Verfahrensgang
SG Braunschweig (Entscheidung vom 24.11.2015; Aktenzeichen S 42 VE 11/14) |
LSG Niedersachsen-Bremen (Urteil vom 01.07.2019; Aktenzeichen L 10 VE 63/15) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 1. Juli 2019 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
I
Die Klägerin begehrt in der Hauptsache eine Ausgleichsrente nach dem Opferentschädigungsgesetz iVm den Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) für die Zeit von Januar bis April 2005 sowie über Juni 2005 hinaus. Das LSG hat den geltend gemachten Anspruch verneint. Für die Zeit von Januar bis April 2005 scheitere der Anspruch daran, dass sich die Klägerin bis zum 27.5.2005 in einer medizinischen Rehabilitationsmaßnahme befunden habe. Für die Zeit ab Juli 2005 bestehe kein Anspruch auf die begehrte Ausgleichsrente, weil sie nicht schwerbeschädigt iS des § 32 Abs 1 BVG sei (Urteil vom 1.7.2019).
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat die Klägerin Beschwerde beim BSG eingelegt. Sie macht als Zulassungsgründe die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und eine Divergenz geltend.
II
Die Beschwerde der Klägerin ist unzulässig. Ihre Begründung vom 2.9.2019 genügt nicht der gesetzlich vorgeschriebenen Form, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) und der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) nicht in der hierfür erforderlichen Weise dargetan worden sind (vgl § 160a Abs 2 Satz 3 SGG).
1. Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung iS von § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss daher, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (zum Ganzen vgl Senatsbeschluss vom 31.1.2018 - B 9 V 63/17 B - juris RdNr 6; Senatsbeschluss vom 30.11.2017 - B 9 V 35/17 B - juris RdNr 4). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung der Klägerin nicht gerecht.
Die Klägerin trägt vor, die Entscheidung des LSG beruhe auf der "Rechtsfrage, ob das LSG … ohne Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens und somit nur durch die bereits in dem Parallelverfahren eingeholten Gutachten sowie Urteile davon ausgehen durfte, dass keine wesentliche Änderungen der Schädigungsfolgen bei der Klägerin eingetreten sind, die einen Anspruch auf Ausgleichsrente rechtfertigen. Es geht um die abgrenzende Rechtsfrage, wann Gerichte in Bezug auf medizinische Sachverhalte im sozialen Entschädigungsrecht auf Grundlage eigener Sachkenntnis einen Sachverhalt bewerten dürfen und wann die Einholung eines Sachverständigenrats erforderlich ist".
Des Weiteren geht es nach Ansicht der Klägerin um die Rechtsfrage, ob und inwiefern sich Gerichte hinsichtlich ihrer Entscheidung an dem Einzelfall orientieren müssen und jedes Verfahren für sich bewertet werden muss.
Die Klägerin versäumt es bereits, den der Entscheidung des LSG zugrunde liegenden Sachverhalt darzustellen. Eine verständliche Sachverhaltsschilderung gehört jedoch zu den Mindestanforderungen einer Grundsatzrüge. Es ist nicht Aufgabe des Revisionsgerichts, sich im Rahmen des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens die entscheidungserheblichen Tatsachen aus dem angegriffenen Urteil selbst herauszusuchen (vgl stRspr, zB BSG Beschluss vom 12.2.2018 - B 10 ÜG 12/17 B - juris RdNr 7; BSG Beschluss vom 29.9.2017 - B 13 R 365/15 B - juris RdNr 3). Der pauschale Verweis der Klägerin auf die "Sachverhaltszusammenfassung" des LSG reicht im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren nicht (vgl Senatsbeschluss vom 29.5.2019 - B 9 V 15/19 B - juris RdNr 10).
Zudem hat die Klägerin keine Rechtsfrage iS von § 160 Abs 2 Nr 1 SGG bezeichnet. Vielmehr zielen die Fragestellungen auf die Klärung und Bewertung von Tatsachen in ihrem Einzelfall ab und beinhalten im Kern letztlich Fragen der Beweiswürdigung und der Sachaufklärung. Die Zulassung der Revision kann gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Teilsatz 2 SGG aber nicht mit der Behauptung erreicht werden, das LSG habe gegen den Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung verstoßen. Dies gilt nicht nur für den Fall, dass die Beschwerde ausdrücklich eine Verletzung des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG geltend macht, sondern auch dann, wenn sie ihre Angriffe gegen die Beweiswürdigung des LSG in das Gewand einer Grundsatzrüge zu kleiden versucht. Entsprechendes gilt für die Sachaufklärungsrüge. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 Teilsatz 3 SGG ist die Rüge der Verletzung der Sachaufklärungspflicht nach § 103 SGG nur statthaft, wenn sie sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Ein Beschwerdeführer kann diese gesetzlichen Beschränkungen der Verfahrensrüge in § 160 Abs 2 Nr 3 SGG - soweit sie reichen - nicht dadurch umgehen, dass er die Rügen in Fragen von grundsätzlicher Bedeutung kleidet (vgl Senatsbeschluss vom 3.7.2019 - B 9 V 17/19 B - juris RdNr 8; BSG Beschluss vom 28.2.2018 - B 1 KR 65/17 B - juris RdNr 5). Die Klägerin zeigt nicht auf, dass es hier um eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung geht, bei der die gesetzlichen Beschränkungen der Verfahrensrügen nicht greifen.
