzlich Vorrang (vgl § 300 Abs 5 SGB VI); sie wird jedoch ihrerseits wiederum durch § 300 Abs 3 SGB VI verdrängt (sogenannte Rückausnahme). Hiernach gilt § 300 Abs 1 SGB VI auch dann, wenn nach dem maßgeblichen Zeitpunkt (hier: Inkrafttreten des Rü-ErgG am 1. Juli 1993) eine bereits vorher geleistete Rente neu festzustellen ist und damit persönliche Entgeltpunkte neu zu ermitteln sind (die Fälle des § 300 Abs 2 SGB VI sind auch hier ausgenommen). Wenn sich also der Rentenversicherungsträger – wie vorliegend aufgrund des Antrags nach § 44 SGB X – aus einem anderen Grund als dem (bloßen) Inkrafttreten neuen Rechts erneut mit der Rente befassen und die ihr zugrunde gelegten persönlichen Entgeltpunkte neu zu bestimmen hat, ist auch bei laufenden Renten im Prinzip neues Recht anzuwenden.
b) Ergänzend zu den bisherigen Ausführungen des Senats in seinen Entscheidungen vom 18. Juni 1997 (5 RJ 36/96 – SozR 3-2600 § 300 Nr 11) und 12. Mai 1998 (B 5 RJ 8/97 R – SozR 3-2200 § 1251 Nr 12) ist dabei noch auf folgendes hinzuweisen: Das Zusammenspiel der Regelungen von § 300 und § 306 SGB VI entspricht weitgehend früheren Übergangsregelungen (vgl zB Art 2 § 12b Abs 5 ArVNG bzw AnVNG, Art 2 § 10c Abs 5 KnVNG idF des RAG 1985, BGBl I 913). Nach diesen wurde ebenfalls neues Recht nach seinem Inkrafttreten auch für frühere Versicherungsfälle maßgebend. Diese beschränkte Rückwirkung des neuen Rechts galt jedoch nicht, wenn über einen Anspruch „eine nicht mehr anfechtbare Entscheidung getroffen worden war” (so die Formulierung der zitierten früheren Übergangsregelungen). Dann blieb es (ähnlich wie nach § 306 Abs 1 SGB VI) ungeachtet der Neufassung der für die Rentenberechnung maßgeblichen Vorschriften bei der bisherigen Rentenbewilligung. Anders war es jedoch, wenn eine bindend festgestellte Rente aus anderen Gründen als einer Rechtsänderung, also zB nach den allgemeinen Vorschriften über die Aufhebung von Rentenbescheiden (§§ 44 ff SGB X), neu festgesetzt und die Bestandskraft des Rentenbescheids bereits deshalb durchbrochen wurde. Dann lagen keine zwingenden Gründe vor, für die Berechnung einer Rente das neue Recht weiterhin als für den Anspruch „nicht wesentlich” zu behandeln und für künftige Rentenbezugszeiten außer Betracht zu lassen (vgl BSG Urteile vom 26. März 1987 – 11a RA 62/85 – SozR 5750 Art 2 § 12b Nr 2, vom 9. Juni 1988 – 4/1 RA 57/87 – SozR 2200 § 1255a Nr 19, vom 22. Juni 1994 – 8 RKn 10/93 – SozR 3-5750 Art 2 § 12b Nr 2 und vom 30. Januar 1997 – 4 RA 55/95 – SozR 3-2600 § 300 Nr 10).
Bereits der Gesetzgeber des früheren Übergangsrechts verfolgte damit das Konzept, nach dem Inkrafttreten neuen Rechts grundsätzlich nur noch dieses zur Anwendung zu bringen. Nach altem Recht bewilligte, laufende Renten sollten jedoch in der Regel nach altem Recht unverändert weitergewährt werden; dies verursachte auch keinen Verwaltungsaufwand. Mußte der Versicherungsträger aber aus anderen Gründen als der Gesetzesneuregelung in eine laufende Rente eingreifen, so sollte er nur noch neues Recht anwenden. Diesen Grundgedanken des alten Übergangsrechts hat die Neuregelung des § 300 Abs 3 iVm Abs 1 SGB VI auch nach den Gesetzesmaterialien aufgenommen. Danach ergänzt § 300 Abs 3 SGB VI „die Grundsätze der Absätze 1 und 2 für den Fall, daß eine Rente nach einer bestandskräftigen Feststellung neu festzustellen ist, weil zB nachträglich bisher nicht berücksichtigte Beitragszeiten oder beitragsfreie Zeiten nachgewiesen werden und deshalb die persönlichen Entgeltpunkte neu zu ermitteln sind. Die Neufeststellung erfolgt dann grundsätzlich nach dem zu diesem Zeitpunkt geltenden Recht, wobei die bisher zustehende Rentenhöhe besitzgeschützt ist. Diese Neufeststellung kann ggf auch für Zeiten des Rentenbezugs vor dem Inkrafttreten des neuen Rechts von Bedeutung sein” (BT-Drucks 11/4124, S 206 zu § 291 Abs 3 = § 300 Abs 3 SGB VI).
