Entscheidungsstichwort (Thema)
sozialgerichtliches Verfahren. Amtsermittlungsgrundsatz. Beweiswürdigung. Sachverständigengutachten
Orientierungssatz
Das Gericht ist grundsätzlich in der Würdigung der Sachverständigengutachten frei und kann zB auch ohne Einholung weiterer Gutachten von einem bereits eingeholten Gutachten abweichen. Zur Freiheit der Beweiswürdigung gehört die Entscheidung über den Umfang und die Art der Ermittlungen. Bei einander widersprechenden Gutachten ist das Gericht nicht stets verpflichtet, ein weiteres Gutachten einzuholen. Eine solche verfahrensrechtliche Pflicht besteht nur dann, wenn die vorliegenden Gutachten schwere Mängel aufweisen, in sich widersprüchlich sind, von unzutreffenden Voraussetzungen ausgehen oder Zweifel an der Sachkunde oder Sachlichkeit des Sachverständigen erwecken.
Normenkette
SGG §§ 103, 128
Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 12.10.2004; Aktenzeichen L 10 U 3601/02) |
SG Heilbronn (Entscheidung vom 13.06.2002; Aktenzeichen S 2 U 284/02) |
Gründe
Die gegen die Nichtzulassung der Revision im angefochtenen Urteil des Landessozialgerichts (LSG) gerichtete, auf den Zulassungsgrund eines Verfahrensmangels gestützte Beschwerde ist unzulässig. Die dazu gegebene Begründung entspricht nicht der in § 160 Abs 2 und § 160a Abs 2 Satz 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) festgelegten Form. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) erfordern diese Vorschriften, dass der Zulassungsgrund schlüssig dargetan wird (BSG SozR 1500 § 160a Nr 34, 47 und 58; vgl hierzu auch Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 3. Aufl, 2002, IX, RdNr 177 und 179 mwN). Daran mangelt es.
Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann. Auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel nach der ausdrücklichen Vorschrift des § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG nicht und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen) nur dann gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
Der Beschwerdeführer macht geltend, das LSG habe sich gedrängt fühlen müssen, auf seinen mit Schriftsatz vom 29. April 2003 gestellten Antrag auf "Einholung eines neuen Zusammenhangsgutachtens" bzw in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG am 12. Oktober 2004 gestellten Antrag auf "Einholung eines Obergutachtens" ein orthopädisches Gutachten "darüber einzuholen, dass die Gesundheitsstörungen im Bereich der rechten Schulter auf den Unfall vom 27.03.2000 zurückzuführen sind und weiterhin unfallbedingt eine MdE von mindestens 20% über die 26. Woche nach dem Unfallereignis hinaus bedingen, nachdem die Gutachten des Sachverständigen R. und des Sachverständigen E. im Ergebnis sich völlig widersprechen".
Mit diesem Vorbringen hat er einen Verfahrensfehler iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG iVm § 103 SGG nicht schlüssig dargelegt. Ohne hinreichende Begründung iS des § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG bedeutet hier, dass die Revision zuzulassen ist, wenn das LSG sich hätte gedrängt fühlen müssen, den beantragten Beweis zu erheben (BSG SozR 1500 § 160 Nr 5). Zur Begründung eines solchen Verfahrensfehlers ist die schlüssige Darlegung des Beschwerdeführers erforderlich, inwiefern nach den dem LSG vorliegenden Beweismitteln Fragen zum tatsächlichen und medizinischen Sachverhalt aus der rechtlichen Sicht des LSG erkennbar offen geblieben sind und damit zu einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts zwingende Veranlassung bestanden hat (stRspr des Senats, s ua Beschluss vom 14. Dezember 1999 - B 2 U 311/99 B - mwN).
Daran fehlt es hier. Es kann dahingestellt bleiben, ob die von dem Beschwerdeführer genannten Anträge - wie erforderlich (BSG SozR 1500 § 160 Nr 45; Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 1990, RdNr 210 mwN) - den Anforderungen an einen Beweisantrag iS der Zivilprozessordnung (ZPO) entsprachen; in beiden Fällen fehlt eine genaue Bezeichnung der zu begutachtenden Punkte (§ 403 ZPO). Denn der Beschwerdeführer hat jedenfalls nicht hinreichend dargetan, aus welchen Gründen sich das LSG aus seiner rechtlichen Sicht zu der von ihm für notwendig gehaltenen Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens zwingend hätte gedrängt fühlen müssen. Das Gericht ist grundsätzlich in der Würdigung der Sachverständigengutachten frei und kann zB auch ohne Einholung weiterer Gutachten von einem bereits eingeholten Gutachten abweichen (vgl Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 11. Aufl, S 244 o II mwN). Zur Freiheit der Beweiswürdigung gehört die Entscheidung über den Umfang und die Art der Ermittlungen. Bei einander widersprechenden Gutachten ist das Gericht nicht stets verpflichtet, ein weiteres Gutachten einzuholen (vgl Meyer-Ladewig, SGG, 7. Aufl, § 128 RdNr 7e). Eine solche verfahrensrechtliche Pflicht besteht nur dann, wenn die vorliegenden Gutachten schwere Mängel aufweisen, in sich widersprüchlich sind, von unzutreffenden Voraussetzungen ausgehen oder Zweifel an der Sachkunde oder Sachlichkeit des Sachverständigen erwecken (BSG Beschluss vom 11. Mai 1999 - B 2 U 60/99 B). Diese Voraussetzungen sind dem Vorbringen des Klägers nicht zu entnehmen. Sein auf eigener Würdigung beruhender Vortrag, dass sich die Gutachten des Sachverständigen R. und des Sachverständigen E. völlig widersprechen, reicht nicht dazu aus, Mängel bzw Widersprüche in den vorliegenden Gutachten aufzuzeigen, welche die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens als zwingend erforderlich erscheinen ließen.
Die übrigen Ausführungen des Klägers in diesem Zusammenhang betreffen im Kern die Beweiswürdigung durch das LSG und sein Beweisergebnis. Solche gegen die Beweiswürdigung gerichteten Rügen können jedoch nicht zur Zulassung der Revision führen, weil § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG es ausdrücklich ausschließt, die Nichtzulassungsbeschwerde auf Fehler der Beweiswürdigung iS des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG zu stützen. Von einer weiteren Begründung wird insoweit abgesehen, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 Satz 3 Halbs 2 SGG).
Die Beschwerde war daher als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbs 2 iVm § 169 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen