Tenor
Dem Großen Senat des Bundessozialgerichts werden nach § 41 Abs 4 des Sozialgerichtsgesetzes folgende Rechsfragen zur Entscheidung vorgelegt:
- Ist für die Beurteilung, ob eine Versicherte der Gruppe mit dem Leitbild der angelernten Arbeiterin im unteren Bereich oder der Gruppe mit dem Leitbild der ungelernten Arbeiterin berufs- oder erwerbsunfähig ist, die konkrete Benennung von Verweisungstätigkeiten erforderlich, wenn sie ihren bisherigen Beruf nicht mehr ausüben und auch sonst nur noch körperlich leichte Arbeiten mit weiteren Einschränkungen verrichten kann ?
- Sind die Fallgruppen, bei denen das Bundessozialgericht bisher die erhebliche Gefahr einer Verschlossenheit des Arbeitsmarktes angenommen hat, als abschließend anzusehen ?
Tatbestand
I
Streitig ist die Gewährung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU), hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit (BU).
Die im Jahre 1936 geborene Klägerin ist jugoslawische Staatsangehörige und wohnt in ihrer Heimat (Serbien). Sie hat keinen Beruf erlernt. In ihrer Heimat hat sie Versicherungszeiten zwischen Juni 1951 und Januar 1970 zurückgelegt, außerdem von April 1983 bis Juni 1987 freiwillige Beiträge wegen Arbeitslosigkeit zur jugoslawischen Sozialversicherung entrichtet. In der Bundesrepublik Deutschland war sie zwischen März 1972 und Juni 1981 als Arbeiterin, zuletzt auf einem Schlachthof, versicherungspflichtig beschäftigt. Bei der letztgenannten Tätigkeit handelte es sich nach der Arbeitgeberauskunft um eine Anlerntätigkeit mit einer Einarbeitungszeit von drei bis vier Monaten.
Mit Antrag vom 14. April 1987 begehrte die Klägerin Rentenleistungen wegen BU bzw EU von der Beklagten, den diese durch Bescheid vom 30. August 1988 mit der Begründung ablehnte, die Klägerin könne unter Berücksichtigung ihres beruflichen Werdegangs noch leichte bis mittelschwere Arbeiten vollschichtig ausüben. Sie sei daher nicht berufsunfähig und erst recht nicht erwerbsunfähig.
Klage und Berufung der Klägerin blieben ohne Erfolg (Urteil des Sozialgerichts ≪SG≫ Landshut vom 10. Januar 1992; Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 12. November 1992). Das LSG hat seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet:
Die am 14. Mai 1992 eingelegte Berufung sei zwar zulässig; insbesondere sei sie fristgerecht eingelegt, weil die Klägerin glaubhaft gemacht habe, das erstinstanzliche Urteil (erst) am 18. Februar 1992 erhalten zu haben. Die Berufung sei aber unbegründet. Unter Berücksichtigung der umfangreichen ärztlichen Befunde sei die Klägerin nicht berufsunfähig und damit auch nicht erwerbsunfähig. Sie leide an einigen noch nicht allzu ausgeprägten Gesundheitsstörungen. Die von ihr in den Vordergrund gestellten Wirbelsäulen- und Sprunggelenksbeschwerden ließen sich nur zum Teil objektivieren. Lediglich im Bereich der Halswirbelsäule seien geringe degenerative Veränderungen festzustellen. Im Bereich der Lendenwirbelsäule hingegen sei die Beweglichkeit ebenso wie im linken Schultergelenk nur geringgradig eingeschränkt. Im Bereich des linken Sprunggelenks bestehe ein Schmerzsyndrom mit Bewegungseinschränkung und geringer Weichteilschwellung. Der arterielle Bluthochdruck habe noch keine größeren Auswirkungen auf Herz und Kreislauf zur Folge, jedoch seien hierdurch die von der Klägerin angegebenen Schwindelattaken zu erklären. Die rezidivierenden Zwölffingerdarmgeschwüre könnten zeitweilige Arbeitsunfähigkeit bedingen, hätten aber keine weiteren Auswirkungen auf das Leistungsvermögen.
Auf psychischem Gebiet leide die Klägerin an einem psychasthenischen Syndrom mit allenfalls subdepressiver Auslenkung der Stimmungslage und nicht wesentlich eingeschränkter affektiver Ausdrucksfülle. Bei den Angstzuständen mit vegetativen Begleiterscheinungen, wie Schweißneigung und Luftnot von ca 1 Minute, handele es sich um Panikattacken, die durch medikamentöse Behandlung wesentlich gebessert werden könnten. Eine wesentliche Einschränkung der Erwerbsfähigkeit werde hierdurch nicht bedingt. In Anbetracht ihrer Gesundheitsstörungen dürfe die Klägerin keine körperlich schweren oder mittelschweren Tätigkeiten mit Zwangshaltung und dem Heben und Tragen von Lasten mehr ausüben. Insbesondere sei eine Überlastung und Dauerbelastung des linken Beines zu vermeiden. Tätigkeiten, die ausschließlich im Gehen oder Stehen ausgeübt würden, schieden ebenfalls aus. Auch Arbeiten unter Zeitdruck und Akkordarbeit seien nicht mehr möglich. Wegen der Schwindelattacken seien Tätigkeiten mit Absturzgefahr (zB Arbeiten auf Leitern und Gerüsten) zu vermeiden. Unter Beachtung dieser Einschränkungen sei die Klägerin aber noch in der Lage, leichte körperliche Arbeiten vollschichtig zu verrichten.
Die Klägerin sei auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar. Sie habe keinen Beruf erlernt und sei nur mit ungelernten bis angelernten Tätigkeiten im unteren Bereich beschäftigt gewesen. Eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder schwere spezifische Leistungsbehinderungen lägen nicht vor, so daß auch insoweit die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit nicht erforderlich sei. Vielmehr sei davon auszugehen, daß ihr zumutbare Tätigkeiten in ausreichendem Umfang vorhanden seien.
Mit der – vom vorlegenden Senat zugelassenen – Revision rügt die Klägerin eine Verletzung der §§ 1246, 1247 der Reichsversicherungsordnung (RVO) sowie der §§ 103, 106 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) und trägt dazu vor:
Ihr stehe wegen ihrer Gesundheitsstörungen und der Vielzahl der vorliegenden qualitativen Leistungseinschränkungen EU-Rente zu, da sie nicht mehr in der Lage sei, eine Erwerbstätigkeit auszuüben. Selbst wenn man von der Einstufung ihrer bisherigen Tätigkeit als der einer ungelernten Arbeiterin ausgehe, sei die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit erforderlich. Eine solche gebe es aber nicht. Sie sei den typischen Anforderungen des allgemeinen Arbeitsmarktes nicht gewachsen. Das LSG hätte sich deshalb gedrängt fühlen müssen, ein berufskundliches Gutachten einzuholen, und daher seine Amtsermittlungspflicht verletzt. Es sei nicht ersichtlich, welche leichten Tätigkeiten es gebe, die unter den vielfältigen Einschränkungen, die das Berufungsgericht festgestellt habe, noch ausgeübt werden könnten. Die Erwerbsfähigkeit einer Person sei konkret und individuell zu betrachten. Eine abstrakte Resterwerbsfähigkeit genüge nicht, wenn es insoweit keine konkrete Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gebe.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
die Urteile des Bayerischen LSG vom 12. November 1992 und des SG Landshut vom 10. Januar 1992 sowie den Bescheid der Beklagten vom 30. August 1988 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr unter Beachtung des Datums der Antragstellung vom 4. April 1987 Rente wegen EU, hilfsweise wegen BU, zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Der vorlegende Senat hat zu den Verhältnissen des allgemeinen Arbeitsmarktes – insbesondere soweit er für erheblich leistungsgeminderte Arbeiter in Betracht kommt – die Arbeitswissenschaftler Prof. Dr. F … (Gesamthochschule K … – Universität –, Institut für Arbeitswissenschaft), Prof. Dr. L … (Universität H …, Institut für Arbeitswissenschaft und Haushaltstechnologie), Dr. B … sowie Dr. P … (beide vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung ≪IAB≫ der Bundesanstalt für Arbeit) schriftlich und – in der Sitzung vom 22. November 1994 – mündlich als Sachverständige gehört.