§ 300 Abs 1 bis 3 und § 306 Abs 1 SGB VI und den Gesetzesmaterialien läßt sich deshalb mit hinreichender Deutlichkeit entnehmen, daß der Rentenversicherungsträger neues Recht auch dann anzuwenden hat, wenn er bei laufenden Renten die Entgeltpunkte neu bestimmen muß.
c) Die Übergangsregelung des § 300 Abs 3 iVm Abs 1 SGB VI ist im Falle der Klägerin anwendbar. Denn die übergangsrechtlichen Grundsätze in § 300 Abs 1 bis 3 SGB VI gelten für alle Änderungen des SGB VI, also nicht nur für den Übergang von der RVO usw zum SGB VI zum 1. Januar 1992. Dies ergibt sich bereits aus dem allgemein gehaltenen Wortlaut, der nicht nur auf das Inkrafttreten des SGB VI zu jenem Datum abstellt; es wird im übrigen durch die Gesetzesmaterialien bestätigt (vgl Begründung zum Entwurf des RRG 1992, BT-Drucks 11/4124, S 206 zu § 291 Abs 1 = § 300 Abs 1 SGB VI; ebenso BSG Urteile vom 30. Oktober 1997 – 13 RJ 71/96 – SozR 3-2600 § 300 Nr 12 sowie vom 30. Oktober 1997 – 13 RJ 3/97 – mwN und vom 9. September 1998 – B 13 RJ 63/97 R – jeweils nicht veröffentlicht).
Dies bedeutet für den vorliegenden Fall, daß das neue Recht, dh hier § 250 SGB VI idF des Rü-ErgG, für den Fall der Neufeststellung der Rente mit Neuermittlung der Entgeltpunkte vom Zeitpunkt seines Inkrafttretens, dh ab 1. Juli 1993 (Art 18 Abs 1 Rü-ErgG), auf das Leistungsverhältnis anzuwenden ist. Folgt man seinem Wortlaut, so stellt § 300 Abs 3 Satz 1 SGB VI insoweit weiterhin nicht auf den Zahlungszeitraum ab, sondern auf den Zeitpunkt des Zugunstenantrags: Ist dieser noch zu Zeiten der Gültigkeit alten Rechts oder in den ersten drei Monaten nach dem Inkrafttreten neuen Rechts (§ 300 Abs 2 SGB VI) gestellt, besteht noch Anspruch auf Neufeststellung auf der Grundlage alten Rechts. Auf einen späteren Zugunstenantrag hingegen ist dann von Anfang an neues Recht anzuwenden, und zwar auch, soweit die vierjährige Rückwirkung nach § 44 Abs 4 SGB X noch einen Zeitraum der Geltung alten Rechts umfaßt.
Soweit der 4. Senat in seinem Urteil vom 30. Januar 1997 (4 RA 55/95 – SozR 3-2600 § 300 Nr 10) die Auffassung vertreten hat, § 300 Abs 1 SGB VI sei dahin zu verstehen, daß er die Anwendung der neuen Vorschriften frühestens für Zeiten ab ihrem Inkrafttreten vorsehe, vermag sich der erkennende Senat deshalb dieser Auffassung nicht anzuschließen. Einer Anfrage beim 4. Senat gemäß § 41 Abs 3 Satz 1 SGG bedurfte es indessen nicht, weil seine Ausführungen für die Entscheidung nicht tragend waren (so bereits der 13. Senat in seinen Entscheidungen vom 30. Oktober 1997 – 13 RJ 71/96 – SozR 3-2600 § 300 Nr 12 und – 13 RJ 3/97 – nicht veröffentlicht). Das Urteil betraf zwar auch ein Zugunstenverfahren nach § 44 SGB X. Der 4. Senat hat in dem dortigen Fall aber letztlich den auf einer Anwendung des neuen Rechts beruhenden Neufeststellungsbescheid bestätigt, weil der Kläger durch die Vorgehensweise der Beklagten (insgesamt günstigere Gesamtleistungsbewertung nach § 263 Abs 3 SGB VI) nicht beschwert war. Soweit der 4. Senat für die von ihm vertretene Auslegung des § 300 Abs 1 SGB VI auf seine Urteile vom 9. Juni 1988 (4/1 RA 57/87 – SozR 2200 § 1255a Nr 19) und vom 18. Juli 1996 (4 RA 108/94 – SozR 3-2500 § 300 Nr 7) verwiesen hat, sieht sich der erkennende Senat auch hierzu nicht in Widerspruch. Beide Urteile betreffen nicht die Neufeststellung einer Rente im Rahmen eines Zugunstenverfahrens nach § 44 SGB X und auch nicht die Feststellung für zurückliegende Zeiträume.