2. Divergenz iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG liegt vor, wenn die tragenden abstrakten Rechtssätze, die in zwei Entscheidungen zugrunde gelegt worden sind, nicht übereinstimmen. Sie kommt nur dann in Betracht, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem vorhandenen abstrakten Rechtssatz des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des BVerfG aufgestellt hat. Darüber hinaus verlangt der Zulassungsgrund der Divergenz, dass das angefochtene Urteil auf der Abweichung beruht.
Bezogen auf die Darlegungspflicht bedeutet dies: Die Beschwerdebegründung muss erkennen lassen, welcher abstrakte Rechtssatz in der in Bezug genommenen Entscheidung enthalten ist und welcher im Urteil des LSG enthaltene Rechtssatz dazu im Widerspruch steht. Ferner muss aufgezeigt werden, dass auch das Revisionsgericht die höchstrichterliche Rechtsprechung in einem künftigen Revisionsverfahren seiner Entscheidung zugrunde zu legen haben wird (stRspr, zB Senatsbeschluss vom 25.10.2018 - B 9 V 27/18 B - juris RdNr 8 mwN). Auch diese Anforderungen erfüllt die Beschwerdebegründung nicht.
Die Klägerin trägt unter Bezugnahme auf Rechtsprechung des BSG vor, es könne nicht nachvollzogen werden, weshalb keine weiteren Ermittlungen trotz Aufforderung von Amts wegen erfolgt seien. Das LSG sei zu den Ermittlungen verpflichtet, die nach "Lage der Sache" erforderlich seien. Im Rahmen dessen gelte, dass das Gericht von allen Ermittlungsmöglichkeiten Gebrauch machen müsse, die vernünftigerweise zur Verfügung stünden. Das LSG hätte wegen fehlender eigener Sachkenntnis ein weiteres psychiatrisches Sachverständigengutachten einholen müssen. Mit diesem Vorbringen hat die Klägerin keine Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG bezeichnet. Sie benennt weder einen abstrakten Rechtssatz aus einer der von ihr zitierten Entscheidungen des BSG, noch stellt sie einem solchen höchstrichterlichen Rechtssatz einen divergierenden abstrakten Rechtssatz des LSG aus dem angefochtenen Urteil gegenüber.
3. Soweit die Klägerin mit der Rüge, dass die "Vorgehensweise des Gerichts … insofern stark beanstandet" werde, sinngemäß eine fehlerhafte Sachaufklärung (§ 103 SGG) des LSG geltend machen will, erfüllt ihr Vorbringen nicht die notwendigen Darlegungsanforderungen einer Sachaufklärungsrüge (s hierzu allgemein Senatsbeschluss vom 21.12.2017 - B 9 SB 70/17 B - juris RdNr 3). Auf den Verfahrensmangel einer unterlassenen Sachaufklärung (§ 103 SGG) kann sich die Klägerin schon deshalb nicht mit Erfolg berufen, weil sie keinen vor dem LSG bis zuletzt in der mündlichen Verhandlung aufrecht erhaltenen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag benannt hat, den das Berufungsgericht übergangen haben könnte (vgl § 160 Abs 2 Nr 3 Teilsatz 3 SGG).
4. Schließlich war der Senat im Rahmen des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens nicht verpflichtet, den Prozessbevollmächtigten der Klägerin entsprechend seiner Bitte in der Beschwerdebegründung um einen rechtlichen Hinweis, "soweit weitere Ausführungen als nötig erachtet werden", vorab auf die Unzulänglichkeit des Beschwerdevortrags aufmerksam zu machen. Hierauf ist der Prozessbevollmächtigte der Klägerin vom Senat bereits mehrfach hingewiesen worden (vgl zB Senatsbeschluss vom 29.5.2019 - B 9 V 15/19 B - juris RdNr 15; Senatsbeschluss vom 25.7.2019 - B 9 V 23/19 B - juris RdNr 9).
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
5. Die Verwerfung der danach nicht formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
6. Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI13535333 |