Entscheidungsgründe
II
Der Senat legt dem Großen Senat des Bundessozialgerichts (BSG) die im Tenor aufgeführten Fragen von grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 41 Abs 4 SGG zur Entscheidung vor, weil er dies zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung für erforderlich hält.
1. Beide Vorlagefragen sind für die Entscheidung des Senats über die Revision der Beklagten gegen das angefochtene Urteil des LSG erheblich. Gegen die Zulässigkeit dieser Revision bestehen keine Bedenken. Die Revision ist begründet, wenn das LSG das erstinstanzliche Urteil zu Unrecht bestätigt hat, mit dem die auf Gewährung von Versichertenrente wegen EU, hilfsweise wegen BU, gerichtete Klage abgewiesen worden ist.
Der Anspruch der Klägerin auf Versichertenrente wegen EU oder BU richtet sich noch nach §§ 1246, 1247 RVO, denn der Rentenantrag ist bereits im April 1987 – also bis zum 31. März 1992 – gestellt worden und bezieht sich auch auf die Zeit vor dem 1. Januar 1992 (§ 300 Abs 2 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches – Gesetzliche Rentenversicherung – ≪SGB VI≫; BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 29).
Nach § 1246 Abs 1 RVO erhält Rente wegen BU die Versicherte, die berufsunfähig ist und zuletzt vor Eintritt der BU eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeführt hat, wenn die Wartezeit erfüllt ist. Unter entsprechenden versicherungsrechtlichen Voraussetzungen wird Rente wegen EU der Versicherten gewährt, die erwerbsunfähig ist (vgl § 1247 Abs 1 RVO). Aus den Feststellungen des LSG zur Dauer der versicherungspflichtigen Beschäftigung der Klägerin in der Bundesrepublik ergibt sich, daß die Wartezeit von 60 Kalendermonaten mit anrechenbaren Versicherungszeiten erfüllt ist (vgl § 1246 Abs 3, § 1247 Abs 3 Satz 1 Buchst a, §§ 1249, 1250 RVO). Da die Vorinstanz den Eintritt von BU oder EU verneint hat, konnte sie es auf sich beruhen lassen, ob die Klägerin davor zuletzt in ausreichendem Umfang versicherungspflichtig beschäftigt gewesen ist (vgl dazu § 1246 Abs 2a, § 1247 Abs 2a RVO). Damit ist das Vorliegen von BU oder EU bei der Klägerin entscheidungserheblich.
Nach § 1246 Abs 2 RVO ist eine Versicherte berufsunfähig, deren Erwerbsfähigkeit infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche ihrer körperlichen oder geistigen Kräfte auf weniger als die Hälfte derjenigen einer körperlich und geistig gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit einer Versicherten zu beurteilen ist, umfaßt alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihr unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufes und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. EU liegt hingegen vor, wenn die Versicherte aufgrund entsprechender gesundheitlicher Beeinträchtigungen auf nicht absehbare Zeit eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit nicht mehr ausüben oder nicht mehr als nur geringfügige Einkünfte durch Erwerbstätigkeit erzielen kann (vgl § 1247 Abs 2 RVO). Da der Versicherungsfall der EU an strengere Voraussetzungen geknüpft ist als derjenige der BU, ist es nicht zu beanstanden, daß das LSG zunächst geprüft hat, ob die Klägerin berufsunfähig ist.
Ausgangspunkt für die Beurteilung der BU ist nach der ständigen Rechtsprechung des BSG der „bisherige Beruf”, den die Versicherte ausgeübt hat (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 107 und 169). Denn ein Versicherungsfall ist nicht eingetreten, solange die Versicherte ihren bisherigen Beruf noch ohne wesentliche Einschränkungen weiter ausüben kann (vgl zB BSG SozR 2200 § 1246 Nr 126). In der Regel ergibt sich der bisherige Beruf einer Versicherten aus deren letzter versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit, die auch dann maßgebend ist, wenn sie nur kurzfristig ausgeübt worden ist, aber zugleich die qualitativ höchste im Berufsleben des Versicherten gewesen ist (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 130 und 164). Wenn gesundheitliche Gründe für die Aufgabe einer früheren Tätigkeit verantwortlich waren, bleibt der Berufsschutz ohne weiteres erhalten, da sich insofern gerade das versicherte Risiko der gesetzlichen Rentenversicherung verwirklicht hat (vgl BSGE 2, 182, 187; BSG SozR Nr 33 zu § 1246 RVO).
Von diesen Grundsätzen ausgehend hat das LSG als bisherigen Beruf der Klägerin zutreffend den einer Fleischereiarbeiterin angesehen. Zwar hat das LSG nicht ausdrücklich festgestellt, ob die Klägerin diesen Beruf noch ausüben kann; es hat sich
auf die Feststellung beschränkt, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt seien für ihr zumutbare Tätigkeiten Arbeitsplätze in ausreichendem Umfang vorhanden. Der vom SG gehörte Sachverständige, auf den sich das LSG zur Beurteilung der Leistungsfähigkeit der Klägerin in vollem Umfang bezieht, hat allerdings eine weitere Erwerbstätigkeit der Klägerin im bisherigen Beruf ausgeschlossen. Unterstellt man – wie offenbar die Vorinstanz – eine Unfähigkeit der Klägerin, ihren bisherigen Beruf auszuüben, so hängt ihr Anspruch auf BU-Rente davon ab, ob es zumindest eine andere Tätigkeit gibt, die ihr sozial zumutbar ist und die sie sowohl gesundheitlich als auch fachlich zu bewältigen vermag.
Die soziale Zumutbarkeit einer Verweisungstätigkeit beurteilt sich nach der Wertigkeit des bisherigen Berufs. Zur Erleichterung dieser Prüfung hat die Rechtsprechung des BSG die Berufe der Versicherten in Gruppen eingeteilt. Diese Berufsgruppen sind ausgehend von der Bedeutung gebildet worden, die Dauer und Umfang der Ausbildung für die Qualität eines Berufes haben. Dementsprechend werden die Gruppen durch die Leitberufe der Vorarbeiterin mit Vorgesetztenfunktion/besonders hoch qualifizierten Facharbeiterin, der Facharbeiterin (anerkannter Ausbildungsberuf mit einer Ausbildungszeit von mehr als zwei Jahren), der angelernten Arbeiterin (sonstiger Ausbildungsberuf mit einer Regelausbildung von bis zu zwei Jahren) und der ungelernten Arbeiterin charakterisiert (vgl zB BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 138, 140). Die Einordnung eines bestimmten Berufes in dieses Mehrstufenschema erfolgt aber nicht ausschließlich nach der Dauer der absolvierten förmlichen Berufsausbildung. Ausschlaggebend hierfür ist allein die Qualität der verrichteten Arbeit, dh der aus einer Mehrzahl von Faktoren zu ermittelnde Wert der Arbeit für den Betrieb. Es kommt auf das Gesamtbild an, wie es durch die in § 1246 Abs 2 Satz 2 RVO am Ende genannten Merkmale (Dauer und Umfang der Ausbildung sowie des bisherigen Berufes, besondere Anforderungen der bisherigen Berufstätigkeit) umschrieben wird (vgl zB BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 33).
Die Tatsachenfeststellungen des LSG reichen nicht aus, um den bisherigen Beruf der Klägerin nach diesen Kriterien bewerten zu können. Allein das Fehlen einer Berufsausbildung macht die Klägerin nicht zu einer ungelernten Arbeiterin iS des Mehrstufenschemas. Ebensowenig erlaubt die Feststellung des LSG, die Klägerin sei nur mit „ungelernten bis einfach angelernten” Tätigkeiten beschäftigt gewesen, eine verläßliche Zuordnung. Soweit das LSG damit ausschließlich auf die Dauer der für die letzte Tätigkeit erforderlichen Einarbeitungszeit – nach Auskunft
des Arbeitgebers drei bis vier Monate – und die Bezeichnung als „Anlerntätigkeit” abgestellt hat, sind andere wichtige Faktoren unberücksichtigt geblieben, die das Gesamtbild eines Berufes prägen. Insbesondere hat das LSG keine Feststellungen zur tarifvertraglichen Einstufung der letzten Tätigkeit getroffen (vgl dazu zB BSG SozR 3-2200 § 1246 Nrn 13, 14). Da eine sichere Einordnung des bisherigen Berufs der Klägerin noch nicht möglich ist, läßt sich auch nicht sagen, welcher Gruppe des Mehrstufenschemas eine für die Klägerin zumutbare Verweisungstätigkeit mindestens zugehören muß. Sozial zumutbar sind ihr nämlich grundsätzlich nur Tätigkeiten, deren Wertigkeit nicht mehr als eine Stufe unterhalb ihres bisherigen Berufs liegt. Zwar kann der vorlegende Senat die noch erforderliche Sachaufklärung im Revisionsverfahren nicht selbst nachholen, einer Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz bedarf es deswegen jedoch nur, wenn der Klägerin die begehrte Rente nicht schon aus anderen Gründen zusteht.
Geht man mit dem Berufungsgericht davon aus, daß die Klägerin zur Gruppe des Mehrstufenschemas mit dem Leitberuf der unteren angelernten Arbeiterin oder dem der ungelernten Arbeiterin gehört, so ist sie – wie das LSG zutreffend erkannt hat – ohne subjektive Zumutbarkeitseinschränkungen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar. Zu prüfen ist dann nur, ob sich Tätigkeiten finden, welche die Klägerin nach ihren Kräften und Fähigkeiten noch verrichten kann.
Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG muß der Versicherten keine Verweisungstätigkeit benannt werden, wo im Einzelfall offensichtlich ist, daß es für sie geeignete Tätigkeiten gibt (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 30, 33, 75). Letzteres ist zB angenommen worden, wenn eine auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbare Versicherte zwar nicht mehr schwere, aber mittelschwere oder leichtere Arbeiten ohne besondere sonstige Einschränkungen verrichten kann (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 30, 75, 81, 90, 104, 136). Diese Regel erfährt dann eine Ausnahme, wenn die Versicherte selbst leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes nur noch mit vielfältigen und/oder erheblichen Einschränkungen ausüben kann (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 81, 90). Dabei müssen diese Einschränkungen so erheblich sein, daß von vornherein ernste Zweifel daran aufkommen, ob die Versicherte mit dem ihr verbliebenen Leistungsvermögen auch in einem Betrieb einsetzbar ist (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nr 104). Danach zwingt bei einer solchen Versicherten (nur) eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung zu konkreter Benennung (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 117, 136).
Diese Kriterien lassen nach Auffassung des vorlegenden Senats hier nicht den eindeutigen Schluß zu, daß der Klägerin zumindest eine Verweisungstätigkeit konkret zu benennen ist. Die vom LSG festgestellten Leistungseinschränkungen halten sich weitgehend noch in dem Rahmen, in welchem das BSG eine pauschale Verweisung auf den allgemeinen Arbeitsmarkt für zulässig gehalten hat (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 90, 104, 117). Immerhin kann die Klägerin jedenfalls noch leichte Tätigkeiten vollschichtig verrichten. Die Arbeiten sollten allerdings nach den bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) nicht in Zwangshaltung, ebensowenig ausschließlich im Gehen oder Stehen ausgeübt werden und auch nicht mit Heben und Tragen von Lasten verbunden sein. Eine Überlastung und Dauerbelastung des linken Beines ist zu vermeiden. Arbeiten unter Zeitdruck und Akkordarbeit sind nicht mehr möglich. Wegen der Schwindelattacken sind Tätigkeiten mit Absturzgefahr zu unterlassen. Insgesamt gesehen liegt dieses Restleistungsvermögen in einem Grenzbereich, der mit den bisherigen Kriterien nicht klar zu beurteilen ist. Insoweit kommt es für die Entscheidung auf die Beantwortung der Vorlagefrage Nr 1 an. Deren Bejahung würde hier die konkrete Benennung einer Verweisungstätigkeit erforderlich machen.
Eine derartige Benennung ist bislang noch nicht vorgenommen worden und kann vom vorlegenden Senat im Revisionsverfahren mangels ausreichender tatrichterlicher Feststellungen auch nicht nachgeholt werden. Die Sache müßte daher zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden, wenn man hier im Sinne der Vorlagefrage Nr 1 eine Benennungspflicht bejaht.
Sollte das LSG bei einer erneuten Behandlung der Sache eine Tätigkeit finden, die die Klägerin nach ihren Kräften und Fähigkeiten noch verrichten kann, so wird es sich auch mit der Frage zu befassen haben, ob nicht insoweit zumindest die erhebliche Gefahr einer Verschlossenheit des Arbeitsmarktes besteht (vgl zB BSG SozR 2200 § 1246 Nr 137 S 440). Der vorlegende Senat sieht es daher als geboten an, der Vorinstanz Hinweise zur Bearbeitung dieses Problembereichs zu geben. In diesem Zusammenhang ist die Vorlagefrage Nr 2 von Bedeutung. Das LSG muß dabei nämlich wissen, ob die vom BSG bislang erarbeiteten Fallgruppen (vgl die Zusammenstellungen bei BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 137, 139) als abschließend anzusehen sind (so BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 41 S 167f) oder ob es bei entsprechenden Entwicklungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auch Erweiterungen geben kann.
Falls der Große Senat des BSG dagegen die Vorlagefrage Nr 1 verneint, wird die Frage Nr 2 für die Entscheidung des vorlegenden Senats insofern unmittelbar erheblich, als er dann selbst eine Verschlossenheit des allgemeinen Arbeitsmarktes prüfen müßte. Auf der Grundlage der berufungsgerichtlichen Tatsachenfeststellungen würde hier keine der dazu vom BSG herausgestellten Fallgruppen vorliegen. Weder ist die Mobilität der Klägerin erheblich eingeschränkt, noch ist sie auf unübliche Arbeitsbedingungen (zB zusätzliche Pausen) angewiesen. Ohne daß eine konkrete Verweisungstätigkeit benannt worden ist, läßt sich auch nicht sagen, daß die Klägerin nur in Teilbereichen eines bestehenden Tätigkeitsfeldes eingesetzt werden kann, daß die an sich für sie geeigneten Arbeitsplätze typischerweise nur betriebsintern vergeben werden (zB als sog „Schonarbeitsplätze”) oder daß die in Betracht kommenden Arbeitsplätze nur in ganz geringer Zahl vorhanden sind. Sofern der Fallgruppenkatalog des BSG zur Seltenheit zugänglicher Arbeitsplätze nicht als abschließend angesehen werden muß, wäre weiter zu fragen, ob nicht aus anderen Gründen zumindest die erhebliche Gefahr einer Verschlossenheit des Arbeitsmarktes besteht. Eine Modifizierung des Kataloges könnte gerade dann geboten sein, wenn man eine Pflicht zur Benennung einer Verweisungstätigkeit verneint und somit die Verschlossenheitsprüfung bezogen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt vornehmen muß.