Unter Anwendung des nach § 300 Abs 3 Satz 1 iVm Abs 1 SGB VI maßgeblichen § 250 Abs 2 Nr 3 SGB VI nF steht der Klägerin kein Anspruch auf Berücksichtigung von Ersatzzeiten über den 31. Dezember 1956 hinaus zu. Dies haben die Vorinstanzen zutreffend ausgeführt und ist zwischen den Beteiligten nicht streitig. Nach § 250 Abs 2 Nr 3 SGB VI sind Ersatzzeiten nicht Zeiten, in denen nach dem 31. Dezember 1956 die Voraussetzungen ua des § 250 Abs 1 Nr 3 SGB VI vorliegen, jedoch Versicherte eine Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit auch aus anderen als den dort genannten Gründen – also im Falle der hier einschlägigen Nr 3 dem der Rückkehrverhinderung – nicht ausgeübt haben. Nach den bindenden Feststellungen des LSG kann bei der Klägerin nicht davon ausgegangen werden, daß sie in den betreffenden Lückenzeiträumen allein wegen der Rückkehrverhinderung keine Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit ausgeübt hat.
d) § 300 Abs 3 SGB VI bestimmt allerdings bei Vorliegen seiner Anwendungsvoraussetzungen nicht nur in seinem Satz 1, daß die Rente unter Anwendung des neuen Rechts neu festzustellen ist; vielmehr schreibt Satz 2 vor, daß „§ 88 über die weitere Leistung der Rente aus den bisherigen persönlichen Entgeltpunkten” entsprechend anzuwenden ist. Im Fall einer Zugunstenentscheidung nach § 44 SGB X sind die „bisherigen persönlichen Entgeltpunkte” iS dieser Vorschrift diejenigen, die sich bei richtiger Anwendung des alten Rechts ergeben. Insoweit korrigiert der erkennende Senat seine bisherige Rechtsprechung, wonach die (fehlerhaft) zuerkannten Entgeltpunkte besitzgeschützt sind (vgl Senatsurteile vom 18. Juni 1997 – 5 RJ 36/96 – SozR 3-2600 § 300 Nr 11 und vom 12. Mai 1998 – B 5 RJ 8/97 R – SozR 3-2200 § 1251 Nr 12). Auch der 13. Senat hat seine gegenteilige Auffassung (vgl Urteile vom 8. November 1995 – 13 RJ 5/95 – SozR 3-2600 § 300 Nr 5, vom 30. Oktober 1997 – 13 RJ 71/96 – SozR 3-2600 § 300 Nr 12 sowie vom 30. Oktober 1997 – 13 RJ 3/97 – und vom 9. September 1998 – B 13 RJ 63/97 R – jeweils nicht veröffentlicht) auf Anfrage des erkennenden Senats mit Beschluß vom 1. September 1999 (B 13 RJ 3/99 S) aufgegeben.
