Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulassung der Revision wegen Verletzung der Amtsermittlungspflicht
Orientierungssatz
1. Nach § 160 Abs. 2 Nr. 3 SGG ist die Revision nur zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann. Hierzu muss der Beschwerdeführer die den Verfahrensmangel vermeintlich begründenden Tatsachen substantiiert darlegen, um den Verfahrensmangel zu bezeichnen.
2. Beruft sich der Beschwerdeführer auf eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht des § 103 SGG, so muss er u. a. einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrag bezeichnen, die Rechtsauffassung des LSG wiedergeben, aufgrund der bestimmte Tatsachen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen und die von dem betreffenden Beweisantrag berührten Tatumstände darlegen, die zu weiterer Sachaufklärung Anlass gegeben hätten.
Normenkette
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3, § 103
Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 18.10.2016; Aktenzeichen L 11 KR 2174/15) |
SG Karlsruhe (Aktenzeichen S 9 KR 1336/13) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 18. Oktober 2016 wird als unzulässig verworfen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die Klägerin ist Sonderrechtsnachfolgerin des am 16.9.2015 verstorbenen, bei der beklagten Krankenkasse versichert gewesenen P.H. (Versicherter). Der Versicherte litt an einem metastasierenden Nierenzellkarzinom. Er beantragte bei der Beklagten erfolglos, eine ambulante Cyberknife-Behandlung zu erhalten, und führte sie auf eigene Kosten iHv 9524,08 Euro vom 20. bis 24.8.2012 durch. Seine von der Klägerin fortgeführte Klage auf Erstattung dieser Kosten ist bei SG und LSG erfolglos gewesen. Zur Begründung hat das LSG unter Bezugnahme auf die Entscheidungsgründe des SG ua ausgeführt, bei der Cyberknife-Behandlung handele es sich um eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode, für die eine Kostenerstattung ausgeschlossen sei, weil eine positive Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) fehle. Weder liege ein sog Seltenheitsfall noch ein Systemversagen vor mit der Folge, dass eine positive Empfehlung des GBA entbehrlich sei. Die Klägerin könne sich auch nicht auf § 2 Abs 1a SGB V berufen, weil dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft entsprechende Behandlungsalternativen zur Verfügung gestanden hätten (Urteil vom 18.10.2016).
Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil.
II
Die Beschwerde der Klägerin ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 S 3 SGG zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 S 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung der geltend gemachten Revisionszulassungsgründe des Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) und der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG).
1. Die Klägerin bezeichnet einen Verfahrensfehler nicht ausreichend. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision nur zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 S 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Wer eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf stützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG), muss die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert darlegen, um den Verfahrensmangel zu bezeichnen (§ 160a Abs 2 S 3 SGG; vgl hierzu zB BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 24, 36). Daran fehlt es.
Die Klägerin rügt zwar die Verletzung der Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG), weil sie vor dem SG schriftsätzlich einen Beweisantrag gestellt habe, dem das SG und später das LSG nicht nachgekommen seien. Sie legt aber die erforderlichen Umstände einer Pflichtverletzung des LSG nicht hinreichend dar. Wer sich auf eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht nach § 103 SGG stützt, muss ua einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrag (zur ausreichenden Wiedergabe nicht protokollierter Beweisanträge in den Urteilsgründen vgl BSG Beschluss vom 23.7.2013 - B 1 KR 84/12 B - RdNr 5 mwN) bezeichnen, die Rechtsauffassung des LSG wiedergeben, aufgrund der bestimmte Tatsachen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen und die von dem betreffenden Beweisantrag berührten Tatumstände darlegen, die zu weiterer Sachaufklärung Anlass gegeben hätten (vgl zB BSG Beschluss vom 20.7.2010 - B 1 KR 29/10 B - RdNr 5 mwN; BSG Beschluss vom 1.3.2011 - B 1 KR 112/10 B - Juris RdNr 3 mwN). Hierzu gehört nach ständiger Rechtsprechung des BSG die Darlegung, dass ein - wie hier - anwaltlich vertretener Beteiligter einen Beweisantrag bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung gestellt und noch zumindest hilfsweise aufrechterhalten hat (vgl dazu BSG Beschluss vom 14.6.2005 - B 1 KR 38/04 B - Juris RdNr 5; BSG Beschluss vom 25.4.2006 - B 1 KR 97/05 B - Juris RdNr 6; BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11 mwN). Erklärt sich ein rechtskundig vertretener Beteiligter, ohne den Beweisantrag zu wiederholen, mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden, so gilt ein früherer Beweisantrag als erledigt (BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 20; BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 31). Die Klägerin legt nicht dar, dass sie einen Beweisantrag beim LSG gestellt oder aufrechterhalten hat, obwohl sie sich mit Schriftsatz vom 3.8.2016 ohne jeden Vorbehalt mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt hat. Soweit die Klägerin - im Übrigen aktenwidrig - vorträgt, das SG habe eine Ladung des als Zeugen benannten behandelnden Urologen verfügt, ihn aber nicht einvernommen, legt sie zudem nicht dar, weshalb dieser behauptete Verfahrensmangel beim LSG fortgewirkt haben sollte. Ein Verfahrensmangel iS des § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG ist ein Verstoß des Gerichts im Rahmen des prozessualen Vorgehens im unmittelbar vorangehenden Rechtszug (stRspr, vgl zB BSG SozR Nr 40 zu § 162 SGG mwN). Die Klägerin legt nicht dar, weshalb der vermeintliche Verfahrensmangel des SG als Verfahrensmangel des LSG anzusehen sein sollte (vgl dazu BSG Beschluss vom 10.8.2007 - B 1 KR 58/07 B - Juris RdNr 6; BSG Beschluss vom 20.5.2016 - B 13 R 74/16 B - Juris RdNr 9; Zeihe/Hauck, SGG, Stand 1.8.2016, § 160 Anm 17c mwN).