2. Nach Auffassung des Senats sind die hiermit vorgelegten Fragen von grundsätzlicher Bedeutung. Sie betreffen eine große Zahl von Fällen, weil es auf sie immer dann ankommt, wenn erheblich leistungsgeminderte Versicherte aus den Gruppen der ungelernten und unteren angelernten Arbeiterinnen und Arbeiter Versichertenrente wegen BU oder EU begehren. Daraus ergeben sich in der Praxis erhebliche rechtliche, wirtschaftliche und soziale Auswirkungen. Einer Klärung dieser Fragen durch den Großen Senat des BSG bedarf es aus folgenden Gründen:
a) Soweit es die Vorlagefrage Nr 1 betrifft, würde ihre Bejahung insoweit eine Weiterentwicklung der bisherigen Rechtsprechung des BSG (vgl zB BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 104, 117, 136; SozR 3-2200 § 1247 Nr 8) bedeuten, als es auf die Kriterien „Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen” und „spezifische Leistungsbehinderung” nicht mehr ankäme. Der Bereich einer pauschalen Verweisung auf den allgemeinen Arbeitsmarkt würde dadurch eingeengt. Im Ergebnis würde die Benennungspflicht in etwa der Tendenz entsprechen, die der 4. Senat des BSG in seinem Urteil vom 25. Januar 1994 (SozR 3-2200 § 1246 Nr 41 S 171) erkennen läßt. Danach muß eine konkrete Verweisung jedenfalls dann stattfinden, wenn gesundheitliche Einschränkungen vorliegen, welche die Einsetzbarkeit in körperlich leichten Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zusätzlich begrenzen (BSG aaO S 171). Gerade weil die bisherige Rechtsprechung durch die genannte Entscheidung des 4. Senats in Fluß geraten ist, erscheint eine klare Abgrenzung durch den Großen Senat des BSG geboten.
Hierzu ist es zunächst erforderlich, die Gründe, die zu dem Verweisungskonzept des BSG geführt haben, klar herauszuarbeiten; alsdann ist zu prüfen, inwieweit sich die zugrunde gelegten Bedingungen des Arbeitsmarktes verändert haben und welche Folgerungen sich hieraus im Rahmen dieses Konzepts ergeben. Das BSG hat in ständiger Rechtsprechung hervorgehoben, daß einer Versicherten, die ihren bisherigen Beruf nicht mehr ausüben kann, die Rente grundsätzlich nur versagt werden darf, wenn ihr eine konkrete Verweisungstätigkeit benannt wird (vgl SozR 2200 § 1246 Nrn 109 und 143; SozR 3-2200 § 1246 Nr 45). Dies ist zum einen erforderlich, damit das Restleistungsvermögen der Versicherten mit den Anforderungen dieser Tätigkeit abgeglichen und festgestellt werden kann, ob sie dem Verweisungsberuf gewachsen ist. Zum anderen ergibt sich diese Notwendigkeit verstärkt dort, wo der Verweisungsbereich eingeengt ist, weil man in diesen Fällen nicht sicher sein kann, daß es geeignete Verweisungstätigkeiten gibt, die auch sozial zumutbar sind (BSG aaO). Dementsprechend hat das BSG in seiner Rechtsprechung zur BU bei Verweisung von Facharbeitern mit Vorgesetztenfunktion, besonders hochqualifizierten Facharbeitern sowie Facharbeitern stets die konkrete Benennung von Verweisungstätigkeiten gefordert (vgl SozR 2200 § 1246 Nr 109), später dann auch für Angelernte des oberen Bereichs (vgl SozR 2200 § 1246 Nrn 109 und 143; SozR 3-2200 § 1246 Nr 45).
Eine Ausnahme hat das BSG nur dort zugelassen, wo es angenommen hat, daß das Vorhandensein von Verweisungstätigkeiten offensichtlich ist (vgl SozR 2200 § 1246 Nr 90 S 285). Diese Voraussetzung hat es als gegeben angesehen, wo eine Verweisung auf den allgemeinen Arbeitsmarkt in Betracht kommt. Das sei dort der Fall, wo es um das Vorliegen von EU oder darum gehe, ob ungelernte Arbeitnehmerinnen und angelernte Arbeitnehmerinnen des unteren Bereichs berufsunfähig seien. Hier bestehe grundsätzlich wenig Gefahr, daß die Versicherte, die noch vollschichtig tätig sein könne, auf Arbeiten verwiesen werde, die in der Wirklichkeit der Berufswelt nicht oder kaum aufzufinden seien (vgl SozR 2200 § 1246 Nr 81 S 252 unten, Nr 90 S 285). Das BSG hat jedoch dort, wo es diese Voraussetzungen nicht mehr als erfüllt ansah, wiederum eine Benennung von Verweisungstätigkeiten für erforderliche gehalten.
Das Erfordernis einer konkreten Abgleichung von Leistungsvermögen und Verweisungstätigkeit, das zur Benennung mindestens einer Verweisungstätigkeit zwingt, wird deshalb bejaht, wenn die Versicherte wegen einer spezifischen Leistungsbehinderung oder einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 117 und 136) – insbesondere dann, wenn diese dazu führen, daß sie nur noch unter unüblichen Arbeitsbedingungen arbeiten kann (vgl BSG aaO Nr 136) – nur in einem sehr engen Spektrum verweisbar ist.
Diese Übersicht zeigt, daß die Einschränkung der Erforderlichkeit, Verweisungstätigkeiten zu benennen, eng mit der Einschätzung der Gegebenheiten des Arbeitsmarktes verknüpft ist. Nur dort, wo wegen der Vielfalt der sich bietenden Verweisungstätigkeiten eine Abgleichung zwischen dem Restleistungsvermögen der Versicherten und den Anforderungen einer konkreten Verweisungstätigkeit überflüssig erscheint und wo auch unter dem Gesichtspunkt der sozialen Zumutbarkeit keine Einengung auf ein begrenztes Verweisungsspektrum stattfindet, entfällt das Benennungserfordernis.
Insoweit ergeben die Ausführungen der in diesem Verfahren gehörten Sachverständigen gewichtige Anhaltspunkte, die Veranlassung geben, die genannten vor 10 bis 20 Jahren entwickelten Einschätzungen des BSG zu den für die Verweisbarkeit maßgeblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes zu überprüfen. Zumindest deuten die von den Sachverständigen aufgezeigten Verhältnisse der heutigen Arbeitswelt darauf hin, daß man jedenfalls bei Versicherten der Gruppe mit dem Leitbild der angelernten Arbeiterin im unteren Bereich und der Gruppe mit dem Leitbild der ungelernten Arbeiterin, die ihren bisherigen Beruf nicht mehr ausüben und auch sonst nur noch körperlich leichte Arbeiten mit weiteren Einschränkungen verrichten können, ohne konkrete Verweisung nicht mehr sicher sein kann, daß es für sie noch geeignete Arbeitsplätze auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt. Dieser Eindruck besteht unabhängig davon, daß die von den Sachverständigen Prof. Dr. F … und Prof. Dr. L … zugrunde gelegten Erhebungen nicht alle Bereiche des Arbeitsmarkts erfassen; denn sie decken jedenfalls große und wichtige Teile des Arbeitsmarktes ab.