aa) Bei § 300 Abs 3 Satz 2 SGB VI handelt es sich – wie sich aus dem Verweis auf § 88 SGB VI ergibt und durch die oben zitierte Gesetzesbegründung bestätigt wird – um eine Besitzschutzregelung. Besitzschutzregelungen wirken einer sonst eintretenden Leistungsverschlechterung entgegen. Wird also eine Bestandsrente nach neuem Recht neu festgestellt und ergibt sich dabei ein geringerer Rentenwert, sind nach § 300 Abs 3 Satz 2 iVm § 88 SGB VI nicht nur bei der rückwirkenden Gewährung, sondern auch bei der künftigen Rente die für den Wert der bisherigen Rente maßgeblichen persönlichen Entgeltpunkte zugrunde zu legen. Die Regelung des § 300 Abs 3 Satz 2 SGB VI weicht zwar von den Besitzschutzregelungen in den früheren rentenrechtlichen Übergangsbestimmungen (zB Art 2 § 12b Abs 3 und 5 AnVNG, Art 2 § 10c Abs 5 KnVNG) ab. In den früheren rentenrechtlichen Übergangsregelungen war der „bisherige Zahlbetrag” garantiert (Art 2 § 12b AnVNG = Art 2 § 10c KnVNG); dieser wurde „eingefroren” (vgl BSG Urteil vom 22. Juni 1994 – 8 RKn 10/93 – SozR 3-5750 Art 2 § 12b Nr 2 – zur früheren Übergangsregelung des Art 2 § 10c Abs 5 KnVNG). Demgegenüber wird nach § 300 Abs 3 Satz 2 iVm § 88 SGB VI die dynamische Rente besitzgeschützt (so auch die Begründung des federführenden Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zur erst während der Gesetzesberatung vorgenommenen Einfügung der Worte „aus den bisherigen persönlichen Entgeltpunkten” im Ausschußbericht-RRG in BT-Drucks 11/5530, S 58 – Begründung zu § 291). Die hieraus folgende Erweiterung des Besitzschutzes spricht aber nicht gegen die Lösung des Senats.
Nach der Rechtsprechung des BSG zum Besitzschutz für den „bisherigen Zahlbetrag” in den Vorgängerregelungen des § 300 SGB VI war dieser abweichend vom üblichen Wortverständnis zu definieren: Es wurde darunter derjenige Rentenbetrag verstanden, der sich im Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Neufeststellung bei richtiger Berechnung der Rente unter Anrechnung der bisherigen (vor Inkrafttreten der von der jeweiligen Übergangsvorschrift des AnVNG bzw KnVNG begleiteten Gesetzesänderung) Werte ergab (BSG Urteile vom 28. Juni 1990 – 4 RA 57/89 – BSGE 67, 104, 122 = SozR 3-1300 § 32 Nr 2 S 24 und vom 22. Juni 1994 – 8 RKn 10/93 – SozR 3-5750 Art 2 § 12b Nr 2). Die sogenannte Zahlbetragsgarantie bezog sich also auf den Rentenbetrag, wie er sich bei von Anfang an richtiger Berechnung ergeben hätte. Diese Auslegung war nicht nur für die Fälle einer Neufeststellung nach § 45 SGB X zwingend; hier verhinderte sie, daß trotz der nach dieser Vorschrift gebotenen Korrektur der bis dahin gezahlte, überhöhte Zahlbetrag festgeschrieben wurde (BSG Urteil vom 28. Juni 1990 – 4 RA 57/89 – aaO). Vielmehr ergab sich nur so auch für Neufeststellungen nach § 44 SGB X eine stimmige Lösung; die Berechtigten wurden nicht durch ein Einfrieren ihrer bis dahin gezahlten, zu niedrigen Rente für ein Vorgehen nach § 44 SGB X (zB einen Zugunstenantrag) auch noch benachteiligt.
Der „bisherige Zahlbetrag” ließ sich nur nach altem Recht ermitteln. Nach der zitierten Rechtsprechung war also in Kauf zu nehmen, daß dadurch – möglicherweise entgegen der Konzeption des Gesetzgebers – die Versicherungsträger bei der Neufeststellung einer laufenden Rente neben dem neuen weiterhin auch das alte Recht anzuwenden hatten.
bb) Daß der Gesetzgeber des SGB VI die geschilderte frühere Rechtslage durch Anknüpfung an die bisherigen Entgeltpunkte grundsätzlich ändern wollte, ist nicht ersichtlich. Im Gegenteil: Sieht man die Neuregelung des § 300 Abs 3 SGB VI vor dem Hintergrund der Vorläuferregelungen in Art 2 der früheren Neuregelungsgesetze und berücksichtigt man die Argumentation, die der früheren BSG-Rechtsprechung zugrunde lag, so müssen auch im geltenden Recht die „bisherigen” persönlichen Entgeltpunkte als diejenigen verstanden werden, die sich aus der richtigen Anwendung des für die Erteilung des ursprünglichen Rentenbescheids maßgeblichen Rechts ergeben.