2. Die Klägerin legt auch die grundsätzliche Bedeutung der Sache nicht ausreichend dar. Wer sich - wie hier die Klägerin - auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwiefern diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38; BSG SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f; BSG SozR 3-2500 § 240 Nr 33 S 151 f mwN). Die Klägerin richtet ihr Vorbringen hieran nicht aus.
Die Klägerin formuliert als Rechtsfrage,
"ob vorliegend ein Systemversagen des GBA gegeben ist."
Damit formuliert die Klägerin aber keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung. Ihre Frage zielt ausschließlich darauf, ob das LSG das geltende Recht in ihrem Fall richtig ausgelegt und angewandt hat. Die inhaltliche Richtigkeit der Entscheidung des LSG im Einzelfall ist aber nicht Gegenstand der zur Revisionszulassung führenden Nichtzulassungsbeschwerde (BSG SozR 1500 § 160a Nr 7). Selbst wenn man dem Vortrag der Klägerin eine konkrete Rechtsfrage zum Systemversagen bei objektiv willkürlicher Nichtempfehlung einer neuen Behandlungsmethode durch den GBA entnehmen wollte, fehlte es an der Darlegung des Klärungsbedarfs. Das Bedürfnis für die Klärung einer Rechtsfrage in einem Revisionsverfahren fehlt, wenn ihre Beantwortung nach der dazu ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung keinem vernünftigen Zweifel unterliegt, die Frage also "geklärt" ist (vgl zB BSG Beschluss vom 21.10.2010 - B 1 KR 96/10 B - RdNr 7 mwN). Die Klägerin geht bereits nicht auf die Rechtsprechung des erkennenden Senats zum Systemversagen durch den GBA bei einer fehlenden Empfehlung einer neuen Behandlungsmethode ein (grundlegend: BSGE 113, 241 = SozR 4-2500 § 13 Nr 29). Sie legt nicht dar, dass dennoch Klärungsbedarf verblieben ist.
Soweit die Klägerin eine Frage grundsätzlicher Bedeutung darin sieht, dass das BSG bislang noch keine Entscheidung zu einer Cyberknife-Behandlung getroffen hat, setzt sie sich schon nicht mit der Rechtsprechung auseinander, wonach die Frage nach den Therapiemöglichkeiten für ein einzelnes Leiden und dem darauf bezogenen krankenversicherungsrechtlichen Behandlungsanspruch regelmäßig keine Rechtsfrage von "grundsätzlicher" Bedeutung ist (vgl BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 9 RdNr 5 ff; BSG Beschluss vom 14.5.2007 - B 1 KR 16/07 B - Juris RdNr 6; s ferner BSG Beschluss vom 12.2.2014 - B 1 KR 30/13 B - Juris RdNr 7), sondern nur auf die Klärung von Tatfragen abzielt, soweit die erfragte - generelle - Tatsache nicht ausnahmsweise selbst Tatbestandsmerkmal einer gesetzlichen oder untergesetzlichen Regelung ist (vgl BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 9 RdNr 8).
Die Klägerin legt schließlich auch nicht die Klärungsfähigkeit der von ihr aufgeworfenen Fragen dar. Hierzu hätte sie darlegen müssen, dass es auf die Beantwortung dieser Fragen ankommt, obwohl das LSG die Auffassung vertreten hat, dass schulmedizinische Behandlungsalternativen zur Verfügung gestanden hätten.
3. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI10333540 |