Die Zahl der Beschäftigten ohne Berufsausbildung hat sich in den letzten Jahren sehr verringert. Zwar umfaßt diese Gruppe auch qualifiziertere Arbeiter und Arbeiterinnen, die über keinen formalen Ausbildungsabschluß verfügen; jedoch gilt der zu beobachtende Trend gerade auch für Arbeitsplätze im ungelernten Bereich (vgl Prof. Dr. F …, Gutachten S 11, Anlage zum Protokoll der Senatssitzung vom 22. November 1994 ≪Prot≫ S 13). Der stark rückläufige Arbeitskräftebedarf für einfache Arbeiten läßt sich auch daran ablesen, daß sich die Zahl der ungelernten Erwerbslosen gegenüber dem Durchschnitt erheblich erhöht hat (vgl dazu auch Schimanski, SozVers 1991, 169, 174). Auch wenn der Anteil der Beschäftigten ohne beruflichen Ausbildungsabschluß in verschiedenen Branchen noch recht hoch ist (vgl Prof. Dr. F …, Gutachten S 2), kann daraus nicht der Schluß gezogen werden, daß insoweit noch ausreichend viele Arbeitsplätze für Leistungsgeminderte zur Verfügung stehen. Denn ein bedeutender Teil dieser Tätigkeiten ist mit erheblichen Belastungen durch ungünstige Arbeitsbedingungen und starke Körperbeanspruchung verbunden (vgl Prof. Dr. F …, Gutachten S 13, 21, Prot S 12f; Prof. Dr. L …, Gutachten S 4f), denen Versicherte, die nur noch leichtere Arbeiten mit weiteren Einschränkungen verrichten können, häufig gerade nicht ausgesetzt werden dürfen. Schon hierin zeigt sich eine deutliche Einengung des Verweisungsfeldes und auch die Notwendigkeit, Restleistungsvermögen der Versicherten und Anforderungsprofil der Verweisungstätigkeit konkret abzugleichen.
In dem Bereich der körperlich leichten Arbeiten kommen immer mehr neue Produktions- und Organisationskonzepte zum Einsatz, die zu einer tiefgreifenden Veränderung der Arbeitsbedingungen führen. Dadurch fallen gerade solche einfachen Arbeitsplätze fort, die bislang für physisch Leistungsgeminderte in Betracht kamen. So macht der verstärkte Einsatz von elektronischer Datenverarbeitung viele Hilfstätigkeiten überflüssig. Darüber hinaus werden einfache Einzelverrichtungen bei der Einführung von Gruppenarbeit und durch andere Veränderungen der Arbeitsstrukturen „lean production”) mit qualifizierten Aufgaben auf einem Arbeitsplatz zusammengefaßt, der dann an die fachliche Fähigkeit und Flexibilität der Arbeitnehmerin Anforderungen stellt, die Leistungsgeminderte aus den Gruppen mit den Leitberufen der ungelernten und unteren angelernten Arbeiterin nicht mehr ohne weiteres erfüllen können. Gerade ältere Arbeiterinnen mit geringer beruflicher Qualifikation werden den damit verbundenen psychomentalen Belastungen häufig nicht mehr gewachsen sein (s dazu Prof. Dr. L …, Gutachten S 3 unten, S 4 unten/5; Prof. Dr. F …, Gutachten S 4, 6 ff, Prot S 6,7).
Eine weitere Einschränkung der Verweisungstätigkeiten wird dadurch hervorgerufen, daß die Arbeitsplätze, die für den betreffenden Personenkreis vom Leistungsvermögen her noch in Betracht kommen, dem Arbeitsmarkt offenbar weitgehend nicht zur Verfügung stehen. Hierzu ist darauf hinzuweisen, daß nach den Erkenntnissen von Prof. Dr. F … (Gutachten S 13, 21; Prot S 3 unten, 4 Mitte, 5 unten/6, 8 Mitte) und Prof. Dr. L … (Prot S 46-48) Arbeitsplätze für ungelernte leichte Tätigkeiten fast nur noch betriebsintern besetzt werden. Die Arbeitgeber haben insoweit bereits Schwierigkeiten, leistungsgeminderte Angehörige der Belegschaft unterzubringen, die einen weitgehenden Kündigungsschutz genießen oder aus Gründen der Fürsorgepflicht im Arbeitsverhältnis gehalten werden sollen.
Schließlich haben die Sachverständigen auch darauf hingewiesen, daß der Arbeitsmarkt, auf dem ungelernte Arbeitnehmerinnen noch eine Stelle finden können, weit heterogener ist, als das BSG bisher unterstellt hat. Die Annahme, daß sich allgemeine Hilfstätigkeiten von Betrieb zu Betrieb und von Arbeitsplatz zu Arbeitsplatz nur wenig unterscheiden (BSG SozR 2200 § 1246 Nr 81 S 252), fand insoweit keine Bestätigung. Prof. Dr. L … hat auf einen erheblichen Streubereich der Anforderungen hingewiesen (Gutachten S 1, 6, Prot S 14). Dr. P … hat dies aus der Sicht des IAB bestätigt (Prot S 16 f). Prof. Dr. F … hat diese Erkenntnisse mit dem Hinweis ergänzt, daß deshalb eine präzisere Beschreibung der Leistungs- und Einsatzfähigkeit gefordert werden muß, als dies bisher geschieht (Gutachten S 18f).
Die danach hier in Betracht zu ziehende Notwendigkeit der Benennung von Verweisungstätigkeiten scheitert nicht daran, daß die Bezeichnung von Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unmöglich wäre. Allerdings hatte das BSG seine Auffassung, daß die Benennung von Verweisungstätigkeiten bei Verweisung auf den allgemeinen Arbeitsmarkt nicht erforderlich sei, auch damit begründet, daß die nicht oder nur ganz gering qualifizierten Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes sich einer knappen und kennzeichnenden Benennung entzögen. Dieser Umstand enthebe die Versicherungsträger und Gerichte der sonst bestehenden Pflicht, in dem genannten Bereich Verweisungsberufe konkret zu bezeichnen (BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 81, 90, 104, 136). Auch dieser These kann aus rechtlichen wie aus tatsächlichen Gründen nicht mehr gefolgt werden. Hält man eine Ausweitung des Benennungserfordernisses wegen der Einengung des Verweisungsfeldes und der Heterogenität des allgemeinen Arbeitsmarktes im Hinblick auf eine notwendige versicherungsrechtliche Gleichbehandlung der unteren Arbeitnehmergruppen für geboten, so könnten bestehende Ermittlungsschwierigkeiten allenfalls dann ausschlaggebend sein, wenn sie unüberwindbar wären. Das ist aber nicht der Fall. Schon bisher ist eine Benennung von Verweisungstätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gefordert worden bei Verweisung von Angelernten des oberen Bereichs (BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 109, 143; SozR 3-2200 § 1246 Nr 45). Mit diesen Anforderungen hat die Praxis seit längerem gearbeitet, und es hat sich dabei gezeigt, daß konkrete Verweisungen auf Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts, zB mit Hilfe berufskundiger Sachverständiger der Arbeitsverwaltung oder berufskundlicher Dokumentationen, möglich sind. Auch die im Termin gehörten Sachverständigen haben dies bestätigt.