Nach dem in § 44 SGB X enthaltenen Restitutionsgedanken ist der Berechtigte so zu stellen, als hätte die Verwaltung von vornherein richtig entschieden (vgl BSG Urteile vom 10. September 1987 – 12 RK 27/86 – BSGE 62, 143, 146 f = SozR 5750 Art 2 § 28 Nr 5 S 13 und vom 30. Januar 1997 – 4 RA 55/95 – SozR 3-2600 § 300 Nr 10, S 40). Es wäre unverständlich, § 44 Abs 1 SGB X als zentraler Vorschrift des Verwaltungsverfahrensrechts dadurch im Rentenrecht eines Großteils seiner Wirkung zu berauben, daß den Berechtigten die Korrektur falscher Entscheidungen im Rentenbescheid vorenthalten wird, sie vielmehr auf der bisher gezahlten, zu niedrigen Rente „sitzen gelassen” werden. Hieran ändert auch nichts, daß diese Rente – durch die Anknüpfung des Besitzschutzes an die „persönlichen Entgeltpunkte” statt wie früher an den „Zahlbetrag” – nunmehr dynamisiert ist: Es bliebe das Ergebnis, daß die Berechtigten, zu deren Ungunsten die Verwaltung bei Erteilung des Rentenbescheids einen Fehler gemacht hat, von dessen Wiedergutmachung in jenen Fällen ausgeschlossen würden, in denen – aus Sicht der Betroffenen mehr oder weniger zufällig – nach Erteilung des Rentenbescheids Leistungskürzungen erfolgt sind.
Ebensowenig wie dem Gesetzgeber der Übergangsvorschriften in den früheren Neuregelungsgesetzen kann dem Gesetzgeber der Übergangsvorschriften des SGB VI unterstellt werden, daß er die sonst eintretenden Konsequenzen für die Verfahren nach § 44 SGB X gewollt hat. Abgesehen von etwaigen verfassungsrechtlichen Bedenken sprechen dagegen – wie der 13. Senat in seinem Beschluß vom 1. September 1999 (B 13 RJ 3/99 S) ausgeführt hat – auch rechtssystematische Gründe. Erfolgt nämlich eine Neufeststellung wegen nicht zustehender rentenrechtlicher Zeiten, weil beispielsweise bei der bisherigen Rente zu Unrecht eine Beitragszeit berücksichtigt wurde, ergibt sich unmittelbar aus § 45 SGB X ein Besitzschutz für die nach altem Recht zustehende Rente, weil der Rentenbescheid nach dieser Vorschrift nur insoweit zurückgenommen werden darf, als er rechtswidrig war. Ein nach neuem Recht zu hoher Zahlbetrag könnte allenfalls unter Anwendung der Aussparungsregelung des § 48 Abs 3 SGB X abgeschmolzen werden (vgl Kasseler Komm-Niesel, Stand: November 1997, § 300 RdNr 24 mwN). Wird die Rente aufgrund des Berichtigungsanspruchs für die zurückliegende Zeit nicht in der dem alten Recht entsprechenden Höhe geleistet, können sich Leistungsverschlechterungen auf diese Weise auch bereits für Zeiträume vor dem Inkrafttreten des neuen Rechts ergeben. Dies erscheint einerseits unter dem Gesichtspunkt des verfassungsrechtlich gebotenen Vertrauensschutzes (vgl dazu zuletzt BVerfG Beschluß vom 3. Dezember 1997 – 2 BvR 882/97 – BVerfGE 97, 67, 79) nicht unproblematisch. Andererseits leuchtet aber auch nicht ein, daß sich auf diese Weise im Ergebnis ein Fall des § 45 SGB X für den Versicherten günstiger auswirkt als die Fallgestaltung des § 44 SGB X.