Allerdings ist insbesondere nach Auffassung von Prof. Dr. L … für eine arbeitswissenschaftlich abgesicherte Verweisung von leistungsgeminderten Versicherten eine umfangreiche, möglichst flächendeckende Analyse der in Betracht kommenden Arbeitsplätze erforderlich. Ohne diese lasse sich kein Raster von Anforderungs- und Belastungsprofilen typischer ungelernter Tätigkeiten entwickeln (s Gutachten S 8, Prot S 24 ff). Darüber hinaus ist aber vor allem von Prof. Dr. F … dargelegt worden, daß auch ohne diese optimale Grundlage branchenbezogen und regional in relativ kurzer Zeit Erkenntnisse gesammelt werden können, die heute schon einen hinreichenden Überblick über in Betracht kommende Arbeitsplätze bieten (Prot S 18/19/20 ff). Deshalb stellt das gegenwärtige Fehlen hinreichenden, arbeitswissenschaftlich aufgearbeiteten Datenmaterials allenfalls ein vorübergehendes Benennungserschwernis dar, das nach Auffassung des Sachverständigen Prof. Dr. L … bei entsprechendem Mitteleinsatz bereits in zwei bis drei Jahren beseitigt werden kann. Dementsprechend können die noch unzulängliche Arbeitsmarkttransparenz und die damit verbundenen Ermittlungsschwierigkeiten schon gegenwärtig nicht und erst recht nicht auf Dauer einer an sich aus Gründen der versicherungsrechtlichen Gleichbehandlung notwendigen Bezeichnung von Verweisungstätigkeiten entgegengehalten werden.
Die von den Sachverständigen gewonnenen Erkenntnisse wirken sich auch dahin aus, daß bei konkreter Benennung einer Verweisungstätigkeit des allgemeinen Arbeitsmarktes nicht ohne besondere Prüfung von einer ausreichenden Zahl von Arbeitsplätzen ausgegangen werden kann, die für die Versicherte in Betracht kommen. Es sind dabei die bereits erörterten Veränderungen in den Anforderungs- und Belastungsprofilen ungelernter Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu berücksichtigen und auch der Umstand, daß sich Versicherte der unteren Arbeiterinnengruppen (Ungelernte, Angelernte im unteren Bereich) bei der Bewerbung um entsprechende Arbeitsplätze auch der Konkurrenz durch (leistungsgeminderte) Facharbeiterinnen und Facharbeiter sowie angelernte Arbeiterinnen und Arbeiter des oberen Bereichs gegenübersehen. Angesichts eines derart strukturierten und umfangreichen Bewerberpotentials werden entsprechend große Zahlen an Arbeitsplätzen verlangt werden müssen (vgl dazu BSG SozR 2200 § 1246 Nr 110 S 352 ff). Insofern dürfte es regelmäßig nicht mehr ausreichen, lediglich auf eine tarifvertragliche Erfassung solcher Arbeitsplätze hinzuweisen.
b) Die Vorlagefrage Nr 2 sollte durch den Großen Senat geklärt werden, weil sich der vorlegende Senat, der diese Frage verneinen möchte, damit in Widerspruch zu einer vom 4. Senat des BSG – wohl als obiter dictum – geäußerten, aber nicht näher begründeten Rechtsauffassung setzen würde. In seiner Entscheidung vom 25. Januar 1994 (BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 41 S 167f) hat der 4. Senat nämlich ausgeführt, daß er das Bestehen der erheblichen Gefahr einer Verschlossenheit des Arbeitsmarktes durch eine abschließende, dh nicht ausdehnbare Auflistung von seltenen Tätigkeiten (Katalogfälle) umgrenzt habe.
Nach Auffassung des vorlegenden Senats spricht bereits die kontinuierliche Entwicklung des Fallgruppenkatalogs anhand von Einzelfallentscheidungen dagegen, daß es sich um eine abschließende Auflistung handelt. Zwar mag der Katalog bei seiner Zusammenstellung im Jahre 1986 (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 137, 139) die bisherige Rechtsprechung zur Verschlossenheit des Arbeitsmarktes vollständig erfaßt haben, auch mögen damals keine Anhaltspunkte für das Vorhandensein weiterer Fallgruppen ersichtlich gewesen sein, gleichwohl wird man aber die Möglichkeit nicht ausschließen können, daß mit Rücksicht auf neuere Entwicklungen des Arbeitsmarktes ein Erweiterungsbedarf auftritt. Da der Katalog die Untergruppen „seltener” Verweisungstätigkeiten vollständig enthalten soll, wird er allen tatsächlichen Veränderungen Rechnung tragen müssen, die für leistungsgeminderte Versicherte zusätzliche Einschränkungen des Zugangs zu vorhandenen Arbeitsplätzen mit sich bringen.
Entscheidend ist, daß sich jede Ausdehnung des Fallgruppenkatalogs zur Verschlossenheit des Arbeitsmarktes an den gesetzlichen Vorgaben orientiert, wie sie von der Rechtsprechung des BSG herausgearbeitet worden sind. Solange diese Bedingung erfüllt ist, handelt es sich nicht um eine unzulässige Rechtsfortbildung, sondern um die Erfassung tatsächlicher Gegebenheiten des Arbeitsmarktes. Ausgangspunkt der bisherigen Rechtsprechung ist dabei der Gedanke, daß die Versicherte nur dann auf eine verbliebene Erwerbsfähigkeit verwiesen werden kann, wenn dafür in der Arbeitswelt, wie sie sich gerade tatsächlich darstellt, eine reale Chance der Verwirklichung besteht, wenn also eine nicht nur theoretische Möglichkeit vorhanden ist, einen entsprechenden Arbeitsplatz zu erlangen (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nr 110 S 353).
Diese Rechtsauffassung kann sich insofern auf die geltenden gesetzlichen Bestimmungen stützen, als § 44 Abs 2 SGB VI (ähnlich bereits § 1247 Abs 2 RVO) darauf abstellt, ob die Versicherte wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande ist, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben oder Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen in bestimmter Mindesthöhe zu erzielen. Da sich die Ausübung einer Erwerbstätigkeit ebenso wie die Erzielung von Erwerbseinkünften nicht „im luftleeren Raum” abspielt, dürfen die Verhältnisse des Arbeitsmarktes bei der Beurteilung der Erwerbsfähigkeit nicht außer Betracht bleiben.
Bedeutsam ist allerdings, daß die Erwerbsfähigkeit der Versicherten durch Krankheit oder Behinderung verlorengegangen sein muß. Nach dem im Sozialrecht geltenden Grundsatz der wesentlichen Mitverursachung muß die gesundheitliche Beeinträchtigung – neben anderen Umständen – zumindest gleichwertig an dem Wegfall der Erwerbsfähigkeit mitgewirkt haben. Ist eine Erwerbstätigkeit der Versicherten dagegen allein schon aus anderen Gründen (etwa wegen ihres Alters oder hoher konjunktureller Arbeitslosigkeit) praktisch ausgeschlossen, so ist der Tatbestand der Erwerbsunfähigkeit zu verneinen. Dies ist der Fall, solange die Versicherte gesundheitlich noch in der Lage ist, ihren „bisherigen Beruf” auszuüben, ihr der Zugang zu entsprechenden Arbeitsplätzen jedoch durch andere Faktoren verwehrt ist. Scheiden dagegen Tätigkeiten in ihrem bisherigen Beruf aus Gesundheitsgründen aus, wird dieser Umstand als wesentliche Bedingung für den Verlust der Erwerbsfähigkeit anzusehen sein, wenn der Versicherten der Arbeitsmarkt ansonsten aus anderen Gründen verschlossen ist.
Diese Grundsätze sind auch bei der bisherigen Entwicklung des Fallgruppenkatalogs zur Verschlossenheit des Arbeitsmarktes maßgebend gewesen. Anders als bei Teilzeittätigkeiten (vgl dazu BSGE 43, 75, 79 ff = SozR 2200 § 1246 Nr 13) geht die Rechtsprechung des BSG bislang bei Vollzeittätigkeiten davon aus, daß es für sie zugängliche Arbeitsplätze in ausreichendem Umfange gibt und damit der Arbeitsmarkt für die Versicherte offensteht. Eine entsprechende Prüfung im Einzelfall braucht insoweit regelmäßig nicht vorgenommen zu werden. Anders verhält es sich allerdings dann, wenn Umstände vorliegen, die zumindest die erhebliche Gefahr einer Verschlossenheit des Arbeitsmarktes bedingen. Dann muß der Versicherten ein konkreter, für sie zugänglicher Arbeitsplatz nachgewiesen werden. Derartige „Verschlossenheitsgründe” können nach dem vom BSG aufgestellten Fallgruppenkatalog zum einen wesentlich auf den gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Versicherten beruhen, zB wenn dieser die notwendige Mobilität fehlt (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 19, 22; SozR 3-2200 § 1247 Nr 10) oder sie nicht mehr unter betriebsüblichen Bedingungen tätig sein kann (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 19, 22; SozR 3-2200 § 1247 Nr 14). Zum anderen kann sich eine Verschlossenheitsgefahr auch aus einer verbreiteten Verhaltensweise der Arbeitgeber bei der Besetzung entsprechender Arbeitsplätze ergeben, wenn letztere nämlich (zB als sog Schonarbeitsplätze) aus sozialen oder anderen nicht mit der gesundheitlichen Leistungsfähigkeit einer Bewerberin zusammenhängenden Gründen typischerweise nur betriebsintern vergeben werden (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 71, 86, 101, 110).
Soweit die Anhörung der Sachverständigen ergeben hat, daß fachlich einfache und zugleich körperlich leichte Arbeitsplätze in den seltensten Fällen noch von außen besetzt werden (vgl Prof. Dr. F …, Gutachten S 13 Prot S 37 f; Prof. Dr. L …, Prot S 46 ff), kann dieser Umstand bereits mit dem vorhandenen Katalog erfaßt werden. Neu dürfte lediglich sein, daß damit in bestimmten Bereichen die Gefahr einer Verschlossenheit des Arbeitsmarktes von der Ausnahme zur Regel geworden zu sein scheint. Die Einführung neuer Technologien verbunden mit leistungsorientierten Produktions- und Organisationskonzepten hat die Arbeitgeber weithin in die Lage versetzt, Arbeitsplätze, die für gering qualifizierte, leistungsgeminderte Arbeiterinnen geeignet sind, nur dort zu erhalten oder neu zu schaffen, wo dies zur Vermeidung sozialer Härten für die Stammbelegschaft geboten erscheint. Die betriebliche Arbeitsteilung ist damit zu einem immer flexibler und schneller ablaufenden Prozeß geworden (vgl Prof. Dr. F …, Gutachten S 20 f; Prot S 5). Dies könnte zu der Folgerung führen, daß bei der Verweisung auf ungelernte Tätigkeiten dann, wenn nur noch leichte Tätigkeiten mit weiteren Einschränkungen verrichtet werden können, das Vorhandensein von Arbeitsplätzen, die von außen zugänglich sind, grundsätzlich nachgewiesen oder ein zugänglicher Arbeitsplatz bezeichnet werden muß.
Eine besondere Problemgruppe stellen die älteren, erheblich leistungsgeminderten ungelernten oder geringgradig angelernten Arbeiterinnen und Arbeiter dar (vgl Prof. Dr. F …, Gutachten, S 21 f; Dr. B … und Dr. P …, Gutachten S 4, 13; Prot S 30 ff). Diese sind in besonderem Maße von Dauerarbeitslosigkeit betroffen. Darin kommt die geringer werdende Bereitschaft der Unternehmen zum Ausdruck, ältere Personen einzustellen. Allerdings haben sich die Sachverständigen außerstande gesehen, eine annähernd gesicherte Aussage zu treffen, daß die gesundheitlichen Einschränkungen im Vergleich zu den anderen einstellungshemmenden Faktoren (Alter, Langzeitarbeitslosigkeit und fehlende Berufsausbildung) bei der Frage eines erschwerten Zuganges zu den Arbeitsplätzen einen etwa gleichen Stellenwert einnähmen (vgl Prot S 41 ff). Gleichwohl könnte für den im einzelnen noch näher zu umschreibenden Personenkreis eine Erweiterung des Katalogs zur Verschlossenheit des Arbeitsmarktes in Betracht kommen, wenn sich herausstellt, daß seine Angehörigen keine Chance mehr haben, ihr Restleistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu verwerten. Wenn eine Versicherte, die ihren bisherigen Beruf aus Gesundheitsgründen nicht mehr verrichten kann, nur auf geeignete und zugängliche Tätigkeiten (Arbeitsplätze) verwiesen werden kann, so dürfte es keinen Unterschied machen, aus welchen Gründen ihr bestimmte Arten von an sich geeigneten Verweisungstätigkeiten auf dem Arbeitsmarkt unerreichbar sind. Ebensowenig wie es in ihr Risiko fällt, daß in einem Bereich typischerweise nur betriebsintern zu besetzende Schonarbeitsplätze vorhanden sind, kann es ihr angelastet werden, wenn die Arbeitgeber Einstellungen nur bis zu einem gewissen Lebensalter vornehmen. Diese Schlußfolgerung ergibt sich jedenfalls aus der bisherigen Rechtsprechung des BSG.
Bei der Beurteilung der Möglichkeiten für ältere, ungelernte, in ihrer Leistungsfähigkeit eingeschränkte, arbeitslose Versicherte, noch auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, zeigen die Ausführungen der Sachverständigen noch erhebliche Unsicherheiten: Die Sachverständigen Dr. B … und Dr. P … haben zunächst den Statistiken entnommen, daß aus der genannten Personengruppe (nur) jeder fünften Person der Abgang aus der Arbeitslosigkeit in eine Beschäftigung gelingt (Gutachten S 5/6). Dabei liegt die vorangegangene Arbeitslosigkeit im Durchschnitt bei 88 Wochen (Gutachten S 4). Diese Aussage ist so jedoch für die Frage der Verschlossenheit des Arbeitsmarktes nur begrenzt aussagekräftig. Dies liegt daran, daß zu den Ungelernten, die von dieser Statistik erfaßt werden, alle Personen gehören, die keinen formalen Abschluß haben, selbst wenn sie hochqualifiziert sind. Außerdem wird als Übergang in Arbeit die Aufnahme jeglicher, auch nur kurzfristiger Beschäftigung gerechnet. Die vorangegangene Arbeitslosigkeit bezeichnet nicht den gesamten Zeitraum zwischen dem Verlust der früheren dauerhaften Beschäftigung und dem der Aufnahme einer neuen, sondern zählt jeweils ab der letzten Unterbrechung der Arbeitslosigkeit, sei es durch eine Maßnahme der beruflichen Bildung, Unterbrechung der Verfügbarkeit oder Aufnahme von kurzfristigen Beschäftigungen. Schließlich ist den Statistiken auch nichts über Art und Umfang der gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Betroffenen zu entnehmen (Prot S 30 bis 33). Der Sachverständige Dr. B … hat deshalb anhand der in das Verfahren eingeführten Erhebung des SG Itzehoe, die auf eine Verschlossenheit des Arbeitsmarktes für ältere, ungelernte und erheblich leistungseingeschränkte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer hindeutet, unter Zuhilfenahme weiterer Statistiken seine Erkenntnisse dahingehend interpretiert, daß für die Gruppe der mindestens 58-jährigen, die zuletzt als Hilfsarbeiter und Hilfsarbeiterinnen tätig waren, gesundheitliche Einschränkungen aufweisen und schon längere Zeit arbeitslos sind, in der gesamten Bundesrepublik etwa 300 Personen pro Jahr in Arbeit abgegangen sind. Bei 1,6 Millionen Betrieben ergäbe sich daraus, daß man nur etwa bei jedem 5000. Betrieb auf eine solche Person stoßen werde.