(3) Wendet man § 300 Abs 3 SGB VI in der hier vorgenommenen Auslegung auf den Fall der Klägerin an, bedeutet dies: Auf den Zugunstenantrag vom August 1995 hat die Beklagte zunächst nach § 44 Abs 1 SGB X den Rentenbescheid vom 30. November 1992 zurückzunehmen, soweit darin Ersatzzeiten über den 31. Dezember 1956 hinaus bis 1. Mai 1987 nicht berücksichtigt sind (§ 44 Abs 1 SGB X). Sodann ist die RAR ab Beginn (22. April 1992) neu festzustellen, und zwar nach § 300 Abs 3 Satz 1 SGB VI auf der Grundlage des neuen, im Zeitpunkt des Zugunstenantrags geltenden Rechts (hier: des § 250 Abs 2 Nr 3 SGB VI idF ab 1. Juli 1993). In einer Vergleichsberechnung ist sodann festzustellen, ob auf der Grundlage des nunmehr maßgebenden Sachverhalts (hier: Rückkehrverhinderung bis zum 1. Mai 1987) die der Rente zugrundeliegenden persönlichen Entgeltpunkte unter Anwendung bisherigen Rechts (hier: des § 250 Abs 2 Nr 3 SGB VI idF bis 30. Juni 1993) höher ausfallen; die bis 1. Mai 1987 festgestellten Ersatzzeiten sind dabei zu berücksichtigen, soweit im genannten Zeitraum nicht bereits vorrangige Beitragszeiten angerechnet sind. Hieraus ergeben sich dann die nach § 300 Abs 3 Satz 2 SGB VI besitzgeschützten „bisherigen persönlichen Entgeltpunkte”. Auf deren Grundlage nimmt die Rente an den kommenden Rentenanpassungen teil (dynamischer Besitzschutz, vgl hierzu BSG Urteil vom 18. Juli 1996 – 4 RA 108/94 – SozR 3-2600 § 300 Nr 7, S 27 mwN, – zum Konzept des früheren § 30 Abs 2 Satz 5 AVG). Der (dynamische) Besitzschutz führt mithin dazu, daß der Klägerin die Rente nach den bisherigen persönlichen Entgeltpunkten – dh unter Berücksichtigung der vollen Ersatzzeit – auch in Zukunft weiter zu gewähren ist.
Ohne daß dies im Fall der Klägerin jemals zum Tragen kommen dürfte, sei jedoch darauf hingewiesen, daß die Anwendung des § 300 Abs 3 Satz 2 SGB VI in der Auslegung des Senats lediglich im Wege des Besitzschutzes eine Rente nach den im Zeitpunkt der Erteilung des ursprünglichen Rentenbescheides zustehenden Entgeltpunkten vermittelt: Dies bedeutet, daß jene Entgeltpunkte (so wie nach dem früheren Recht ≪s oben unter 2 d aa≫ der Zahlbetrag) in dem Sinne „eingefroren” werden, daß die betroffenen Versicherten von Rechtsänderungen aufgrund zusätzlich anzurechnender Entgeltpunkte (wie zB geschehen durch Art 82 RRG 1992 für die Rente nach Mindesteinkommen) so lange ausgespart werden, bis die Summe der vor Erteilung des Zugunstenbescheides zuerkannten und der durch Änderung später hinzukommenden Entgeltpunkte die Zahl der „besitzgeschützten” Entgeltpunkte erreicht. Nur so kann dem der Übergangsregelung des § 300 Abs 3 Satz 2 SGB VI zugrundeliegenden Gedanken des (dynamischen) Besitzschutzes Rechnung getragen werden. Ebensowenig wie nach früherem Recht der besitzgeschützte „bisherige Zahlbetrag” dazu führte, daß ab Erteilung des Zugunstenbescheides die Rechtsposition des Betroffenen voll derjenigen eines Rentners entsprach, über dessen Anspruch von vornherein richtig entschieden worden war (s hierzu BSG Urteil vom 22. Juni 1994 – 8 RKn 10/93 – SozR 3-5750 Art 2 § 12b Nr 2), führt nach neuem Recht der Besitzschutz der „bisherigen persönlichen Entgeltpunkte” zu einer völligen Gleichstellung mit jenen, über deren Rentenanspruch der Träger von vornherein richtig entschieden hatte. Dies ist auch der Argumentation der Beklagten entgegenzuhalten, die bemängelt, daß den Betroffenen im Rahmen eines Zugunstenbescheides leistungsverbessernde Rechtsänderungen zugute kämen, die nach § 306 Abs 1 SGB VI auf jene Versicherten keine Anwendung fänden, deren Rentenantrag von vornherein richtig beschieden worden sei. Dies trifft nach der Lösung des Senats in dieser Form nicht zu: Die Versicherten erlangen im Wege des Besitzschutzes nur jene persönlichen Entgeltpunkte, die ihnen bis zur Erteilung des Zugunstenbescheides zustünden, wäre von vornherein richtig entschieden worden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 543176 |
BSGE 85, 151 |
BSGE, 151 |
DStR 2000, 1025 |
NZS 2000, 465 |
SozR 3-2600 § 300, Nr.15 |
SozSi 2000, 393 |