Diese und weitere Ausführungen der Sachverständigen in diesem Zusammenhang machen deutlich, daß zumindest bei einer Kombination fehlender Ausbildung, gesundheitlicher Einschränkung und vorgerückten Alters für arbeitslose Versicherte die Gefahr einer Verschlossenheit des Arbeitsmarktes zu diskutieren ist. Wann danach eine solche Gefahr vorliegt, bedarf allerdings unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls eingehenderer Erhebungen zu konkreten Verweisungstätigkeiten. Allgemein erscheint immerhin die Folgerung gerechtfertigt, daß eine Risikokonstellation, wie sie oben beschrieben wurde, eine Prüfung der Verschlossenheit des Arbeitsmarktes rechtfertigt und somit der Katalog der Fallkonstellationen, aus denen sich eine Verschlossenheit des Arbeitsmarktes ergibt, nicht als abgeschlossen angesehen werden kann.
Sofern die damit verbundenen Konsequenzen für eine weitere Verlagerung des versicherten Risikos von der Arbeitslosen- auf die Rentenversicherung untragbar
erscheinen sollten, bliebe – abgesehen von einer Gesetzesänderung – nur der Weg, den Umfang einer Berücksichtigung der Verschlossenheit des Arbeitsmarktes im Rahmen der §§ 43, 44 SGB VI erneut grundsätzlich zu überprüfen. Dagegen läßt es sich schwerlich rechtfertigen, den bisherigen Fallgruppenkatalog kurzerhand für abschließend zu erklären. Denn dadurch würden Personenkreise, die durch neuere Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt in ihrem Zugang zu geeigneten Arbeitsplätzen beeinträchtigt werden, gegenüber solchen Versicherten, die sich auf bereits anerkannte Fallgruppen stützen können, ohne sachlichen Grund benachteiligt.
Nach Auffassung des vorlegenden Senats ist es dem LSG Niedersachsen (Urteil vom 25. November 1992 – L 2 J 138/91 – ≪SozVers 1993, 134≫; vgl auch SG Wiesbaden NZA 1988, 670; SG Münster, Urteile vom 6. Dezember 1990 – S 10 J 103/89 – und – S 10 J 76/90 –; Erlenkämper, ZfS 1992, 4; DRV 1992, 39; NZS 1994, 259) nicht gelungen, in Fortentwicklung des Kataloges eine sachgerechte neue Fallgruppe zu bilden, die einer revisionsgerichtlichen Überprüfung standhält (kritisch dazu auch Ottmüller, DRV 1991, 509; Schmidt-Preuß, SGb 1992, 431; Maier, SozVers 1993, 114; Kamprad, SGb 1993, 413; Langenheim, DRV 1993, 637; Bosien/Thiede, DAngVers 1994, 267).
Ein Hauptproblem des gewählten Ansatzes ist es, daß versucht wird, mit dieser Fallgruppe den gesamten allgemeinen Arbeitsmarkt zu erfassen. Einem derartigen Unterfangen steht nach dem Ergebnis der Sachverständigenanhörung die – jedenfalls zur Zeit noch – fehlende Arbeitsmarkttransparenz entgegen. Wie namentlich der Sachverständige Dr. B … eingehend dargelegt hat, sind insbesondere die Statistiken der Bundesanstalt für Arbeit, die ohnehin auch im Bereich der Arbeitslosen im Alter ab 55 Jahren noch eine nennenswerte Bewegung durch Eingehen von Beschäftigungsverhältnissen verzeichnen, mit erheblichen Unsicherheiten belastet, die sich aus der Erhebungspraxis bei den Arbeitsämtern ergeben. Auch die Vorinstanz bezieht sich insoweit nur auf allgemeine Erfahrungen, nicht jedoch auf spezifische arbeitswissenschaftliche Daten. Die Gefahr einer Verschlossenheit des Arbeitsmarktes läßt sich daher gegenwärtig wohl nur bezogen auf konkrete Verweisungstätigkeiten feststellen.
Aber auch die im oben zitierten Urteil des LSG Niedersachsen aufgestellten Einzelkriterien geben zu Bedenken Anlaß. Zum einen ist nicht ersichtlich, daß sie auf ge
sicherten empirischen Erkenntnissen beruhen. Zum anderen erscheinen die getroffenen Abgrenzungen nicht in jeder Hinsicht als sachgerecht. Zu den darin unter Buchst a) bis e) aufgeführten Merkmalen (SozVers 1993, 134, 137) wäre im einzelnen anzumerken:
Zu a):
Da es bei der Frage nach einer Verschlossenheit des Arbeitsmarktes um die Beurteilung von Einstellungschancen für eine zumutbare Verweisungstätigkeit geht, dürfte es nur darauf ankommen, daß die Versicherte ihren bisherigen Beruf aus Gesundheitsgründen nicht mehr ausüben kann. Dann ist es aber unerheblich, ob die Versicherte zusätzlich auch ihren letzten Arbeitsplatz infolge von Krankheit oder Behinderung verloren hat.
Zu b):
Das Ausmaß der erforderlichen Leistungseinschränkungen wird vom LSG nicht hinreichend deutlich gemacht. Wie bereits im Zusammenhang mit der Vorlagefrage Nr 1 erörtert, lassen sich – bezogen auf den gesamten allgemeinen Arbeitsmarkt -gegenwärtig auch kaum sichere Aussagen dazu machen, wie sich bestimmte Leistungseinschränkungen auf die Einsetzbarkeit der Versicherten auswirken.
Zu c):
Hier ist zum einen die Festlegung einer Altersgrenze problematisch, weil es insoweit keine gesicherten Daten geben dürfte. Zum anderen ist nicht recht nachvollziehbar, warum der Eintritt einer erheblichen Leistungseinschränkung an eine solche Altersgrenze geknüpft wird. Auf diese Weise werden ältere Versicherte, die erst während ihrer Arbeitslosigkeit schwer erkranken, ohne ersichtlichen Grund schlechter gestellt.
Zu d):
Soweit hier auf die Bezugsdauer von Arbeitslosengeld (Alg) abgestellt wird, dürfte dies zu sachwidrigen Ergebnissen führen. Der Umstand, daß mit dem Auslaufen des Alg typischerweise eine finanzielle Bedarfssituation eintritt, ist kein geeignetes Kriterium für das Vorliegen von EU. Im übrigen müßte eine Versicherte mit besserer Arbeitsbiographie (und damit umfangreicherem Alg-Anspruch) länger auf die EU-Rente warten als eine Versicherte, die in der Vergangenheit nur lückenhaft erwerbstätig gewesen ist.
Zu e):
Erfolglose Vermittlungsbemühungen können ein Indiz für die erhebliche Gefahr einer Verschlossenheit des Arbeitsmarktes sein (vgl die Rechtsprechung des BSG zum verschlossenen Teilzeitarbeitsmarkt: BSG SozR 2200 § 1246 Nr 13). Sie müßten allerdings eine angemessene Zeit intensiv angedauert haben.
Da nach alledem beiden Vorlagefragen grundsätzliche Bedeutung zukommt, sieht der vorlegende Senat die Grundvoraussetzungen des § 41 Abs 4 SGG als gegeben an. Die Fragen werden dem Großen Senat zur Entscheidung vorgelegt, weil dies nach Auffassung des vorlegenden Senats zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist. Es handelt sich um einen Problembereich, der wegen seiner herausragenden Bedeutung für das Rentenrecht in einer Weise fortentwickelt werden sollte, die von vornherein eine einheitliche Rechtsanwendung durch alle für Angelegenheiten der gesetzlichen Rentenversicherung zuständigen Senate des SG sicherstellt.
Fundstellen